E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Hand Die Macht des Unwahrscheinlichen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-406-67595-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum Zufälle, Wunder und unglaubliche Dinge jeden Tag passieren
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-406-67595-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Glückspilze, die mehrfach im Lotto gewinnen, Unglücksraben, die wiederholt der Blitz trifft, extreme Krisen an den Finanzmärkten aus vermeintlich heiterem Himmel: Außerordentlich unwahrscheinliche Dinge – Wunder im positiven, Katastrophen im negativen Sinne – geschehen immer wieder. Die Frage ist nur: Warum? Und: Wie? Lieben Sie Geschichten über bestürzende Zufälle und außerordentlich seltene Ereignisse? Dann sollten Sie genauso zu diesem Buch greifen, wie wenn Sie endlich eine seriöse Methode kennenlernen möchten, Ihre Chance auf einen Lottogewinn zu erhöhen. So anschaulich wie vergnüglich weiht David Hand uns in die Macht des Unwahrscheinlichen und seine physikalischen, statistischen und psychologischen Gesetze ein. Kommen diese zusammen, ist die Wirkung verblüffend. Dann können wir uns darauf gefasst machen, dass das Unvorstellbare eintritt. Jeden Tag.
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EIN UNBERECHENBARES
UNIVERSUM
Lehrer: «Du weißt, dass die Erde keine Scheibe ist, nicht wahr?»
Schüler: «Sie ist der Ort, an dem ich lebe.» Will Hay und Billy Hay in The Fourth Form at St. Michael’s, Teil 2[1] Warum ich, warum hier?
Stellen Sie sich die folgende Szene vor: An einem angenehmen Sommerabend sitzen Sie draußen auf Ihrem Rasen, ein Glas wohltemperierten Weißweins steht griffbereit. Träge befördern Sie einen kleinen Ball von einer Hand in die andere. Einer plötzlichen Laune folgend, werfen Sie diesen Ball hoch in die Luft. Er fliegt himmelwärts, wird unter dem Einfluss der Schwerkraft immer langsamer, hält im Scheitelpunkt der Flugbahn kurz inne, sinkt dann wieder zu Boden, nimmt allmählich Geschwindigkeit auf, fällt immer schneller, um schließlich … plopp! genau in Ihrem Weinglas zu landen. Das war ganz gewiss Pech. Außerdem war es höchst unwahrscheinlich. Der Ball hätte an jedem beliebigen Ort auf dem Rasen landen können, entschied sich aber für die wenigen Quadratzentimeter, die vom Rand Ihres Glases eingerahmt wurden. Sie wissen sehr gut, dass der Erfolg ausgeblieben wäre, wenn Sie versucht hätten, den Ball so hochzuwerfen, dass er anschließend in Ihrem Glas landet. Es ist hier also eindeutig etwas Rätselhaftes im Gang, als hätte irgendein Akteur die Kontrolle über den Flug des Balles übernommen und ihn ins Ziel gelenkt – etwa ein boshafter Kobold, der beschlossen hatte, die Naturgesetze zu verändern, um sich auf Ihre Kosten zu amüsieren. Sie mögen selbst ähnlich unwahrscheinliche Erfahrungen gemacht haben, die vielleicht nicht so ungünstig waren wie die Sache mit dem Ball, der im Weinglas landet, aber doch seltsam genug, um Sie aufhorchen und aufmerken zu lassen, um Sie zum Nachdenken über die Frage zu bewegen: Wie konnte das passieren? Solche Ereignisse stehen für eine Dissonanz zwischen dem, was wir vom Universum erwarten, und dem, was dann tatsächlich geschieht. Die Vorstellung, dass das Universum sich unberechenbar verhält, hat etwas Unbehagliches an sich. Wir möchten wissen, warum bestimmte Dinge geschehen, wollen die ursächlichen Zusammenhänge