Harrison Blutspiel
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-09173-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Rachel-Morgan-Serie 2 - Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 640 Seiten
Reihe: Rachel Morgan
ISBN: 978-3-641-09173-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kim Harrison, geboren im Mittleren Westen der USA, wurde schon des Öfteren als Hexe bezeichnet, ist aber - soweit sie sich erinnern kann - noch nie einem Vampir begegnet. Sie hegt eine Vorliebe für Friedhöfe, Midnight Jazz und schwarze Kleidung und ist bei Neumond nicht auffindbar. Mit ihren RACHEL MORGAN-Romanen hat sie einen internationalen Bestseller gelandet.
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1
Ich zog den Leinengurt des Wasserkanisters höher auf die Schulter und streckte mich, damit ich die Wasserdüse in den Topf der Hängepflanze halten konnte. Die Wärme des hereinströmenden Sonnenlichts drang durch meinen blauen Arbeitsanzug. Hinter den schmalen Flachglasfenstern lag der Innenhof, umgeben von den VIP-Büros. Ich blinzelte in die Sonne, drückte den Sprühknopf, aber nur einige Tröpfchen quälten sich durch das Scheißding.
Das laute Klappern der Computertastaturen drang in meine Ohren, als ich zum nächsten Grünzeug ging. Aus dem Büro hinter der Rezeption waren Telefongespräche zu hören, begleitet von einem bauchigen Lachen, das an das Kläffen eines Hundes erinnerte. Tiermenschen! Je höher sie in der Rangordnung standen, desto menschlicher sahen sie aus, aber dieses Lachen verriet sie immer.
Ich blickte die Reihe der Hängepflanzen vor dem Fenster entlang. Hinter dem Empfang befand sich ein frei stehendes Aquarium. Jepp! Cremefarbene Flossen. Ein schwarzer Punkt auf der rechten Seite. Das musste er sein. Mr. Ray züchtete Koi, die er auf der jährlichen Fischausstellung in Cincinnati präsentierte. Der Gewinner des letzten Jahres wurde immer in seinem Vorzimmer ausgestellt, aber nun schwammen da zwei Fische, und das Maskottchen der Howlers war verschwunden. Mr. Ray war ein Anhänger der Dens, eines Rivalen des Inderlander Baseballteams. Zählte man eins und eins zusammen, ergab das einen gestohlenen Fisch.
»So, so«, meinte die freundliche Frau hinter dem Tresen, als sie aufstand, um einen Stapel Papier in den Drucker einzulegen. »Mark hat Urlaub? Er hat mir gar nichts davon gesagt.«
Ich nickte, sah die Sekretärin in ihrem beigen Geschäftsanzug aber nicht an, während ich mein Equipment einen Meter weiter zerrte. Mark machte nur einen Kurzurlaub. Er lag im Treppenhaus des Gebäudes, in dem er vorher gearbeitet hatte, durch einen temporären Schlafzauber außer Gefecht gesetzt. »Ja, Madam«, antwortete ich mit lauter Stimme und einem leichten Lispeln. »Er hat mir erklärt, welche Pflanzen bewässert werden müssen.« Bevor sie näher hinschauen konnte, drückte ich meine rot lackierten Fingernägel in die Handinnenflächen. Die passten wirklich nicht zum Erscheinungsbild einer Gärtnerin. Ich hätte vorher daran denken sollen. »Zuerst kommen die Pflanzen auf dieser Etage dran, und danach der Baumgarten auf dem Dach.«
Die Frau lächelte und entblößte dabei ihre leicht überlangen Zähne. Sie war ein Werwolf und stand anscheinend weit oben in der Hackordnung des Büros. Mr. Ray würde wohl auch keinen dahergelaufenen Straßenköter einstellen, wenn er sich so ein schnuckeliges Ding leisten konnte. Ihr leichter Moschusgeruch war gar nicht mal unangenehm.
