Harbort / Fischer Ein unfassbares Verbrechen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7700-4133-6
Verlag: Droste Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Fall Monika F.
E-Book, Deutsch, 255 Seiten
ISBN: 978-3-7700-4133-6
Verlag: Droste Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Am 7. Oktober 2006 wird Monika F. tot aufgefunden. Sie ist erst vergewaltigt, dann erstochen worden. Den entscheidenden Hinweis auf den Mörder gibt Andreas F., Ehemann des Opfers. Als Justizvollzugsbeamter war er fünf Jahre verantwortlich für Jochen S., einen vorbestraften Sexualtäter, der erst fünf Wochen zuvor wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Jochen S. gesteht die Tat. Ist dieser Sexualmord auch ein grausamer Racheakt? Bis heute liegen die genauen Umstände der Tat im Dunkeln. Doch sie wirft viele Fragen zum Strafvollzug auf: Wurde Jochen S. zu früh aus der Haft entlassen? Wie konnte er als ungefährlich gelten? Sind Sexualstraftäter überhaupt therapierbar? Stephan Harbort sprach mit Andreas Fischer, der sich zu den Geschehnissen erstmals öffentlich äußert. Der Ehemann des Opfers erzählt von jenem Tag, an dem sich für ihn und seine Kinder ein Abgrund auftat, von Wut, Angst, Verzweiflung, Leid, Trauer.
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Harbort: »Andreas, Du hast einen furchtbaren Verlust erlitten. Deine Frau ist beraubt, vergewaltigt und anschließend ermordet worden. Wann und warum hast Du Dich dazu entschlossen, über Dein Schicksal öffentlich zu reden?« Fischer: »Schon etwa eine Woche nach der Tat habe ich ein paar von den Gedanken aufgeschrieben, die mir durch den Kopf gingen. Mit meinem Tagebuch habe ich exakt einen Monat nach dem Mord begonnen. Die Vorgänge am Tattag zu rekonstruieren, das war für mich ein sehr schwieriges Unterfangen. Ich wurde dabei regelrecht von den Erinnerungen durchgeschüttelt. Erst Anfang März 2007 kam dann die Anfrage an mich, das Tagebuch zu veröffentlichen. Es folgten Abwägen und Zaudern. Mitte des Monats habe ich mich dann schließlich doch dazu durchgerungen. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum ich mich an die Öffentlichkeit wende. Ich möchte mein Schicksal nicht einfach nur hinnehmen, sondern meine Erfahrungen aus dieser Zeit anderen Menschen mitteilen. Ich möchte nicht nur als Opfer eines furchtbaren Verbrechens gesehen werden, sondern auch jenen Trost spenden, die in ähnliche Situationen geraten – der Verlust eines geliebten Menschen muss ja nicht unbedingt mit einer Straftat zusammenhängen. Und dieses Buch soll ein Beitrag und eine Hilfestellung sein, um Trauer zu bewältigen. Das Verbrechen an meiner Frau Monika ist in dieser Form sicher einzigartig, aber mir kommt es eben nicht in erster Linie darauf an, den Menschen zu zeigen, wie schlecht es mir geht, wie sehr ich leiden muss. Ich will kein Mitleid erregen. Leid gibt es überall auf der Welt, mein Schicksal und das meiner Kinder sind nur ein Teil davon. Das Leid anderer Menschen zählt genauso wie meins, egal ob es durch den Tod eines Kindes, eine schwere Krankheit oder den finanziellen Ruin verursacht wurde. Mein Anliegen ist es deshalb, durch dieses Buch Unterstützungen zu leisten, damit die Leserinnen und Leser bestimmte Situationen, die ich erlebt habe, nachvollziehen können, sich darin unter Umständen wiederfinden. Es soll erkennbar werden, dass man nicht allein ist in der Not, in dieser Zeit größter Verzweiflung, das ist wichtig. Auch Parallelen zu anderen Schicksalen sollen sichtbar werden. Die Menschen müssen sich in den Phasen der Trauer, der Verzweiflung, der Wut, der heftigen Stimmungsschwankungen, aber auch der Hoffnung Rat holen können – direkt oder indirekt. Vielleicht werden einige auch sagen: ›Zum Glück ist mir das nicht so passsiert.