E-Book, Deutsch, 396 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Hamsun Segen der Erde
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2122-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 396 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-2122-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 in Gudbrandsdalen als Knud Pedersen geboren und gilt neben Henrik Ibsen als bedeutendster Schriftsteller Norwegens. Seine Schulausbildung war dürftig, eine Universität besuchte er nie und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis ihm 1890 mit seinem Debütroman Hunger sogleich ein großer literarischer Erfolg gelang. 1920 erhielt er für sein Werk Segen der Erde den Literaturnobelpreis. Der wegen seiner Sympathien für den Nationalsozialismus politisch hoch umstrittene Hamsun starb 1952 in Nørholm.
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I
Den langen, langen Pfad durch die Moore und in die Wälder, wer hat ihn ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der Erste, der hier war. Vor ihm gab es keinen Pfad. Später folgte das eine und andere Tier den schwachen Spuren über Heide und Moor und machte sie deutlicher, und noch später spürte der eine oder andere Lappe den Pfad auf und benutzte ihn, wenn er von diesen Bergen zu den nächsten wollte, um nach seinen Rentieren zu sehen. So entstand der Pfad durch die große gemeine Mark, die niemandem gehörte, das herrenlose Land.
Der Mann ist unterwegs nach Norden. Er trägt einen Sack, den ersten Sack, darin sind Mundvorrat und einiges Werkzeug. Der Mann ist stark und grob, er hat einen Eisenbart und kleine Narben im Gesicht und an den Händen – diese Wundmale, stammen sie von der Arbeit oder vom Kampf? Vielleicht kommt er aus dem Gefängnis und will sich verstecken, vielleicht ist er Philosoph und sucht Frieden, dort jedenfalls geht er, ein Mensch inmitten dieser ungeheuren Einsamkeit. Er geht und geht, ringsumher kein Laut von Vögeln oder Tieren, manchmal spricht er mit sich selbst: Ach ja, mein Gott!, sagt er. Kommt er von den Mooren zu einem freundlichen Platz im Wald mit einer offenen Lichtung, stellt er den Sack ab und beginnt die Verhältnisse ringsumher zu untersuchen, nach einer Weile kehrt er zurück, nimmt den Sack auf den Rücken und geht weiter. Das dauert den ganzen Tag, er befragt die Sonne nach der Tageszeit, es wird Nacht, und er wirft sich ins Heidekraut, den Arm unterm Kopf.
Nach ein paar Stunden macht er sich wieder auf den Weg, ach ja, mein Gott! Geht wieder schnurstracks nach Norden, befragt die Sonne nach der Tageszeit, hält Rast mit einem Stück Flachbrot und Ziegenkäse, trinkt Wasser aus einem Bach, geht weiter. Auch dieser Tag geht mit Wandern hin, er muss so viele freundliche Plätze im Wald untersuchen. Was sucht er?
Land, Boden? Vielleicht ist er ein Auswanderer aus den Dörfern, er hält die Augen offen und späht, manchmal ersteigt er einen Hügel und späht. Jetzt sinkt die Sonne wieder.
Er geht auf der Westseite eines Tals mit Mischwald entlang, es gibt auch Laubwälder mit Grasboden, das dauert Stunden, es dämmert, er hört aber das leise Rauschen eines Bachs, und das muntert ihn auf wie etwas Lebendiges. Als er auf die Höhe kommt, sieht er das Tal unten im Halbdunkel und weit hinten im Süden den Himmel. Er legt sich schlafen.
