Hartwig-Manschinger | Rendezvous in Manhattan | E-Book | sack.de
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Hartwig-Manschinger Rendezvous in Manhattan

Amerikanischer Roman

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ISBN: 978-3-903244-21-4
Verlag: DVB Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manhattan in den frühen 1940er Jahren. Wie viele junge Frauen aus der migrantischen Arbeiterklasse schuftet die bildhübsche Fabrikangestellte Edna Scarlatti im Akkord, um den bescheidenen Lebensunterhalt ihrer Familie zu finanzieren. Wie viele junge Frauen aus einfachsten Verhältnissen träumt Sie von der Liebe und vom großen Glück. Auf einer Vergnügungsreise, für die sie lange gespart hat, lernt sie den charmanten Ingenieur Ray Garguin kennen, der sich Hals über Kopf in Edna verliebt und diese schnell in luftige gesellschaftliche Höhen entführt. Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte voller Hindernisse und Unwägbarkeiten nimmt ihren Lauf, die erst durch den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende findet.

Grete Hartwig-Manschingers im amerikanischen Exil verfasster großer New-York-Roman "Rendezvous in Manhattan" erschien erstmals 1948 in Wien und ist seitdem zu Unrecht völlig in Vergessenheit geraten.
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I.
Als die Nacht über Manhattan herunter sank, brachte auch sie keine Kühlung. Da lag die langgestreckte Insel mit ihrem Häusermeer, aus dessen Poren die tagsüber aufgespeicherte Hitze ungebrochen strömte. Nicht einmal an den Ufern der sie einsäumenden Gewässer konnten die erschöpften Menschen Linderung finden. Zu hunderttausenden flüchteten sie wohl an den Hudson, den East River, den Harlem-Fluß und den Hafen, dankbar für die geringste Brise, die über die feuchten Körper strich. In den Wohnungen war es unerträglich in solcher Sommernacht. Und doch mußte man schließlich nach Hause gehen, denn der normale New Yorker mußte ja in der Früh in die Arbeit. Sogar die Liebespaare, die auf dem Strande von Coney Island promenierten, mußten einmal nach Hause. In den Straßen saßen die Leute auf den Stufen der Häuser, auf den Feuerleitern, im offenen Hausflur, auf den Fensterbrettern. In dem Proletarierviertel um die Mercer Street spielte sich in solchen Tagen und Nächten das ganze Privatleben auf der Straße ab. Männer spielten Karten, Burschen trainierten für Baseball, junge Mädchen drehten sich die Locken, Halbwüchsige horchten auf biologische Geheimnisse, Schulkinder machten Aufgaben, Mütter stillten ihre Säuglinge, all das inmitten von Geschrei, Streit, Gelächter, Flirt und Kameraderie. Nicht vor Mitternacht wurde die Straße leer. Auch dann bot sich durch die offenen beleuchteten Fenster das Privatleben dar. Dazu brüllten die Radioapparate, wurden Ehekämpfe ausgetragen, die nächste Generation erzogen und dem gedrängten Beisammensein allerhand Ventile geöffnet. Endlich wurde es ruhig; auch in der Scarlatti-Wohnung. Edna konnte nicht schlafen; es war zu heiß. Die Feuchtigkeit der Luft lag wie ein Gewicht auf Kehle und Brust. Obwohl alle Fenster und Türen offen standen, wollte kein erlösender Luftzug entstehen. Edna schlug das Leintuch zurück. Nun zog sie sich auch noch das Nachthemd aus. Je weniger man an hatte, desto besser. Auch Mona lag nackt. Die Bogenlampe Ecke Mercer und Spring Street warf Licht auf ihren schmächtigen Kinderkörper. Vielleicht schlief sie. Vor einer kurzen Weile war sie in die Küche gegangen, um zu trinken. Auch Edna hatte Durst, doch zweifelte sie daran, daß die warme, schale Flüssigkeit, die aus der halbzerbrochenen Pipe kam, auch helfen würde. Am besten war es, ruhig zu liegen. Die geringste Bewegung würde nur noch mehr Schweiß auf die Stirne treiben. Es war nicht Schweiß allein. Es war ein klebriges Gemisch von Transpiration und der von außen kommenden Feuchtigkeit. Es war der neunte Tag einer Hitzewelle, und das Wetterbüro meldete bedauernd, daß keine Aussicht auf Erleichterung war. New York kochte. Es war Mitte Juli. Dieses Wetter konnte unter Umständen bis Oktober andauern. Oh, es war nicht auszudenken. Man konnte das einfach nicht aushalten. Edna stöhnte. Die reichen Leute konnten sich helfen. Nicht nur konnten sie in ihren Autos aus der Stadt hinausflitzen und ein kühles Plätzchen im Gebirge aufsuchen; sie konnten in luftgekühlten Büros arbeiten und ihre Abende und halbe Nächte in eiskalten Vergnügungslokalen verbringen. Aber ein Mädel wie sie? Es war, weiß Gott, nicht das Wetter allein. Es war alles. Alles war schlecht. Ihr ganzes Leben. Und auch da keine Aussicht auf Besserung, Änderung, Erlösung. Für die Armut an sich konnte und wollte sie ihre Eltern nicht tadeln. Wenn man arm geboren war, nie eine Chance hatte, nie ein bißchen Glück, niemanden, der einem half, dann war es schwer, sich hinauf zu arbeiten. Die Nachbarn waren auch arm; die ganze Mercer Street; das ganze Viertel. Die Häuser sahen alle gleich aus, schmutzig, vernachlässigt, dunkel; kein fließendes Wasser, keine Heizkörper; hier existierten die technischen Errungenschaften nicht, für deren Erfindung und Installierung Amerika berühmt war. In der Scarlatti-Wohnung war kein Möbelstück ganz. Der Dreck häufte sich. Wanzen und Küchenschaben gediehen. Die Malerei fiel von den Wänden. Die gesprungenen Fenster wurden nicht repariert. Der Hausverwalter hatte immer andere Ausreden. Er vertröstete. Aber es hätte auch keinen Unterschied mehr gemacht, wenn er wirklich malen hätte lassen. Und wer hätte Schutt und Mörtel wegputzen müssen, sobald die Anstreicher mit ihrer Arbeit fertig waren? Nur sie. Der bloße Gedanke daran war widerlich. Und doch brachte sie es nicht über sich, ihren Eltern Vorwürfe zu machen. Sie waren selbst unglücklich. Das versuchte sie auch Mona zu erklären, wenn sie unbekümmert Kritik übte. Edna erschrak oft über die Frechheit der Kleinen, über ihre respektlose Angriffslust. Sie wollte gar nichts erklärt haben. Sie verurteilte. Und in was für Worten. Wo sie die nur lernte? Sie trieb sich herum, kam nach der Schule nicht nach Hause. Wo war sie denn? Aber Edna hatte weder Zeit noch Kraft, ihr nachzulaufen. Und was sollte sie dem Kinde antworten, wenn es herausfordernd sagte: »Unser Heim kann mir nichts bieten. Ich bin froh, wenn ich den betrunkenen Vater nicht sehe und das ewige Jammern der Mutter nicht höre.