E-Book, Deutsch, 221 Seiten
Hartmann / Schoenauer Servant Leadership in diakonischen Unternehmen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-17-026410-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 221 Seiten
ISBN: 978-3-17-026410-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Rektor Dr. Mathias Hartmann ist Vorstandsvorsitzender der Diakonie Neuendettelsau.
Weitere Infos & Material
1;Deckblatt;1
2;Titelseite;4
3;Impressum;5
4;Inhalt;6
5;Vorwort des Reihenherausgebers;10
6;Vorwort des Verfassers;12
7;1.FÜHRUNG IN DIAKONISCHEN ORGANISATIONEN;14
7.1;1.1. Vom Familienmodell zum Unternehmensbegriff;15
7.2;1.2. Der Wandel in der Rolle von Führungskräften;21
8;2. DIENEN IN ,,SERVANT LEADERSHIP“ UND DIAKONIE;24
8.1;2.1. „Dienend Führen“ als modernes Führungsmodell;25
8.1.1;2.1.1. Robert K. Greenleaf (1904–1990) und die Idee des ,,Servant Leadership“;25
8.1.2;2.1.2. Aufnahme und Weiterentwicklung der Idee des ,,Servant Leadership“ ;28
8.1.3;2.1.3. Beispiele für den Einsatz von ,,Servant Leadership“ in Unternehmen ;42
8.1.4;2.1.4. Zur gegenwärtigen Rezeption von ,,Servant Leadership“ ;51
8.2;2.2. „Dienen will ich“ – „Dienen“ in der Diakonie;54
8.2.1;2.2.1. Das Dienstverständnis im 19. Jahrhundert;54
8.2.2;2.2.2. Die Krise des „Dienens“ in der Diakonie ;58
8.2.3;2.2.3. Die Diskussion um die richtige Übersetzung von ,,d.ax...a / d.ax.... / d..x....“ im Neuen Testament;61
8.2.4;2.2.4. Fazit: Dienen im 21. Jahrhundert?;64
9;3. DER ZUSAMMENHANG VON DIENEN UND FÜHRUNGSHANDELN;68
9.1;3.1. Dienend Führen und die Haltung von Führungskräften — Begriffsklärungen;68
9.2;3.2. Das Verständnis des „Dienens“ im ,,Servant Leadership“ ;70
9.2.1;3.2.1. Das religiös-spirituelle Verständnis des „Dienens“ ;70
9.2.2;3.2.2. Das philosophische Verständnis des „Dienens“ ;72
9.2.3;3.2.3. Das organisations- und managementtheoretische Verständnis des „Dienens“ ;73
9.2.4;3.2.4. Das unternehmensethische Verständnis des „Dienens“ ;75
9.3;3.3. Impulse des ,,Servant Leadership“ für ein neues Verständnis von „Dienen“ in der Diakonie ;77
9.3.1;3.3.1. Impulse des ,,Servant Leadership“ für die Diakonie? Oder: Was kann aus Amerika Gutes kommen? ;77
9.3.2;3.3.2. „Dienen ist zeitgemäß“ ;80
9.3.3;3.3.3. „Dienen bedeutet Selbst- und Fremdverwirklichung statt Selbstverleugnung“ ;85
9.3.4;3.3.4. „Dienend Führen heißt antihierarchisch handeln“ ;89
9.3.5;3.3.5. „Dienend Führen heißt unternehmensethisch denken“ ;98
9.3.5.1;3.3.5.1. Das Neue St. Galler Managementmodell und die Grundlagen normativen Managements;101
9.3.5.2;3.3.5.2. Lebensdienlichkeit als Zweck und Ziel des Wirtschaftens;105
9.3.5.3;3.3.5.3. Integrative Wirtschafts- und Unternehmensethik;111
9.3.5.4;3.3.5.4. Lebensdienlichkeitund Stakeholderorientierungin diakonischen Unternehmen;116
9.3.5.5;3.3.5.5. Die Wahrnehmung der ordnungspolitischen Verantwortung diakonischer Unternehmen;125
10;4. ANSÄTZE ZU EINER IMPLEMENTIERUNG VON ,,SERVANT LEADERSHIP“ IN DIAKONISCHEN UNTERNEHMEN ;130
10.1;4.1. Führung und Kommunikation in sozialen Systemen;131
10.2;4.2. Beispiel: Erarbeitung von Führungsgrundsätzen in der Diakonie Neuendettelsau;134
10.2.1;4.2.1. Anlass und Ziel der Erarbeitung eines Führungsleitbildes;135
10.2.2;4.2.2. Der Prozess und die einzelnen Schritte der Erarbeitung;136
