Haubold | Die Kinder der Schattenstadt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Allgemeine Reihe

Haubold Die Kinder der Schattenstadt


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-300-1
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Allgemeine Reihe

ISBN: 978-3-95719-300-1
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
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FRANK W. HAUBOLD, wurde 1955 in Frankenberg geboren und lebt im sächsischen Meerane. Er studierte Informatik und Biophysik in Dresden und Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der Phantastik, sowie Herausgabe mehrerer Anthologien. Für seinen Roman Die Schatten des Mars und die Kurzgeschichte Heimkehr erhielt er 2008 den Deutschen Science-Fiction-Preis in beiden Kategorien. Zuletzt erschienen die Erzählungssammlung Die Sternentänzerin und die Anthologie Der Traum vom Meer.

FRANK W. HAUBOLD, wurde 1955 in Frankenberg geboren und lebt im sächsischen Meerane. Er studierte Informatik und Biophysik in Dresden und Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der Phantastik, sowie Herausgabe mehrerer Anthologien. Für seinen Roman Die Schatten des Mars und die Kurzgeschichte Heimkehr erhielt er 2008 den Deutschen Science-Fiction-Preis in beiden Kategorien. Zuletzt erschienen die Erzählungssammlung Die Sternentänzerin und die Anthologie Der Traum vom Meer.