« Die arme Mutter. Sie war so krank. Edna wußte nicht genau, was es war. Irgend ein Frauenleiden, das man bekam, wenn man sich nach dem Wochenbett nicht schonen konnte. Mutter mußte oft viele Wochen im Bett liegen. Eine Operation hätte ihr vielleicht helfen können, aber sie konnte sich nicht dazu entschließen. »Wenn sie einmal anfangen, an mir herumzuschneiden, dann werden sie nicht mehr aufhören. Solange Gott mich am Leben läßt, will ich leben. Die Ärzte wissen ja doch nichts. Sie würden mein Ende nur beschleunigen. Mit armen Leuten machen sie nicht viele Geschichten.« Edna hatte tiefes Mitleid mit der Mutter. Aber Mona hatte auch hier eine harte und unkindliche Antwort bereit. »Mutter versucht ja nicht einmal, gesund zu werden. Es wäre ihre moralische Verpflichtung, ins Spital zu gehen. So vergiftet sie unsere Jugend und treibt den Schwächling in den Suff.« Vater war seit drei Tagen nicht nach Hause gekommen. Es war nicht das erste Mal. Irgendwo schlief er sich wohl seinen Rausch aus. Wenigstens war man verschont von seinem Gebrüll und Türenschmettern, oder auch von seinem gelegentlichen Weinen und sich die Haare raufen, begleitet von scheußlichem Gekotze und widerlichem Gestank. Trotzdem konnte sie auch ihm ihr Mitleid nicht versagen, während Mona nur verächtliche Worte für ihn hatte. Wahrscheinlich war auch er innerlich so betrübt wie sie, Edna, und konnte ohne diese zeitweise Betäubung überhaupt nicht leben. Und manchmal hatte er auch lichte Momente. Da ging er in die Arbeit und brachte sogar Geld nach Hause. Er war Aushilfskellner in einem Restaurant im Village. Wenn er ein fleißiger, nüchterner, anständiger Mensch wäre, dann hätte er den Posten vielleicht für ständig haben können. Geschulte Kellner waren gesucht. Besonders jetzt, wo so viele junge Männer zum Militär gerufen wurden. Man sprach vom Krieg. Und die Kellner, die hier blieben, waren in einer Gewerkschaft und bekamen guten Lohn. Es war gar nicht auszudenken, wie gut sie hätten leben können, wenn der Vater ein regelmäßiger Verdiener wäre. Man könnte ein paar neue Möbel kaufen, auch einmal einen besseren Bissen essen, einen Arzt für die Mutter rufen. Die reichen Leute werden doch nicht sofort aufgeschnitten. Bei denen nahm sich ein Arzt sicher mehr Zeit und Mühe. Aber das waren ja müßige Träume. Seit Monaten hatte Vater nichts Nennenswertes zum Haushalt beigetragen und wenn er ein paar Dollar nach Hause gebracht hatte, und wenn er sogar Mutter etwas davon gegeben hatte in einer flüchtigen Aufwallung eines alten Gefühles, so nahm er ihr bald darauf wieder weg, was sie nicht sofort in Milch, Brot und Fleisch umgesetzt hatte. Und die Mutter konnte nicht rasch treppauf-treppab laufen, auch wenn sie nicht gerade bettlägerig war. Seit Monaten mußte Edna ihren ganzen Verdienst zu Hause hergeben. Jeden Freitag nach der Auszahlung in der Fabrik versuchte sie drei oder wenigstens zwei Dollar für sich zu behalten, aber wie so die Woche ging und es jeden Tag so augenfällig an irgend etwas Wichtigem fehlte, gab sie dann noch und noch her, bis ihre schäbige kleine Börse leer war. Dann kam der nächste Zahltag, und dieselbe Tragikomödie spielte sich ab. Das Traurigste dabei war, daß, obwohl sie so schwer arbeitete und sich persönlich alles versagte – wenn Walter sie nicht hie und da ins Kino mitgenommen hätte, wäre sie überhaupt nirgends hingekommen –, es doch nicht genügte. Beim Kaufmann standen Schulden, und wie sie im Winter Kohle kaufen sollten, das war ihr bis jetzt rätselhaft. Ach, wozu sich über den Winter den Kopf zerbrechen, vielleicht starb sie bis dahin. So wie Claire, eines der Büromädchen in der Fabrik. Edna hatte sie ein paar Male im Waschraum getroffen, doch selten mit ihr gesprochen, da das Büropersonal klare Distanz hielt von der Fabriksbelegschaft, zu der Edna gehörte. Claire war etwas zugänglicher und immer lustig. Einmal rief sie einen Trubel im Waschraum hervor, indem sie – in gespieltem Schreck – flüsterte, der Feuerinspektor sei gerade im Lagerraum und werde gleich hier sein. Rauchen war strenge verboten. Die Dämpfe, die aus den kosmetischen Artikeln strömten, waren leicht entzündlich und in allen Räumen waren große Plakate »Achtung! Gefahr« angebracht. Trotzdem fanden die Arbeiter und Angestellten immer ein verborgenes Plätzchen, wo sie ihrer Leidenschaft unkontrolliert frönen konnten. Als aber Claire den Inspektor erwähnte, stürzten alle Raucherinnen in wilder Hast in die Klosette, um ihre brennenden Zigaretten in die Klosettschüsseln zu werfen. Lisa schrie auf und versetzte Bernie einen Stoß, weil diese ihr mit ihren ganzen hundert sechzig Pfund in der Hitze des Gefechtes auf den Fuß getreten war. Bernie stieß zurück,...


