Hankins | Brothers and Bones - Blutige Lügen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Hankins Brothers and Bones - Blutige Lügen

Thriller
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-492-96957-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

Thriller

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-492-96957-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Danke, Wiley.« Vier Silben, die das Leben des jungen Staatsanwalts Charlie Beckham von Grund auf verändern. Denn den Spitznamen, bei dem ihn der Obdachlose in der U-Bahn nennt, kannte nur einer - sein Bruder Jake. Der investigative Journalist verschwand vor vielen Jahren spurlos. Weiß der Fremde, was damals mit ihm passierte? Ist Jake vielleicht sogar noch am Leben? Charlies Suche führt ihn in die finstersten Gassen Bostons, denn nur die skrupellosesten Männer der Stadt können ihm Antworten auf all seine Fragen geben ...

James Hankins wuchs in New Jersey auf und hat als Drehbuchautor gearbeitet, ehe er sich nach seinem Jurastudium als Anwalt in Boston niederließ und für eine der größten Anwaltskanzleien der USA arbeitete. Mittlerweile widmet er sich ganz dem Schreiben sowie der Erziehung seiner Zwillingssöhne.

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EINS
Manchmal kommt es mir so vor, als wäre meine persönliche kleine Welt in einer von diesen Schneekugeln eingeschlossen, in denen, wenn man sie schüttelt, dicke weiße Flocken um einen Miniatureiffelturm wirbeln. Hin und wieder nimmt das Schicksal meine Kugel in seine mitleidlosen Finger, schüttelt sie energisch und entfesselt einen Schneesturm, der mich benommen und beinahe atemlos zurücklässt. Das ist mir in meinen sechsunddreißig Lebensjahren drei Mal widerfahren, und jedes Mal wusste ich, nichts würde wieder so sein wie zuvor. Beim ersten Mal war es eine leere Fried-Chicken-Schachtel. Sie tötete meine Eltern. Auf tragische Weise absurd, ich weiß. Ich erkläre es später. Beim zweiten Mal war es ein Telefonat, das ich nicht einmal selbst führte. Dennoch veränderte dieser Anruf den Verlauf meines Lebens drastisch. Als das wütende Schneegestöber zum dritten Mal durch meine Welt fegte, da begann es mit zwei kleinen Wörtern. Nur vier Silben, und sie trafen mich völlig unvorbereitet. Danach war ich verwirrter denn je. Und auch diesmal wurde mein Leben unwiderruflich verändert. Ich war damals Assistant United States Attorney und unterwegs zur Arbeit am wichtigsten Tag meiner Karriere. Als Angehöriger der Organized Crime Strike Force Unit, der Sondereinheit Organisiertes Verbrechen, war ich darauf spezialisiert, Mafiosi vor Gericht zu bringen – ein Bombenjob, den ich mit Leidenschaft ausfüllte. An jenem Morgen war ich unterwegs zur Eröffnung des größten Prozesses meiner bisherigen Karriere: des Prozesses gegen einen Vizechef der russischen Mafia namens Vasily »The Red« Redekov. Hinter dem Kerl waren wir seit Jahren her, und nun sah es so aus, als könnten wir ihn endlich festnageln. Und ich war der Anklagevertreter. Elf Jahre harte Arbeit als Jurist lagen hinter mir, und das war eine unglaubliche Chance. Mein Eröffnungsplädoyer vor dem Richter und der Jury war für Punkt acht Uhr dreißig angesetzt, und das Plädoyer der Verteidigung sollte darauf folgen. Da dies für die Bundesstaatsanwaltschaft ein so wichtiger Prozess in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Massachusetts war, saß U.S. Attorney Andrew Lippincott, der oberste Bundesstaatsanwalt für Massachusetts und mein oberster Boss, an diesem ersten Tag mit mir am Tisch der Anklagevertretung, um das Verfahren mitzuverfolgen. Kurz: Es stand viel auf dem Spiel – für mich, für unser Amt und für das Wohl der Menschen in unserem Bundesstaat. Es war kein guter Tag, um zu spät zur Arbeit