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    April 1945 Endlich wurde es Tag. Graue Nebel schlichen sich von Osten her heran und tauchten die Landschaft in diffuses, milchiges Licht. Der Mann auf dem Feldbett starrte auf das schmutzig graue Fensterviereck und fragte sich, wie viel Zeit ihm noch blieb. Das Warten und das nie verstummende Gewittergrollen der näher rückenden Front zerrten an den Nerven. Etwa eine Woche noch, schätzte der Mann, dann war so oder so alles vorbei. Auch für ihn. Ursprünglich hatte er vorgehabt, sich vor dem Einmarsch der Russen eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Das würden jetzt vermutlich andere besorgen. Der Mann hatte keine Angst vor dem Tod. Der Krieg ging mittlerweile in das siebente Jahr, und der Mann hatte Dinge gesehen, die kein Mensch sehen sollte. Er hatte seine Familie, den Glauben an sein Land und zuletzt Gott verloren. Er war müde und freute sich auf das stille Dunkel, das ihn erwartete. In einer Februarnacht hatten Fliegerbomben die Stadt zerstört, in der der Mann bis zu seiner Einberufung gelebt hatte. Ein Volltreffer hatte das kleine Reihenhaus in der Südvorstadt in einen Krater verwandelt und ausgelöscht, was ihn am Leben gehalten hatte. Von seiner Frau und den Zwillingen war nichts geblieben, was man hätte begraben können. Es war, als hätte es sie nie gegeben. Danach hatte der Mann nächtelang wach gelegen und nachgedacht. Und als er schließlich zu dem Ergebnis gekommen war, dass es keinen Gott gab, hatten die Träume angefangen. In seinem wirklichen Leben war der Mann nur ein einziges Mal geflogen, und das war unmittelbar nach seiner Verwundung gewesen. Damals hatte er einen Granatsplitter im Oberschenkel und lag fiebernd im Laderaum einer klapprigen Ju 52, durch deren kleine Bullaugenfenster er so gut wie nichts erkennen konnte. Doch in seinen Träumen flog der Mann immer. Er saß auf dem Rücken eines riesigen Vogels, der sein Gewicht mit Leichtigkeit trug. Das unheimliche Wesen schwebte mit weiten Schwingen über dem Land dahin und stieß dabei Töne aus, die sich manchmal zu einer traurigen Melodie reihten. Sein Flug begann stets in großer Höhe, wo Felder und Wiesen wie braune und grüne Rechtecke auf einem großen Flickenteppich aussahen, gesäumt von Nähten aus silbernen Flüssen. Der Mann konnte erkennen, wie klein die roten Dächer der Häuser in den Tälern dagegen waren und wie winzig die Menschen und Tiere auf den Feldern. Es gab auch Autos, Panzer und Lastwagen in den Träumen des Mannes, die aus der Vogelperspektive wie Spielzeug aussahen. Erst als sie an Höhe verloren, bemerkte der Mann, dass der bunten Spielzeugwelt dort unten etwas zugestoßen sein musste. Es war still, zu still. Kein Rauch drang aus den Schornsteinen der Häuser. Autos und Lastwagen standen kreuz und quer auf Straßen und Feldwegen. Pferdegespanne waren umgekippt, und die Kadaver der Zugpferde verwesten schwarz in der Sonne. Noch konnte der Mann keine Einzelheiten erkennen, aber ihm war klar, dass die dunklen Häufchen vor den Häusern tote Menschen sein mussten. Und dass sie wie die Pferde und die anderen Tiere einen ebenso überraschenden wie grausamen Tod gestorben waren. Ich will das nicht sehen!, schrie der Mann lautlos, doch niemand hörte ihn. Sie verloren weiter an Höhe, der Mann bemerkte, dass der Vogel den Kopf gedreht hatte und ihn mit leuchtenden Augen anstarrte. „Die Spur der dunklen Reiter“, sagte eine Stimme in seinem Kopf, die ihm seltsam vertraut erschien. Welcher dunklen Reiter?, fragte der Mann. „Es bleibt nicht mehr viel Zeit“, antwortete die Stimme scheinbar zusammenhanglos und ließ ihn mit seinen Gedanken und Zweifeln allein. Sie kreisten jetzt nur noch wenige Meter über den Dächern eines Dorfes, durch das der Sommerwind kaum sichtbare, gelbliche Nebelschwaden trieb. Die Türen der meisten Häuser standen offen. Offenbar hatten sich ihre Bewohner mit letzter Kraft hinaus ins Freie geschleppt. Viele hatten sich in ihrer Verzweiflung sogar aus den Fenstern gestürzt. Die Menschen waren keinen leichten Tod gestorben. Die meisten von ihnen hatten sich im Todeskampf übergeben und die Reste ihrer zerfetzten Lungen ausgespien. Ganze Familien lagen, wie von einer gewaltigen Faust niedergestreckt, neben den Kadavern ihrer Haustiere. Unter Bäumen und Sträuchern sammelten sich die grauen Federhäufchen verendeter Vögel. Das Verhängnis, das über das Dorf und seine Bewohner hereingebrochen war, hatte nicht einmal vor den niedrigsten Kreaturen haltgemacht. Der letzte Regen, der hier gefallen war, war ein schwarzer Regen lebloser Insekten. Der Mann wollte die Augen