Hanslian | Stephan | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Hanslian Stephan

Fragment einer Leidenschaft
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86300-266-4
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Fragment einer Leidenschaft

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-86300-266-4
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Chemiker Dr. Rainer, das Alter ego des Autors Rudolf Hanslian, lernt 1940 auf dem Weg in den Sommerurlaub den Studenten Stephan kennen. Scheu und mit größter Vorsicht nähern sie sich einander an. Fernab des Kriegs und eingebettet in die idyllische Natur der Salzburger Alpen entwickelt sich eine einzigartige Liebesgeschichte. Stephans Liebe gibt Dr. Rainer die Kraft, auch von seiner Verurteilung wegen homosexueller Kontakte, seiner Zeit im Gefängnis und seiner zunehmenden Entfremdung von den Nazis zu erzählen.

Der hier erstmals publizierte Roman aus den Jahren 1940/41 ermöglicht einen originellen Einblick in die Welt des pädagogischen Eros und eine schwule Liebe im Hitler-Deutschland. Darüber hinaus eröffnet er einen völlig neuen Blick auf eine kontroverse Persönlichkeit der deutschen Zeitgeschichte.

In seinem Nachwort ordnet Detlef Grumbach die Persönlichkeit Hanslians und den Roman – auf Grundlage seiner Publikationen, der Prozessakten und Tagebücher – in ihren zeithistorischen Kontext ein.

