Liebe Besucherinnen und Besucher,
heute ab 15 Uhr feiern wir unser Sommerfest und sind daher nicht erreichbar. Ab morgen sind wir wieder wie gewohnt für Sie da. Wir bitten um Ihr Verständnis – Ihr Team von Sack Fachmedien
Hartmann Lavadrachen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8271-9679-8
Verlag: CW Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-8271-9679-8
Verlag: CW Niemeyer
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Sabine Hartmann wurde 1962 in Berlin geboren. Seit 1982 lebt sie in Sibbesse. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Nach vielen Jahren als freiberufliche Übersetzerin und Dozentin in der Erwachsenenbildung arbeitet sie heute als Schulleiterin in Alfeld. Als Tochter eines Polizisten interessierte sie sich schon früh für Detektivgeschichten und Krimis. So lag es nahe, dass sie, als die Schreiblust sie packte, dieses Genre bevorzugte. Neben Krimis für Erwachsene schreibt sie auch für Kinder und Jugendliche. Im Regionalkrimibereich hat sie bisher in Hildesheim und im Weserbergland morden lassen. In Lesungen, Vorträgen und Schreibworkshops versucht sie, auch andere für Krimis zu interessieren. Für ihre Kurzkrimis, die in Anthologien und Zeitschriften erschienen sind, hat sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten. Sie ist Mitglied bei den ,Mörderischen Schwestern' und im ,Syndikat'. Dies ist ihr zweiter Fantasyroman. Da sie schon immer ein Faible für Drachen hatte, spielen diese die Hauptrolle, doch ohne Verbrechen geht es auch in diesem Roman nicht.
Autoren/Hrsg.
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2 SNORRI
Snorri starrte auf den rechten der drei Monitore an seinem Arbeitsplatz. Die Gra?ken dort veränderten sich verhältnismäßig langsam, aber stetig. Behutsam fuhr er mit dem Mauszeiger über einen der Punkte, betrachtete den aktuellen Wert, steuerte den nächsten an, las ab, verglich. Es war kein Irrtum möglich.
Die Lavamenge, die pro Sekunde austrat, hatte sich in den letzten vier Stunden quasi verdoppelt. Als er den Posten übernommen hatte, war die Spalte, aus der die Lava hervorquoll, etwa dreihundertfünfzig Meter lang gewesen. In jeder Sekunde drangen zweihundertzwanzig Kubikmeter Lava aus dem Boden. Die heiße Masse floss hauptsächlich nach Norden ab, und der Spalt verlängerte sich beharrlich in nordöstlicher Richtung. Zum Glück war die Gegend dort äußerst dünn besiedelt.
Snorris Blick schwenkte zum mittleren Monitor. Selbstverständlich hatte er sich in der Zwischenzeit an die Erdbeben gewöhnt, die quasi beständig den Boden unter ihm zum Schwingen brachten. Mehr als dreihundertfünfzig pro Tag hatten sie allein an ihrem Standort aufgezeichnet. Er und seine Kollegen.
Er hielt einen Moment inne. Dieser Gedanke fühlte sich gut an. Er ein gleichberechtigter Kollege. Er musste grinsen. Naja, beinahe.
Seit dem 19. August gehörte er zu einem der Teams, welche die seismischen Ereignisse an den Vulkanen Bardarbunga und Vatnajökull untersuchten. Siebenhundert oder achthundert Erdbeben pro Tag waren unter dem riesigen Gletschergebiet inzwischen normal, glücklicherweise blieben die meisten bisher unter dem Wert vier auf der Skala. Jetzt zeichnete die Phalanx jedoch schon das dritte Erdbeben über fünf innerhalb von einer Stunde auf. 5,3, 5,7 und aktuell sogar 5,9.
Snorri schickte eine Warnmeldung an den Teamleiter ab. Vorsichtshalber.
