E-Book, Deutsch, 1000 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
Hastings Zwischen Macht und Liebe
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98451-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Roman über Katharina die Große
E-Book, Deutsch, 1000 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
ISBN: 978-3-492-98451-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Prolog
»Fieke? Fiiiiieke!« Die schneidende Stimme ihrer Mutter drang durch das verwilderte Gebüsch, hinter das sich Prinzessin Sophie Auguste Friederike mit ihrem jüngeren Bruder Willi verzogen hatte. Willi, eigentlich Wilhelm Christian Friedrich, der bislang mit seiner Spielzeugtrommel im Kreis marschiert war, blieb abrupt stehen. »Hier ist sie, Frau Mutter!« »Petze!« Sophie, die in der Familie nur Fieke gerufen wurde, zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Im nächsten Moment stand ihre Mutter auch schon neben ihnen. Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorp, Fürstin von Anhalt-Zerbst, war eine schöne Frau. Sie war am Hofe ihres Onkels in Braunschweig erzogen worden und besaß einen außerordentlichen Familienstolz. Ihre Ehe mit dem zweiundzwanzig Jahre älteren und in seiner soldatischen Schlichtheit äußerst gegensätzlichen Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst hatte ihrem Temperament, ihrer Lebendigkeit und ihrem Lebenshunger keinen Abbruch getan. Nur Sophie, die ungeliebte Tochter, passte nicht in ihr Leben. »Wie siehst du denn schon wieder aus?« Fürstin Johannas Stimme steigerte sich zum Diskant. Sie fächelte sich mit einem filigranen Fächer Luft zu, und ihr geschnürter Busen wogte vor Empörung. Sophie bot wirklich nicht das Bild, das eine Mutter von ihrer Tochter erwarten konnte. Ihr Kleid war zerknittert und am Saum eingerissen, ihr Gesicht verschwitzt und von einem Schmutzstreifen quer über die Stirn verziert, ihr Haar aufgelöst. »Heute Abend treffen liebe Gäste ein, mein Bruder Adolf Friedrich mit seinem Mündel. Wir wollen ihn angemessen begrüßen, und du musst einen guten Eindruck hinterlassen. Schließlich muss ich sehen, dass ich für dich einen passenden Gemahl finde, und du siehst aus wie eine Gänsemagd! Wie soll ich so ein hässliches Ding wie dich bloß unter die Haube bekommen?« Patsch! Eine schallende Ohrfeige landete auf Sophies Wange. Willi kicherte hinter vorgehaltener Hand. Sophie unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Eher bekam sie Mitleid mit Babette, ihrer Gouvernante, die wohl den Rest des Zorns von Sophies Mutter abbekommen würde. Fürstin Johanna legte den Arm liebkosend um Willi. Augenblicklich änderten sich ihre Laune und ihre Stimmlage. »Komm, mein kleiner Liebling, auch dich müssen wir ordentlich herrichten. Schließlich willst du doch heute Abend bei deinem Onkel auch einen guten Eindruck hinterlassen, nicht wahr?« »Ja, Frau Mutter«, erwiderte Willi folgsam. Sophie sah hinter den beiden her, wie sie sich entfernten. Es war ein böser, hasserfüllter Blick. Hass auf ihre Mutter, die sie so lieblos behandelte, ihren jüngeren Bruder Willi aber verhätschelte und bevorzugte; Hass auf Willi, der hinkend neben der Mutter ging, dabei sein verkürztes Bein hinterherzog wie ein lahmes Pferd. Willi würde nie ein Soldat werden, auch wenn er ständig zu irgendwelchen Heilkuren geschickt wurde. Meist benötigte er eine Krücke, und in Sophies Augen war er nichts weiter als ein nutzloser Krüppel. Sophies Mutter sah dies allerdings ganz anders. Während sie Willi ihre ganze Liebe und Zuneigung schenkte, hatte sie für ihre Tochter nichts weiter als Verachtung übrig. Sophie war hässlich, Sophie war eine Belastung, Sophie war ein Mädchen. »Petze«, wiederholte Sophie noch einmal, doch weder die Mutter noch Willi konnten es hören. Babette zupfte Sophies Kleid zurecht. Nichts im Gesicht der jungen Gouvernante verriet das Donnerwetter, das sie eben über sich ergehen lassen musste. Die Fürstin war nicht zimperlich beim Austeilen von Rügen und Strafen. Sophie senkte schuldbewusst den Kopf, denn sie war die Ursache für Mutters Schelte. Babette lachte. »Freu dich auf den Abend, Fieke. Du wirst die Schönste auf dem Empfang eures Onkels sein.« Wider Willen musste nun auch Sophie lächeln. »Geben Sie sich keine Mühe, Babette, ich weiß, ich bin so hässlich, dass ich ganz bestimmt keinen Mann bekomme. Mutter sagt es mir bei jeder Gelegenheit.« »Was ist schon Schönheit?«, erwiderte Babette. »Jeder sieht Schönheit anders. Und ein hübsches Kleid macht aus dir einen ganz anderen Menschen. Schau dich an.« Sie schob Sophie vor den Spiegel. Das Mädchen, das ihr da entgegenblickte, wirkte lang und dünn wie eine Bohnenstange. Auch der weite Rock mit Rüschen und aufgenähten Stoffblüten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie mager sie war. In dem Gesicht mit den schmalen Wangen wirkten die dunkelblauen Augen übergroß. Babette setzte Sophie eine gepuderte Perücke aufs Haupt und verzierte sie mit einer künstlichen Blüte. »Und ich behaupte, du bist heute die Schönste.