zu kommen. Vermutlich hätte ich also nicht ausgerechnet an diesem Morgen in meinem kleinen Lieblingscafé am Kendall Square in Cambridge frühstücken sollen, was ich mindestens einmal pro Woche tat. Aber ich hatte in der Nacht nicht schlafen können. Um halb vier Uhr morgens war ich hellwach, ging im Kopf die Beweisführung durch und feilte an dem Eröffnungsplädoyer, das ich in wenigen Stunden halten musste. Und da beschloss ich, dies lieber bei einem Espresso zu tun, anstatt dabei an die Decke zu starren und auf das Läuten des Weckers zu warten. Also stand ich auf, duschte, zog meinen besten Anzug und die schicke gestreifte Krawatte an, die meine Freundin mir zu Weihnachten geschenkt hatte, und fuhr mit der U-Bahn die eine Haltestelle nach Cambridge. Großer Fehler, wie sich erwies. Als ich nach dem Frühstück zurückwollte, war es brechend voll in der Kendall Station. An diesem Tag, an dem ich es mir am allerwenigsten leisten konnte, zu spät zur Arbeit zu kommen, schob ich mich also inmitten von Pendlern die Treppe hinab zum Bahnsteig. Als schrilles Quietschen eine einfahrende U-Bahn ankündigte, wurde es hektisch. Die Pendlermeute drängte zur Bahnsteigkante, ich mittendrin. Eine quäkende Frauenstimme meldete über Lautsprecher, die Züge hätten Verspätung. Als die Türen sich mit einem Zischen öffneten, ließ ich mich mitziehen, doch ich wusste, dass ich nicht mehr hineinpassen würde. Und tatsächlich glitten die Türen schon nach wenigen Trippelschritten wieder zu. Ich sah auf die Uhr. Noch sechsunddreißig Minuten bis zu den Eröffnungsplädoyers. Ich hatte keine Ahnung, wann die nächste Bahn kommen würde, aber in jedem Fall hatte ich eine fünfzehnminütige Fahrt und einen strammen Siebenminutenlauf von der U-Bahn-Station bis zum Gericht vor mir. Ich konnte es schaffen. Vielleicht. Natürlich würde die Jury den Kerl nicht freisprechen und Feierabend machen, bloß weil ich zu spät käme, doch es wäre ein lausiger Einstieg in den dreiwöchigen Prozess, wenn ich gleich zu Anfang Richter und Jury vor den Kopf stieße und zugleich mangelnde Professionalität bewiese. Und bei meinem Chef würde ich damit auch keine Pluspunkte sammeln. Während ich nervös mit dem Fuß auf den Boden klopfte und auf den nächsten Zug wartete, auf allen Seiten dicht umringt von ungehaltenen Morgenmuffeln und in Gedanken wieder bei meiner juristischen Argumentation, bemerkte ich einen sehr starken, sehr unangenehmen Geruch. Ich erkannte darin sofort den durchdringenden, muffigen Geruch der Penner – Schweiß, Urin, Schmutz. Der Geruch kam aus nächster Nähe, und zwar von rechts. Ich tat, was die meisten Menschen in dieser Situation tun: Ich ignorierte sowohl den Geruch als auch seinen Besitzer und blickte stur geradeaus, doch als ich kurz darauf ein Klimpern hörte, sah ich nach unten, wo sich ein schmutziger Styroporbecher von Dunkin’ Donuts in mein Sichtfeld schob, umklammert von einer schmutzigen Hand, die, wie mir auffiel, nur vier Finger besaß. Der kleine Finger fehlte, nur ein glatter Stumpf war davon übrig. Die restlichen Finger waren knorrig. Erneut wurde der Becher geschüttelt, und ein paar Münzen klimperten darin. Durch das Schütteln schien sich eine ganze Wolke des widerlichen Gestanks zu erheben und stieg mir in die Nase. Der Magen drehte sich mir um, und einen heiklen Augenblick lang befürchtete ich ernsthaft, ich könne mein halb verdautes Sandwich auf der Anzugsjacke vor mir deponieren. Niemand in meiner Nähe machte Anstalten, Geld in den Becher des Mannes zu werfen. Ich konnte es den Leuten nicht verdenken. Auch ich gebe Obdachlosen normalerweise kein Geld. Ich tue das nicht aus Prinzip, ich habe einfach nie viel Kleingeld bei mir. Ich mag es nicht, wenn es in meiner Tasche herumfliegt. Aber an diesem Morgen hatte ich auf dem Bürgersteig einen Vierteldollar gefunden und ihn aufgehoben, weil ich gedacht hatte, dies könne ein Zeichen sein, dass es ein guter Tag werde. Wie sich herausstellen sollte, war dem nicht so. Ein fernes Rattern hallte aus der Dunkelheit des U-Bahn-Schachts. Manche positionierten sich dort, wo sich ihrer Einschätzung nach die Türen öffnen würden. Der Becher vor mir wurde erneut geschüttelt. Da der Zug gleich einfahren würde, riskierte ich nun doch einen genaueren Blick auf den Mann, und ich erkannte ihn. