E-Book, Deutsch, 236 Seiten
Hauck Warum die grauen Schatten
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-347-22393-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine politische Dystopie?
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-347-22393-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ich bin ein 50-jähriger Mann. Ich habe aus Liebe zum Gedruckten Verlagskaufmann und Werbefachwirt gelernt und bin im Bereich Business Development und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Darüber hinaus zeichnet mich seit jeher eine große Faszination für die Literatur, die Politik (mit reichlich Praxiserfahrung) und die Beschäftigung mit philosophischen Fragen aus. Alles dies fließt in meinen ersten Roman ein.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL II
Montag, 20. September
Karl hörte Sandra weder beim Aufstehen, noch beim Duschen, noch beim Herumklappern in der Küche. Das einzige, was er, wie in Trance wahrnahm, war der herbe Duft frisch gemahlenen Kaffees. Jetzt noch mal kurz rumdrehen und sich von ihr ein wenig kulinarisch verwöhnen lassen.
Heftiges Rütteln riss ihn aus all seinen Träumen. Sandra besaß sogar die Unverschämtheit und zog Karl einfach die Decke weg. "Sag mal, bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?" Sandra entgegnete ihm völlig mitleidslos, dass er jetzt sofort und auf der Stelle aufstehen solle und aus dem Fenster sehen müsse.
Was war das denn schon wieder? War die Sonne nicht aufgegangen, oder der Himmel rosa? Karl war wirklich, ja man muss es so sagen, angepisst, bis er aus dem Fenster der Wohnung sah. Die Wohnung lag ziemlich zentral in Mitte. Am Boden abschließende große Fenster, eine ganze Wandzeile in Glas. Alles im Blick. Gerade recht für einen Journalisten. "The Observer" sozusagen.
Helikopter am Himmel. Nicht nur einer, auch nicht vom Roten Kreuz oder von der Polizei. Dutzende. Alle schwarz. Ohne Zeichen. Ohne Emblem. Ohne irgendwas. Dumpfe Rotorengeräusche, leicht abgedämpft durch die verschlossenen Fensterscheiben. Keiner der Helikopterschien sich nur einen winzigen Zentimeter in der Luft fortzubewegen. Sie schienen förmlich mit ihrer Schnauze auf irgendetwas hinabzusehen. Insistierend. Kontrollierend. Alle 22 Helikopter, die Karl mittlerweile zählen konnte.
Und, ohne normalerweise mittels einer ersten Tasse Kaffee am Morgen überhaupt einen klaren Verstand zusammenzubringen, wurde ihm trotz allem mit einem Schlag ganz klar, wo er die Helikopter verorten konnte. Reichstag, Paul-Löbe-Haus, Kanzleramt, Schloss Bellevue, Bundesrat, Parteizentralen, BKA, Verfassungsschutz, Dependancen der nationalen Fernsehsender und und und.
Karl war ernsthaft bemüht eine erste rationale Handlung zu tun, so wie es sich für einen professionellen Journalisten gehört. In der Redaktion anrufen. Oder bei seinen Kontaktleuten bei der Polizei. Oder bei seinen Quellen aus dem Reichstag. Nichts. Gar nichts. Karl konnte sich eben so wenig bewegen, wie die Helikopter dort draußen das anscheinend beabsichtigten. Er hatte definitiv nichts unter Kontrolle mehr.
Sandra nahm Karl von der Seite in den Arm und blickte ihn mit einem zutiefst verstörten Blick an. "Was ist da draußen los, Liebling?" Karl wusste keine Antwort, keine Worte, nicht einmal eine Ahnung, ob es sich nicht einfach um eine Übung der Sicherheitskräfte handelte. Vielleicht eine Terrorwarnung? Karl musste sich jetzt wirklich zusammenreißen, es kann doch nicht sein, dass er sich so unmännlich verhielt. Was sollte Sandra von ihm denken? Als Kriegsreporter, einer seiner früheren innigsten Jungmännerträume, hätte er ja jetzt wohl komplett versagt.
Mit einem Mal beobachteten die beiden, wie sich einer der Helikopter aus der Gruppe um den Reichstag herauslöste und in ihre Richtung abdrehte. Nicht ruckartig, nicht hektisch oder aufgebracht. Ganz ruhig, ganz kontrolliert bewegte er sich weiter Richtung Mitte, genau auf Klaus' Wohnung zu.
Das kraftvolle Wummern der Rotorblätter wurde immer eindringlicher. Nicht nur die akustische Wahrnehmung wurde dadurch gelähmt, alles in der Wohnung vibrierte.
Jede einzelne wuchtige Umdrehung der Rotoren war jetzt auch förmlich in der Magengegend pochend spürbar. Nach was hielten die hier Ausschau? Ist doch nichts hier in der Gegend, zumindest kein Amt, keine Behörde. Nur ein paar Leute, die sich in einer Art Medienghetto eingenistet haben.
Die Langsamkeit der Fortbewegung des Helikopters ließ Klaus die Gänsehaut aufsteigen. Er steuerte direkt auf die Fensterfront ihres kleines gemütlichen Reiches zu, die Fenster fingen leicht zu pochen an. Die Fluggeräusche wurden nun immer lauter, immer insistierender, immer eindringender in die körperliche Unversehrtheit. Es wurde unerträglich. Der Helikopter war nun fast auf der Höhe der Dachterrasse. Instinktiv versuchten Sandra und Karl sich weg zu ducken, sich zu verstecken. So, als wenn unvermittelt die Polizei vor der Tür steht und man, auch ohne ersichtlichen Grund, ein schlechtes Gewissen bekommt. Man hat sich doch nichts zuschulden kommen lassen, oder? Aber es wird schon seinen Grund haben, warum die plötzlich vor der Tür stehen. Könnten diese Leute also etwas von ihm wollen? Hat er sich in irgendeiner Weise staatszersetzend verhalten, hat er sich gegen etwas verschworen, von dem er nichts wusste?
