Hanke | Die Engelmacherin von St. Pauli | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 242 Seiten

Reihe: Wahre Verbrechen im GMEINER-Verlag

Hanke Die Engelmacherin von St. Pauli

Kriminalgeschichte um Elisabeth Wiese
2023
ISBN: 978-3-8392-5774-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalgeschichte um Elisabeth Wiese

E-Book, Deutsch, 242 Seiten

Reihe: Wahre Verbrechen im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-8392-5774-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



2. Februar 1905, 8.00 Uhr: In Sekundenschnelle saust das Fallbeil hinab und trennt Elisabeth Wieses Kopf vom Rumpf. Die Engelmacherin von St. Pauli, wie sie die Öffentlichkeit bereits nennt, ist für den Mord an mindestens fünf Babys vom Hamburger Schwurgericht schuldig gesprochen worden. Doch hat die Frau, deren Aussehen an die Hexe im Märchen erinnert, die Kinder wirklich im Ofen verbrannt? Sie leugnet es bis zum Schluss. Kathrin Hanke ist tief in den wahren Fall eingestiegen und damit in die Abgründe der Geschichte Hamburgs Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Prolog
Irgendwann zwischen
1882 und 1886
Von dem Geruch wurde ihr übel und sie musste sich stark zusammennehmen, damit es ihr nicht hochkam. Es war ein Gemisch aus Blut, Kot, Fruchtwasser, Schweiß und Tränen, das sein schweres Aroma an die kleine Kammer abgab und wie eine wabernde Dunstwolke über den Köpfen hing. Den anderen beiden Frauen schien der Geruch nichts auszumachen und normalerweise war das bei ihr auch so. Sie war ganz anderes gewohnt, schließlich war sie ein Landkind. Hier in Bilshausen, der kleinen Ortschaft zwischen Göttingen und Osterode am Harz, lebten die meisten Menschen seit jeher von der Landwirtschaft. Es war ein hartes Leben und nicht immer hatten die Leute noch etwas von ihrer Ernte für den Verkauf auf den umliegenden Märkten übrig, sondern gerade eben nur genug, um ihre Familien zu ernähren. Dann gab es noch die Stroh- und Korbbinder. Das kleine Bilshausen, in dem jeder jeden kannte, war inzwischen über die Grenzen des Harzes hinaus bekannt für seine guten Flechtwaren. Genauso wie für seine Kanarienhähne – die kleinen gelben Singvögel wurden sogar hin und wieder bis nach Übersee verkauft. Dennoch reichte das eingenommene Geld oft nicht zum Leben und nicht wenige verließen notgedrungen ihren Heimatort. Sie zogen als Handelsleute oder wandernde Bauarbeiter herum, um ihren Unterhalt zu verdienen. Üppig war dieser allerdings nicht gerade und viele von denen, die extra in die Fremde hinausgegangen waren, lebten auch dort von der Hand in den Mund. Das bekam sie mit, wenn Ausgezogene im Winter zurück in den Ort kamen, um unter die warmen Decken ihrer verbliebenen Bilshausener Familien zu schlüpfen. In der Regel so lange, bis die ersten Schneeglöckchen hervorkamen und sie es wieder riskieren konnten, ihre Dienste in der Fremde anzubieten, ohne auf der Straße, deren Böschungen ihnen meist als Schlafplatz dienten, zu erfrieren. Sie war für keines dieser Leben geschaffen. Weder wollte sie in Bilshausen versauern, wo irgendwie alle miteinander verwandt zu sein schienen, noch ihre Zeit auf Wanderschaft verbringen. Sie wollte mehr und sie wusste, dass der Kuchen groß genug war und man es nur richtig anstellen musste, um sein Stück davon abzubekommen. Sie hatte das schon immer gewusst, dennoch war sie bis jetzt hiergeblieben und Hebamme geworden. Als wäre dieser letzte Gedanke das Stichwort gewesen, entließ das junge Mädchen, das mit gespreizten aufgestellten Beinen vor ihr lag, einen lauten, langgezogenen Schrei. Er klang so klagend und schmerzerfüllt, dass es anderen das Blut in den Adern gefrieren lassen würde. Ihr jedoch nicht. Und das lag nicht allein daran, dass sie mit solchen Schreien und allem, was damit zusammenhing, ihr täglich Brot