E-Book, Deutsch, Band 15, 224 Seiten
Reihe: Sookie Stackhouse
Harris Vampire und andere Kleinigkeiten
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-423-41011-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erzählungen
E-Book, Deutsch, Band 15, 224 Seiten
Reihe: Sookie Stackhouse
ISBN: 978-3-423-41011-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Charlaine Harris, geboren in Mississippi, wurde mit ihrer Bestseller-Vampirserie um die gedankenlesende Kellnerin Sookie Stackhouse weltberühmt. Die Verfilmung der Serie unter dem Titel >TrueBlood< wurde ein gigantischer internationaler Erfolg.
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Elfenstaub
Ich hasse es, wenn Elfen ins Merlotte’s kommen. Ehrlich, sie geben fast nie Trinkgeld– nicht, weil sie geizig sind, sie vergessen es einfach. Claudine zum Beispiel, die Elfe, die jetzt gerade zur Tür hereinkam: 1,80Meter groß, langes dunkles Haar, hinreißend schön. Es schien ihr weder an Geld noch an schicken Klamotten zu mangeln (und auf Männer wirkte sie so unwiderstehlich wie eine Wassermelone auf Fliegen), aber Claudine dachte kaum mal daran, auch nur einen einzigen Dollar dazulassen. Und mittags muss man für sie auch noch das Schälchen mit den Zitronenscheiben vom Tisch nehmen. Elfen reagieren absolut allergisch auf Zitronen und Limetten, genauso wie Vampire auf Silber und Knoblauch.
Als Claudine an diesem späten Januarabend hereinkam, hatte ich sowieso schon schlechte Laune. Ich war sauer auf meinen Exfreund Bill Compton, alias Bill der Vampir; mein Bruder Jason, der mir helfen sollte, einen schweren alten Schrank zu verrücken, hatte mich wieder mal vertröstet; außerdem hatte ich in der Post meinen Grundsteuerbescheid gefunden.
Als Claudine sich an einen meiner Tische setzte, ging ich also nicht gerade bester Laune zu ihr hinüber.
»Keine Vampire da?«, fragte sie geradeheraus. »Nicht mal Bill?«
Vampire mögen Elfen auf dieselbe Weise wie Hunde Knochen: großartiges Spielzeug, gefundenes Fressen. »Heute Abend nicht«, erwiderte ich. »Bill ist unten in New Orleans. Ich kümmere mich um seine Post.« Schön blöd, ich weiß.
Claudine entspannte sich. »Liebste Sookie«, sagte sie.
»Was willst du haben?«
»Oh, eins dieser ekligen Biere, glaube ich«, sagte sie und zog eine Grimasse. Claudine trank nicht sonderlich gern, obwohl sie gern in Bars ging. Wie die meisten Elfen liebte sie Aufmerksamkeit und Bewunderung. Mein Boss Sam hatte mir erzählt, das sei typisch für Elfen.
Ich brachte ihr das Bier. »Hast du eine Minute Zeit?«, fragte sie. Ich runzelte die Stirn. Claudine wirkte nicht so fröhlich wie sonst.
»Mach’s kurz.« Die Männer am Tisch neben der Tür johlten und riefen schon nach mir.
