Harbort | Das Serienmörder-Prinzip | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

Harbort Das Serienmörder-Prinzip

Was zwingt Menschen zum Bösen?
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7700-4131-2
Verlag: Droste Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Was zwingt Menschen zum Bösen?

E-Book, Deutsch, 335 Seiten

ISBN: 978-3-7700-4131-2
Verlag: Droste Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Da war so eine Energie. Da saß ich dem gegenüber und hab’ den so angeguckt. Der wusste nicht, dass ich ihn gleich killen würde - aber ich. Das war so ein Machtspielchen. Das hab’ ich genossen, das war Klasse." Was macht aus Menschen "Monster"? Stephan Harbort geht dieser Frage auf den Grund. Er führte persönliche Gespräche mit mehr als 50 Serienmördern und beschreibt unter Einbeziehung der spektakulärsten Serienmorde der vergangenen Jahre Ursache und Wirkung einer todbringenden Gesetzmäßigkeit. Nach mehr als fünfzehnjähriger Forschungsarbeit ist es ihm gelungen, den Code des Bösen neu und gut verständlich zu entschlüsseln. Und er stellt die beängstigende Frage: Kann jeder ein Serienmörder werden?

Harbort Das Serienmörder-Prinzip jetzt bestellen!

Zielgruppe


Kriminalisten, Soziologen, Psychologen, allgemein an Kriminalistik Interessierte


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


KAPITEL 2  
Wenn du wüsstest! »Der Wurm sitzt im Herzen des Menschen. Dort muss er auch gesucht werden.« Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos »Die ganze Woche hatte ich dieses Gefühl der Unwirklichkeit, als ob ich alle Dinge durch Wasser sehe, oder ich beobachtete mich selbst dabei, wie ich etwas tat. Besonders an diesem Abend kam mir alles so vor, wie wenn ich dieses Gefühl der Unwirklichkeit hätte, als beobachtete ich aus der Ferne, was ich tat … alles war wie von Wolken verhüllt. Ich ging hinein und sagte dem Mann, er solle mir das Geld geben, und sagte ihm, er solle sich auf den Boden legen, und dann erschoß ich ihn … Ich weiß, es ist alles geschehen, und ich weiß, ich hab’s getan, aber auf irgendeine Weise fühle ich mich dafür nicht verantwortlich.« Norman Mailer, Gnadenlos Er nannte sich einen »Outlaw«. Und Freddy Kuhlmann gebärdete sich auch so. Eben wie ein Gesetzloser. Ich kann nicht nach Regeln leben, die andere aufstellen. Dann muss derjenige sich zurückziehen. Zum Beispiel: Wenn ich besoffen Auto fahre, fahre ich besoffen Auto. Ist mir egal, ob es da ein Gesetz gibt oder nicht. Ich mach’ das dann einfach. Über die Folgen denke ich gar nicht nach, ist doch egal. Auch wenn ich mit Strafe rechnen muss: Ich mach’ das, wozu ich Lust hab’. Mit seinen 27 Jahren konnte er bereits auf eine beachtliche kriminelle Karriere zurückblicken: Zehnmal war er verurteilt worden, acht Haftstrafen hatte er absitzen müssen – wegen Diebstahls, Unterschlagung, Einbruchs, räuberischer Erpressung, schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung, aber auch immer wieder Drogen- und Verkehrsdelikten. Mit 15 war er erstmals geschnappt worden, dann immer wieder. Verurteilt und eingesperrt zu werden, schreckte ihn nicht. Seine Altersgenossen lernten in der Schule, er im Knast. Schule war für mich einfach nur scheiße, richtig scheiße. Ich hab’ mich immer gefragt, wofür ich lernen soll? Im Knast ist das anders. Da weiß man halt mehr. Jeder sitzt wegen was anderem, und dann gibt es einen Austausch. Wie kann man das und das noch besser machen und so. Wenn man im Knast ist, lernt man fürs spätere Leben – wenn man so weiterleben will. Ich hatte nie Probleme im Knast, das war okay so. Im September 2001 war er wieder einmal aus dem Gefängnis entlassen