Harris | Das Bewusstsein | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Harris Das Bewusstsein

Annäherung an ein Mysterium
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7453-0865-5
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Annäherung an ein Mysterium

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-7453-0865-5
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was ist Bewusstsein? Wie entsteht es? Warum existiert es? Tut es das überhaupt? Oder handelt es sich womöglich um eine bloße Illusion? In diesem wunderbar geschriebenen Buch gibt uns Annaka Harris eine ebenso kluge wie erhellende Einführung in das komplexe Konzept des menschlichen Bewusstseins, das die Wissenschaften seit der Antike beschäftigt. Sie erörtert gängige und überraschende Erklärungsansätze und formuliert diese neu im Lichte des Zeitalters der Künstlichen Intelligenz. Denn längst geht es nicht mehr nur darum, wer Bewusstsein besitzt und auf welche Weise, sondern auch was - seien es Maschinen, Computer oder Rechensysteme.

Annaka Harris arbeitet als Autorin, Redakteurin und Beraterin für Wissenschaftsautoren, vor allem im Bereich Neurowissenschaften und Physik. Ihre Texte sind in der »New York Times« erschienen. Sie ist Autorin des Kinderbuchs »I Wonder« und lebt mit ihrem Mann, dem Bestsellerautor Sam Harris und ihren Kindern in Los Angeles.
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GIBT ES EIN FREIES BEWUSSTSEIN?


Wir erfahren unseren Alltag als eine kontinuierliche Abfolge gegenwärtiger Ereignisse, obwohl wir uns physischer Geschehnisse in Wirklichkeit erst, kurz nachdem sie sich ereignet haben, bewusst werden. Genau genommen war es eine der verblüffendsten Entdeckungen der Neurowissenschaften, dass das Bewusstsein häufig »als Letztes Bescheid weiß«. Visuelle und auditive Reize sowie andere Formen sensorischer Information bewegen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch die Welt (und durch unser Nervensystem). Die Lichtwellen und die Klangwellen beispielsweise, die in dem Moment ausgestoßen werden, in dem der Tennisball Ihren Schläger berührt, kommen nicht im selben Moment bei Ihren Augen und Ohren an, und die Erschütterung, die Sie in der Hand spüren, die den Schläger hält, nehmen Sie wiederum mit einer anderen Zeitverzögerung wahr. Um die Sache noch komplizierter zu machen, legen die Signale, die Ihre Hände, Augen und Ohren empfangen, jeweils unterschiedliche Entfernungen zurück, wenn sie durch Ihr Nervensystem und bis zum Hirn wandern (schließlich sind Ihre Hände ein gutes Stück weiter vom Hirn entfernt als Ihre Ohren). Erst nachdem das Hirn allen relevanten Input erhalten hat, werden die Signale synchronisiert und durch einen Prozess, der binding (Bindung) genannt wird, werden sie zu einer bewussten Erfahrung, die Sie im selben Moment sehen, hören und fühlen lässt, wie der Schläger den Ball trifft. Der Neurowissenschaftler David Eagleman formulierte es wie folgt:

»Die Wahrnehmung der Realität ist das Resultat einer raffinierten Verarbeitungsmethode: Denn das Gehirn verhindert, dass die zeitliche Verschiebung bemerkt wird. Wie? Was als Realität präsentiert wird, ist tatsächlich eine zeitverzögerte Version davon. Unser Gehirn sammelt erst alle Informationen aus den Sinneseindrücken, bevor es sich entscheidet, welche Geschichte es darbietet. [...] Die seltsame Folge davon ist, dass wir in der Vergangenheit leben. Wenn wir meinen, dass sich etwas ereignet, ist es in Wirklichkeit schon lange vorbei. Das Synchronisieren von Sinneseindrücken gelten wir damit ab, dass unser Bewusstsein der physischen Welt nachhinkt.«1