»Ich habe einen Job für dich.«
Hm, das würde heißen, dass ich mit Claudine zu tun hätte, die ich zwar mochte, der ich aber nicht vertraute. Trotzdem war ich interessiert. Geld konnte ich schließlich immer gebrauchen. »Was soll ich denn für dich tun?«
»Ich möchte, dass du dir die Gedanken einiger Menschen anhörst.«
»Wollen diese Menschen das?«
Claudine sah mich mit unschuldigem Augenaufschlag an. »Wie meinst du das, Schätzchen?«
Wie ich dieses Theater hasste. »Wollen sie, dass ich ihnen, äh, zuhöre?«
»Es sind Gäste meines Bruders Claude.«
Ich hatte nicht mal gewusst, dass Claudine einen Bruder hatte. Ehrlich gesagt, wusste ich sowieso nicht allzu viel über Elfen; Claudine war die einzige, der ich je begegnet war. Wenn sie eine typische Elfe sein sollte, war ich mir nicht sicher, wie das Elfenvolk die Ausrottung überlebt hatte. Und dass der Norden Louisianas ausgerechnet Geschöpfen des magischen Elfenglaubens gegenüber besonders gastfreundlich war, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dieser Teil des Bundesstaates ist sehr ländlich und sehr bibeltreu. Meine kleine Heimatstadt Bon Temps, die kaum groß genug ist für einen eigenen Wal-Mart, hat ja sogar erst zwei Jahre, nachdem die Vampire ihre Existenz verkündet hatten und ihre Absicht, nun friedlich unter uns leben zu wollen, einen zu Gesicht bekommen. Aber vielleicht war diese Verzögerung gar nicht so schlecht gewesen, so hatten sich die Leute hier immerhin schon mal an den Gedanken gewöhnt, als Bill auftauchte.
Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass diese politisch korrekte Toleranz den Vampiren gegenüber ziemlich schnell verpuffen würde, wenn meine lieben Mitbürger wüssten, dass es auch noch Wergeschöpfe, Gestaltwandler und Elfen gab. Und wer weiß, was sonst noch alles.
»Okay, Claudine. Wann?«
Die Rowdys am Tisch neben der Tür johlten und schrien immer lauter. »Hey, verrückte Sookie! Hey, verrückte Sookie!« So was taten die Leute nur, wenn sie zu viel getrunken hatten. Ich war dran gewöhnt, aber es tat trotzdem weh.
»Wann hast du heute Feierabend?«
Wir machten aus, dass Claudine mich, eine Viertelstunde nachdem ich mit der Arbeit fertig war, bei mir zu Hause abholen würde. Sie ging, ohne ihr Bier auszutrinken. Und ohne Trinkgeld zu geben, klar.
Mein Boss, Sam Merlotte, wies mit einem Kopfnicken auf die Tür, durch die sie gerade verschwunden war. »Was wollte die Elfe von dir?« Sam ist selbst ein Gestaltwandler.
»Ich soll einen Job für sie erledigen.«
»Einen Job? Wo denn?«
»Vermutlich dort, wo sie wohnt. Sie hat einen Bruder, wusstest du das?«
»Soll ich dich begleiten?« Sam ist ein guter Freund, die Sorte guter Freund allerdings, über die man manchmal auch so seine Fantasien hat.
Die aber nicht jugendfrei sind.
»Danke, aber mit Claudine komme ich schon klar.«
»Und der Bruder? Den kennst du doch gar nicht.«
»Mir wird schon nichts passieren.«
Ich bin daran gewöhnt, die Nacht zum Tag zu machen, nicht nur weil ich Kellnerin bin, sondern auch weil ich lange mit Bill zusammen war. Als Claudine mich von meinem alten Haus im Wald abholte, hatte ich Zeit gehabt, mein Merlotte’s-Outfit gegen eine schwarze Jeans und ein graugrünes Twinset (aus dem Ausverkauf bei JCPenney) zu tauschen, denn die Nacht war kühl. Mein Haar hatte ich aus dem Pferdeschwanz gelöst.
»Du solltest Blau statt Grün tragen«, meinte Claudine, »das passt besser zu deinen Augen.«
»Na, vielen Dank auch für den Modetipp.«
»Oh, gerne doch.« Claudine klang, als freute sie sich, mir in Stilfragen behilflich sein zu können. Doch ihr sonst so strahlendes Lächeln schien von Traurigkeit getrübt.
»Was soll ich denn über diese Menschen herausfinden?«, fragte ich.
»Darüber reden wir, wenn wir dort sind«, erwiderte sie, und danach sagte sie gar nichts mehr, während wir Richtung Osten fuhren. Was höchst ungewöhnlich war, denn sonst plapperte Claudine unentwegt. Langsam beschlich mich das Gefühl, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen sein könnte, diesen Job anzunehmen.