verdiente. Es berührte sie einfach nicht. Auch wenn sie bei Hausschlachtungen zusah und jeder sonst sich abwandte oder für einen Moment die Augen zukniff, wenn der Dorfmetzger mit einem gezielten Axtschlag zwischen die kleinen hässlichen Schweinsaugen das Tier von einer Sekunde auf die andere tötete oder zumindest betäubte, fühlte sie nichts. Keine Freude über das zukünftige Essen und kein Mitleid gegenüber dem Tier. Einfach nur nichts. Vielleicht war sie deswegen gut in ihrem Beruf. Sie scheute sich nicht vor Handgriffen aus Angst, sie könnten der Mutter oder dem Kind schaden, weil sie sie vielleicht falsch ausführte. Sie machte sie nicht falsch. Sie wandte einfach das an, was sie in dem Hebammenlehrbuch »Die Königl. Preuss. und Chur-Brandenb. Hoff-Wehe-Mutter«, wie dieser Schinken von Justine Siegemundin hieß, gesehen hatte. Das reich bebilderte Lehrbuch zu unnormalen Geburtslagen kam ihr sehr entgegen, da sie zwar lesen konnte, es ihr aber nicht unbedingt leichtfiel und sie es deswegen nicht gern mochte und möglichst nicht tat. So hatte sie sich während ihrer Lehrzeit ganz besonders die Bilder eingeprägt und führte sie im Falle eines Falles, wie zum Beispiel bei einer Steißlage, ohne lange darüber nachzudenken, aus. Und falls sie doch einmal etwas nicht richtig gemacht hatte, und das Kind oder gar die Mutter noch im Wochenbett starben, wer sollte ihr das nachweisen? Es gab genug andere Gründe, warum der Tod Neugeborene oder Wöchnerinnen ereilte und sie wusste, wie sie jeden aufkeimenden Verdacht von vorn herein von sich weisen konnte. Ihr Motto war einfach: Nie etwas zugeben, immer alles abstreiten und möglichst einen anderen Schuldigen nennen. Wenn alles nichts half auch ruhig Gott. Sie selbst war bereits Mitte zwanzig, also nicht mehr jung und schon einige Jahre im Beruf, sodass die Leute ihr das glaubten. Hier in Bilshausen und den umliegenden Ortschaften, wo wie sie die meisten katholisch waren, kam sowieso in jedem fünften Satz das Wort »Gottes Wille« vor, warum sollte sie es dann nicht sagen? Sie war gern Katholikin und würde mit den wenigen Evangelen, die sie kannte, nicht tauschen wollen. Ihr Leben war so, wie es war, viel praktischer. Schon von klein auf hatte sie gelernt, dass sie ihre Sünden einfach beichten konnte, und Gott und alle Welt ihr verzieh, wenn sie dann im Gegenzug ein paar Gebete sprach. Nichts leichter als das. Während sie darüber nachdachte und leicht schmunzeln musste, schob sie ihre Hand mit geübtem Griff in den Unterleib der werdenden Mutter hinein, unterdessen ihre andere Hand mit leichtem Druck auf dem gewölbten Bauch der jungen Frau lag, die leise vor sich hin wimmerte. Sie zog ihre Hand wieder heraus und musste wegschauen, denn wieder wurde ihr übel. Diesmal von dem Anblick. Schnell griff sie nach dem bereitgelegten Tuch, wischte sich sauber und wandte sich ihrer Tasche zu. Mit flauem Magen presste sie durch ihre Zähne hindurch: »Das Kind liegt quer. Ihr hättet mich eher rufen sollen. Es kann nicht von allein heraus, ich muss es holen.« Sie blickte der Mutter des Mädchens in die Augen, um sich zu vergewissern, dass ihre Worte angekommen waren. Sie sah Vertrauen in ihnen und als ein leichtes Nicken folgte, holte sie eine Schlinge und einen Stock aus ihrer Tasche. In diesem Moment schwoll das Wimmern des Mädchens an und entlud sich ein weiteres Mal in einem langen Schrei. Sie wollte warten, bis die Wehe wieder abgeebbt war, merkte jedoch, dass sie es nicht schaffen würde. Mit Schlinge und Stock in der Hand stürmte sie aus der stickigen Kammer direkt in die große Wohnküche, in der sich die Männer der Familie und einige Nachbarn eingefunden hatten. Sie hielt einen kurzen Augenblick inne, starrte in die fragenden Augen des Bauern und lief dann ohne ein Wort oder eine Geste an allen vorbei durch den