Hardy | Clyms Heimkehr | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 560 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

Hardy Clyms Heimkehr

Reclam Taschenbuch
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-15-961921-7
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Reclam Taschenbuch

E-Book, Deutsch, 560 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

ISBN: 978-3-15-961921-7
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor der unheimlichen Heidelandschaft Südenglands entspinnt sich eine Liebe tragischen Ausgangs: Die leidenschaftliche Eustacia Vye sehnt sich danach, der Einöde zu entfliehen, und träumt von einem Leben in den Städten. Als Clym Yeobright, der sich als Diamantenhändler in Paris niedergelassen hat, in seine Heimat zurückkehrt, um seine Mutter zu besuchen, glaubt Eustacia, endlich einen Ausweg gefunden zu haben. Zwar gelingt es ihr, Clym an sich zu binden, doch dieser hat nicht vor, seine Heimat wieder zu verlassen. Ein Wunsch, der nicht ohne Folgen bleiben wird. Eine stürmische Geschichte aus der Feder des britischen Schriftstellers Thomas Hardy, Autor des Klassikers »Tess von den d'Urbervilles«. - Mit einer kompakten Biographie des Autors.

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Erstes Buch Die drei Frauen
Kapitel 1 Ein Antlitz, dem die Zeit wenig anhaben kann
Ein Samstagnachmittag im November näherte sich der Stunde der Dämmerung, und das ausgedehnte Gebiet unbegrenzter Wildnis, das als die Egdon-Heide bekannt ist, fiel zusehends in tiefere Schatten. Darüber lag eine den Himmel verbergende, farblos weißliche Wolkendecke, die wie ein Zelt die ganze Heide überspannte. Da das Firmament von diesem bleichen Schirm und die Erde von einer dunklen Vegetation bedeckt war, entstand bei ihrem Zusammentreffen am Horizont eine klare Linie. In diesem Kontrast schien die Heide die Nacht vorwegzunehmen, bevor deren astronomische Stunde gekommen war: Die Dunkelheit hatte die Heide fast völlig eingehüllt, während der Tag noch klar am Himmel stand. Nach oben blickend hätte ein Ginsterschneider seine Arbeit fortsetzen wollen, während ein Blick nach unten ihn veranlasst hätte, sein letztes Bündel zusammenzuschnüren und nach Hause zu gehen. Die fernen Ränder der Erde und des Firmaments schienen sowohl eine zeitliche als auch eine materielle Trennlinie zu bilden. Allein durch ihr charakteristisches Antlitz schien die Heide den Abend eine halbe Stunde früher eintreten zu lassen; ebenso konnte sie die Morgendämmerung verzögern, die Mittagsstunde trüben, die Finsternis der Stürme vorwegnehmen, noch bevor diese sich zusammenbrauten, und das Dunkel einer mondlosen Nacht zu furchterregendem Grauen steigern. Tatsächlich war es genau dieser Zeitpunkt des Übergangs in die nächtliche Dunkelheit, der die großartige und eigentümliche Pracht der Egdon-Einöde sichtbar werden ließ, und man konnte von niemandem sagen, er verstehe die Heide, wenn er sie nicht zu dieser Zeit erlebt hatte. Sie war am eindringlichsten zu spüren, wenn sie nicht zu sehen war, da ihre vollständige Wirkung und Offenbarung in dieser und in den darauffolgenden Stunden bis zur nächsten Morgendämmerung beschlossen lag. Dann und nur dann erzählte sie ihre wahre Geschichte. Der Ort war in der Tat der Nacht eng verwandt, und wenn sie herannahte, konnte man zwischen ihren Schatten und seiner Szenerie eine offensichtliche Neigung zur Vereinigung wahrnehmen. Die düstere Linie der Wölbungen und Mulden schien sich zu heben, um den Abendschatten aus reiner Sympathie zu begegnen, und die Heide verströmte die Dunkelheit so