schließen, sich abwenden, doch eine unsichtbare Kraft hielt ihn gefangen, während sich die Bilder in sein Hirn brannten: Schwarze Lippen grinsten über gebleckten Zähnen. Hände mit abgebrochenen Fingernägeln hatten sich tief in die Erde gekrallt. Aus aufgedunsenen Gesichtern starrten trübe Augäpfel wie weiße Eierschalen ins Leere. Weit aufgerissene Münder schrien lautlos um Hilfe. Ein kleines Mädchen hielt seine Puppe im Todeskampf fest umklammert, in deren goldenem Haar schwarz erbrochenes Blut klebte. Der Mann weinte. Er wünschte sich, winzig klein zu sein, sich in einen Winkel verkriechen zu können und nie wieder etwas sehen zu müssen. Kreischend schlug der riesige Vogel mit den Flügeln und stieg steil nach oben. Der Mann fror plötzlich. Die Kälte fraß sich in seine Glieder, und er spürte, dass er jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren würde. Vergebens versuchte er, sich am Hals der Kreatur festzukrallen. Plötzlich verwandelte sich der Körper des Wesens in glattes Eis, sodass der Mann abrutschte und schreiend in die Tiefe stürzte. Das Letzte, was seine Augen registrierten, war eine Panzerkolonne, deren Geschütztürme sich ineinander verkeilt hatten, während die winzigen Körper der Soldaten wie erdfarbene Häufchen die graue Straße säumten. Am Ende erwachte der Mann schweißgebadet und ohne das Gefühl der Erleichterung, das sonst das Erwachen aus einem Albtraum begleitet. Die Bilder blieben. Der Mann wusste mittlerweile, wer die dunklen Reiter waren, auf die die Stimme in seinem Traum angespielt hatte. Und er wusste auch, dass sie anders als auf Dürers Holzschnitt nicht auf feurigen Rossen daherkommen würden. Als ihm nach seiner Genesung das Kommando über die neu zusammengestellte Wachkompanie übertragen worden war, war ihm schnell klar geworden, dass es kein gewöhnliches Waffendepot war, das er hier mit seinen Männern bewachen sollte. Schon die seltsame Reaktion der Bewohner der nahe gelegenen Kleinstadt auf der Herfahrt hatte ihn stutzig gemacht. Ein Nest namens Meerburg mit holprigen, beinahe menschenleeren Straßen. Die wenigen Passanten musterten die Ankömmlinge misstrauisch und verweigerten jede Auskunft. Keiner von ihnen war bereit gewesen, den Soldaten den Weg zum ehemaligen Silberbergwerk zu zeigen. Eine alte Frau mit verweinten Augen hatte sogar etwas von Henkern gemurmelt und ausgespuckt. Eine Bemerkung, die sie leicht hätte den Kopf kosten können. Dabei führte eine frisch asphaltierte Straße unmittelbar zum Stützpunkt, der sogar einen eigenen Eisenbahnanschluss besaß. Die von einer dünnen Rostschicht bedeckten Gleise führten direkt in den Hauptstollen, dessen Tor wie sämtliche Zugänge zum ehemaligen Bergwerk verschlossen und versiegelt worden war. Der Mann hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt, das sich noch verstärkte, als sie das Gelände bei ihrem Eintreffen völlig verlassen vorfanden. Mit Ausnahme einer massiven Baracke waren sämtliche Gebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Dabei deutete nichts auf einen Bombenangriff hin. Es gab keine Krater, und der hohe Stacheldrahtzaun wies keinerlei Beschädigungen auf. Nein, hier hatte jemand absichtlich Spuren verwischt, und der Mann machte sich keine Illusionen darüber, wer. Trotz seines unguten Gefühls hatte der Mann seine Leute antreten lassen, die Unterbringung geregelt und Wachen eingeteilt. Aber sein Misstrauen war geweckt. Und sein Misstrauen war auch der Grund dafür, dass er sich zum ersten Mal in seinem Leben über den direkten Befehl eines Vorgesetzten hinweggesetzt hatte. Müller II hatte ihm geholfen. Müller II war ein kraftstrotzendes Original aus den Hinterhöfen Berlins und hatte das Kunststück fertiggebracht, sich bis zum Herbst 44 vor der Einberufung zu drücken. Wie, darüber machten Gerüchte die Runde, die mit Protektion und einer hochgestellten Persönlichkeit der Berliner Gesellschaft zu tun hatten – einer weiblichen Persönlichkeit. Vor diesem Hintergrund war es wohl auszuschließen, dass es sich bei Müller II um einen Fanatiker handelte. Vermutlich hatte er nur ein Interesse: gesund nach Hause zu seiner Wohltäterin heimzukehren. Von Beruf war Müller II Schlosser, und das war der andere Grund, weshalb der Mann ihn ins Vertrauen gezogen hatte. Er hatte ihn bei einer Postenkontrolle beinahe beiläufig gefragt, ob er sich zutraue, das Schloss am Haupttor zu öffnen. „Klar doch, Herr Oberleutnant. Aber was ist mit dem Siegel?“, hatte Müller II grinsend geantwortet, und dem Mann war klar geworden, dass er ihm etwas anbieten musste. „Manchmal...



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