Hartwig-Manschinger, Grete
Grete Hartwig-Manschinger (1899–1971), in Wien geborene Tochter des Freidenkers Theodor Hartwig und Schwester der jüngst wiederentdeckten Schriftstellerin Mela Hartwig, war Autorin, Diseuse und Gesangslehrerin. In Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Kurt Manschinger (1902–1968), verfasste sie zahlreiche Gedichte, Lieder, Sketche und Opernlibretti. Mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 floh das unmittelbar vom Nationalsozialismus bedrohte Paar nach Großbritannien. In London wirkte es am Laterndl-Theater, das als Kleinkunstbühne des Austrian Centre ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Exilantenszene war. 1940 erfolgte die Ausreise in die Vereinigten Staaten. In New York verfasste Hartwig-Manschinger ihren Roman Rendezvous in Manhattan, der 1948 in Wien erschien. Wie ihre Schwester Mela kehrte sie nie mehr in ihre Heimat zurück. Sie starb 1971 in Florida. Ihr facettenreiches Oeuvre ist im deutschsprachigen Raum nahezu vollständig in Vergessenheit geraten.

Vukadinovic, Vojin Sasa
Vojin Saša Vukadinovic ist Historiker und Kulturredakteur der Debattenzeitschrift "Schweizer Monat". Er promovierte an der Freien Universität Berlin mit einer Studie zur politischen Gewalt in der Bundesrepublik und setzt sich seit Jahren für das Werk der österreichischen Exilschriftstellerin Mela Hartwig ein (Nachwort zu "Inferno", Graz/Wien 2018).


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