Hartenstein / Moxter | Hermeneutik des Bilderverbots | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 26, 120 Seiten, Paperback

Reihe: Forum Theologische Literaturzeitung

Hartenstein / Moxter Hermeneutik des Bilderverbots

Exegetische und systematisch-theologische Annäherungen

E-Book, Deutsch, Band 26, 120 Seiten, Paperback

Reihe: Forum Theologische Literaturzeitung

ISBN: 978-3-374-03619-6
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das biblische Bilderverbot hat in der Geschichte der jüdischen und der christlichen Religion eine wichtige Rolle für die Abgrenzung der eigenen Identität gegenüber den Bilderkulten gespielt und den byzantinischen Bilderstreit ebenso befeuert wie den Bildersturm der Reformationszeit. Was waren die leitenden Intentionen bei der Ablehnung bildlicher Vergegenwärtigungen Gottes? Und wie verträgt sich diese Ablehnung mit der durch den Gedanken der Inkarnation ermöglichten Tradition des Christusbildes als Repräsentation des unsichtbaren Gottes? Welche Abgrenzungen vollziehen die alttestamentlichen Formulierungen des Bilderverbotes und wie ist es religions- und theo-logiegeschichtlich zu beurteilen? Was folgt aus den neueren archäologischen Einsichten zur Ikonographie Palästinas für die Auslegung des Bilderverbotes? Welche Bedeutung hat es in Religionsphilosophie, Ästhetik und Systematischer Theologie und wie stellt sich die Theologie heute zur Nicht-Bildlichkeit Gottes? Die Annäherungen aus der Sicht eines Exegeten und eines Systematikers sind von der gemeinsamen Überzeugung getragen, dass eine sachgemäße Hermeneutik des Bilderverbotes angesichts des iconic turn in Kulturwissenschaft und Theologie ebenso lohnend wie nötig ist.
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III Systematische Perspektiven
1.KONTEXTE
Verbote ziehen Grenzen. Sie schließen ein Handeln aus und bestimmen es dadurch gemäß einer Regel, die die Möglichkeiten der Handelnden begrenzt. Beispielsweise ist das Verbot, in einen einfahrenden Zug einzusteigen, durch die Erwartung gerahmt, dass Menschen auf einem Bahnsteig normalerweise genau das beabsichtigen, und ihnen diese Handlung auch gewährt wird. Nur kommt dieser Zug jetzt nicht infrage. Freilich gibt es auch Verbote, die ein Handeln schlechterdings ausschließen, aus dem Bereich des Normalen und Üblichen also nicht nur einen Ausschnitt aussortieren, sondern eine Handlungssphäre als ganze ohne Ansehung spezifischer Situationen und Umstände verwerfen. Neben den unbedingten Verboten des Rechts ist das Tabu dafür ein prägnantes Beispiel. Wo in archaischen Kulturen ein Ort für unnahbar, ein Gegenstand für unberührbar erklärt oder wo heute im gesellschaftlichen Diskurs ein Thema tabuisiert wird, geht es nicht allein um den Ausschluss einer Handlung aus dem Haushalt der Möglichkeiten, vielmehr um eine Grenze, an der nicht nur eine andere Ordnung der Dinge,1 sondern das Andere der Ordnung abgewehrt wird. Man kann dann nicht mehr entscheiden, was man über ein solches Thema sagen möchte, oder auswählen, wie man mit einem Gegenstand umgeht. Denn die Grenze scheidet nicht länger ein mögliches Verhalten von einem anderen. Vielmehr rückt sie etwas gänzlich außer Reichweite, entzieht es der Kommunikation und dem Zugriff des Handelnden. 2.BILDER DER MACHT