herstellen und die Regeln verstehen, die dem zugrunde liegen, was wir da beobachten. Das grundlegende menschliche Streben nach Sicherheit und Geborgenheit sorgt für ein grundsätzliches Unbehagen angesichts der Vorstellung, bestimmte Dinge könnten einfach nur zufällig geschehen. Sollte sich nämlich herausstellen, dass es keine bestimmten Ursachen gäbe, hätten wir auch keine Möglichkeit, die Ergebnisse zu beeinflussen oder zu kontrollieren. Krankheiten, Unfälle und Fehlschläge würden unvermeidlich. Wir würden in einem ständigen Angstzustand leben und auf die unmittelbar bevorstehende und nicht vorhersagbare Katastrophe warten. Jemand, der solche Ereignisse vorhersagen oder, was noch besser wäre, steuern könnte, würde über eine ungeheure Macht verfügen. Solche Personen könnten Kugeln ausweichen, sie könnten Autounfälle vermeiden, rechtzeitig auf siegreiche Rennpferde und profitable Aktien setzen und Weingläser umstellen, bevor vom Himmel fallende Bälle darin landen. Frühe, vorwissenschaftliche Versuche zur Erklärung solch rätselhafter Vorgänge hielten sich an das, was ich, in Anlehnung an das Beispiel vom Ball im Glas, als «Kobold-Erklärung» bezeichnen möchte. Damit ist die Vorstellung gemeint, hinter dem tatsächlichen Geschehen stehe irgendeine rätselhafte Kraft oder ein ebensolches Wesen, das oft in böswilliger Absicht handelt. Vor einem solchen Hintergrund entstand eine unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher Erklärungen. Dazu zählen abergläubische Vorstellungen, Prophezeiungen, Götter und Wunder, parapsychologische Erklärungen, C. G. Jungs «Synchronizität» und viele, viele andere. Ich beginne mit einer Betrachtung des abergläubischen Gedankenguts. Aberglauben
Unser instinktives Bestreben, die Ursachen bestimmter Ereignisse zu verstehen, führt uns zur Suche nach Ablaufmustern. Wir suchen nach Abfolgen. Uns fällt auf, dass auf ein bestimmtes Ereignis A oft ein Ereignis B folgt. Wir erkennen beispielsweise, dass Menschen, die einfach auf die Straße treten, ohne sich vorher zu vergewissern, dass kein Fahrzeug kommt, häufig angefahren werden, oder dass dunkle Wolken am Himmel oft Vorboten von Regen sind. Viele dieser auf Beobachtungen basierenden Ablaufmuster sind unter physikalischen Gesichtspunkten sinnvoll und dienen als äußerst nützliche Richtlinien für die Wechselfälle des Lebens. Sie sagen uns nicht, was mit absoluter Gewissheit geschehen wird, lassen uns aber sehr wohl wissen, was vermutlich als Nächstes passiert. Viele der Muster, die uns auffallen, haben eine kausale Grundlage. Wäre dem nicht so, wären wir schon längst ausgestorben. Wir hätten niemals erkannt, dass hinter der Bewegung im hohen Gras ein lauernder Tiger steckt oder dass das flussabwärts wahrnehmbare Donnergetöse bedeutet, dass wir auf einen Wasserfall zutreiben. Die Untersuchung von Mustern führt oft zu Anhaltspunkten, die diese erklären und zeigen, dass wir die Ursachen korrekt zugeordnet haben. Die frühe epidemiologische Arbeit stieß auf einen Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs, und die spätere medizinische Forschung zeigte, dass es tatsächlich eine Kausalbeziehung gab. Und als die Beobachtung nahelegte, dass es Verbindungen zwischen Fettleibigkeit und Herzkrankheiten gibt, wies die anschließende experimentelle Arbeit nach, dass solche Verbindungen bestehen. Aber nicht alle von uns festgestellten Muster beruhen auf realen Beziehungen. Manchmal