Am Morgen liegt eine Landschaft mit Wald und Weidemark vor ihm, er steigt hinab, hier ist ein grüner Talhang, weit unten erkennt er den Fluss und einen Hasen, der hinüberspringt. Der Mann nickt, als passte es gerade gut, dass der Fluss nur einen Sprung breit ist. Ein brütendes Schneehuhn flattert plötzlich vor seinen Füßen auf und zischt ihn wild an, und der Mann nickt wieder, hier sind Tiere und Vögel, auch das passt gut! Er geht durch Blaubeer- und Preiselbeergebüsch, durch gezackten Siebenstern und niedrigen Farn; wenn er hier und dort stehen bleibt, um mit einem Eisen in der Erde zu graben, findet er hier Muttererde und dort Moor, seit Jahrtausenden gedüngt mit Laubfall und verfaulten Zweigen. Der Mann nickt, ja, hier lässt er sich nieder, hier wird er sich ansiedeln. Zwei Tage lang durchstreift er die Gegend, kehrt aber abends an den Talhang zurück. Nachts schläft er auf einem Lager aus Tannenästen, ja, er ist hier schon so zu Hause, er hat ein Lager aus Tannenästen unter einem Felsvorsprung.
Das Schwierigste war es gewesen, den Ort zu finden, diesen niemandes Ort, seinen; jetzt waren die Tage mit Arbeit ausgefüllt. Er begann sofort, in den entfernteren Wäldern Birkenrinde zu schälen, solange die Bäume im Saft standen, er presste die Rinde und trocknete sie, und wenn er eine große Last beisammenhatte, trug er sie die vielen Meilen zum Dorf und verkaufte sie als Baumaterial. Nach Hause zum Talhang trug er noch mehr Säcke, Säcke mit Lebensmitteln und Werkzeug, mit Mehl und Speck, mit einem Kochtopf, einem Spaten, er ging den Pfad hin und zurück und trug und trug. Ein geborener Träger, ein Prahm in den Wäldern, ach, es war, als sähe er eine Berufung darin, viel zu gehen und viel zu tragen, als wäre ein Rücken, der nichts trug, ein faules Dasein und nichts für ihn.
Eines Tages kam er mit seiner schweren Last gegangen und hatte auch noch zwei Ziegen und einen Jungbock an der Leine. Er freute sich über seine Ziegen, als wären es Kühe, und war gut zu ihnen. Der erste Fremde kam vorbei, ein wandernder Lappe, er sah die Ziegen und verstand, dass er zu einem Mann gekommen war, der hierbleiben wollte, er sagte:
Willst du hierbleiben? – Ja, antwortete der Mann. – Wie heißt du? – Isak. Ich brauche eine Hilfe, kennst du eine? – Nein, aber ich will’s erwähnen, wo ich hinkomme. – Tu das! Dass ich Tiere hab und keine, die sie versorgt.
Isak also, auch das wollte der Lappe erwähnen, der Mann in der Ödmark war kein Flüchtling, er nannte seinen Namen. Er ein Flüchtling? Dann wäre er ja jetzt gefunden. Er war nur ein unverdrossener Arbeiter, mähte Winterfutter für seine Ziegen, begann zu roden, einen Acker umzubrechen, Steine wegzutragen, Zäune aus Steinen zu bauen. Im Herbst stellte er ein Haus auf, eine Hütte aus Torf, dicht und warm, sie knarrte nicht im Sturm, konnte nicht abbrennen. Er konnte ins Haus gehen und die Tür zumachen und drinnen sein, er konnte draußen auf der Schwelle stehen und das ganze Bauwerk besitzen, falls jemand vorbeikäme. Die Hütte war geteilt, auf der einen Seite wohnte er selbst, auf der anderen die Tiere, ganz hinten am Felsen hatte er sein Heuhaus untergebracht. Alles war da.
Wieder kommen zwei Lappen vorbei, Vater und Sohn, sie stützen sich mit beiden Händen auf ihre langen Stäbe und betrachten die Hütte und die Rodung und hören die Ziegenglocken oben am Talhang.
Guten Tag, guten Tag, sagen sie, vornehme Leute hier in der Ödmark! Die Lappen müssen immer schmeicheln.
Wisst ihr nicht eine Hilfe für mich?, fragt Isak. Denn er hat nur das im Kopf.
