Hamilton AMANI - Rebellin des Sandes
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-17245-9
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Spektakuläre Fantasy in einer magischen Welt aus 1001 Nacht
E-Book, Deutsch, Band 1, 352 Seiten
Reihe: Die AMANI-Reihe
ISBN: 978-3-641-17245-9
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alwyn Hamilton wurde in Toronto geboren, doch ihre Familie pendelte zwischen Kanada, Frankreich und Italien hin und her, bis sie sich schließlich in Frankreich niederließ. Sie studierte Kunstgeschichte in Cambridge, wo sie 2009 ihren Abschluss machte. Heute wohnt sie in London und arbeitet dort für das Auktionshaus Christie’s. Ihr Debüt Rebellin des Sandes ist ein National Indie- und New York Times-Bestseller und gewann 2016 den Good Reads Debut Choice Award.
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Leute, die sich nach Einbruch der Dunkelheit noch in Deadshot aufhalten, führen nichts Gutes im Schilde, hieß es. Ich führte zwar nichts Gutes im Schilde. Aber auch nicht unbedingt etwas Schlechtes.
Ich glitt aus Blues Sattel und band die Stute an einem Pfosten hinter der Bar Zur staubigen Kehle fest. Der Junge, der an den Zaun gelehnt auf dem Boden saß, musterte mich argwöhnisch. Aber vielleicht lag dieser Eindruck auch nur an seiner zerschlagenen Visage. Ich zog die breite Krempe meines Huts tiefer ins Gesicht, als ich aus dem Hof trat. Den Hut hatte ich meinem Onkel geklaut, genau wie das Pferd. Also, eher geborgt. Alles, was ich besaß, gehörte laut Gesetz ja meinem Onkel, bis hin zu den Kleidern, die ich auf dem Leib trug.
Die Schwingtür zur Bar flog auf und spuckte Licht und Lärm und einen fetten Betrunkenen aus, der ein hübsches Mädchen im Arm hielt. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich die Hand an meiner Sheema und prüfte, ob sie noch richtig saß und den Großteil meines Gesichts verdeckte. Ich war bis zu den Augen vermummt und selbst Stunden nach Sonnenuntergang schwitzte ich unter all den Stofflagen wie ein Sünder beim Gebet. Ich sah wahrscheinlich eher wie ein verirrter Nomade aus als wie ein echter Scharfschütze, aber solange ich nicht aussah wie ein Mädchen, spielte alles Weitere keine große Rolle. Heute Nacht würde ich, wenn mit nichts anderem, dann wenigstens mit meinem Leben von hier verschwinden. Viel besser wäre es natürlich, wenn ich mit ein paar Münzen in der Tasche verschwinden könnte.
Es war nicht schwer, die Schießarena auf der anderen Seite von Deadshot auszumachen. Es war das Gebäude in der Stadt, in dem es am lautesten zuging, und das wollte etwas heißen. Die riesige, leer geräumte Scheune am Ende der staubigen Straße wimmelte nur so von Leuten und war taghell erleuchtet. Sie lehnte an einem halb verfallenen Gebetshaus, dessen Eingang mit Brettern vernagelt war. Möglich, dass die Scheune irgendwann einmal einem ehrlichen Pferdehändler als Stall gedient hatte, aber wie es aussah, war das schon Jahre her.
Je näher ich kam, desto dichter wurde die Menge. Wie Bussarde, die zu einem frischen Kadaver schwärmen.
Ein Mann mit blutiger Nase wurde von zwei anderen gegen eine Wand gedrückt, während ein Dritter dem Mann immer wieder die Faust ins Gesicht donnerte. Ein Mädchen rief etwas aus einem Fenster, das einen Eisenrechen zum Erröten gebracht hätte. Ein paar Fabrikarbeiter, die noch ihre Arbeitskleidung trugen, drängten sich um einen Nomaden in einem ramponierten Wagen. Der Nomade bot lautstark Djinni-Blut zum Verkauf an, das »rechtschaffenen Leuten« ihren Herzenswunsch erfüllen sollte. Sein breites Lächeln wirkte in dem öligen Lampenlicht verzweifelt, was kein Wunder war. Seit Jahren hatte in dieser Gegend niemand mehr ein echtes Erstwesen gesehen, geschweige denn einen Djinni. Außerdem hätte der Mann wissen müssen, dass kein Wüstenbewohner glaubte, aus einem Djinni könnte etwas anderes herausfließen als reines Feuer – und dass niemand in Deadshot sich für »rechtschaffen« hielt. Die Einwohner der Letzten Provinz gingen oft genug zum Gebet, um beides besser zu wissen.
