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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 688 Seiten

Reihe: Die John-Wallace-Serie

Hamdy Freefall

Thriller
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-23022-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, Band 2, 688 Seiten

Reihe: Die John-Wallace-Serie

ISBN: 978-3-641-23022-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es gibt eine Regel. Traue niemandem!
Ohne es zu wollen ist John Wallace der größten Verschwörung der Welt in die Quere gekommen. Mit tödlichen Folgen. Er wurde bis zum bitteren Ende verfolgt und gequält. Aber letztlich war nicht er selbst es, der den höchsten Preis bezahlen musste, sondern die Liebe seines Lebens. Noch immer sieht er Connies Gesicht, wenn er nachts die Augen schließt. Nur die Abgelegenheit der afghanischen Berge, in die er sich zurückgezogen hat, scheint ihm ein wenig Trost zu spenden. Doch während er mit seiner Kamera einen afghanischen Stamm begleitet, passiert das Unfassbare: Ein neuer Feind taucht auf ...

Adam Hamdy war Strategieberater für internationale Firmen und Unternehmen, bevor er sich dem Schreiben von Drehbüchern und Romanen widmete. Aktuell entwickelt er die Serie Oracle für die BBC.
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2

DIE STERNE URTEILTEN nicht über ihn. Wallace saß unter dem weiten Himmelszelt, und während er die ewigen Feuer betrachtete, die in unzähligen entfernten Galaxien loderten, vergaß er für einen Moment seine Sorgen. Die Sterne interessierten sich nicht für die Schuldgefühle, die er empfand, weil die Frau, die er geliebt hatte, in seinen Armen gestorben war. Wie die zerklüfteten Berge ringsum würden sie unverändert weiter existieren, wenn Wallace und jeder, der sich an ihn erinnerte, längst tot war. Der Gedanke an die Ewigkeit verschaffte Wallace eine kurze Atempause. Aber er lebte nicht am unermesslichen Firmament, sondern auf der Erde, und war in dem Gefühlschaos gefangen, das das Leben für ihn bereithielt. Seine Schuldgefühle holten ihn in die Wirklichkeit zurück, und die Erhabenheit seiner Umgebung verflüchtigte sich, als ihm erneut bewusst wurde, dass er es nicht verdient hatte, frei zu sein. Er stellte sich Connies verzweifeltes Gesicht vor, aber die emporragenden Gipfel des Hindukusch waren gleichgültig gegenüber seinen Tränen und seiner Trauer.

»Du fehlst mir«, flüsterte er. »Du fehlst mir so sehr.«

Der tiefe Schmerz, der seit ihrem Tod seine Brust erfüllte, wurde allmählich stärker, breitete sich von seinem Herzen über seinen ganzen Körper aus und zerrte daran, als wollte er ihn von innen heraus zerstören. Es war ein vertrautes Gefühl, ein Gefühl, ohne das Wallace nicht leben konnte. Diese schmerzliche Bürde war seine einzige Verbindung zu der Frau, die er einmal geliebt hatte. Er konnte dieses Gefühl nicht abschütteln.

»Ich dachte, ich wüsste, was ich tue«, fuhr er fort. »Aber ich wusste es nicht …«

Die Stille des Waldes wurde von näher kommenden Schritten durchbrochen, und Wallace verstummte.

»Tr’ok Si’ol«, sagte hinter ihm die Stimme eines Jungen, und als Wallace sich umdrehte, sah er, wie Kurik, der jüngste Sohn seines Gastgebers, auf ihn zukam. Seine olivfarbene Haut leuchtete im Licht der Sterne.

Trotz all der Monate in Kamdesh hatte Wallace immer noch nicht herausgefunden, was Tr’ok Si’ol, der Name, den sein Gastgeber Vosuruk ihm gegeben hatte, bedeutete. Wenn er die Leute danach fragte, lächelten sie bloß mitfühlend und wiederholten Vosuruks Erklärung, dass es sich um seinen Kom-Namen handle.

»Oasa mes I’a«, fuhr Kurik fort, als er auf ihn zutrat. »T’ot gij’a ku t’u z’otr.«

»Auf Englisch, bitte«, sagte Wallace, da er nur das Wort »Angehöriger« verstanden hatte. Er sprach ein recht passables Paschtu und ein wenig Arabisch, aber er hatte Mühe, sich auf Kamviri verständlich zu machen, einem Dialekt, der von weniger als zehntausend Menschen auf der Welt gesprochen wurde.

»Vater sagen, du kommen.« Leicht verlegen, brachte Kurik jedes seiner undeutlichen Worte stockend hervor.

»Ich will nicht stören.« Wallace hob die Hände und trat einen Schritt zurück. Aber er merkte, dass der Teenager seine Worte und Geste nicht verstand. Wallace war noch nicht bereit aufzubrechen; er hatte gerade erst mit seiner Erinnerungsarbeit begonnen.