– Hilfe? Nein. Aber wir wollen es erwähnen.
– Ja, seid so gut! Sagt, dass ich Haus und Land und Tiere habe, aber keine Hilfe.
Ach, nach dieser Hilfe hatte er jedes Mal Ausschau gehalten, wenn er mit seiner Birkenrinde unten im Dorf gewesen war, aber er hatte keine gefunden. Sie hatten ihn angeschaut, eine Witwe, ein paar ältere Mädchen, und hatten nicht gewagt, ihm Hilfe zu versprechen, was immer der Grund sein mochte, Isak verstand es nicht. Verstand er es nicht? Wer wollte bei einem Mann in der Ödmark dienen, meilenweit von Menschen entfernt, ja, eine Tagesreise bis zur nächsten menschlichen Behausung! Und der Mann selbst, an ihm war so gar nichts Schönes oder Prächtiges, im Gegenteil, und wenn er sprach, war er kein Tenor mit himmelwärts gewandten Augen, sondern hatte eine etwas tierische und grobe Stimme.
Dann musste man eben allein bleiben.
Im Winter machte er große Holztröge und verkaufte sie im Dorf und trug Säcke mit Lebensmitteln und Werkzeugen durch den Schnee nach Hause, es waren harte Tage, er war an eine Last gebunden. Da er Tiere hatte und sie selbst versorgen musste, konnte er sie nicht längere Zeit allein lassen, und was machte er jetzt? Not macht erfinderisch, sein Gehirn war stark und unverbraucht, er übte es mehr und mehr. Ehe er ging, ließ er die Ziegen hinaus, damit sie sich an den Zweigen im Wald satt fraßen. Doch er hatte sich noch mehr einfallen lassen: Er hängte ein Holzgefäß, einen großen Trog, am Fluss auf und lenkte ein Rinnsal hinein, es dauerte vierzehn Stunden, bis es voll war. War es randvoll, dann hatte es genau das richtige Gewicht und sank herunter, und im Sinken zog es an einem Tau, das mit dem Heuhaus verbunden war, eine Luke öffnete sich, und Futter für drei Ziegen fiel herab: Die Tiere hatten zu fressen.
So machte er es.
Ein sinnreicher Einfall, eine Eingebung Gottes vielleicht, der Mann half sich selbst. Bis zum Spätherbst ging es gut, dann fiel Schnee, dann Regen, dann wieder Schnee, der liegen blieb, die Mechanik funktionierte nicht recht, das Gefäß füllte sich mit Regen und betätigte die Luke zu früh. Der Mann deckte es zu, und wieder ging es eine Zeit lang gut, aber als der Winter kam, gefror das Rinnsal, und die Mechanik stand endgültig still.
Da mussten sich seine Ziegen in Entbehrung üben, wie er selbst.
Harte Tage, der Mann brauchte Hilfe, hatte aber keine und war doch nicht hilflos. Er arbeitete und machte das Haus fertig, setzte Fenster in die Hütte ein, zwei Glasscheiben, es war ein bemerkenswerter und heller Tag in seinem Leben, er brauchte kein Feuer in der Grube anzufachen, um sehen zu können, er konnte drinnen sein und bei Tageslicht Holztröge machen. Es klarte auf und wurde heller, ach ja, mein Gott! Er las nie in einem Buch, war aber mit den Gedanken oft bei Gott, das ließ sich nicht vermeiden, es war Treuherzigkeit und Beben. Der Sternenhimmel, das Rauschen im Wald, die Einsamkeit, der viele Schnee, die Pracht auf der Erde und über der Erde machten ihn mehrmals am Tag tiefsinnig und andächtig, er war sündig und gottesfürchtig, sonntags wusch er sich zu Ehren des Feiertags, arbeitete aber wie sonst.
Der Frühling kam, er bestellte sein Stückchen Land und pflanzte Kartoffeln. Das Vieh hatte sich...