‹ Es wäre doch wunderbar, wenn es jemandem durch dieses Buch gelänge, sein eigenes Schicksal besser annehmen zu können. Daneben ist es mir wichtig, meine fachlichen Überlegungen öffentlich zu machen. Ich möchte Veränderungen anstoßen, Impulse geben. Ich erfinde das Rad nicht neu, wenn ich sage, dass sich bei der Therapie und Begutachtung von Sexualstraftätern etwas ändern muss. Aber je mehr Menschen sich diesem Thema annehmen, desto größer wird die Chance, dass tatsächlich einmal etwas geschieht. Deshalb offenbare ich mich, spreche über die schmerzvolle Zeit nach der Ermordung meiner Frau. Wenn ein Täter rückfällig wird – mit tödlichen Folgen –, dann steht immer der Täter im Blickpunkt des Interesses. Doch kaum jemand berichtet von dem Leid all jener, die dem Opfer nahe gestanden haben. Das muss sich ändern, damit eine größere Sensibilität für diese Problematik entsteht. Auch dazu möchte ich mit meinem Buch beitragen. Vielleicht bekommt die etwas kühle und formal anmutende Kriminalpolitik so auch ein wenig Seele. Allerdings bin ich mir bewusst, dass meinem Einfluss enge Grenzen gesetzt sind. Ich will also ein Beispiel geben, dem hoffentlich weitere folgen werden.« Harbort: Hat Dir die Arbeit an dem Buch geholfen, Deine Lebenskrise zu meistern?« Fischer: »Eigentlich nicht. Diese Lebenskrise verläuft in so unberechenbaren Bahnen, dass ich mir keine Illusionen mache, sie jemals meistern zu können. Sie wird immer ein Teil von mir sein, mich auch immer wieder nach unten ziehen. Erfahrungsgemäß gerade nach den Momenten, wenn ich meine, mir geht es wieder besser. Die Erfahrungen der letzten Monate haben mich das gelehrt. Aber die Arbeit hat mir geholfen, einiges zu verarbeiten. Sie hat mich dazu animiert, mich mit meinem Schicksal auseinanderzusetzen und es anzunehmen.« Harbort: »Welche Reaktionen erhoffst Du Dir auf dieses Buch?« Fischer: »Ich wünsche mir, dass die Leserinnen und Leser verstehen, warum ich diesen Weg so gegangen bin. Wenn ich mit diesem Buch Menschen helfen kann, und nur einer sagt: ›Ja, es spendet mir Trost, es gibt mir Halt, es inspiriert mich‹, dann freue ich mich, dann hat sich die Arbeit gelohnt. Ich erhoffe mir aber auch eine neu aufflammende Diskussion, insbesondere um das Sexualstrafrecht und die Grenzen von Therapien.« Harbort: »Das Buch erscheint kurz vor Beginn der Hauptverhandlung am Landgericht Bayreuth. Was sagst Du jenen Menschen, die Dir nun vorhalten, Du würdest mit dem Tod Deiner Frau Geld verdienen wollen?« Fischer: »Ja, davor hatte ich anfangs tatsächlich Angst. Diese Angst ließ erst nach, als ich über die Verdienstmöglichkeiten aufgeklärt wurde. Für einen Co-Autor liegen die Einkünfte etwa in der Höhe einer Summe, die man für einen großzügigen Familienurlaub aufbringen muss. Wir haben aber nicht vor, einen solchen Urlaub zu machen, vielmehr werden wir das Geld als Rücklage verwenden, denn meine berufliche Zukunft ist ungewiss. Der Termin der Veröffentlichung erschien mir zunächst selbst ein wenig verfrüht. Aber es ist letztlich genau der Zeitpunkt, an dem ich die meisten Menschen ansprechen kann. Nach der Gerichtsverhandlung gerät das Verbrechen an meiner Frau doch genauso schnell in Vergessenheit, wie alle anderen ähnlich gelagerten Taten auch. Dann erreiche ich kaum noch jemand, über die Medien schon gar nicht. Noch eins: Dieser Termin ist auch deshalb gut gewählt, weil ich mich zeitnah gegen all die üblen Gerüchte wehren will, die mir zu Ohren gekommen sind. Ich möchte erzählen, wie es wirklich gewesen ist. Außerdem habe ich mit diesem Buch die Möglichkeit, meine Meinung zu sagen, ohne Gefahr zu laufen, von Journalisten falsch verstanden oder falsch zitiert zu werden. Ich will, dass in der Öffentlichkeit eben ein authentisches Bild entsteht.