worden, gutgläubige und gutmütige Richter hatten ihm eine neuerliche Bewährungschance gegeben. Er aber wollte einfach nur frei sein von sozialen Normen, Verpflichtungen und Zwängen. Bedingungslos. Die haben doch ein langweiliges, unaufregendes Leben; weil die nichts erleben, sitzen den ganzen Tag auf der Arbeit, schaffen, schaffen, gehen nach Hause, dann springen da die Kinder rum und schreien, dann gibt’s auch noch Ärger mit der Frau. Abends kommt Fußball im Fernsehen, man trinkt Bier, und dann geht man auch schon wieder ins Bett. Das habe ich auch bei meinen Schwestern gesehen. Da kam der Schwager abends nach Hause, war total fertig und hat immer zu mir gesagt: Ich kann nich’ mehr, ich hab’ die Schnauze so voll! Da hab’ ich nur gedacht: Warum machst du auch so ’ne Scheiße? Kuhlmann war ein Vertriebener, ein Heimatloser, ein Entwurzelter, der sich einfach treiben ließ. Ich hab’ da mal ein Buch geschenkt bekommen, und zwar von Rüdiger Nehberg. Das fand ich toll, der war immer unterwegs und so. Ich fand das immer gut, wenn ich Leute getroffen habe und die erzählt haben, wo die schon überall gewesen sind und noch hin wollten. Leute, die mal da und mal da wohnen, nur das machen, wozu sie Lust haben, das find’ ich gut. Das ist auch besser. Ich bin so ein Nomade, das hat mir gefallen, war ja die meiste Zeit auch immer auf der Flucht, vor den Cops. Ich musste auch immer aufpassen, mich verstecken, das war anfangs auch schlimm. Aber nach einiger Zeit ging das ganz gut, Routine, aber auch immer wieder aufregend. Ich fand das interessant. Äußeres Erscheinungsbild und Lebensführung passten zu seiner inneren Einstellung: millimeterkurze Haare, »Hass«-Tätowierungen an Armen und Händen (Begründung: Das war damals so, eine tiefere Bedeutung hatte das aber nicht), schwarze Klamotten. Man hätte ihn auch leicht für einen »Skinhead« oder Rechtsradikalen halten können. Doch Politik interessierte ihn gar nicht. Meistens war er blank. Bei schönem Wetter schlief er unter freiem Himmel, häufig in leer stehenden Häusern, gelegentlich bei Bekannten oder, wenn mal Geld vorhanden war, in billigen Absteigen. Ich habe keinen Beruf gelernt, es auch nicht richtig versucht. Ich hatte irgendwie nie richtig Lust zu arbeiten. Das Einzige, was mir Spaß gemacht hat, war Kochen. Das habe ich auch zwei Jahre lang gelernt, aber nicht zu Ende gemacht. Ich wollte alles immer nur genießen. Das machen, wozu ich gerade Lust hab’, so ganz spontan. Und das habe ich dann auch immer gemacht. Damit war ich auch zufrieden. Dass ich oft kein Geld hatte, hat mich nicht gestört. Da hab’ ich eben wieder angefangen Geld zu machen, bin nach Holland gefahren, habe dort Drogen gekauft und hier wieder verkauft. Das ging ganz gut. Ich komme auch mit wenig aus. Am 5. April 2002 stand Kuhlmann wieder einmal vor dem Nichts. Er streifte durch Neuenhaus, eine 9.700 Einwohner zählende Gemeinde in der Grafschaft Bentheim, süd-westliches Niedersachsen, unweit der niederländischen Grenze. Bei seiner Halbschwester hatte er nicht unterkommen können, die hatte ihn mit drei Euro fortgeschickt. Mit seinen Eltern lag er im Dauerclinch, vor allem mit seinem Vater – also wurde er auch dort abgewiesen. Ich hab’ ja sogar meine Schwester schon beklaut gehabt. Ich hab’ bei Leuten, die mich mochten, immer so Sachen gemacht, dass ich dann nicht mehr zu denen zurückkonnte. Ich hatte dabei auch ein schlechtes Gefühl. Aber das war eben der Weg, den ich gehen musste. Es hatte sich eine Menge Frust bei ihm angesammelt. Ein paar alkoholisierte Jugendliche, denen er über den Weg lief, luden ihn ein mitzutrinken. Er trank regelmäßig. Alkohol hab’ ich immer schon