E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: REVISITED
Harbou Metropolis
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-902950-42-0
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: REVISITED
ISBN: 978-3-902950-42-0
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Joh Fredersen, ein Großindustrieller, ist Herr über Metropolis, die glitzernde Stadt der Zukunft. Die Reichen vergnügen sich in den Freizeitgärten der Oberstadt, während die Arbeiter in der unterirdischen Stadt ein erbärmliches Leben fristen müssen. Freder Fredersen, Sohn des Metropolis-Bosses, trifft eines Tages Maria, eine Frau aus der unterirdischen Stadt. Er verliebt sich in sie und lässt sich von ihr in die Unterwelt führen. Sie wird von den Arbeitern respektiert und verehrt.
In der Armensiedlung wollen die Arbeiter nicht mehr länger im Elend leben. Es kommt zum Aufstand: Wissenschaftler Rotwang, ehrgeizig und dem alten Fredersen spinnefeind, verschleppt Maria und konstruiert eine mechanische Doppelgängerin, die die Arbeiter zur Revolution aufhetzt …
Thea von Harbous Zukunftsroman - die Aufhebung von Klassengrenzen in einer Volksgemeinschaft imaginierend - und Liebesgeschichte in einem inspirierte Fritz Lang zu seinem filmischen Meisterwerk.
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1
JETZT SCHWOLL DAS BRAUSEN DER großen Orgel zu einem Dröhnen an, das sich wie ein aufstehender Riese gegen die Wölbung des hohen Raumes stemmte, um sie zu zersprengen, Freder beugte den Kopf zurück; seine weit offenen, verbrennenden Augen starrten blicklos nach oben. Seine Hände formten Musik aus dem Chaos der Töne, mit den Erschütterungen des Klanges ringend und bis ins Innerste von ihm durchwühlt. Er war den Tränen so nahe wie nie in seinem Leben, und in einer seligen Hilflosigkeit unterwarf er sich dem glühend Feuchten, das ihn blendete. Über ihm das Gewölbe des Himmels aus Lapislazuli; darin schwebend zwölffaches Geheimnis, die Tierkreisgestalten von Gold. Höher geordnet, über ihnen sieben Gekrönte: die Planeten. Hoch über allem ein silbern strahlendes Tausend-Gestirn: das Weltall. Vor den betauten Augen des Orgelspielers begannen die Sterne nach seiner Musik den feierlich mächtigen Tanz. Die Brandung der Töne löste den Raum in Nichts auf. Mitten im Meer stand die Orgel, die Freder spielte. Sie war wie ein Riff, an dem sich die Wogen zerschäumten. Gischtkämme tragend, rannten sie heftig heran, und immer die Siebente war die gewaltigste. Aber hoch über dem Meer, das im Aufruhr der Wogen brüllte, tanzten die Sterne des Himmels den feierlich mächtigen Tanz. Bis auf den Grund durchrüttelt, schrak die alte Erde aus dem Schlaf. Ihre Ströme versiegten; ihre Berge stürzten zugrunde. Aus aufgerissenen Tiefen quoll das Feuer. Die Erde verbrannte mit allem, was sie trug. Die Wogen des Meeres wurden zu Feuerwogen. Die Orgel flammte, eine dröhnende Fackel Musik. Die Erde, das Meer und die Hymnen lodernde Orgel krachten in sich zusammen und wurden Asche. Aber hoch über dem Wüsten und Leeren, zu dem die Schöpfung zerbrannt war, tanzten die Sterne des Himmels den feierlich-mächtigen Tanz. Da, aus der graustiebenden Asche, erhob sich auf zitternden Flügeln, unsäglich schön und einsam, ein Vogel mit Edelsteinfedern. Er stieß einen klagenden Schrei aus. Kein Vogel, der jemals auf Erden lebte, hatte so süß und so qualvoll zu klagen gewußt. Er schwebte über der Asche der ganz zerstörten Erde. Er schwebte hin und her und wußte nicht, wo er sich niederlassen sollte. Er schwebte über dem Grabe des Meeres und über dem Leichnam der Erde. Niemals, seit die frevelnden Engel vom Himmel zur Hölle stürzten, hatte die Lust solchen Schrei der Verzweiflung gehört. Da, aus dem feierlich-mächtigen Tanz der Sterne, löste einer sich los und nahte der toten Erde. Sein Licht war sanfter als das Mondlicht und gebieterischer als das Licht der Sonne. Aus der Musik der Sphären war er der himmlischste Ton. Er hüllte den klagenden Vogel in sein liebes Leuchten ein; das war stark wie eine Gottheit und rief: Zu mir … zu mir! Da ließ der Edelsteinvogel das Grab von Meer und Erde und gab seine sinkenden Flügel dem starken Ruf, der ihn trug. In einer Wiege des Lichts ruhend, schwebte er aufwärts und sang und wurde ein Ton der Sphären und entschwand in der Ewigkeit … Freder ließ die Finger von den Tasten gleiten. Er beugte sich vor und barg das Gesicht in den Händen. Er preßte seine Augen, bis er den feurigen Tanz der Sterne hinter den Lidern sah. Nichts half ihm – nichts! Überall, überall in der martervollen seligkeitsgefüllten Allgegenwart stand vor seinem Schauen das eine – eine Antlitz: Das herbe Antlitz der Jungfrau, das süße Antlitz der Mutter – die Qual und Lust, die er rief und rief nach dem einen, einzigen Sehen, und für die sein gefoltertes Herz nicht einmal einen Namen hatte außer dem einen, ewigen: Du … Er ließ die Hände sinken und hob die Augen zur Höhe des schön gewölbten Raumes, in dem seine Orgel stand. Aus dem meertiefen Blau des Himmels, aus dem schlackenlosen Gold der Sterngestalten, aus der geheimnisreichen Dämmerung rund um ihn her sah ihn das Mädchen an mit der tödlichen Strenge der Reinheit, ganz Magd und Herrin, Unantastbarkeit – und war auch ganz und gar Holdseligkeit: die schöne Stirn im Diadem der Güte, die Stimme Mitleid, jedes Wort ein Lied. Dann weggewandt und gehend und verschwunden – und nicht mehr aufzufinden – nirgends, nirgends … »Du!