E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Hansen Die Männer vom Meer
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-98633-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Wikinger Roman
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-492-98633-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Konrad Hansen, 1933 in Kiel geboren, studierte Germanistik, Philosophie, Theologie und Volkswirtschaft und lebt heute bei Flensburg. Er war Rundfunkredakteur, Reporter, Abteilungsleiter bei Radio Bremen und Intendant des Ohnsorg-Theaters in Hamburg. Hansen schrieb Erzählungen, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und die Romane »Der Spaßmacher«, »Die Männer vom Meer«, »Simons Bericht«, »Die Rückkehr der Wölfe« und »Der wilde Sommer. Roman aus dem Jahr 1945«.
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Die Stadt lag auf einer sanft geneigten Ebene an einem sich nach Süden erstreckenden Seitenarm der Förde, Sie war von einem halbkreisförmigen Walt umgeben, der ihr mitsamt einem vorgelagerten Wassergraben und einer Reihe mächtiger Pfähle, die man außerhalb des Hafens in das seichte Wasser gerammt hatte, Schutz vor Überfällen bot. In ihrer Mitte wurde die Stadt von einem Bach durchflossen, der die Anlage der Straßen bestimmte: Entweder verliefen sie in derselben Richtung wie et, oder sie führten im rechten Winkel auf ihn zu. Die Häuser standen so nahe beieinander, dass ihre Dächer sich fast berührten und zwischen ihnen kaum Platz genug für einen schmalen, mit Bohlen belegten Durchgang blieb. Sie waren allerdings von unterschiedlicher Größe: Einige Häuser nahmen doppelt oder dreifach soviel Raum ein wie die anderen und waren zudem noch von einem Zaun aus Weidenflechtwerk umgeben. Diese gehörten Händlern, die dort ihre Waren lagerten, oder Männern, die ihrem Ansehen ein weiträumiges Haus schuldig zu sein glaubten. Zwei Gebäude jedoch übertrafen selbst diese noch an Größe: die Kirche des Bischofs und das Haus, in dem der König wohnte, wenn er die Stadt besuchte.
In ihrer Ausdehnung war die Stadt nicht viel größer, als Björn sie sich vorgestellt hatte. Aber nie hatte er geglaubt, dass so viele Häuser innerhalb des Walles Platz finden würden. Und noch mehr erstaunte ihn die Zahl ihrer Bewohner. Während des Sommers herrschte in den Straßen und Gassen bisweilen ein solches Gedränge, dass es unmöglich war, einen Schritt zu tun, ohne jemanden anzurempeln.
In den ersten Monaten bekam er jedoch wenig von der Stadt zu sehen. Vagn verbot ihm, sein Haus zu verlassen, das nahe der Stelle lag, wo der Bach in einer Röhre durch den Wäll floss. Nach starken Regenfällen trat der Bach über die Ufer und ergoss sich in Vagns Hütte, Dann füllte sie sich mit dem beißenden Qualm des erlöschenden Herdfeuers, und der Lehmboden verwandelte sich in klebrigen Schlamm. Vagns Hütte bestand nur aus einem Raum; zu beiden Seiten der Feuerstelle waren Felle ausgebreitet, auf denen Vagn und seine Frau am Tage saßen und nachts schliefen, Björn. bekam ein Strohlager im hinteren Teil der Hütte zugewiesen, wo es kalt und dunkel war.
Wie Vagns Frau hieß, erfuhr Björn nicht, denn Vagn nannte sie nie beim Namen. Sie war noch kleiner als Björn und an den Hüften nicht breiter als Vagns Oberarm, doch sie hatte eine Art, ihren Mann aus schmalen Augenschlitzen anzufunkeln, dass dieser ihr ohne Murren gehorchte. Sobald sie aber aus dem Haus gegangen war, pflegte Vagn auf Björn einzudreschen, als wolle er ihn dafür strafen, dass er Zeuge seiner Erniedrigung geworden war. Besonders grausam konnte er sein, wenn seine Frau ihn in der Nacht abgewiesen hatte und er sich schnaufend selbst Erleichterung verschaffen musste. Dann kam es vor, dass er Björn durch das Rauchloch im Giebel hob und ihn dort hängen ließ, bis seine Kräfte erlahmten und er ins Feuer fiel. Zum ersten Mal in seinem Leben erfuhr Björn, was es heißt, einen Menschen zu hassen, und er schwor sich, es Vagn eines Tages heimzuzahlen.
