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Ich bin früh von Marcy aufgebrochen. Taylor habe ich gesagt, ich wolle mich noch ein bisschen hinlegen, um fit zu sein für Justins Party. Teilweise stimmte das auch, ich wollte mich wirklich ausruhen, aber die Party war mir völlig egal. Sobald ich zu Hause war, zog ich mir mein weites Cousins-T-Shirt an, füllte eine große Wasserflasche mit Traubenlimo und zerstoßenem Eis und hängte mich dann so lange vor den Fernseher, bis mir der Kopf dröhnte.
Außer dem Fernseher und der Klimaanlage, die sich an- und abschaltete, war kein Mucks zu hören. Nur wunderbare, friedliche Stille. Ich hatte das ganze Haus für mich. Steven hatte einen Sommerjob im Elektroniksupermarkt Best Buy. Er sparte nämlich auf einen 50-Zoll-Flachbildschirm, den er im Herbst mit ans College nehmen wollte. Meine Mutter war zwar da, saß aber bloß den ganzen Tag am Schreibtisch. Sie habe noch so viel Arbeit nachzuholen, sagte sie.
Ich verstand sie. An ihrer Stelle hätte ich auch allein sein wollen.
Taylor kam gegen sechs. Bewaffnet mit ihrer grellrosa Kosmetiktasche von Victoria’s Secret, kam sie ins Wohnzimmer marschiert. Als sie mich ich auf der Couch liegen sah, in meinem Cousins-T-Shirt, starrte sie mich an: »Sag bloß, du hast noch nicht geduscht?«
»Doch, heute Morgen«, sagte ich, ohne aufzustehen.
»Und anschließend hast du stundenlang in der Sonne gelegen.« Sie zog mich an beiden Armen hoch. Ich ließ sie. »Los jetzt, ab unter die Dusche mit dir.«
Ich folgte ihr nach oben und ging ins Bad. Taylor verschwand in meinem Zimmer. So schnell hatte ich noch nie geduscht. Taylor schnüffelte für ihr Leben gern, und wenn ich sie zu lange allein ließ, würde sie sich hemmungslos in meinem Zimmer umsehen.
Als ich hereinkam, saß sie vor meinem Spiegel auf dem Boden und trug mit schnellen Bewegungen Bronzer auf ihre Wangen auf. »Soll ich dich auch schminken?«
»Nein, danke«, antwortete ich. »Mach mal die Augen zu, ich ziehe mich schnell an, ja?«
Sie verdrehte die Augen, schloss sie dann aber doch. »Du bist so was von prüde, Belly, echt.«
»Na und?«, sagte ich, während ich Slip und BH anzog. Dann warf ich mir wieder mein Cousins-T-Shirt über. »Okay, kannst gucken.«
Taylor riss die Augen sperrangelweit auf, um sich die Wimpern zu tuschen. »Ich könnte dir die Nägel lackieren. Ich hab drei neue Farben.«
»Nee, wozu.« Ich hielt ihr meine Hände hin. Sämtliche Nägel waren bis zum Nagelbett abgebissen.
Taylor verzog das Gesicht. »Na gut, und was ziehst du an?«
»Das hier«, sagte ich und verkniff mir ein Grinsen. Dabei zeigte ich auf mein T-Shirt. Vom vielen Tragen hatte es schon winzige Löcher am Hals und war so weich wie eine Babydecke. Ich wünschte, ich könnte darin zur Party gehen.
»Sehr witzig«, sagte Taylor und rutschte auf Knien zu meinem Schrank. Dann stand sie auf und fing an, darin herumzuwühlen. Als wüsste sie nicht sowieso auswendig, was ich zum Anziehen besaß, schob sie einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite. Normalerweise machte mir das nichts, aber heute war ich nicht gut drauf, heute nervte mich alles.
»Lass gut sein«, sagte ich. »Ich zieh meine abgeschnittenen Jeans an und ein Tank Top.«
»Belly, für Justins Partys stylen sich alle. Du kannst das nicht wissen, du warst ja nie da, aber in deinen alten abgeschnittenen Jeans kannst du unmöglich hingehen.« Taylor zog mein weißes Sommerkleid heraus. Das letzte Mal hatte ich es im vergangenen Sommer getragen, auf der Party mit Cam. Susannah hatte gemeint, das Kleid würde mich zur Geltung bringen, so wie ein Bild erst im richtigen Rahmen wirkt.
Ich stand auf, nahm Taylor das Kleid aus der Hand und hängte es in den Schrank zurück. »Das hat Flecken«, sagte ich. »Ich such mir was anderes.«
Taylor setzte sich wieder vor den Spiegel und meinte: »Dann zieh doch das schwarze an, das mit den Blümchen. Das macht ein echt scharfes Dekolleté.«
»Das ist unbequem«, sagte ich. »Zu eng.«
»Und wenn ich ganz lieb Bitte sage?«
Seufzend nahm ich das Kleid vom Bügel und zog es an. Manchmal war es bei Taylor leichter, einfach nachzugeben. Wir waren Freundinnen, beste Freundinnen, seit wir kleine Mädchen waren. So lange schon, dass es eher so etwas wie eine Gewohnheit war, etwas, zu dem man nicht mehr Ja oder Nein sagte.
»Siehst du, das sieht toll aus.« Sie kam herüber und zog mir den Reißverschluss hoch. »Okay, und jetzt zu unserem Schlachtplan.«
»Was für ein Schlachtplan?«
»Ich finde, du solltest dich auf der Party mal an Cory Wheeler ranmachen, ein bisschen mit ihm rumknutschen.«
»Taylor –«
Sie hob eine Hand. »Lass mich doch erst mal ausreden! Cory ist supernett und supersüß. Wenn er ein bisschen trainiert und ein paar Muskeln kriegt, dann könnte er ein richtig heißer Typ werden.«
»Also bitte!«, schnaubte ich.