Kaum hatte er auf Senden geklickt, flog die Tür des Containers auf. Drei seiner Kollegen, alle in dicke Schutzanzüge gehüllt, stapften herein. Er erkannte Alda Gulbranddottir, die Leiterin des Instituts und damit seine Chefin, sofort. Sie überragte ihre Kollegen um beinahe einen ganzen Kopf und betrat den Container als Letzte. Nachdem sie die Tür sorgfältig geschlossen hatte, zog sie den Schutzhelm herunter. Langsam fuhr sie mit der Hand einmal durch ihre dunklen, sehr kurz geschnittenen Haare und legte erst dann den Helm auf einen freien Stuhl. Gleich darauf kam sie zu Snorri herüber.
Alda zeigte auf seinen Monitor. „Die Fissur hat sich deutlich verlängert. Wir müssen unbedingt noch einmal über das gesamte Gelände hinwegfliegen und die Bewegungsrichtung genauer bestimmen. Vor allem müssen wir wissen, wie schnell sie vorankommt.“
Der blonde Student nickte. „Der Lavafluss steigert sich beständig. Die Erdbeben werden ebenfalls stärker.“
„Wir haben von der Station II die Nachricht bekommen, dass der Bardarbunga-Krater im Westen noch ein Stück tiefer eingebrochen ist.“
Snorri fuhr herum. „Schmilzt der Gletscher?“
Davor fürchtete er sich insgeheim am meisten. Beide Vulkane, der Bardarbunga südlich von ihnen und der Vatnajökull, an dessen Hang sie saßen, lagen unter einem mehrere hundert Meter dicken Gletscher. Niemand mochte sich vorstellen, welche riesigen Wassermassen ins Flachland stürzen würden, sobald die Vulkane ausbrachen und die heiße Lava das Eis der Gletscher schmolz.
Doch Alda schüttelte den Kopf. „Nichts dergleichen. Es sieht eher so aus, als würde die Lava, die hier bei uns aus dem Boden quillt, den Druck wegnehmen. Derzeit gibt es keinen Grund zur Besorgnis für die Bevölkerung.“
Snorri grinste erleichtert. „Wenn das Eis in den Krater rutscht, brauchen wir uns keine Sorgen wegen einerÜberschwemmung zu machen.“
„Das stimmt wohl. Aber“, sie hob die Stimme, um die Gespräche der anderen hinter ihnen zu unterbrechen, „wir haben heute nicht unbeträchtliche Mengen von Schwefeldioxid gemessen. Unsere Kollegen von FUTUREVOLC haben uns die ersten Ergebnisse ihrer Messstationen übermittelt.“ Da Gunnar nach wie vor mit dem Rücken zu ihr stand, sprach sie noch ein wenig lauter. „Sie empfehlen, dass niemand von uns in Zukunft ohne Spektrometer oder Gasmaske in die Nähe der Spalte gehen sollte. Die Wolke steigt bis zu einhundertzwanzig Meter auf, und wird durch den Luftstrom beinahe zwei Kilometer nach Südwesten getragen. Ihr wisst alle, wie schnell der Wind sich drehen kann. Ich will keinen mehr allein da draußen sehen, und wen ich ohne Schutzkleidung im Freien antreffe, der tritt die Heimreise an die Uni an und putzt bis zu unserer Rückkehr alle Schreibtische. Haben wir uns verstanden?“
Alle nickten. Gunnar murmelte: „Klar und deutlich“, bevor er davonschlurfte.
Alda drehte sich wieder zu Snorri um und fragte ihn: „Kannst du mir sagen, wie viele Kubikmeter Lava inzwischen ausgetreten sind?“
Er antwortete, ohne vorher nachschauen zu müssen: „Achtzehn Millionen Kubikmeter!“ Als sie nicht reagierte, fügte er hinzu: „Mehr oder weniger, also, das ist gerundet, ich meine, ich hab’s überschlagen.“ Er seufzte.
„Schon gut.“ Sie beugte sich über seine Monitore. „Du scheinst recht zu haben. Schalte doch bitte mal auf die Kameras um.“
Snorris Finger flogen über die Tastatur. Der linke Bildschirm teilte sich in sechs gleich große Abschnitteauf. Jeder zeigte das Bild einer Überwachungskamera.
„Nummer Vier“, sagte Alda.