Zu Beginn des Sommers, als die Zeit der Sklavenmärkte kam, forderte Vagns Frau ihren Mann auf, Björn zu verkaufen. Einer, der selbst von der Hand in den Mund lebe, könne sich keinen Sklaven halten, meinte sie, und wenn dieser auch nur Abfälle zu essen bekäme, sei es nützlicher, an seiner Stelle ein Schwein zu mästen.
Diesmal schien es Vagn schwerer als sonst zu fallen, seiner Frau zu gehorchen. Er wandte ein, zur Zeit sei es mit der Nachfrage noch schlecht bestellt, daher werde sich kein guter Preis erzielen lassen. Aber als seine Frau ihn eine Weile unverwandt angeblickt hatte, fügte er sich und brachte Björn, nachdem er ihm zuvor die Hände auf dem Rucken zusammengebunden hatte, zum Hafen hinunter.
Dort, auf einer freien Fläche zwischen einem Lagerhaus und einer Schiffswerft, fand der Sklavenmarkt statt.
Es war der erste Markt in diesem Jahr. Noch waren die großen Sklavenhändler nicht mit ihrer Beute aus fernen Ländern heimgekehrt, und deshalb musste man mit jenen vorliebnehmen, die entweder aus eigenem Antrieb in die Stadt gekommen waren, weil sie die Knechtschaft dem Hungertod vorzogen, oder die man bei Überfällen auf wendische Dörfer gefangen genommen hatte. In der Mehrzahl waren es junge Männer und Frauen, aber Björn sah unter ihnen auch Kinder, die paarweise aneinandergekettet waren und für den Preis eines Erwachsenen feilgeboten wurden.
Einige Männer gingen zwischen den Sklaven umher, befühlten hier einen Arm, dort eine Brust, verlangten von diesem, die Zähne zu sehen, von jenem, dass er sich nackt ausziehe, jungen Frauen steckten sie einen Finger in die Scheide, um festzustellen, ob sie noch Jungfrauen waren, aber die Erwartung eines größeren und reichhaltigeren Angebots dämpfte ihre Kauflust merklich. Wenn sie den Preis erfragten, bedachten sie die Antwort meist mit einem spöttischen Lächeln. Schließlich kaufte einer der Männer einen kräftigen Jüngling für die Hälfte dessen, was sein Besitzer anfangs verlangt hatte. Und als sich Vagn mit seinem Sklaven, der kaum eines Blickes gewürdigt worden war, schon auf den Heimweg machen wollte, fand sich auch für Björn ein Käufer.
Er war von gedrungener Gestalt; über seinem kugelförmigen Bauch spannte sich ein abgewetzter Kittel. Sein Kopf war fast kahl, nur hinter den Ohren hingen einige sorgfältig geflochtene Haarsträhnen. Er sah nicht aus wie einer, mit dem ein gutes Geschäft zu machen war. Doch Vagn begegnete ihm mit Achtung und, sprach zu ihm in Wendungen, die unter seinesgleichen nicht üblich waten.
»Ich preise meinen Sklaven nicht an, denn wie Swain selber sieht, ist et schwächlich und viel zu klein für sein Alter«, sagte Vagn. »Wenn. Swain ihn aber trotzdem haben will, soll das Geschäft am Preis nicht scheitern.«
»Wie heißt du?«, fragte der Mann, der Swain hieß.
Björn sagte ihm seinen Namen und dass er Bosis Sohn sei.
»Ich nenne ihn Hasenscharte«, warf Vagn beflissen ein. »Und Swain wird mir zustimmen, dass ein Sklave nicht den Namen eines freien Mannes tragen sollte.«
»Ich gebe dir eine Mark Silber für ihn«, sagte Swain, nachdem er nachdenklich eine seiner Haarsträhnen gezwirbelt hatte.