»Hat Mark Ihnen von dem Arbeitsaufzug auf der Rückseite des Gebäudes erzählt?«, fragte sie hilfsbereit. »Das ist viel bequemer, als diese Karre die Treppen hinaufzuschleppen.«
»Nein, Madam.« Ich zog die hässliche Kappe mit dem Gärtnerlogo tiefer ins Gesicht. »Ich glaube, er will mir das Leben richtig schwer machen, damit ich nicht versuche, ihm ins Gehege zu kommen.« Mit steigender Pulsfrequenz schob ich Marks Arbeitswagen weiter die Pflanzenreihe entlang. Auf ihm befanden sich Gartenscheren, Düngestäbchen und das Bewässerungsequipment. Natürlich kannte ich den Aufzug, ebenso wie die Lage der sechs Notausgänge, der Feuermelder und das Donut-Depot.
»Männer«, seufzte sie, rollte mit den Augen, und setzte sich wieder vor den Bildschirm. »Haben die denn immer noch nicht kapiert, dass wir die Welt regieren könnten, wenn wir es nur wollten?«
Ich nickte zustimmend und bespritzte die nächste Pflanze mit ein wenig Wasser. Irgendwie regierten wir doch sowieso schon die Welt. Über dem Geräusch des Druckers und des entfernten Bürogeschnatters erklang ein durchdringendes Summen. Es war Jenks, mein Partner, und er hatte offensichtlich eine ziemlich miese Laune, als er aus dem Büro des Chefs geflogen kam. Seine libellenähnlichen Flügel waren rot vor Wut, und das Licht der Sonne erleuchtete den von ihnen herabfallenden Pixiestaub. »Ich bin mit den Pflanzen da fertig«, moserte er lauthals und landete auf dem Rand des Hängetopfes vor mir. Die Hände in die Hüften gestemmt, sah er in dem blauen Overall aus wie ein erwachsener Peter Pan, der es bis zum Müllmann gebracht hatte. Seine Frau hatte ihm sogar eine passende Mütze genäht. »Die brauchen nur Wasser. Kann ich dir hier irgendwie helfen oder kann ich zurück in den Truck und schlafen?« Er klang ätzend und genervt.
Ich nahm den Wasserkanister vom Wagen und stellte ihn auf den Boden, um den Deckel abzuschrauben. »Ich bräuchte ein Düngestäbchen.« Was hatte der denn für ein Problem?
Grummelnd flog Jenks zum Wagen und begann darin herumzuwühlen. Grüne Verschlussstreifen, Rankhölzer und gebrauchte ph-Teststreifen flogen durch die Gegend. »Hab eins«, meinte er und zog ein weißes Stäbchen hervor, das so groß war wie sein Kopf. Er warf es in den Kanister, wo es sich mit einem Zischen auflöste. Es war allerdings kein Düngestäbchen, sondern ein Sauerstoffpellet, das auch gegen Algen wirkte. Wozu einen Fisch stehlen, wenn er beim Transport krepiert?
»Oh mein Gott, Rachel«, flüsterte Jenks, als er auf meiner Schulter landete. »Das ist Polyester. Ich trage Polyester!«
Ich entspannte mich. Daher kam also die schlechte Laune. »Alles wird wieder gut.«
»Ich hab Ausschlag!«, rief er und kratzte sich wie ein Besessener unter seinem Kragen. »Ich kann keinen Polyester tragen! Pixies reagieren allergisch auf Polyester. Schau mal, siehst du das?« Jenks neigte den Kopf nach vorne, sodass die blonden Haare seinen Nacken freigaben, aber er war viel zu nahe vor meinen Augen, als dass ich ihn klar hätte erkennen können. »Überall Striemen. Und es stinkt. Ich kann das Öl riechen. Ich trage tote Dinosaurier. Ich kann doch kein totes Tier tragen! Das ist barbarisch, Rachel«, flehte er.
»Jenks?« Ich schraubte den Verschluss provisorisch auf den Kanister und warf ihn mir über die Schulter, während ich Jenks wegschob. »Ich trage die gleichen Klamotten. Das musst du abkönnen.«
»Aber es stinkt!«
Ich verdrehte genervt die Augen und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen ein »Mach mal halblang« hervor.