Sie stand für seinen Geschmack immer noch viel zu dicht neben seinem Stuhl. Doch Snorri wollte auf keinen Fall, dass sie bemerkte, wie unangenehm ihm das war. Er war der Neuling, der Jüngste im Team. Nur dabei, weil eigentlich Semesterferien waren, er als Einziger nicht nach Hause gefahren war und sich somit sofort in den Einsatz stürzen konnte. Zur rechten Zeit am rechten Ort. Zumindest hoffte er das.
Kamera Nummer Vier befand sich am südlichen Ende der Spalte. Sie zeigte, wie die rot glühenden Lavabrocken in die Luft geschleudert wurden. Gut sichtbar gegen das beinahe schwarze Gestein, das dort vorherrschte.
Alda sah auf die Uhr. „Wir müssen noch mal raus. Die Kamera umsetzen. Das ist mir zu eng. Uns bleiben zwei Stunden Tageslicht, das sollte reichen.“ Sie wandte sich ab, ging die wenigen Schritte zu der Tür, die in die winzige Küche führte. Dann drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Snorri, mach dich fertig. Du kommst mit mir. Gunnar kann so lange deine Station übernehmen.“
Snorri starrte mit offenem Mund hinter ihr her. Sein erster echter Einsatz im Feld. Seit dem ersten Semester hatten sie das geübt. Im Labor, aber auch in Feldversuchen an einem echten Vulkan, jedoch stets nach dem Ereignis, wenn eigentlich keinerlei Gefahr mehr drohte. Das war sicher gut so, schließlich wollte er die Vulkane erforschen und sich nicht von ihnen umbringen lassen. Allerdings wünschte er sich so manches Mal etwas weniger Sicherheit und ein wenig mehr Abenteuerlust. Immerhin war er ein sportlicher Typ, hatte sich schon immer viel draußen aufgehalten und kletterte für sein Leben gern.
Seit er als Achtjähriger den Ausbruch der Hekla miterlebt hatte, hielten die Vulkane ihn gefangen. Sein Zimmer tapezierte er mit Fotos und Postern von Lavaströmen, Aschewolken und Kratern und nicht mit Rockmusikern. In den Ferien sammelte er Vulkangestein und bestieg jeden Vulkan, zu dem er seinen Vater schleppen konnte.
Niemals hätte er sich vorstellen können, etwas anderes zu studieren. Vulkanologe, das war sein Traum. Damals wie heute.
Doch als er sich jetzt vorstellte, dass er hinausgehen sollte, zu einem tatsächlich gerade aktiven Vulkan, da spürte er zum ersten Mal leisen Zweifel.
Worauf ließ er sich da ein?
Gluthitze, giftige Gase, Aschewolken, dazu ein Boden unter seinen Füßen, der ständig in Bewegung war, und bestimmt ziemlich heiß. Wer garantierte ihm, dass nicht genau dort, wo er gerade stand, die nächste Spalte aufbrach und ihn ...? Er schüttelte den Kopf und erhob sich entschlossen. Was sollte der Quatsch denn jetzt?
Endlich bot sich ihm die Chance, auf die er mehr als vierzehn Jahre lang gewartet hatte. Hautnah einen Ausbruch zu erleben, ihn zu untersuchen. Menschen und Tiere zu warnen und zu beschützen, indem er die relevanten Daten zusammentrug, auswertete und Schlussfolgerungen zog. Schlussfolgerungen, die Leben retten konnten und die er nur erhielt, wenn er jetzt da hinausging und sich nicht anstellte wie eine Katze, die in die Badewanne sollte.
Trotzdem zitterten seine Finger, als er den Schutzanzug anlegte. Glücklicherweise beobachtete ihn niemand.
Sie hatten den Wagen abgestellt und mussten den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen. Er trug einen der Metallkoffer und Alda den anderen. Sie bewegten sich langsam und vorsichtig auf den Spalt zu. Snorri schaute sich um. Obwohl es noch hell sein müsste, konnten sie kaum dreißig Meter weit gucken. Nebel, Asche, Dampf, er wusste es nicht genau, vermutlich eine Mischung aus allen dreien, waberte um ihn herum.
Alda ging zügig vor ihm her. Er fragte sich, woran sie sich orientierte. Woher wusste sie so genau, wo sich die Messstation befand?
Er beeilte sich, direkt hinter ihr zu bleiben. Nicht auszudenken, wenn er sie...