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1. Denkwürdige Begegnung
In früher Morgenstunde eines Junitages des bewegten Jahres 1940 entstieg der Doktor Rolf Rainer dem restlos belegten Schlafwagenzuge, den er am Abend zuvor im heißen Berlin unlustig und missgestimmt betreten hatte, und atmete, befreit von der bedrückenden Enge, die frische Luft Münchens in tiefen Zügen ein. Nachdem er seinen Handkoffer einem der wenigen Gepäckträger überantwortet, wandte er sich in der ihn stets etwas altväterlich anmutenden Bahnhofshalle nach links und erreichte mit wenigen Schritten das Hotel, in dem er sich als ein seit vielen Jahren häufiger und somit wohlbekannter Gast nach kurzen Aufnahmeformalitäten bald mit seinem Koffer in einem ihm vertrauten Zimmer des zweiten Stocks vereint sah. Er vervollkommnete unverzüglich die nur flüchtige Morgentoilette, zu der ihn eine Stunde zuvor die Beengung des Schlafwagens genötigt, wechselte die Kleidung und erschien kurz danach in der kleidsamen, luftigen Tracht des Gebirglers, die ihn für die bayerische Metropole unauffällig, wenn nicht gar ihr zugehörig erscheinen ließ, in dem geräumigen Frühstückssaal des Erdgeschosses, wo er an einem unbesetzten Tische seinen Platz einnahm. Ein Blick aus dem Fenster belehrte ihn, dass ein sonniger Tag zu erwarten stand. So beeilte sich der Doktor mit der Einnahme seiner durch die vorgeschriebene und hier auch peinlich verlangte Abgabe von Essmarken aller Art beschnittenen und somit etwas frugalen Mahlzeit und verließ nach ihrer Beendigung sofort das Hotel in östlicher Richtung. Eine Zigarre rauchend, schlenderte er über Karlstor, Neuhauser – und Kaufinger Straße allmählich dem Marienplatz zu. Der sonst so lebhafte Straßenverkehr des «Etappenhauptortes der Bergsteigergilde» – wie Rainer in Erinnerung an seine Kriegsjahre München zu nennen liebte – war recht spärlich. Das männliche Element zwischen zwanzig und dreißig Jahren fehlte nahezu völlig und trat lediglich als uniformierter Waffenträger des nationalsozialistischen Deutschlands in Erscheinung. Auch die weibliche Jugend war rar, denn auch sie, die sonst in ihren bunten Trachten das Straßenbild farbig belebte, war zum großen Teil «erfasst» und gemeinnütziger Arbeit zugeführt worden, die sie einer zwanglosen sommerlichen Erholung in den Bergen fern hielt. So erschien dem schreitenden Betrachter das Bild des ersehnten Münchens, dieser Stadt von Anmut und schwer vergessbarem Zauber, von der er sich auch in diesem Jahr als Auftakt zu seiner Ferienreise gleichzeitig Entspannung und Anregung und im weiteren Verlauf einer wohltuenden Einwirkung Geborgenheit und Frohsinn versprochen hatte, ausgesprochen dürftig und schal. Diese erste Enttäuschung auf seiner Ferienreise traf den Doktor Rainer schwer; sie war nicht geeignet, den Missmut in seinem Inneren, der ihn bereits bei der Abreise befallen hatte, zu beseitigen. Stark beeindruckt, ja bedrückt durch den Krieg, in den sein geliebtes Deutschland erneut geraten war, hatte er sich erst nach längerem inneren Widerstreben zu dieser Reise entschließen können und suchte sich nun immer wieder mit der Frage auseinanderzusetzen, ob er wohl richtig gehandelt habe. Eine solche Zwiespältigkeit im Inneren war seinem Wesen fremd und ungewohnt, und während er am Marienplatz in die Dienerstraße einbog, versuchte er im Weitergehen die unerwünschte Unsicherheit seines Gefühls zu analysieren, ohne jedoch zu irgendeinem anderen Ergebnis als zu dem einer verstärkten inneren Unlust zu gelangen. So erreichte er allmählich Residenzstraße und Max-Joseph-Platz, der ihm den Blick auf Nationaltheater und Maximilianstraße hinunter bis zum Maximilianeum freigab. Leicht entspannt begrüßte er das ihm wohlvertraute, ansprechende Bild und stellte mit besonderer Befriedigung eine durchaus geglückte farbige Erneuerung des Giebelbildes über der von acht korinthischen Säulen getragenen Vorhalle des Theaters sowie eine gleichartige Auffrischung im hallenartigen Flügelbau der benachbarten Hauptpost fest, wobei ihn namentlich das gut wiedergegebene pompejanische Rot um die Rossebändigergruppen anzog und einen blitzschnellen Gedankenflug zu einer Ruinenstadt am blauen Meer und zu einem rauchenden Berg auslöste, eine Regung, die er insofern begrüßte, als ihm ihre Verwirklichung unter den obwaltenden beengenden Verhältnissen unausführbar, aber gerade darum reizvoll, ja abenteuerlich erschien. «Abenteuerlich?» – hatte dieses Wort für ihn nicht von jeher einen lockenden Klang gehabt, und war er ihm nicht immer wieder in allen Stadien seines wechselvollen, arbeitsreichen Lebens verfallen? – Was war denn schließlich auch diesmal seine trotz aller Unschlüssigkeit und Bedenken letzten Endes doch vorhandene Reiselust, sein Bergfieber anderes als abenteuerliche Regung? Die Lust am Abenteuer war zweifellos ein Produkt des Blutes und keineswegs nur ein Vorrecht der Jugend. Jedenfalls konnte er mit zunehmenden Jahren – im Frühjahr hatte er seinen 50. Geburtstag begangen – keinerlei Abnahme dieser Neigung bei sich verspüren, allerdings wohl dank seiner vortrefflichen Konstitution, die er sich trotz vier Kriegsjahren an der Front und klimatischer Beeinflussungen verschiedener strapaziöser Zonen zu erhalten verstanden hatte. In jedem Falle beruhte das Wort «abenteuerlich», wenn man es zutreffend charakterisieren