« Harbort: »Du warst eine Zeit lang unsicher, ob Du dieses Buch wirklich herausbringen willst. Warum?« Fischer: »Der vereinbarte Erscheinungstermin ließ mich zweifeln. Eigentlich ist so eine Geschichte doch erst nach dem Prozess komplett. Es waren daher so viele Kompromisse notwendig. Und aus dem Grund, dass ich vielleicht deshalb kritisiert werden würde, begann ich zu zögern. Ich stellte mir selbst immer wieder unangenehme Fragen. Ich hinterfragte meine Motive, überlegte, ob es überhaupt Sinn hat, so vorzugehen und ob meine Kinder Schaden nehmen könnten. Es war so ein ständiges Hin und Her. Ich glaube, viel Freude habe ich dem Verlag im Vorfeld mit meiner Wankelmütigkeit nicht gemacht. Das Projekt stand eine Zeit lang echt auf der Kippe, einmal bin ich sogar offiziell vom Vertrag zurückgetreten. Doch nach Abwägen aller Aspekte ist die Entscheidung nun doch für das Buch gefallen. Und insgesamt bin ich auch froh darüber.« Harbort: »Du gewährst in diesem Buch tiefe und ungeschönte Einblicke in Dein Seelenleben, scheust auch nicht davor zurück, Dich selbst zu kritisieren. Woher nimmst Du die Kraft und den Mut dazu?« Fischer: »Es ist einfach meine Bewältigungsstrategie. Einer singt, ein anderer schreit, der nächste wütet. Ich schreibe mir alles von der Seele. Ich will wirklich ehrlich sein – nicht der Belehrende, der Coole, der Besserwisser. Um ernst genommen zu werden – besonders wegen meiner fachlichen Denkanstöße –, ist es mir wichtig, auch ehrlich mit mir selbst umzugehen. Ich will mich nicht überschätzen, denn ich kenne meine Grenzen, weiß deshalb auch, dass ich allein verloren wäre. Vielleicht habe ich gar nicht so viel Kraft oder Mut, aber ich war schon immer ein offener Mensch, das hat sicher auch dazu beigetragen, dass alles so ist wie es ist. Außerdem: Was habe ich zu verlieren? Meine Frau ist tot. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Vielmehr kann ich aber einiges richtigstellen. Die Gerüchte in den letzten Monaten waren schon sehr geschmacklos und verletzend.« Harbort: »Menschen, die Ähnliches wie Du ertragen mussten, berichten, sie hätten in der ersten Zeit nicht darüber sprechen können. Wie war das bei Dir?« Fischer: »Genauso. Zuerst habe ich doch einiges ausgeblendet. Erst nach und nach konnte beziehungsweise musste ich die Fakten akzeptieren. Manches muss man eben erst annehmen und wenigstens ein Stück weit verarbeiten, bevor man darüber sprechen kann. Es fällt mir aber immer noch sehr schwer, mir diese Tat vor Augen zu führen.« Harbort: »Du hast auf die Beschreibung bestimmter Aspekte und Personen verzichtet. Welche sind das und warum hast Du Dich so entschieden?« Fischer: »Hauptsächlich musste ich meine Tätigkeit bei der Sozialtherapie in der Justizvollzugsanstalt Bayreuth aussparen. Das hat dienstrechtliche Gründe. Aspekte der Sozialtherapie habe ich deswegen nur allgemein angesprochen. Meine Partnerin, von der im Buch die Rede sein wird, wollte ich aus persönlichen Gründen nicht detailliert beschreiben und meine Privatsphäre schützen. Aber gerade, was unsere Beziehung angeht, habe ich sonst nichts weggelassen,...