10.2.3;4.2.3. Das Ergebnis: ,,Servant Leadership“ als Teil eines komplexen Führungsleitbildes ;157
10.2.4;4.2.4. Die Werkzeuge zur Umsetzung der Führungsgrundsätze;158
10.2.5;4.2.5. Gedanken zum Prozess der Erarbeitung der Führungsgrundsätze;161
10.3;4.3. Organisations- und Strukturaspekte der Implementierung von ,,Servant Leadership“ ;163
10.3.1;4.3.1. Die Aufstellung von bindenden Geschäftsgrundsätzen („Business Principles“) ;164
10.3.2;4.3.2. Ethische Kompetenzbildung;168
10.3.3;4.3.3. Ethisch konsistente Führungssysteme;173
10.4;4.4 Führungs- und Leitungsaspekte der Implementierung von ,,Servant Leadership“ ;176
10.4.1;4.4.1. „Dienend Führen“ als Haltung von Führungskräften ;176
10.4.2;4.4.2. Führungskräfteentwicklung als Entwicklung von Kompetenzen und Charakter;178
10.4.3;4.4.3. Die Bedeutung von Führungsleitbildern und Angeboten gemeinsamer Spiritualität für die Führungskräfteentwicklung;181
10.5;4.5. Folgerungen für die Implementierung von ,,Servant Leadership“ in diakonischen Unternehmen ;182
10.5.1;4.5.1. Das Mission Statement als Grundlage;183
10.5.2;4.5.2. Schritte in der Unternehmensführung;184
10.5.3;4.5.3. Schritte in der Mitarbeiterführung;188
10.5.4;4.5.4. Zusammenfassung;192
11;5. ZUSAMMENFASSUNG: ,,SERVANT LEADERSHIP“ IN DER DIAKONIE ;194
11.1;5.1. Der rote Faden;194
11.2;5.2. Einzelergebnisse und ihre mögliche Bedeutung für diakonische Unternehmen;195
11.3;5.3. „The big picture“ ;203
12;6. ANHANG;206
12.1;6.1. Literaturverzeichnis;206
12.2;6.2. Abbildungsverzeichnis;222
2. Dienen in „Servant Leadership“ und Diakonie
Auf der Suche nach Führungskonzepten für diakonische Unternehmen im 21. Jahrhundert macht es Sinn, über den Tellerrand diakonischer und auch deutscher Führungserfahrungen und -modelle hinauszuschauen und Konzepte zu betrachten, die in anderen Kontexten erfolgreich verfolgt werden. Ein Modell, das in den USA bereits seit über 40 Jahren in sozial-gemeinnützigen und auch in privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen seine Wirkung entfaltet und dessen Prinzipien in den letzten Jahren durch die aktuelle Managementliteratur verstärkt aufgenommen und verbreitet werden, ist das Modell des „Servant Leadership“. Obwohl es in den Vereinigten Staaten zahlreiche auch prominente Befürworter gefunden hat und über die inzwischen weltweite Gründung von „Greenleaf Centers for Servant Leadership“ auch international Ansehen genießt, scheint das Führungsmodell in Deutschland noch nicht wirklich angekommen zu sein. Über den Begriff des „Dienens“, der für das Modell des „Servant Leadership“ ganz zentral ist, hat es schon vordergründig eine direkte Verbindung zur diakonischen Arbeit. Nähert man sich der Gedankenwelt des „Servant Leadership“ weiter, dann stellt man schnell fest, dass Vertreter des „Servant Leadership“ verbreitet in ihrer Darstellung des Modells auf neutestamentliche Texte und Inhalte Bezug nehmen. Diese noch rein vordergründigen Beobachtungen machen deutlich, dass eine intensivere Beschäftigung mit dem „Servant Leadership“ für die Suche nach Führungsmodellen für die Diakonie sinnvoll sein könnte.
Im Folgenden soll das Modell des „Servant Leadership“ einführend dargestellt werden und besonders im Hinblick auf den Begriff des „Dienens“ mit dem diakonischen Dienstverständnis verglichen werden.