getrunken, mit 14, 15 angefangen. Martini, Tequila, die härteren Sachen. Fast jeden Tag, soviel ich brauchte, dass ich besoffen war, dass ich aber immer noch alles geregelt bekommen habe, dass ich halt lustig war. Später habe ich jeden Tag getrunken, aber nicht bis ich total daneben war. Als ich in den Knast kam, hatte ich auch keinen Entzug. Auch in den folgenden Stunden stromerte er durch die Stadt, von Alkohol beseelt, aber bei klarem Verstand. Seine Lebenssituation war dramatisch, verzweifelt. Weil ich total am Ende war. Ich fühlte mich selber nur noch abgefuckt: nichts gebacken kriegen, dann noch die Krankheit, Hepatitis C. Keine vernünftigen Klamotten mehr gehabt, ich fühlte mich einfach nicht mehr wohl. Der Stress mit den ganzen Leuten. Das war vorher nicht so extrem. Ihm waren finanziell die Hände gebunden, die Armut zerrte aber auch an seinem Gemüt. Wenn es irgendwie weitergehen sollte, musste er etwas unternehmen. Zufällig stieß er auf die Bahnhofsgaststätte. Das passte. Und schon begann ein Entschluss zu reifen. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich brauchte Geld. Mir war jedes Mittel recht. Ich wollte den Wirt überfallen. Ich habe den ausgesucht, weil ich die Kneipe und den Wirt kannte. Privat nicht, aber so vom Sehen. Ich wollte den überfallen, die Kasse ausräumen, den außer Gefecht setzen und das Geld wegnehmen. Ich hatte schon Erfahrung, fünf oder sechs Raubüberfälle gemacht. Aber sonst war das Zufall, weil ich halt zu dieser Zeit da gerade in der Gegend war. Kuhlmann blieb zunächst vor dem Lokal stehen. Es erschien ihm noch zu früh. Er wollte die Gaststätte erst später als vermeintlicher Kunde betreten. Zugleich hoffte er, dass dann nur noch wenige Gäste anwesend sein würden, am besten niemand. Er hätte freie Bahn, der Wirt wäre ihm ausgeliefert. Also wartete er. Gegen 23.30 Uhr marschierte er schließlich los. Entschlossen stieß er die Tür zur Kneipe auf. Ich war mit dem Wirt allein, habe mit ihm geredet, am Tresen. Über Allgemeines, Rechtsradikale, Linksradikale. Ich hatte zu dem Zeitpunkt Glatze getragen. Irgendwann bin ich dann aufgestanden und habe gedacht: Jetzt ist die Zeit soweit. Das war instinktiv. Ich habe aber auch geguckt, wie die Gestik und Motorik war. Der war besoffen. Plötzlich war da dieser Gedanke, erst undeutlich, schemenhaft, dann nachdrücklicher werdend, Konturen annehmend – bis er schließlich in sein Bewusstsein platzte wie ein Orkan aus heiterem Himmel: töten! Dann bin ich hoch, um den Tresen rum und hab’ den plattgemacht: mit der Faust ins Gesicht, mit der Außenverse in die Kniekehle rein, dann so auf den Boden geschmissen, hab’ da so ’ne Pfanne stehen sehen, die genommen und draufgeschlagen, immer drauf auf den Kopf. Allerdings begnügte er sich nicht damit, sein Opfer nur zu überwältigen und wehrlos zu machen. Das ist ausgeartet. Der war schon fertig, hat sich nicht mehr bewegt. Ich aber immer wieder mit der Pfanne auf den Kopf geschlagen. Ich hab’ den Typ verflucht. Dann hab’ ich das Geld genommen und das Telefonkabel rausgerissen. Bin raus. Wie ich aus der Tür raus war, war ich wieder … bum … also ganz normal, ganz ruhig. An den Typ hab’ ich nicht gedacht. Mein Gedanke war nur: Hab’ ich jetzt das Licht ausgemacht oder nicht? Ich wollte möglichst viel Vorsprung haben und vermeiden, dass...


Stephan Harbort, 1964 in Düsseldorf geboren und dort lebend, Dipl. Verwaltungswirt, Kriminal-Hauptkommissar, langjähriger Lehrbeauftragter an der FH-Düsseldorf, anerkannter Serienmord-Experte. Berater von TV-Dokumentationen und Krimi-Serien. Weiteres unter www.stephan-harbort.de.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.