Das Bilderverbot wäre missverstanden, wenn man es für eine Angelegenheit allein der Religion, der Sonderwelt ihrer Rituale oder des Binnenraums von Tempeln und Kirchen hielte. Kultfragen sind vielmehr Machtfragen. An ihnen zeigt sich, wem Herrschaft und Freiheit gebührt, vor wem die Knie sich beugen, wer als Inhaber höchster Macht anzuerkennen ist und wie der Mensch dem zu entsprechen vermag, dem er das letzte Wort zutraut. Man unterschätzt das Phänomen der Liturgie und des gottesdienstlichen Handelns, wenn man ihren inneren Zusammenhang mit der Repräsentation von Herrschaft und also den Grundproblemen Politischer Theologie nicht in den Blick nimmt. Gehört zur Hermeneutik des Bilderverbotes ein Verständnis der Macht der Bilder, so verdeutlichen wir uns diese zunächst an den Bildern der Macht, in denen sich politische Herrschaft darstellt. 2.1 Herrschaftsrepräsentation
Kaum etwas verbindet die altorientalische Religionsgeschichte, in der das biblische Bilderverbot artikuliert wird, den römischen Kult der Kaiserideologie, dem sich die frühen Christinnen und Christen verweigerten, der aber später in die Bilderwelt der christlichen Kirche transformiert wurde, so sehr mit neuzeitlichen Souveränitätskonzeptionen wie die Angewiesenheit der Macht auf ihre Darstellung in Bildern, Skulpturen, Symbolen und anderen Medien. Die Statue des Kaisers, das Bild des Herrschers oder das Photo des Regenten manifestieren eine Ordnungsmacht, deren Präsenz an Sichtbarkeit, an die ikonische Repräsentation des Machthabers gekoppelt ist. In seiner Gestalt verkörpert sich der Anspruch letzter Souveränität, und dies in antiker und mittelalterlicher Königsideologie nicht weniger als in den Formen präsidialer Bildpolitik, wie wir sie in unseren Tagen bei Putin exemplarisch beobachten können. Macht ist auf Repräsentation angewiesen und findet ihr erstes Bild im Körper des Machthabers. Der Personenkult der Diktatoren pflegt das nur auf die Spitze zu treiben. 2.2 Königskörper und Königsbild
Von dieser Vorstellungswelt bleibt auch die Politische Theologie des Mittelalters geprägt. Im König war – wie Kantorowicz gezeigt hat7 – die alle Ordnung begründende dignitas in der Weise verkörpert, dass ihr transzendenter göttlicher Charakter sogar die Sterblichkeit des Königs absorbieren konnte. Bei dessen Tod wurde ein Bild des Königs eingesetzt, das während des Interregnum als Träger der Herrschaft betrachtet wurde und so die Kontinuität des Königtums (,Der König ist tot. Lange lebe der König‘) verbürgte. Im Tod tauschen Leib und Bild ihre symbolische Prägnanz: Das Bild vertritt (während der Leib des Herrschers zerfällt) die lebendige Macht des Königtums, bis ein neuer Herrschaftsträger eingesetzt war (der bezeichnenderweise dem Bild nicht begegnen durfte, das im Rahmen seiner Inthronisierungszeremonie denn auch verbrannt wurde)8. Dem Herrscher kam auch in seiner bildlichen Darstellung (in effigie) rituelle Verehrung zu, so dass die getreue Darstellung des königlichen Körpers, etwa auf dem Sarg des Verstorbenen, die Vergänglichkeit des indivuduellen Körpers verdeckt. Das Bild manifestiert die Präsenz wahrer Herrschaft, indem es den Blick auf das Todesschicksal des Divinitas-Trägers verstellt. Es entzieht gleichsam das immerwährende Königtum der Zeit, die über die Physis des Königs rücksichtslos herrscht.9 Das Bild vertritt den unverweslichen, unsterblichen, weil göttlichen Gegenhalt der Ordnung, der das Schicksal des jeweiligen Herrschers überdauert und von diesem nicht mitbetroffen ist. So ist der Körper des Königs auf doppelte Weise präsent: als Bild und als Leichnam (body). Aber genau diese Doppelung repräsentiert die göttliche Majestät als eine, die im Machthaber wohnt.10 Für die kurze Zwischenzeit des Machtwechsels tritt so auseinander, was im Leben des Königs zusammenfällt: die Einheit von göttlicher Macht und menschlich-irdischer Existenz. Macht manifestiert und behauptet sich im Sichtbaren, indem das Bild im Kult (in der normalen Referenz wie im