Überraschenderweise scheint unser Bewusstsein auch bei einem Großteil unseres eigenen Verhaltens keine Rolle zu spielen – abgesehen davon, dass es dieses zur Kenntnis nimmt. Zahlreiche faszinierende Experimente wurden auf diesem Gebiet durchgeführt. Einige davon stellt der Neurowissenschaftler Michael Gazzaniga ausführlich in einem herrlichen Kapitel seines Buches The Mind’s Past vor; es trägt den treffenden Titel The Brain Knows Before You Do (»Ihr Hirn weiß vor Ihnen Bescheid«). Einige dieser Experimente, durchgeführt von Benjamin Libet an der University of California, San Francisco, zeigen, dass unser Hirn komplexe motorische Bewegungen unseres Körpers schon vorbereitet, bevor wir bewusst feststellen, dass wir den Entschluss fassen, uns zu bewegen. Während solcher Experimente betrachtet die Versuchsperson eine Art Spezialuhr und bestimmt anhand eines Indikators (der mit einem Sekundenzeiger vergleichbar ist), wann genau sie sich dazu entscheidet, beispielsweise einen Finger zu bewegen. Mittels EEG-Messung können Forscher indes zuverlässig feststellen, dass Aktivitäten im Kortex diese bevorstehende Bewegung signalisieren – und zwar etwa eine halbe Sekunde bevor die Versuchsperson den Eindruck hat, dass sie beschließt, sich zu bewegen.2 Mittlerweile wurden solche Experimente auch in ausgeklügelterer Form durchgeführt und ergaben dasselbe Ergebnis.3 Wenn auch unklar ist, in welchem Zusammenhang solch simple motorische Entscheidungen zu komplexeren Entscheidungen stehen – was wir zu Mittag essen zum Beispiel oder für welchen von zwei angebotenen Jobs wir uns entscheiden –, so steht doch außer Frage, dass unser Blick auf den menschlichen Verstand durch die modernen Neurowissenschaften schnellen Veränderungen unterworfen ist. Mittlerweile haben wir Grund zur Annahme, dass eine andere Person wissen kann, wie wir handeln werden, bevor wir selbst es wissen, wenn sie Einblick in unsere entsprechenden Hirnaktivitäten hat.

Wenn unsere Intuition uns sagt, dass unser Bewusstsein der Motor hinter bestimmten Verhaltensweisen ist, dann liegt das daran, dass wir die Entscheidungen, die wir treffen, als frei erleben, und zwar weil unsere beabsichtigten Handlungen unlösbar mit dem Gefühl verknüpft sind, dass wir in eben diesem Moment die Kontrolle über unser Bewusstsein haben. Egal, ob wir uns einfach nur für Wasser statt Orangensaft entscheiden oder ob wir beschließen, den Job im Ausland anzunehmen statt den in der Heimat: Wir haben den zwingenden Eindruck, dass für den Gedankenprozess, der mit der Entscheidungsfindung einhergeht, ja selbst für unsere Vorlieben ein Bewusstsein vonnöten ist. Demzufolge haben die Erkenntnisse darüber, wie Entscheidungen auf der Hirnebene zustande kommen – und auch die Millisekunden der Verzögerung, mit der wir uns sensorischer Inputs und selbst unserer eigenen Gedanken bewusst werden –, dazu geführt, dass viele Neurowissenschaftler (unter ihnen Gazzaniga) das Gefühl des freien Willens als Illusion bezeichnen. Sie müssen sich vergegenwärtigen, dass die Versuchspersonen bei solchen Experimenten den Eindruck hatten, dass ihr Handeln durch freien Willen motiviert war, während es in Wirklichkeit schon initiiert wurde, bevor sie wahrnahmen, dass sie den Entschluss gefasst hatten, sich zu bewegen.