Claudine und ihr Bruder wohnten in einem großen Haus im Ranchstil außerhalb von Monroe, einer Stadt, die nicht nur einen Wal-Mart hatte, sondern ein ganzes Einkaufscenter. Sie klopfte in einem bestimmten Rhythmus an die Tür. Nach einer Minute wurde die Tür geöffnet. Ich staunte nicht schlecht. Claudine hatte mit keinem Wort erwähnt, dass ihr Bruder ihr Zwilling war.
Wenn Claude die Sachen seiner Schwester angezogen hätte, wäre er als Claudine durchgegangen; es war geradezu unheimlich. Sein Haar war kürzer, aber nicht sehr viel; er hatte es im Nacken zusammengebunden, doch so, dass seine Ohren bedeckt waren. Seine Schultern waren breiter, aber ich konnte nicht die Spur eines Bartes entdecken, nicht mal so spät in der Nacht. Hatten männliche Elfen etwa keine Körperbehaarung? Claude sah aus wie ein Unterwäschemodel von Calvin Klein; ehrlich, wenn der da gewesen wäre, hätte er die Zwillinge umgehend einen Vertrag unterschreiben lassen, der sicher voller Sabber gewesen wäre.
Claude trat einen Schritt zurück, um uns hereinzulassen. »Ist sie das?«, fragte er Claudine.
Sie nickte. »Sookie, das ist mein Bruder Claude.«
»Freut mich«, sagte ich und streckte die Hand aus. Etwas erstaunt griff er danach und schüttelte sie. Dann sah er seine Schwester an. »Sie ist ja ziemlich vertrauensselig.«
»Menschen eben«, sagte Claudine achselzuckend.
Claude führte mich durch ein sehr traditionell eingerichtetes Wohnzimmer und einen holzgetäfelten Flur entlang bis in einen weiteren Wohnraum. Dort saß ein Mann auf einem Stuhl– das allerdings nur, weil ihm gar nichts anderes übrig blieb. Er war daran gefesselt mit etwas, das aussah wie Nylonschnüre. Er war ein kleiner muskulöser Mann mit blondem Haar und braunen Augen, etwa so alt wie ich, sechsundzwanzig.
»Hey«, rief ich, und es gefiel mir gar nicht, dass meine Stimme so piepsig klang, »warum ist dieser Mann gefesselt?«
»Na, weil er sonst weglaufen würde«, meinte Claude etwas erstaunt.
Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Hört mal, ihr beiden«, sagte ich dann. »Es macht mir ja nichts aus, mir diesen Typen da anzugucken, falls er irgendwas verbrochen hat oder falls ihr ihn als Verdächtigen ausschließen wollt im Zusammenhang mit irgendeinem Verbrechen an euch. Aber falls ihr nur herausfinden wollt, ob er euch wirklich liebt oder irgend so was Albernes… Warum haltet ihr ihn fest?«
»Wir glauben, dass er unseren Drilling Claudette ermordet hat.«
Fast hätte ich gefragt: »Ihr wart sogar zu dritt?« Doch mir fiel gerade noch rechtzeitig auf, dass das wohl kaum der wichtigste Teil von Claudes Antwort gewesen war.
»Ihr glaubt, dass er eure Schwester ermordet hat?«
Claudine und Claude nickten gleichzeitig. »Heute Abend«, fügte Claude hinzu.
»Verstehe«, murmelte ich und beugte mich über den Blonden. »Ich nehme ihm mal den Knebel ab.«
Die beiden Elfen sahen nicht sehr glücklich drein, aber ich zog ihm das Taschentuch trotzdem aus dem Mund. »Ich war’s nicht«, platzte der junge Mann sofort heraus.
»So weit, so gut erst mal. Wissen Sie, was ich bin?«
»Nein. Aber Sie sind keine von denen, oder?«
Ich hatte keine Ahnung, wofür er Claude und Claudine hielt oder welches kleine Geheimnis ihres übernatürlichen Daseins sie ihm verraten hatten. Ich strich mein Haar zur Seite, um ihm zu zeigen, dass meine Ohren...