Tod) an die Stelle der Person tritt. Denn gerade im Bild wird anschaulich, dass der König nicht als individuelle Durchsetzungsgewalt, nicht als ein von seinen Privatinteressen gesteuerter Willkürherrscher, sondern als Repräsentant göttlicher dignitas agiert hat. So trotzt das Königtum im Medium des Bildes dem Tod, der den Körper des Königs nicht als ohnmächtig erweisen kann. Die Gestalt des Königs bleibt transparent für die Herrschaft, die dieser ausübt. In ihm manifestiert sich Göttliches, das wesentlich, also per definitionem, unsterblich ist und sich dem Tod kraft des Bildes entzieht.11 2.3 Bilderverbot als Machtkritik
Kam es in der mittelalterlichen Politischen Theologie auf die Harmonie zwischen der politischen Repräsentation des Weltregenten als Schöpfer und Gesetzgeber und der sakramentalen Repräsentation Christi (des Sohnes, dem alle Macht übergeben wird) an, so bestand zwischen frühem Christentum und imperialem Kult Roms die Konkurrenz des Entweder/Oder von Kaiseranbetung oder Christusbekenntnis. Als das junge Christentum den Schutz einer messianischen Bewegung innerhalb der jüdischen religio licita verlor, fand es sich in einer Situation vor, an der erkennbar wird, dass und warum der „Sinn des Bilderverbotes […] im […] Kern politisch“15 ist. Das Bilderverbot wehrt im Kontext der Herrschaftsrepräsentation nicht dem Anschaulichen und Sinnlichen, sondern der Macht, die sich im Bild und durch es als unsterbliche Größe, als ein Letztes und Höchstes vergegenwärtigt und sich so zu behaupten sucht. Es wird daher als kritische Zurückweisung der (Selbst-)Inszenierung politischer Macht zu denken sein, wenn es in der Mischna zur folgenden Explikation des Bilderverbotes kommt: „Alle Bilder sind verboten, weil sie einmal im Jahr verehrt werden – Worte Rabbi Me´irs. Und die anderen Gelehrten sagen: es ist nur jedes Bild verboten, in dessen Hand ein Stab, ein Vogel oder eine Kugel ist. Rabban Schim´on ben Gamli´el sagt: Jedes Bild, in dessen Hand irgendeine Sache ist, ist verboten.“16 3.BILD UND LEIBLICHKEIT 
Wer das Bilderverbot begründet, der rechtfertigt oder erklärt es oft mit charakteristischen Eigenschaften der Bilder, die normative Grenzziehungen verständlich erscheinen lassen sollen. Unter diesen Eigenschaften spielt Leiblichkeit, also eine besondere Affinität von Bild und Körper, eine zentrale Rolle. Bilderfeindschaft und Bildersturm erscheinen darum als Ausdruck einer spezifischen Leibfeindlichkeit bestimmter Religionen, wie Nietzsche im Blick auf Juden- und Christentum diagnostizierte. Als „Platonismus für’s ,Volk‘“17 etabliere das Christentum einen metaphysischen Dualismus zwischen Geistig-Seelischem und Leiblich-Sinnlichem (mundus intelligibilis, mundus sensibilis) und damit eine Zwei-Welten-Theorie, die auf Abwertung und Verachtung des Leibes gestimmt sei. Ihren positiven Ausdruck bzw. ihre systematische Begründung finde solche Religion darin, dass sie ihren eigenen höchsten Gegenstand bildlos denke und entsprechend verehre. Kurz: Gott muss bildlos verehrt werden, weil er körperlos zu denken ist....


Friedhelm Hartenstein, Jahrgang 1960, war von 2002 bis 2010 Professor für Altes Testament und Altorientalische Religionsgeschichte am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg und ist seit 2010 Professor für Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU München.

Michael Moxter, Jahrgang 1956, ist seit 1999 Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Dogmatik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, seit 2006 ist er auch für 'Religionsphilosophie' zuständig.


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