wollte, auf zwei Voraussetzungen: es traf zu auf eine «ungewöhnlich spannende» und gleichzeitig «gefahrvolle» Situation, aber fehlte hier nicht zur eindeutigen Begriffsbestimmung noch ein drittes Wort, das eigentliche Charakteristikum für eine solche prekäre Lage? – Der schrille Klingelton eines Radfahrers, der von rechts kommend einbog und wenige Schritte vor dem grübelnden Spaziergänger die Perusastraße herabrollte, klang auf. Unmittelbar vor sich erblickte der Doktor zwei schöngeformte braune Schenkel und Knie, zwei gleichgetönte, sehnige Arme und darüber das lachende Gesicht eines etwa 18-jährigen jungen Mannes, von dem er im Fluge nur zwei strahlend blaue Augen unter blondem Haarbusch erkennen konnte. Auch des Doktors Züge entspannten sich bei dem ihn nur kurz streifenden schalkhaften Blick des Jünglings zu einem Lächeln, und während er in den dunklen Gang des «Franziskaner Bräus» eintrat, fiel ihm jetzt auch das bisher vergeblich gesuchte charakteristische Beiwort für die Definition «abenteuerlich» ein: es lautete «abseitig». – Während seines Mittagmahles, dessen allzu frühzeitige Einnahme bei den bereits recht begrenzten Vorräten der Speisehäuser dem Reisenden geraten schien, entwarf dieser das weitere Programm seines nur eintägigen Münchener Aufenthaltes und entschloss sich in Anbetracht der mangelhaften Nachtruhe im Schlafwagen zu einer Siesta in seinem Hotelzimmer und anschließender Jause im Hofgarten. Ein Spaziergang im Englischen Garten, wo er die Bombeneinschläge der englischen Flieger, die in der vergangenen Nacht München heimgesucht hatten, besichtigen würde, sollte ein weiterer Programmpunkt sein, und über den Abend würde er noch befinden. Irgendetwas Besonderes kam hierfür kaum in Frage, da seine morgige Weiterreise ein frühes Aufstehen verlangte. Somit ein Tag ohne Emotionen und Sensationen, ohne Beschwingtheit und Beeindruckung, angemessen der persönlichen Einstellung zur gesamten Situation, sagte sich der Doktor, als er das Mahl beendet hatte. Die aufkeimende Regung eines Vorwurfs, dass diesmal eine stille Huldigung vor dem Ägina-Fries in der Glyptothek unterbleiben würde, fand ihre schnelle Beschwichtigung in der Überlegung, dass dieser unersetzliche Schatz Münchens sicherlich abtransportiert oder aber in anderer Weise der Wirkung feindlicher Fliegerangriffe entzogen und somit auch nicht zu besichtigen sei. Demnach stand der Durchführung des nüchternen Tagesprogramms nichts im Wege, und wir können seine Abwicklung getrost unserem Reisenden selbst überlassen, ohne ihn dabei auf Schritt und Tritt zu begleiten. Zu verzeichnen wäre lediglich ein Kopfschütteln des Doktors bei seiner Besichtigung der kleinen Sprengtrichter britischer Fliegerbomben am Chinesischen Pavillon. Die herumstehenden Münchener nannten diese Einschläge geringschätzig «Löcher», und ein Halbwüchsiger äußerte sich sachverständig dahin, dass «unsere» Fliegerbomben hundertmal größere Löcher machten. Auf die Rückfrage eines gesetzten Bürgers mit Ordensschnalle und Spitzbauch, an welcher Front er denn diese seine Erfahrungen gemacht hätte, antwortete der Bengel «Im Kino» und löste mit diesem Eingeständnis helles Gelächter im Publikum und sichtliches Missfallen bei dem Weltkriegsteilnehmer aus. Äußerlich völlig unbeteiligt hatte Rainer dies alles mitangehört und war nach dem bereits verzeichneten Kopfschütteln, das nicht erkennen ließ, ob es den Bombentrichtern oder der beigewohnten Erörterung galt, wortlos gegangen. Die heiße Nachmittagssonne legte ihm nunmehr den Gedanken nahe, den hereinbrechenden Abend mit einem kühlen Trunke im Hofbräuhaus zu begrüßen. Die unteren Räume des berühmten Bräus, die Doktor Rainer zunächst betrat, boten das altgewohnte Bild regen Zuspruchs. Zwar waren Fremde nur spärlich zu entdecken, aber die Einheimischen schienen ihrem breiten, behaglichen Gehaben nach nicht gewillt, sich in dem ergiebigen Genuss schäumender Maße, die von umfangreichen Kellnerinnen hurtig und vehement herangeschleppt wurden, durch die Kriegsereignisse irgendwie stören zu lassen. Alle Bänke waren vollbesetzt, und erst nach längerem Umherirren fand der Doktor schließlich Platz an einem Tische unter der offenen Vorhalle des Hofes und ließ sich dort mit kurzem Gruß nieder. Auf die ungezwungenen Gepflogenheiten dieser Gaststätte eingehend, sah er sich bald von seinen Tischgenossen, rundschädligen Bürgern von gedrungenem, kurvenreichem Habitus, ins Gespräch gezogen und fesselte...


Rudolf Hanslian (1883 – 1954) war an den deutschen Giftgas-Einsätzen im Ersten Weltkrieg beteiligt, wurde zum international geachteten, für die Reichswehr aktiven Experten auf dem Gebiet des chemischen Kriegs und leitete 1931 bis 1937 die Zeitschrift "Gasschutz und Luftschutz".

Schon 1924 publizierte er unter Pseudonym in der "Freundschaft", 1936 wurde er Opfer einer Erpressung und 1937 nach § 175 verurteilt. Seinen Anfang der 1940er Jahre verfassten Roman "Stephan" versuchte er – unter Pseudonym - nach 1945 vergeblich zu publizieren.

1949 wurde er zum Herausgeber der "Apothekerzeitung" berufen. Er war auch Mitherausgeber der "Chemiker-Zeitung" und der Zeitschrift "Ziviler Luftschutz". Seine Homosexualität und die Verurteilung nach § 175 werden erst mit der Veröffentlichung seines Romans öffentlich.



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