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, genauer gesagt, viele Male, in U-Bahn-Stationen überall in Boston. Er war wie immer in mehrere Schichten Lumpen gekleidet, die er wahrscheinlich in Mülltonnen gesammelt hatte. Er trug einen fleckigen, abgewetzten Mantel über einem verdreckten, ausgeblichenen Harvard-University-Sweatshirt. Die fettigen dunklen Zotteln fielen ihm bis über die Schultern. Die schorfigen Lippen waren in dem dichten, verfilzten Bart, der die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte und ihm bis auf die Brust hing, kaum zu erkennen. Auch die obere Hälfte seines Gesichts konnte ich nicht gut sehen, teils weil er sich sehr gebeugt hielt, als drückten ihn hundert unsichtbare Hände zu Boden, teils aber auch, weil er das Gesicht von mir abgewandt hielt, als suchte er auf dem Boden ein Stück rechts von sich nach Münzen. Obwohl er ein paar Zentimeter größer als ich war – er mochte knapp eins neunzig sein –, ließ seine gebeugte Haltung ihn kleiner erscheinen. Er schwieg, was, wie ich wusste, ungewöhnlich für ihn war. Ich hatte ihn, wie gesagt, schon oft gesehen, und still war er nur selten. Meistens stieß er einen Wortschwall aus, aus dem niemand außer vielleicht er selbst schlau wurde. Manchmal schrie er Passanten Obszönitäten zu. Bei anderen Gelegenheiten knurrte er sie nur an. Einmal hatte ich ihn wütend mit einem Gesicht auf einer Reklametafel streiten sehen. Doch heute war er still. Und vielleicht war ich ja verrückt, aber unvermittelt hatte ich das deutliche Gefühl, dass er mich beobachtete, und zwar sehr aufmerksam. Je lauter das Rattern des Zuges wurde, desto stärker wurde auch eine wohlvertraute Empfindung: jenes Gefühl, das mich häufiger überkam, als mir lieb war, ein Kribbeln im Nacken, als würde mich ein ganzer Schwarm winziger Mücken stechen. Beobachtete er mich? Natürlich nicht. Wirklich nicht. Wäre Dr. Fielding jetzt hier gewesen, hätte er es mir bestätigt. Aber nun wollte ich unbedingt einen genaueren Blick auf das Gesicht dieses Mannes werfen. Ich hatte noch nie so lange so dicht neben ihm gestanden. Während der Zug mit einem durchdringenden, lang anhaltenden Kreischen von Metall auf Metall langsam zum Stehen kam, kramte ich den Vierteldollar aus meiner Tasche und bückte mich, um dem Mann ins Gesicht zu sehen. Aber in dem Moment gingen schon die Türen auf, und die Pendler drängten vor. Ich ließ die Münze in den Becher fallen und wurde auch schon weitergeschoben. Ich verrenkte mir den Hals, um doch noch einen Blick auf die Augen des Mannes zu erhaschen. Und da geschah es. Während ich von der menschlichen Flut in den Zug gespült wurde, hörte ich den Obdachlosen mit einer Stimme, die rau wie Haifischhaut war, sagen: »Danke, Wiley.« Sicher ertönte genau in diesem Augenblick ein schriller Signalton – denn der ertönte immer, kurz bevor die Türen sich schlossen. Zweifellos...


Hankins, James
James Hankins wuchs in New Jersey auf und hat als Drehbuchautor gearbeitet, ehe er sich nach seinem Jurastudium als Anwalt in Boston niederließ und für eine der größten Anwaltskanzleien der USA arbeitete. Mittlerweile widmet er sich ganz dem Schreiben sowie der Erziehung seiner Zwillingssöhne.



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