Ich versuchte, stur geradeaus zu blicken und so zu tun, als hätte ich das alles schon zig Mal gesehen.
Würde ich an den Gebäuden vorbei weiter hinaufsteigen, könnte ich über Sand und Gestrüpp hinweg bis nach Dustwalk sehen, wo ich zu Hause war. Allerdings wäre da nichts weiter zu entdecken als dunkle Häuser. Dustwalk stand mit der Sonne auf und legte sich mit ihr schlafen. Anständiges, ehrliches Verhalten gehörte nicht in die dunklen Nachtstunden. Könnte man vor Langeweile sterben, wären alle Leute in Dustwalk bereits Kadaver im Sand.
In Deadshot aber tobte das Leben.
Niemand schenkte mir groß Beachtung, als ich in die Scheune schlüpfte. In der Schießarena hatten sich bereits eine Menge Menschen versammelt. Große Öllampen hingen reihenweise von den Deckenbalken und verliehen den Gaffern einen fettigen Glanz. Dürre Kinder stellten Flaschen auf und wichen den Schlägen eines dicken Mannes aus, der sie anschrie, weil sie ihm zu langsam waren. Waisen, allem Anschein nach. Wahrscheinlich Kinder, deren Väter in der großen Waffenfabrik am Rand von Dustwalk gearbeitet hatten, bis fehlerhafte Maschinen sie in Stück rissen. Oder bis sie eines Tages betrunken zur Arbeit gegangen waren und sich so verbrannt hatten, dass sie nicht mehr weiterleben konnten. Mit Schießpulver zu arbeiten, war nicht gerade ungefährlich.
Ich war so damit beschäftigt mich umzuschauen, dass ich fast direkt in diesen Riesen von Mann neben der Tür hineingelaufen wäre. »Vorn oder hinten?«, fragte er. Seine Hände ruhten locker auf einem Säbel an seiner linken Hüfte und einer Pistole an der rechten.
»Was?« Gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass ich meiner Stimme einen tieferen Klang geben musste. Ich hatte zwar die ganze Woche geübt, meinen Freund Tamid nachzuahmen, klang aber immer noch wie ein Junge und nicht wie ein Mann. Das angeheuerte Muskelpaket an der Tür schien das nicht zu interessieren.
»Drei Fouza für einen Stehplatz hinten, fünf für einen Stehplatz vorn. Wetten werden ab zehn entgegengenommen.«
»Und wie viel kostet ein Stehplatz in der Mitte?« Verdammt. Das war mir rausgerutscht. Tante Farrah versuchte jetzt schon ein Jahr lang erfolglos, den Klugscheißer aus mir herauszuprügeln. Ich hatte so das Gefühl, es könnte mehr wehtun, wenn dieser Mann es versuchte.
Aber er runzelte nur die Stirn, als vermutete er, ich sei einfältig. »Vorn oder hinten. Mitte gibt es nicht, Junge.«
»Ich bin nicht zum Zuschauen hergekommen«, erklärte ich, bevor ich die Nerven vollends verlor. »Ich will schießen.«
»Warum stiehlst du mir dann meine Zeit? Melde dich bei Hasan.« Er stieß mich in Richtung eines korpulenten Mannes mit einer leuchtend roten Pluderhose und einem dunklen, ans Kinn geklatschten Bart. Der Typ stand hinter einem niedrigen Tisch mit Bergen von Münzen, die auf und ab hüpften, als er mit den Fingern auf die Platte trommelte.