geschwind, wie der Himmel sie herabgoss. So schlossen sich die Finsternis des Himmels und die des Landes zu einer schwarzen Verbrüderung zusammen, indem sich beide auf halbem Wege entgegenkamen. Der Schauplatz war nun von einer wachen Gespanntheit erfüllt, denn wenn anderes gedankenverloren in Schlaf fiel, schien die Heide allmählich zu erwachen und zu lauschen. Jede Nacht schien ihre titanenhafte Gestalt etwas zu erwarten; aber in dieser Weise hatte sie schon so viele Jahrhunderte hindurch gewartet, über die Krisen so vieler Ereignisse hinweg, dass nur die Vorstellung übrig blieb, sie erwarte die eine, letzte Krise – den endgültigen Untergang. Es war ein Ort, der denen, die ihn liebten, als ein Bild eigentümlicher und angenehmer Ausgeglichenheit in Erinnerung blieb. Lachende Felder voller Blumen und Früchte bewirken dies kaum, denn sie bewahren ihre vollkommene Harmonie nur durch ihren Ruf, Schöneres hervorbringen zu können, als es die Gegenwart zeigt. Die Abenddämmerung verband sich mit der Szenerie der Egdon-Heide, um etwas hervorzubringen, was majestätisch war, ohne streng zu sein, eindrucksvoll, ohne zu prahlen, nachdrücklich in ihren Warnungen und großartig in ihrer Einfachheit. Jene Eigenschaften, die häufig die Fassade eines Gefängnisses mit mehr Würde ausstatten, als es bei einem Palast von doppelter Größe der Fall ist, verliehen dieser Heide eine Erhabenheit, die an Orten, welche für Schönheit der üblichen Art berühmt sind, völlig fehlt. Gute Aussichten verbinden sich gerne mit guten Zeiten, aber ach, die Zeiten sind nicht gut! Die Menschen haben oft mehr unter dem Hohn eines für ihre geistige Verfassung zu heiteren Ortes gelitten als unter der Beklemmung einer allzu traurig gefärbten Umgebung. Die karge Egdon-Heide wandte sich an einen feineren und selteneren Instinkt, an ein erst neuerdings erworbenes Gefühl, an ein anderes als das, welches auf jene Art von Schönheit reagiert, die man als bezaubernd und hübsch bezeichnet. Es ist tatsächlich die Frage, ob für die ausschließliche Herrschaft dieses orthodoxen Schönheitsbegriffs nicht die letzte Stunde angebrochen ist. Das neue Tempetal mag vielleicht eine dürre Einöde in Thule sein: Menschliche Seelen mögen sich in immer engerer Harmonie mit äußeren Dingen fühlen, denen eine Düsterkeit zu eigen ist, die unserem Geschlecht, als es jung war, zuwider gewesen wäre. Die Zeit scheint nahe – wenn sie nicht schon gekommen ist –, wo die keusche Erhabenheit eines Moores, eines Meeres oder eines Gebirges dasjenige in der Natur sein wird, was sich vollkommen mit der Gefühlslage des nachdenklicheren Teils der Menschheit deckt. Und am Ende mögen Orte wie Island dem Allerweltstouristen das bedeuten, was für ihn heute die Weinberge und Myrtengärten Südeuropas sind, und auf seiner hastigen Reise von den Alpen zu den Sanddünen von Scheveningen wird er vielleicht an Heidelberg und Baden achtlos vorbeieilen. Selbst der ernsthafteste Asket konnte sicher sein, ein natürliches Recht darauf zu haben, auf der Egdon-Heide umherzuwandern. Er hielt sich innerhalb der Grenzen eines legitimen Genusses auf, wenn er sich Eindrücken wie diesen hingab. Derart gedämpfte Farben und Schönheiten standen jedem zumindest von Natur aus zu. Nur an Sommertagen, in der gehobensten Stimmung, erlangte die Heide einen gewissen Grad an Fröhlichkeit. Intensität wurde mehr durch Feierlichkeit als durch Glanz erreicht, und zu einer solchen Intensität kam es oft während der Winterdunkelheit, zur Zeit der Stürme und Nebel. Dann war die Egdon-Heide zur Entgegnung bereit, denn der Sturm war ihr Geliebter und der