Während er rückwärts abschwirrte, zeigte der Kerl mir doch glatt beide Mittelfinger! Ich klopfte die Gesäßtasche meines schäbigen Overalls ab und fand die Gartenschere. Miss »Büroprofi« tippte gerade einen Brief, und so stellte ich die kleine Stehleiter auf, kletterte hinauf und begann die Hängepflanzen hinter ihrem Schreibtisch zu beschneiden. Jenks hatte sich wieder eingekriegt und half mir dabei. Nach wenigen Momenten fragte ich ihn flüsternd: »Hast du alles vorbereitet?«
Die Augen auf die offene Tür von Mr. Rays Büro gerichtet, nickte er. »Wenn er das nächste Mal die Mails checkt, wird das ganze Internetsicherheitssystem verrückt spielen. Seine Sekretärin wird fünf Minuten brauchen, um es zu reparieren, wenn sie sich auskennt, vier Stunden, wenn sie keinen blassen Schimmer davon hat.«
»Ich brauche nur fünf Minuten.« Durch die hereinströmende Sonne begann ich zu schwitzen. Hier drin roch es wie in einem Garten – einem Garten, in dem ein nasser Hund auf den kühlen Fliesen liegt.
Mein Herz schlug schneller, und ich schob die kleine Leiter eine Pflanze weiter. Ich stand nun hinter dem Schreibtisch und konnte die Anspannung der Frau spüren. Sie musste wohl oder übel damit klarkommen, dass ich in ihr Revier eingedrungen war. Immerhin war ich die Wassertussi. Ich arbeitete weiter und hoffte, dass sie meine Nervosität auf die Nähe zu ihr zurückführen würde. Meine Hand lag auf der Verschlusskappe des Kanisters. Nur eine Drehung, und sie wäre ab.
»Vanessa!« Aus dem Büro schallte eine wütende Stimme.
»Los jetzt«, drängte Jenks und flog hoch an die Decke zu den Überwachungskameras.
Ich drehte mich um und sah den verärgerten Mann, offensichtlich ein Werwolf, erkennbar an der schmalen Figur und der Körpergröße. Er stand in der Tür zu seinem Büro. »Es ist schon wieder passiert.« Mit gerötetem Kopf krallte er sich an der Türzarge fest. »Ich hasse diese Technik. Was ist so schlecht an gutem, altem Papier. Ich mag es.«
Auf dem Gesicht der Sekretärin erschien ein professionelles Lächeln. »Mr. Ray, Sie haben ihn schon wieder angeschrien, nicht wahr? Ich habe Ihnen doch erklärt, dass Computer wie Frauen sind. Wenn Sie sie anschreien oder zu viel auf einmal verlangen, machen sie dicht und tun gar nichts mehr.«
Er knurrte irgendeine Antwort und verschwand in seinem Büro. Entweder ignorierte er die indirekte Warnung seiner Sekretärin, oder er hatte sie überhaupt nicht bemerkt. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich das kleine Treppchen direkt hinter das Aquarium stellte.
Vanessa seufzte. »Gott steh ihm bei«, murmelte sie beim Aufstehen. »Wenn er weiter solche Sprüche bringt, wird ihm irgendwann mal jemand gehörig die Eier zerquetschen.« Sie warf mir einen aufgebrachten Blick zu und verschwand dann mit klappernden Absätzen in dem Büro. »Rühren Sie bloß nichts an«, rief sie. »Ich komme ja schon.«
Ich holte tief Luft. »Kameras?«
Jenks schnellte von der Decke herab. »Zehnminutenschleife. Leg los.«
Er flog zur Haupttür, setzte sich auf die obere Türleiste und beobachtete kopfüber den gesamten Eingangsbereich. Seine Flügel bewegten sich so schnell, dass sie vor meinen Augen verschwammen, als er mir das Okayzeichen gab.
Mein ganzer Körper war angespannt wie ein Stahlseil. Ich öffnete den Deckel des Aquariums und zog das grüne Fischnetz aus der Innentasche meines Overalls. Auf der obersten Stufe der Leiter balancierend,...