»So süß wie ein gewisser C ist er schon lange.« Sie nannte ihn nie mehr bei seinem Namen. Er war nur noch »Du-weißt-schon-wer« oder »ein gewisser C«.
»Taylor, hör auf, mich so zu drängen. Ich kann ihn nicht einfach vergessen, bloß weil du das willst.«
»Kannst du’s nicht wenigstens mit Cory versuchen?«, bettelte sie. »Nur für eine Weile, meinetwegen als Lückenfüller. Ihm macht das nichts.«
»Wenn du noch ein einziges Mal mit Cory anfängst, komm ich gar nicht erst mit«, erklärte ich, und das meinte ich ernst. Ich hoffte sogar, sie würde ihn noch einmal erwähnen, dann hätte ich wenigstens eine Ausrede.
Sie machte große Augen. »Okay, okay. Tut mir leid. Mein Mund bleibt ab jetzt fest verschlossen.«
Sie griff nach ihrem Schminktäschchen und setzte sich bei mir auf die Bettkante. Ich hockte mich zu ihren Füßen hin, und sie nahm einen Kamm und zog mir einen Scheitel. Mit festen, flinken Fingern flocht sie mir die Haare, und als sie fertig war, steckte sie die Zöpfe oben auf dem Kopf fest. Solange sie arbeitete, schwiegen wir. Als sie fertig war, sagte Taylor: »Ich finde es toll, wenn du die Haare so trägst. Fast wie eine Indianerin siehst du aus, eine Cherokee-Prinzessin oder so.«
Ich musste lachen, verstummte aber sofort wieder. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und Taylor sagte: »Du darfst lachen, wirklich. Du darfst auch mal wieder Spaß haben.«
»Ich weiß«, antwortete ich, aber das stimmte nicht.
Bevor wir losgingen, schaute ich noch kurz bei meiner Mutter rein. Sie saß im Arbeitszimmer zwischen ihren Ordnern und Stapeln von Papier. Susannah hatte meine Mutter zu ihrer Testamentsvollstreckerin ernannt, und das bedeutete offenbar eine Menge Papierkram. Meine Mutter telefonierte viel mit Susannahs Anwältin. Alles sollte perfekt laufen, genau nach Becks letzten Wünschen.
Susannah hatte Steven und mir einen Geldbetrag fürs College hinterlassen. Mir hatte sie außerdem Schmuck vererbt, ein mit Saphiren besetztes Tennisarmband, von dem ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich es je tragen würde. Außerdem eine Kette mit Diamanten für den Tag meiner Hochzeit – das hatte sie explizit dazugeschrieben. Und Opalohrringe mit passendem Fingerring. Die mochte ich am liebsten.
»Mom?«
Sie sah auf. »Ja?«
»Hast du gegessen?« Ich kannte die Antwort auch so. Seit ich von Marcy zurück war, hatte sie ihr Arbeitszimmer noch nicht ein Mal verlassen.
»Ich hab keinen Hunger«, sagte sie. »Falls nichts im Kühlschrank ist, kannst du dir ja eine Pizza bestellen.«
»Ich könnte dir ein Sandwich machen«, bot ich ihr an. Anfang der Woche hatte ich eingekauft. Steven und ich wechselten uns jetzt immer ab. Ich bezweifelte, dass Mom überhaupt wusste, welches Wochenende wir hatten: Vierter Juli, Nationalfeiertag.
»Nein, schon gut. Ich komm später runter und mach mir was.«
»Okay.« Ich zögerte. »Taylor und ich gehen auf eine Party. Es wird nicht so spät.«
Ein Teil von mir hoffte, sie würde mich bitten, zu Hause zu bleiben. Ein Teil von mir wollte ihr anbieten, zu Hause zu bleiben und ihr Gesellschaft zu leisten; wir könnten einen Filmklassiker ansehen, Popcorn machen.
Aber ihre Gedanken waren schon wieder bei der Arbeit, sie kaute an ihrem Kugelschreiber. »Klingt gut«, sagte sie. »Pass auf dich auf.«
Ich zog die Tür hinter mir zu.
Taylor saß in der Küche und schrieb eine SMS, während sie auf mich wartete. »Komm, beeil dich, lass uns losgehen.«
»Moment noch, ich muss nur noch schnell was erledigen.« Ich ging zum Kühlschrank und nahm Zutaten für ein Sandwich heraus. Putenbrust, Senf, Käse, Weißbrot.
»Belly, es gibt genug zu essen auf der Party. Wieso musst du dir jetzt noch was machen!«
»Das ist für meine Mom«, sagte ich.
Ich legte das fertige Sandwich auf einen Teller, deckte ihn mit Frischhaltefolie ab und stellte ihn auf den Tresen, wo sie ihn gleich sehen würde.
Justins Party war tatsächlich genau so, wie Taylor es mir beschrieben hatte. Unsere halbe Stufe war da, von Justins Eltern hingegen war weit und breit nichts zu sehen. Bunte Party-Lampen säumten den Hof, und die Musik war voll aufgedreht, die Lautsprecher vibrierten praktisch. Ein paar Mädchen tanzten schon.
Es gab ein Fass Bier und eine große rote Kühlbox. Justin war der Mann am Grill. Er briet Steaks und Bratwürste und trug eine Schürze mit der Aufschrift »Küsst den Koch«.
Taylor schnaufte verächtlich. »Als ob irgendeine mit dem rumknutschen würde.« Zu Anfang des...