« schrie der Mann auf. Der gefangene Ton schlug an die Mauern an, fand keinen Ausweg. Nun war die Einsamkeit nicht mehr ertragbar. Freder stand auf, stieß die Flügeltür auseinander. In schmetternder Helligkeit lag die Werkstatt vor ihm. Er drückte die Lider zusammen, stand still, kaum atmend. Er fühlte das Nahsein der lautlos wartenden Diener, die auf Befehle harrten, um lebendig werden zu dürfen. Einer war darunter, der Schmale mit dem höflichen Gesicht, das nie den Ausdruck wechselte –, von dem wußte Freder: ein Wort an ihn, und wenn das Mädchen mit ihren still schreitenden Füßen noch über die Erde ging, dann würde der Schmale sie finden. Aber man setzt keinen Bluthund auf die Fährte einer weißen und heiligen Hindin, wenn man nicht verflucht sein will und all seine Lebtage ein elender, elender Mensch. Freder sah, ohne ihn anzublicken, wie die Augen des Schmalen an ihm schürften. Er wußte: der lautlose Mensch, von seinem Vater ihm zum allmächtigen Schützer bestellt, war auch sein Wächter zugleich. Am Fieber der schlafberaubten Nächte, am Fieber der Werkstattarbeit, am Fieber des Gott anrufenden Orgelspiels maß der Schmale die Skalen des Blutschlags vom Sohne seines großen Herrn. Er gab keine Berichte ab; die wurden auch nicht verlangt. Aber wenn einmal die Stunde kommen würde, in der man sie von ihm verlangte, hatte er gewiß ein Tagebuch von lückenloser Vollkommenheit vorzulegen, von der Zahl der Schritte an, mit denen ein gepeinigter Mensch Minute um Minute seiner Einsamkeit unter schweren Füßen zertritt, bis zu dem Sinkenlassen seiner Stirn in aufgestützte, sehnsuchtmüde Hände. Konnte es möglich sein, daß dieser Alleswissende von ihr nichts wußte? Nichts an ihm verriet, daß er den Umsturz in Gemüt und Wesen seines jungen Herrn seit jenem einen Tag im »Klub der Söhne« begriffen hatte. Aber sich nie zu verraten, war eines der starken Geheimnisse des schmalen, stillen Menschen, und, obwohl er zum »Klub der Söhne« keinen Zutritt hatte, war Freder doch keineswegs sicher, daß der geldmächtige Agent seines Vaters vor den Hausgesetzen des Klubs kehrtmachen würde. Er fühlte sich preisgegeben, kleiderlos. Eine nichts Heimliches schonende, grausame Helligkeit badete ihn und jedes Ding in seiner Werkstatt, die fast der höchstgelegene Raum von Metropolis war. »Ich möchte ganz allein sein«, sagte er leise. Lautlos verschwanden die Diener, ging der Schmale. Aber all diese Türen, die sich ohne jedes Geräusch schlossen, konnten auch ohne jedes Geräusch um einen schmalen Spalt wieder geöffnet werden. Mit schmerzlichen Augen tastete Freder die Türen seiner Werkstatt ab. Ein Lächeln, das ziemlich viel Bitterkeit enthielt, zog ihm die Mundwinkel nach unten. Er war eine Kostbarkeit, die bewacht werden mußte, wie Kronjuwelen bewacht werden. Der Sohn des großen Vaters; und der einzige Sohn. Wirklich der einzige? Da hielten seine Gedanken wieder am Ausgang des Kreislaufs, und das Bild war wieder da und das Schauen und das Erleben … Dem »Klub der Söhne« gehörte vielleicht das schönste Haus von Metropolis, und das war nicht verwunderlich. Denn Väter, für die jede Umdrehung eines Maschinenrades Gold bedeutete, hatten ihren Söhnen dieses Haus geschenkt. Es war weit mehr ein Stadtteil als ein Haus. Es umfaßte Theater und Filmpaläste, Hörsäle und eine Bibliothek, in der jedes Buch zu finden war, das in fünf Erdteilen gedruckt wurde, Rennbahnen und Stadion und die berühmten »Ewigen Gärten«. Es enthielt sehr ausgedehnte Wohnungen für die jungen Söhne vorsorglicher Väter, und es enthielt die Wohnungen untadelhafter Diener und schöner, wohlerzogener Dienerinnen, zu deren Ausbildung mehr Zeit erforderlich war als zur Züchtung neuer Orchideen. Ihre oberste Aufgabe bestand in nichts anderem, als zu allen Stunden erquicklich anzusehen und launenlos heiter zu sein und in ihrer verwirrenden Tracht, den bemalten Gesichtchen und Augenmasken, übertürmt von schneeweißen Perücken und duftend wie Blumen, glichen sie zärtlichen Puppen aus Porzellan und Brokat, von einer Künstlerhand entworfen, nicht käuflich, doch hübsche Geschenke. Freder war nur ein seltener Gast im »Klub der Söhne«. Er zog seine Werkstatt vor und die Kapelle der Sterne, wo seine Orgel stand. Aber wenn es ihn einmal gelüstete, sich in...