entspringen die Muster, die wir sehen, einfach dem Zufall. Ich mag zwar feststellen, dass ich in letzter Zeit zweimal gestürzt bin, nachdem mir eine schwarze Katze über den Weg gelaufen war, aber ich werde auch begreifen, dass dahinter wohl kaum irgendein kausaler Zusammenhang steckt. Die Tatsache, dass noch jedes Theaterstück, zu dem ich in diesem Jahr mit dem Auto gefahren bin, ausgezeichnet war, dass ich aber jedes Mal enttäuscht war, wenn ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Theater gelangte, bedeutet nicht, dass dies ein tragfähiges Muster für die Zukunft ist. Der Trick besteht darin, dass man diejenigen Muster, die für einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung stehen, von denjenigen unterscheiden kann, auf die das nicht zutrifft. Wir könnten natürlich auch die gesamte Wissenschaft im weitesten Sinn als einen fortdauernden Versuch beschreiben, genau dies zu tun. Von uns festgestellte Muster, die auf bloßem Zufall ohne jede zugrunde liegende Ursache beruhten, bildeten oft die Grundlage für einen Aberglauben: eine Überzeugung, dass ein Kausalzusammenhang besteht, wo keiner ist, wie etwa der Glaube, dass ich beim Craps eher einen Sechser-Pasch werfe, wenn ich die Würfel küsse, bevor ich sie auf den Spieltisch rollen lasse, oder die Erwartung, dass die Regenwahrscheinlichkeit sinkt, wenn ich einen zusammengerollten Schirm bei mir habe. (Hier gilt es zu berücksichtigen, dass ich in London lebe.) Der evolutionäre Nutzen der Fähigkeit, Ablaufmuster zu erkennen und sich dann die Kausalbeziehungen zu erschließen, für die sie stehen, zeigt sich in der Tatsache, dass genau die gleiche Entwicklung von «Aberglauben» bei Tieren vorkommt. Der Psychologe B. F. Skinner sperrte hungrige Tauben in einen Käfig, in dem eine spezielle Vorrichtung in regelmäßigen Abständen Futter abgab, und zwar unabhängig von der Tätigkeit, mit der ein Vogel zum jeweiligen Zeitpunkt beschäftigt war. Er beobachtete, dass die Vögel zu lernen schienen, die Futterausgabe sei mit ihrer Tätigkeit zu genau diesem Zeitpunkt verbunden, weil sie diese Tätigkeiten immer wiederholten, vermutlich in der Hoffnung, dies würde ihnen weiteres Futter verschaffen. Skinner schrieb: Von diesem Experiment ließe sich etwa sagen, es zeige eine Art von Aberglauben. Der Vogel verhält sich, als gebe es eine Kausalbeziehung zwischen seinem Verhalten und der Ausgabe von Futter, obwohl eine solche Beziehung nicht besteht. Im menschlichen Verhalten sind viele Analogien dazu feststellbar. Rituale, die beim Kartenspiel Glück bringen sollen, sind gute Beispiele. Ein paar zufällige Verbindungen zwischen einem Ritual und günstigen Folgen reichen aus, um das Verhalten einzuführen und beizubehalten, auch wenn es viele Beispiele für die Wirkungslosigkeit gibt. Ein Bowlingspieler, der eine Kugel auf die Bahn geschickt hat, sich aber weiterhin so verhält, als könne er sie durch Drehungen und Wendungen seines Armes steuern, ist ein weiteres gutes Beispiel. Diese Verhaltensweisen haben natürlich keine tatsächliche Wirkung auf das eigene Glück oder auf eine Bowlingkugel, wenn sie die Bahn schon zur Hälfte hinuntergerollt ist, so wie im gegenwärtigen Fall das Futter ebenso oft ausgegeben würde, wenn die Taube untätig bliebe – oder, um es noch genauer zu sagen, wenn sie etwas anderes täte.[2] Der «Cargo-Kult» ist ein Beispiel für beobachtete Muster, die keine Basis in einer zugrunde liegenden...