Wind ihr Freund. Dann wurde sie zum Schauplatz seltsamer Erscheinungen, und man empfand, dass dieser Ort das bis dahin nicht erkannte Urbild jener wilden Regionen der Finsternis war, von denen man sich undeutlich in mitternächtlichen Alpträumen umgeben fühlt, an die man aber später nie mehr denkt, bis sie durch Landschaften wie diese wiedererweckt werden. Die Heide war gegenwärtig ein Ort, der vollkommen mit der menschlichen Natur in Einklang stand – weder schaurig, hasserfüllt, noch hässlich, weder gewöhnlich, nichtssagend, noch zahm. Sie war, wie die Menschheit, voller Entsagung und Ausdauer und gleichzeitig einzigartig imposant und geheimnisvoll in ihrer dunklen Eintönigkeit. Aus ihren Zügen schien wie bei manchen Menschen, die lange voneinander getrennt leben, Einsamkeit zu sprechen. Sie hatte ein vom Alleinsein geprägtes Antlitz, das auf tragische Möglichkeiten hindeuten mochte. Dieses unbekannte, altmodisch und überflüssig gewordene Land ist im ersten englischen Grundbuch, dem Domesday-Buch, registriert. Seine Beschaffenheit wird dort als eine mit Heidekraut, Ginster und Dornbusch bewachsene Wildnis, »Bruaria«, bezeichnet. Danach folgt die Angabe der Längen- und Breitenausdehnung des Gebietes in alten englischen Meilen; und obwohl einige Unsicherheit über die genaue Einheit dieses alten Längenmaßes besteht, scheint sich doch die Egdon-Heide, was ihre Fläche angeht, bis zum heutigen Tag nur wenig verkleinert zu haben. »Turbaria Bruaria« – das Recht, Heidetorf zu stechen – wird dem Bezirk urkundlich zugestanden. »Von Heide- und Torfmoor überzogen«, sagt Leland über denselben dunklen Landstrich. Dies waren wenigstens klare, handfeste Fakten bezüglich der Landschaft, weitreichende Beweise, die echte Genugtuung erzeugen. Das ungezähmte, ismaelitische Stück Land, das die Heide nun war, war sie schon immer gewesen. Die Zivilisation war ihr Feind, und schon seit Anbeginn der Vegetation hatte ihr Boden immer dasselbe altmodische Kleid getragen, das natürliche und unveränderte Gewand dieses besonderen Landstrichs. In ihrem einzigen ehrwürdigen Mantel lag ein gewisser satirischer Bezug zur menschlichen Eitelkeit in Kleiderdingen. Eine Person, die sich auf der Heide in Gewändern modernen Schnitts und modischer Farben zeigt, wirkt mehr oder weniger deplaziert. Wo die Erde so primitiv ist, scheinen wir ein Bedürfnis nach der ältesten und einfachsten Kleidung zu empfinden. Wenn man sich zu einer Zeit wie dieser zwischen Nachmittag und Nacht auf einem Dornbuschstumpf im innersten Tal der Egdon-Heide zurücklehnte, dort, wo das Auge nichts von der Welt jenseits der Gipfel und Hänge der Heide sehen konnte, und wenn man sich dann bewusst machte, dass alles im Umkreis rundum und darunter seit prähistorischen Zeiten so unverändert geblieben war wie die Sterne am Himmel, so vermochte dies einem unbeständigen und durch das Neue bedrängten Geist Halt zu gewähren. Der großartig unberührte Ort hatte eine uralte Stetigkeit, die das Meer nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Wer kann von irgendeinem Meer behaupten, es sei alt? Von der Sonne destilliert, vom Mond durchgeknetet, hat es sich in einem Jahr, in einem Tag, in einer Stunde erneuert. Das Meer änderte sich, die Felder änderten sich, die Flüsse, die Dörfer und die Menschen änderten sich, doch die Egdon-Heide blieb sich gleich. Ihre Oberfläche war weder so steil, dass sie durch Witterungseinflüsse zerstört werden, noch so flach, dass sie das Opfer von Überschwemmungen und Ablagerungen werden konnte. Mit Ausnahme...



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