Die Annahme, dass ein bewusst umgesetzter Wille nur eine Illusion ist, wird außerdem durch die Tatsache untermauert, dass sich diese Illusion vorsätzlich anstoßen und manipulieren lässt. Experimente zeigten, dass man in Versuchspersonen das Gefühl auslösen kann, sie würden ihrem Willen folgen, obwohl sie tatsächlich keine Kontrolle über ihr Verhalten haben. Scheinbar ist es unter den richtigen Voraussetzungen möglich, Leute glauben zu machen, dass sie eine Handlung bewusst initiiert haben, obwohl in Wirklichkeit jemand anderes ihr Handeln kontrollierte. Eine entsprechende Versuchsreihe wurde von den Psychologen Daniel Wegner und Thalia Wheatley durchgeführt. Dazu Wegner:

»Wir lassen einen Teilnehmer des Experiments seine Hand auf ein kleines Brett legen, das auf einer Computermaus befestigt wurde; und diese Maus führt einen Cursor über den Bildschirm. Auf dem Bildschirm sind zahlreiche Objekte zu sehen, Bilder aus einem bekannten Wimmelbuch – in unserem Fall zeigen sie Plastikspielzeuge. Eine weitere Person im Raum ist in unser Experiment eingeweiht und arbeitet für uns. Beide Personen tragen Kopfhörer und werden von uns aufgefordert, gemeinsam den Cursor über den Bildschirm zu bewegen und einige Sekunden lang ein bestimmtes Objekt anzuzeigen, sobald sie Musik hören … Meistens spielen wir Geräusche über ihre Kopfhörer ab, und manchmal hören sie die Bezeichnungen von Dingen, die auch auf dem Bildschirm zu sehen sind. Der entscheidende Teil des Experiments findet statt, wenn wir bei einigen Versuchen unseren Verbündeten auffordern, unser Versuchsobjekt dazu zu bringen, mit dem Cursor ein bestimmtes Objekt anzuzeigen. Die Versuchsperson, die wir testen, hat sich also nicht dafür entschieden, sondern wurde gezwungen. So, als würde jemand anderes das Glas auf einem Ouija-Brett heimlich bewegen. Irgendwann vor oder nach dieser erzwungenen Bewegung spielen wir unserer Versuchsperson den Namen des Objekts vor. Dabei lässt sich feststellen, dass die Versuchsperson anschließend berichtet, mit Vorsatz gehandelt zu haben, wenn wir den Namen des Objektes eine Sekunde vor der erzwungenen Bewegung abspielen. Das Gefühl der Handlungshoheit lässt sich also austricksen – und doch erleben wir unseren Alltag, als wäre das nicht der Fall.«4

Welche Rolle spielt dann aber das Bewusstsein, wenn es nicht den Willen zur Bewegung hervorbringt, sondern lediglich dabei zuschaut, wie diese ausgeführt wird – ohne dabei von der Illusion zu lassen, dass es involviert wäre? Wir wissen nun, dass der Eindruck eines freien Willens, wie wir ihn üblicherweise erfahren, keine unmittelbare Abbildung der Realität ist. Und wenn wir uns von dieser gewöhnlichen Vorstellung erst einmal verabschieden, können wir auch die Idee infrage stellen, dass dem Bewusstsein eine wesentliche Rolle in der Ausrichtung menschlichen Verhaltens zufiele.

Ich sollte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich mich, wenn ich in diesem Kontext vom Wesen des freien Willens spreche, speziell auf das Gefühl einer bewussten Willensbildung beziehe. Ich verweise auf die grundlegende Alltagsillusion, mit der wir anscheinend alle durchs Leben wandern: dass wir nämlich über ein individuelles, unterscheidbares Selbst verfügen würden – unterscheidbar nicht nur von den Menschen in unserem Umfeld und der äußeren Welt, sondern sogar von unserem eigenen Körper, so als würde unser bewusstes Erfahren losgelöst von der materiellen Welt existieren. Wie jeder andere auch habe ich beispielsweise die...


Annaka Harris arbeitet als Autorin, Redakteurin und Beraterin für Wissenschaftsautoren, vor allem im Bereich Neurowissenschaften und Physik. Ihre Texte sind in der »New York Times« erschienen. Sie ist Autorin des Kinderbuchs »I Wonder« und lebt mit ihrem Mann, dem Bestsellerautor Sam Harris und ihren Kindern in Los Angeles.



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