2.1. „Dienend Führen“ als modernes Führungsmodell
„Servant Leadership“ ist von seinem Selbstverständnis her ein Führungsmodell oder eine -philosophie für modern geführte Unternehmen und Organisationen. Es ist ganz bewusst kein kohärentes, in allen Facetten ausgeführtes und festgelegtes Führungskonzept – wie andere durch Copyright abgesicherte und von ihren Urhebern vermarktete Führungskonzepte und -instrumente.14 Vielmehr handelt es sich um ein Führungsmodell, das lediglich in seiner Grundidee festliegt und je nach Perspektive und Anwendungszweck von verschiedenen Autoren unterschiedlich ausgeführt und näher bestimmt wurde und wird. Das bedeutet nun aber nicht, dass es keinen ursprünglichen Ideengeber für dieses Modell gäbe. In seinen Grundzügen geht das Modell auf Robert K. Greenleaf zurück, einen amerikanischen Manager und Unternehmensberater, der es in den 1970er Jahren schriftlich formuliert hat und der viele weitere Manager und Unternehmensberater inspiriert hat, seine Gedanken weiterzudenken.
2.1.1. Robert K. Greenleaf (1904–1990) und die Idee des „Servant Leadership“
Robert Keifer Greenleaf15 wurde am 14 Juli 1904 in Terre Haute, Indiana, USA, geboren. Er machte seinen Abschluss an der Wiley High School 1922 und schloss sein College-Studium in Indiana und Minnesota einige Jahre später mit dem „bachelor’s degree“ ab. Nach seinem Abschluss begann er Mitte der 1920er Jahre seine Berufstätigkeit bei dem Telekommunikationskonzern AT&T, wo er nach einer Einarbeitungszeit an der Basis sehr schnell Schulungs- und Trainingsaufgaben übernahm. In späteren Jahren bekam er zunehmend auch leitende Aufgaben in den Bereichen Organisationsentwicklung, Managementforschung und -entwicklung übertragen. Bei seinem Eintritt in den Ruhestand 1964 war Greenleaf Director of Management Research von AT&T und Gastdozent an der Harvard Business School, der Sloan School of Management des MIT, dem Dartmouth College und der University of Virginia. In seinem Ruhestand begann er eine zweite Karriere als Berater, Dozent und Autor. Er gründete das „Center for Applied Ethics“ in Indiana und begann, sein Modell des „Servant Leadership“ zu entwickeln und zu verbreiten. Im Jahr 1970 erschien sein programmatischer Aufsatz „The Servant as Leader“, der die Idee des „Servant Leadership“ in den USA verbreitete. Bis 1984 war Greenleaf Präsident und Vorsitzender des Kuratoriums des „Centers for Applied Ethics“, das 1985 umbenannt wurde in „Robert K. Greenleaf Center for Servant Leadership“. Im Jahr 1990 starb Robert K. Greenleaf.
Natürlich basiert das Modell des „Servant Leadership“ auf der langjährigen Berufserfahrung Greenleafs in Management- und Organisationsentwicklung. Jedoch gab es für Greenleaf ein Schlüsselerlebnis, das ihn auf die Idee brachte, „Servant Leadership“ zu entwickeln. In den 1960er Jahren las Greenleaf die Erzählung „Die Morgenlandfahrt“ von Hermann Hesse16. Diese Erzählung handelt von einer mystischen Reise in den Orient, auf die sich die Mitglieder eines Bundes gemeinsam begeben. Die zentrale Figur dieser Erzählung ist Leo, der die Gruppe auf dieser Reise als Diener begleitet und sie durch seine fürsorgliche Art zusammenhält. Die bis dahin erfolgreiche Reise endet abrupt, als Leo verschwindet und die Gruppe auseinanderfällt, weil sie nicht ohne Leo zurechtkommt. Nach vielen Jahren des Suchens trifft der Erzähler der Geschichte wieder auf Leo und wird von ihm zu dem religiösen Orden mitgenommen, der die ursprüngliche Reise unterstützt hat. Dort stellt er fest, dass Leo, den er als Diener gekannt hat, eigentlich der Leiter und geistliche Führer des Ordens ist – eine großartige und großherzige Führungskraft.17
Robert Greenleafs Interpretation der Erzählung führte ihn zu der grundlegenden Idee des „Servant Leadership“. „Greenleaf concluded that the central meaning of this story is that great leaders must first serve others, and that this simple fact is central to his or her greatness. True leadership emerges from those whose primary motivation is a desire to help others.“18 Wirklich großartige Führungskräfte19 müssen zuerst anderen dienen. Nur wenn der Wille, anderen zu helfen, tatsächlich ihre erste Motivation ist, dann werden sie zu wahren Führungskräften.