Der Helikopter schob sich wie eine fliegende Dampfwalze über ihre Wohnung hinweg, ohne den beiden auch nur irgendeine Beachtung zu schenken. Karl versuchte noch, irgendjemand im Cockpit zu erkennen. Aber die Scheiben waren leicht abgedunkelt und die Piloten hatten Helme mit Sichtschutz auf. Also keine Chance, nur im Ansatz etwas zu erkennen.
Das pochende Rotorengeräusch verflüchtige sich jedoch nicht, sondern war nun wie fixiert, anscheinend genau über dem Haus. Karl versuchte sich aus seiner ganzkörperlichen Lähmung zu befreien und auf die gegenüberliegende Wohnungsseite zu gelangen.
Am Küchenfenster würde er sicher mehr erkennen können, was die wollen. Er schleppte sich schweren Schrittes hinüber, seine Beine schienen wie eingeschlafen zu sein. Ein heftiges, sehr schmerzhaftes Kribbeln in den Beinen ließen ihn zunächst nur ein paar Zentimeter vorwärts kommen. Karl war, zum ersten Mal in seinem Leben, wirklich mit sich überfordert. Es gibt ja viele Situationen im Leben, in denen man meint, man sei ein Loser und zum Überleben einfach nicht erschaffen worden. Aber diesmal war wirklich dieser Moment. Er schämte sich dafür, dass er sich und seinen Körper einfach nicht mehr unter Kontrolle hatte. Wie konnte es so einfach sein, durch angstbesetzte Schlüsselreize, einen menschlichen Körper schachmatt zu setzen?
Am Küchenfenster angekommen, ging der enttäuschte Blick ins nichts. Keine Chance, irgendetwas zu sehen. Aber es reichte Karl, zu verstehen, dass der Helikopter da oben war, unüberhörbar, unverrückbar. "Willst du nicht endlich mal irgendwo anrufen?" forderte Sandra ihn von drüben auf, endlich mal seinen Mann zu stehen und sie zu beschützen. Ja, das sollte er eigentlich schon längst getan haben. Wo war das Handy schon wieder? Im Schlafzimmer? Als er sich gerade umdrehen wollte, bemerkte er die Schatten am Fenster. Das schwarze Ungetüm hatte sich wohl einige Zentimeter weiter fortbewegt, aber sonst passierte nichts. Wieder schleppte sich Karl durch die Wohnung, obwohl das Kribbeln in den Beinen langsam nachgelassen hatte. Im Vorbeigehen fragte Karl, ob sie denn schon mit irgendjemand telefoniert habe?
"Nein, ich hab's vorhin versucht, aber mein Handy hat keinen Empfang. Bitte mach‘ doch endlich, ich will wissen, was draußen vor sich geht." Karl setzte sich auf seine Seite auf die Bettkante. Er nahm sein Handy in die Hand und wollte die Nummer der Redaktion wählen, als er entdeckte, dass auch sein Empfang tot war.
Kein einziger Balken, nicht einmal die Anzeige, dass Notrufe möglich sind. Was ist das hier sonst, als ein Notruf?
"Meins ist auch tot, das gibt's doch gar nicht!"
Karl stand auf und schob seinen innerlich zerfetzten Körper nach nebenan ins Arbeitszimmer. Er schaltete seinen Tablet-PC an und wartete eine Ewigkeit. Sonst ist das blöde Ding doch immer sofort hochgefahren und online. Karl schaltete sein Tablet nie auf Flugmodus, kann er sich als Journalist schon mal gar nicht leisten. Also hätte doch jetzt schon längst die WLAN-Verbindung da sein müssen. Mit eiskalt schwitzigen Fingern, wischte er über den Bildschirm, er bemerkte, wie er völlig durchnässt war. Kalter Schweiß rann von überall her an seinem Körper herunter. Er klickte in die Einstellungen. Das Tablet suchte nach einem Netz, aber anscheinend vergeblich. "Schatz, schalte doch bitte mal das Radio ein, irgendwas muss doch in diesem verdammten Haushalt funktionieren. Mein Tablet bekommt auch keine Verbindung…"
Karl hörte Sandra an der Anlage im Wohnzimmer rumhantieren. Knackendes lautes Rauschen, sich verwischende Wortfetzen, sonst nichts. Nirgendwo Musik, geschweige denn Worte. Aufbauende Worte, dass alles in Ordnung sei. Dass sich die Menschen "da draußen" keine Sorgen machen müssen. Keine gut unterrichteten Kreise, die voller Überzeugung berichten konnten, dass alles unter Kontrolle sei. Karl schaltete den Fernseher an. Er zappte durch alle vorhandenen Kanäle. Nur rieselnder Fernsehschnee, keine Stimme, nichts. Karl und Sandra schauten sich beide mit einem Blick an, der verriet, dass sie sich jetzt in diesen Minuten eigentlich gegenseitig stützen müssten. Aber jeder hatte so viel Angst, dass diese alle Kraft auffraß, selbst die Kraft, sich selber "über Wasser halten zu können".
Sandra unterbrach das lähmende laute Schweigen. "Schatz, du musst jetzt mal da rausgehen. Wir müssen doch irgendwie herausfinden, ob wir hier die einzigen sind, die herumspinnen" Ja, ok. Er hatte verstanden. Karl versuchte, seine restlich vorhandenen Sinne zusammenzunehmen. Sich anzuziehen und zu versuchen, in...