angrenzenden Stall hinaus an die Luft, wo sie sich direkt neben der Tür erbrach. Sie kannte den wahren Grund und bald würden ihn auch alle anderen kennen, darum machte sie sich erst gar nicht die Mühe, ihr Erbrochenes zu beseitigen. Sie wischte sich den Mund mit ihrer Schürze ab, drückte den Rücken durch und ging hocherhobenen Hauptes am Vieh vorbei durch die Küche in die kleine Kammer zurück. Das Mädchen hatte aufgehört zu schreien. Es hatte die Augen geschlossen und seine Mutter fuhr ihm gerade mit einem feuchten Lappen über die Stirn. Ein Stich des Neids durchfuhr die Hebamme. Dieses junge Mädchen hatte alles, was sie nicht hatte. Es war selbst jetzt mit seinen Schmerzen und den verschwitzten, strähnigen Haaren hübsch, es war jung, hatte liebende und vor allem vermögende Eltern und einen noch vermögenderen Ehemann, der in diesem Moment in der Küche auf seinen Stammhalter wartete. Das junge Paar war noch nicht lange verheiratet. Sie selbst war auf der Hochzeit gewesen, so wie fast ganz Bilshausen und darüber hinaus. Es war ein rauschendes Fest gewesen, denn hier hatten zwei große Höfe endlich durch ihre Kinder zusammengefunden und das hatten sich die Brauteltern etwas kosten lassen. Und heute, knapp zehn Monate später, sollte die nächste Generation geboren werden. Bei ihr selbst würde es erst in fünf Monaten so weit sein. Allerdings würde dann kein verliebter Ehemann in der Küche nervös mit den Fußspitzen wippen und darauf warten, dass sie sein Kind gebären würde. Es würde überhaupt niemand darauf warten. Im Gegenteil. Alle würden sich wünschen, dass es niemals zu diesem Bastard, der da gerade in ihrem Leib heranwuchs, gekommen wäre. Allen voran sie selbst. Ja, sie hatte ihren Spaß gehabt und nun musste sie die Suppe selbst und allein auslöffeln. Über den Kindsvater machte sie sich möglichst keine Gedanken. Es lohnte nicht. Er würde nie mehr werden, als der bloße Erzeuger dieses Balgs in ihr. Für ihre Pläne, einmal ein besseres Leben zu führen, würde sie sich jemand anderen suchen müssen. Eine weitere Wehe ließ das Mädchen schreien. »Hilf ihr und hole mir mein Enkel«, zog die Stimme der besorgten Mutter ihre Aufmerksamkeit auf sich, als es wieder still im Raum war. »Ich kann nichts versprechen, aber ich gebe mein Bestes«, erwiderte sie mit belegter Stimme. Sie hatte noch immer den Geschmack von Erbrochenem in ihrem Mund. »Wenn alles gut geht, zahle ich dir das Doppelte«, versprach die Mutter und strich ihrer matt daliegenden Tochter ein weiteres Mal mit dem Lappen über die Stirn. »Wir werden sehen«, sagte sie vage. Eigentlich hatte sie gerade beschlossen, einen von den beiden sterben zu lassen. Beim Baby würde es leichter sein, als bei dem Mädchen. Und unauffälliger. Aber jetzt lockte die Bäuerin sie mit Geld. Verdammt. Sie konnte jeden Pfennig mehr, gut gebrauchen und es würde ihre Stimmung bestimmt langfristiger aufhellen, als diesen Menschen hier ein Stück von ihrem Glück zu nehmen. Andererseits: Je länger sie hier war, desto mehr haderte sie mit ihrem eigenen Schicksal und missgönnte den Bauern ihr von Üppigkeit gesegnetes Leben. Deswegen hatte sie bereits darüber nachgedacht, einzugreifen und ein bisschen Göttlichkeit walten zu...


Hanke, Kathrin
Kathrin Hanke wurde in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Kulturwissenschaften in Lüneburg machte sie das Schreiben zu ihrem Beruf. Sie jobbte beim Radio, schrieb für Zeitungen, entschied sich schließlich für die Werbetexterei und arbeitete zudem als Ghostwriterin. Ihre Leidenschaft ist jedoch das Geschichtenerzählen, wobei sie gern Fiktion mit wahren Begebenheiten verbindet. Daher arbeitet sie seit 2014 als freie Autorin in ihrer Heimatstadt. Kathrin Hanke ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.



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