»Könnte Swain möglicherweise noch einen Kamm dazulegen?«, fragte Vagn, ohne sich, wie es schien, Hoffnung auf eine zustimmende Antwort zu machen. »Es fiele mir dann leichter, mich von diesem zwar kleinwüchsigen, ansonsten aber ganz brauchbaren Sklaven zu trennen.«
»Ich bin kein Händler, wie du weißt«, entgegnete Swain. Er wog eine Mark Silber ab und legte die Münzen in Vagns bereitwillig dargebotene Rechte.
»Einem anderen hätte ich mehr abverlangt«, sagte Vagn. »Wie ich Swain kenne, wird er das zu würdigen wissen.«
Darauf erwiderte Swain nichts. Er band Björn die Hände los und ging davon.
Vagn sagte: »Ich bin dir vielleicht kein guter Herr gewesen, aber glaub mir, es gibt schlechtere als mich, und wie du es bei Swain haben wirst, bleibt abzuwarten.« Björn sah Vagn an, bis dieser den Blick senkte. Dann folgte er seinem neuen Herrn, der, ohne sich nach ihm umzublicken, auf sein Haus zuging. Es lag in jenem Teil der Stadt, wo die Handwerker wohnten, und war in drei Räume unterteilt, von denen der größte als Werkstatt diente.
Swain war Kammmacher. Wie Björn bald erfahren sollte, genoss er als solcher ein Ansehen, das sich mit dem der Silberschmiede, Bootsbauer und Holzschnitzer messen konnte. Seine kunstvoll verzierten Kämme hatten ihn weithin berühmt gemacht, und es wurde erzählt, dass Bischof Horath sich seine Pfründe nur dadurch zu erhalten wusste, dass er der Kaiserin zu jedem Namenstag eine von Swain angefertigte Haarnadel überreichen ließ.
An den Wänden seiner Werkstatt hingen Hirschgeweihe und Tierknochen, aus denen er Kamme und Haarnadeln, aber auch Messergriffe, Würfel und Spielsteine schnitzte. Diese Arbeit verrichtete Swain ganz allein, obwohl seine Einkünfte es ihm erlaubt hätten, sich mehrere Gehilfen zu halten. Doch Swain liebte es zwar, Geld einzunehmen, gab es aber ungern wieder her. Es hieß, dass er wahre Schätze an Gold- und Silbermünzen unter dem Holzfußboden seiner Werkstatt horte und dass ihr Anblick ihm größere Freude bereite als ein Lob aus königlichem Mund. Doch Swain kümmerte sich nicht darum, was die Leute über ihn sagten. Er saß von Sonnenaufgang bis zum Dunkelwerden in seiner Werkstatt, immer mit demselben Kittel bekleidet, in dem er auch schlief und auf den Markt ging, er aß trockenes Brot und trank etwas Bier dazu, er wusch sich selten das Gesicht und seinen Körper nie – aber seine Kämme schmückten die Häupter von Königinnen.
Seit Swains Frau Gerlög ihn wegen seines Geizes verlassen hatte und zu einem Fischer gezogen war, lebte Swain mit einer Sklavin zusammen, die er Nanna rief, weil er sich ihren wirklichen Namen weder merken noch ihn aussprechen konnte. Nanna hatte langes schwarzes Haar, das im Sonnenlicht bläulich schimmerte, und Augen, die Björn von unergründlicher Tiefe zu sein schienen. Sie war so schön, dass Björn erschrak, als er sie zum ersten Mal sah, und auch späterhin überlief ihn manchmal ein Zittern, wenn sie unversehens vor ihm stand. Björn sollte noch vielen schönen Frauen begegnen, aber es war keine unter ihnen, deren Schönheit die Erinnerung an Nanna verblassen ließ.
Sie führte Swain den Haushalt und war seine Geliebte. Er beschlief sie jeden dritten Abend, nachdem er seine Arbeit getan hatte, Björn hörte Nannas Stöhnen durch die aus Weidenruten geflochtene Wand, sie flüsterte Worte in einer fremden Sprache, und wenn es ihr kam, stieß sie einen Schrei aus, der ihn wie ein Peitschenhieb traf. Von Swain dagegen vernahm Björn nur ein tiefes...