« Sophie öffnete seufzend ein Kästchen, in dem ein Paar Ohrringe auf rotem Samt lagen. Es war der einzige Schmuck, den sie besaß. Er blieb besonderen Anlässen vorbehalten wie diesem Empfang ihres Onkels, des Fürstbischofs zu Lübeck, der seit dem Tode Karls von Holstein Statthalter in Kiel war. »Mutter hat keine andere Sorge, als mir einen Mann zu suchen«, erwiderte sie und schluckte. »Ich bin gerade einmal zehn Jahre alt. Was soll ich mit einem Mann?« Am Nachmittag hatte sie noch mit ihrem ungeliebten Bruder in einer verwilderten Ecke des Eutiner Schlosses gespielt. Diese Spiele eröffneten ihr das Tor zu einer Traumwelt, die sie mit Willi teilte. Beide träumten davon, was sie im Leben niemals erreichen würden. Willi war der Soldat, der mutige General, der eine Armee befehligte, in die Schlacht zog und als siegreicher Feldherr zurückkehrte. Sophie war die Königin, die ein Reich regierte, eine Krone auf dem Haupt trug und ein ganzes Volk befehligte. Auch ihren Bruder, den Soldaten, der mit der Blechtrommel im Kreis marschierte. Nur Babette wusste von Sophies Träumen. Nur Babette verstand ihre Sehnsucht. Aber auch sie konnte Sophie nicht helfen. »Man kann nicht zeitig genug damit anfangen, sich einen geeigneten Gemahl zu suchen«, plauderte Babette in ihrem französisch gefärbten Tonfall. »Ich finde, deine Eltern handeln sehr verantwortungsbewusst. Schließlich müssen sie dich doch gut versorgt wissen – später einmal.« »Eben! Später!« Sophie verzog das Gesicht. »Außerdem muss eine Königin nicht unbedingt verheiratet sein. Die englische Königin Elisabeth hatte auch keinen …« Sophie stockte, als die Tür aufgerissen wurde. Die Fürstin stürmte herein, indem sie geschickt ihren breiten Reifrock zur Seite schwenkte. »Wie weit ist das Kind?« Babette verfiel in einen tiefen Knicks. »Ihre Hoheit, Prinzessin Sophie, ist fertig angekleidet.« Die Fürstin musterte Sophie von Kopf bis Fuß. Ihre Miene drückte Skepsis und Widerwillen aus. »Man müsste schon zaubern können, um aus diesem hässlichen Entlein etwas Ansehnliches zu machen. Ich weiß nicht, warum mich Gott mit so einem grauseligen Wesen gestraft hat.« Sie wirbelte herum, um Sophies Zimmer wieder zu verlassen. »Mach dir nichts draus, sie meint es nicht so«, versuchte Babette, die Prinzessin zu trösten. Sophie presste die Lippen zusammen, und ihre Augen schimmerten feucht. »Ich werde es ihr schon beweisen, dass in mir mehr steckt als nur ein hässliches Entlein!« Sophie und Willi standen steif an der Wand, während die Fürstin mit ausgebreiteten Armen ihrem Bruder entgegeneilte. Der Fürstbischof trug prachtvolle Kleidung und eine tadellos gepuderte Perücke. Beim Anblick seiner hübschen und temperamentvollen Schwester huschte ein erfreutes Lächeln über sein Gesicht, und er verlor alle Reserviertheit. »Ich freue mich so, dich zu sehen, mein Lieber«, sprudelte es aus Fürstin Johanna heraus. »Es ist ja auch eine passende Gelegenheit, wo wir doch gerade von einem Besuch der Mutter aus Hamburg kommen. Wir haben extra deinetwegen hier Aufenthalt genommen. Ach, man sieht sich ja so selten, wo wir ständig auf Reisen sind, und dann noch die Kinder …« Sie stockte und warf einen irritierten Blick auf den verschüchterten Jungen, der sich hinter dem Rücken des Fürstbischofs verbarg. »Wen hast du denn da mitgebracht? Ist das etwa dein Mündel, der kleine Peter? Ach, der Junge ist aber gewachsen! Was für ein hübscher Bursche! Lass dich anschauen, Peter!« Sophie wunderte sich über die augenscheinliche Überraschung ihrer Mutter. Hatte sie doch schon seit Tagen erzählt, dass der Fürstbischof sein Mündel mitbringen würde. »Geh, begrüße die Fürstin, wie es sich gehört, Peter«, forderte Adolf Friedrich den Jungen auf. Zögerlich trat er vor und verbeugte sich tief vor Johanna. »Ich bin sehr erfreut«, murmelte er. Johanna lächelte entzückt. »Was für ein lieber Junge«, flötete sie. »Schau, hier sind meine Kinder. Mein Sohn Wilhelm – und das ist Sophie, meine Tochter.« Die Kinder beäugten sich neugierig, dann machte Sophie einen angedeuteten Knicks, Willi verbeugte sich. Peter verbeugte sich ebenfalls und schenkte Sophie ein verschämtes Lächeln. »Wie alt ist der Junge?«, wollte die Fürstin wissen. »Elf«, erwiderte ihr Bruder, während beide hinüber zum Speisezimmer gingen, wo schon die anderen Gäste, zumeist Onkel und Tanten sowie enge Freunde der Familie, versammelt waren. »Wie passend«, sagte Johanna strahlend. Dann wies sie auf den gedeckten Tisch. »Ich habe mir erlaubt, ein bescheidenes Mahl auftragen zu lassen.« Das war untertrieben, denn der Tisch bog sich unter den Köstlichkeiten, und die Pagen warteten darauf, die Bratenplatten auftragen zu dürfen. Der Fürstbischof rieb sich die Hände. »Es entzückt mein Auge und meinen Magen bestimmt auch.« Folgsam nahm Peter neben ihm Platz, während sich Willi und Sophie an die andere Seite des Tisches setzten. Während des Essens schwiegen sie und warfen...