Aus dieser Grundidee entwickelte Robert K. Greenleaf sein Führungsmodell des „Servant Leadership“. In seinem programmatischen Aufsatz von 1970 „The Servant as Leader“20 antwortet Greenleaf auf die Frage „Wer ist die dienende Führungskraft?“ („Who ist the Servant-Leader?“): „Die dienende Führungskraft ist zuerst Diener (...). Eine dienende Führungskraft zu werden, beginnt mit dem natürlichen Gefühl, dass man dienen will, zuerst dienen. Erst dann bringt einen bewusste Wahl dazu, dass man anstrebt zu leiten. (...) Der Unterschied manifestiert sich in der Sorge des zuerst Dienenden sicherzustellen, dass für die wichtigsten Bedürfnisse anderer Leute gesorgt wird. Der beste Test (...) ist dies: Wachsen diejenigen, denen gedient wird, als Persönlichkeiten? Werden sie, während ihnen gedient wird, gesünder, weiser, freier, autonomer, wahrscheinlicher selbst zu Dienern?“21 Nach dieser Grundidee entwickelt Greenleaf die hilfreichen Eigenschaften und Verhaltensweisen eines Servant-Leaders wie zum Beispiel zuhören können, sich zurücknehmen können, die eigenen Mitarbeiter respektieren und akzeptieren, Intuition besitzen und benutzen, Weitblick haben, überzeugend sein etc. Und Greenleaf macht deutlich, dass er seine Führungsphilosophie für gesellschaftlich relevant hält, da auch Institutionen und Firmen lernen müssten, dass sie eine dienende Funktion haben.
Robert K. Greenleaf hat in weiteren Aufsätzen diese Anwendung der „Servant Leadership“-Idee auf Institutionen22, auf Mitglieder von Aufsichtsräten, auf Unternehmen, auf das Bildungswesen, auf Stiftungen, auf Kirchen, auf das Leben in einer bürokratischen Gesellschaft und auf die Frage nach Amerikas Rolle in der Welt selbst weitergedacht. Dies macht deutlich, dass Greenleaf selbst „Servant Leadership“ nicht nur als eine individualethische Reflexion über die Aufgaben und Verhaltensweisen einer Führungskraft sah. Vielmehr war er der Ansicht, dass „Servant Leadership“ auch strukturell in gesellschaftlich relevanten Institutionen und Organisationen verankert werden müsse. „Servant Leadership“ ist aus seiner Sicht eine die ganze Gesellschaft in all ihren Aufgaben umgreifende Philosophie, die in den verschiedenen Kontexten zur Geltung gebracht werden muss. Natürlich ist Greenleafs Texten zu „Servant Leadership“ zu entnehmen, dass sein eigener Erfahrungskontext – der eines großen Unternehmens – sein Bild von Führung besonders geprägt hat. Und so verwundert es auch nicht, dass „Servant Leadership“ gerade im Businessbereich die größte Resonanz gefunden hat. Aber auch Greenleafs zweiter großer Erfahrungskontext für Führung, der Bildungsbereich, hat in seinen Schriften und seinem Wirken einen bedeutenderen Niederschlag gefunden.23
In Bezug auf den Businessbereich plädiert Greenleaf „for a new business ethics (...). Businesses are asked not only to produce better goods and services, but to become greater social assets as institutions.“24 Unternehmen sollten lernen, den Mitarbeitenden, den Kunden und der Gesellschaft zu dienen – nur so würden sie in Zukunft noch den gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden.25
Aus heutiger Sicht ist es bemerkenswert, mit welcher Klarheit Robert K. Greenleaf schon in den 1970er Jahren die Stakeholderorientierung und die unternehmensethische Ausrichtung von Wirtschaftsunternehmen fordert. Er war seiner Zeit damit weit voraus und hat einen Weitblick bewiesen, der erst aus heutiger Sicht im ganzen Umfang erkannt werden kann.