Ich holte durch meine Sheema tief Luft und versuchte, nicht so auszusehen, als wollte mein Magen durch meinen Mund das Weite suchen. »Wie hoch ist das Nenngeld?«
Durch die Narbe an seiner Lippe erweckte Hasan den Eindruck, als würde er ständig höhnisch grinsen. »Fünfzig Fouza.«
Fünfzig? Das war fast alles, was ich besaß. Alles, was ich im letzten Jahr »gespart« hatte, um nach Izman fliehen zu können, der Hauptstadt von Miraji. Um weit von hier wegzukommen.
Obwohl mein Gesicht von der Nase an abwärts verdeckt war, musste Hasan mein Zögern bemerkt haben. Er ließ den Blick bereits über mich hinwegwandern, als sei für ihn schon klar, dass ich ohnehin gleich wieder gehen würde.
Das gab den Ausschlag. Ich ließ das Geld auf den Tisch klimpern. Es waren eine Handvoll Louzi-Münzen und ein paar halbe Louzi-Münzen, die ich eine um die andere während der letzten drei Jahre zusammengekratzt hatte. Tante Farrah meinte immer, es würde mir nichts ausmachen, als Depp dazustehen, solange ich damit einem anderen beweisen konnte, dass er falsch lag. Vielleicht hatte Tante Farrah ja recht.
Hasan beäugte die Münzen skeptisch, doch als er sie mit der Geschwindigkeit eines geübten Geldraffers zählte, musste er zugeben, dass es genau fünfzig Fouza waren. Einen kurzen Moment war meine Befriedigung größer als meine Nervosität.
Er hielt mir ein Stück Holz hin, das wie ein Anhänger an einer Schnur hing. In Schwarz war die Nummer 27 darauf gemalt. »Hast du denn genug Übung im Schießen, Siebenundzwanzig?«, fragte Hasan, als ich mir die Schnur um den Hals hängte. Der Anhänger schlug gegen die Tücher, die ich mir fest um die Brust gebunden hatte, damit sie flacher wurde.
»Ein bisschen«, wich ich aus. In Dustwalk fehlte es an fast allem, und nicht nur in Dustwalk, sondern in der ganzen Letzten Provinz. Lebensmittel. Wasser. Kleidung. Nur von zwei Dingen hatten wir mehr als genug: Sand und Pistolen.
Hasan schnaubte. »Dann solltest du ja eigentlich wissen, dass deine Hände nicht zittern dürfen.«
Ich presste die Hände an den Körper, um sie ruhig zu bekommen, als ich den Schießplatz betrat. Wenn ich eine Pistole nicht halten konnte, ohne zu zittern, spielte es kaum eine Rolle, dass ich zielen gelernt hatte, bevor ich lesen konnte. Ich stellte mich im Sand in die Reihe neben einen Mann, der aussah, als sei er unter seiner schmutzigen Arbeitskleidung nur Haut und Knochen. Ein Mann mit einer Achtundzwanzig um den Hals stellte sich auf meine andere Seite.
Die Stände ringsherum füllten sich. Die Wettanbieter brüllten Quoten und Zahlen durcheinander. Wäre ich ein Spieler, hätte ich gewettet, dass ich keinerlei Gewinnchancen hatte. Kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hatte, würde Geld auf einen mageren Jungen setzen, der nicht mal den Mumm hatte, seine Sheema herunterzunehmen und sein Gesicht zu zeigen. Vielleicht konnte ich ja irgendeinem hirnlosen Betrunkenen zu einem kleinen Vermögen verhelfen, wenn ich bewies, dass die, die ihre fünf Sinne beisammen hatten, falsch lagen.
»Guten Abend, meine Herren!« Hasans Stimme schallte über die Menge und brachte sie zum Schweigen. Dutzende Kinder liefen zwischen uns herum und verteilten die Pistolen. Ein Mädchen mit verfilztem Haar und bloßen Füßen reichte mir meine. Als ich das Gewicht in meiner Hand spürte, wurde ich sofort ruhiger. Rasch schnippte ich die Kammer auf; sechs Patronen steckten sauber aufgereiht darin. »Die Regeln sind bekannt. Ihr haltet euch also besser daran, sonst schlage ich euch eure...