»Komm«, sagte Kurik mit Nachdruck und wandte sich ab.

Wallace warf einen letzten Blick auf die Sterne und versuchte, sich vorzustellen, dass seine große Liebe jetzt dort oben war, frei und ungebunden. Doch er wusste, dass sie nur in den Herzen jener Menschen weiter existierte, die sie gekannt hatten. Mit einem leichten Widerwillen drehte er sich um und lief hinter dem Jungen her. In seinen nächtlichen Gesprächen erweckte Wallace Connie wieder zum Leben, aber heute Nacht musste sie bei den Toten bleiben.

Kurik warf einen Blick über die Schulter und lächelte, als er sah, dass Wallace ihm folgte.

Obwohl Wallace viel Zeit in Afghanistan verbracht hatte, verstand er die komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse im Land immer noch nicht ganz. Afghanistan, das die Briten gewaltsam zu einer einzigen Nation vereint hatten, war in Wirklichkeit eine Ansammlung verschiedener Provinzen, deren Bewohner häufig mehr mit ihren Verwandten in Pakistan oder Tadschikistan gemeinsam hatten als mit ihren Landsleuten. Wallace war nach Nuristan gereist, weil es laut den Berichten, die er gehört hatte, immer noch von gewaltsamen Auseinandersetzungen heimgesucht wurde. Die Stämme der Nuristani, die jahrhundertelang einander befehdet hatten, hatten sich im Kampf gegen die wiedererstarkten Taliban zusammengeschlossen. In den westlichen Medien wurde der Konflikt vereinfachend als Auseinandersetzung zwischen Regierungskräften und militanten Moslems dargestellt, aber die Wirklichkeit war sehr viel komplexer. Jahrzehntelang war Nuristan unter dem Namen Kafiristan bekannt gewesen, was grob übersetzt »Land der Ungläubigen« bedeutete. Es verdankte seinen Namen der Tatsache, dass die Einheimischen sich lange Zeit geweigert hatten, zum Islam überzutreten. In einigen Bereichen Nuristans wurde die ursprüngliche Religion der Kalasha immer noch praktiziert, und selbst die Menschen, die zum Islam konvertiert waren, befolgten die religiösen Rituale und Bräuche ihrer Vorfahren. Die Stämme der Nuristani hielten an ihren Traditionen fest und widersetzten sich den Zwangsmaßnahmen der ausländischen Machthaber, seien es nun Briten, Moslems, Sowjets, Taliban, Amerikaner oder Paschtunen. Momentan kämpften die Kom gegen die Taliban, um zu verhindern, dass diese die Kontrolle über ihr Heimatland übernahmen. Wallace hatte sich für diese Region entschieden, weil die Kom tolerante Menschen waren, bei denen der Wohlstand über den gesellschaftlichen Status bestimmte, sodass er gegen einen entsprechenden Betrag dort eine Unterkunft bekommen konnte.

Nach schwierigen Verhandlungen in der Hauptstadt, die aufgrund eines Missverständnisses beinahe gescheitert wären, hatte man Wallace von Kabul durch das Bashgal-Tal nach Kamdesh, der angestammten Heimat der Kom, geschmuggelt. Die Stadt bestand aus schlichten Häusern mit jeweils zwei Zimmern, die über die Terrassen der steilen Hänge verstreut waren. Im Erdgeschoss der meisten Häuser befand sich ein Stall für das Vieh, in dem in der Regel Ziegen gehalten wurden, weil die Tiere in der Lage waren, in den Bergen zu überleben und den bitterkalten Wintern zu trotzen.

Wallace bot Vosuruk, dem Verwaltungsbeamten der Stadt, für seine Unterkunft zweihundert Dollar pro Woche an. Vosuruk war ein Grundbesitzer von Anfang fünfzig, der jedoch jünger aussah. Obwohl er ein freundliches, aufgeschlossenes Gesicht hatte, konnten seine Augen nicht verbergen, dass er in der abgelegenen Gebirgsstadt mit strenger Hand für Ordnung sorgte. Drei Ehefrauen und neun Kinder zeugten von Vosuruks Wohlstand, doch selbst ein hochrangiger Verwaltungsbeamter konnte zweihundert Dollar pro Woche nicht ausschlagen – in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen lediglich doppelt so hoch war.

Im Erdgeschoss seines Hauses trennte Vosuruk im Stall für Wallace einen eigenen Bereich ab, wo er neben den Ziegen und Pferden schlafen konnte. Vosuruks Familie war fasziniert von dem wohlhabenden Ausländer, der bei ihren Tieren hauste, aber Wallace hatte kein Interesse daran, sich einen Ruf als kauziger Eigenbrötler zu erwerben. Er bat Vosuruk, ihn mit den einheimischen Kriegern bekannt zu machen, die gegen die Taliban kämpften. Sein Gastgeber sprach zwar ein passables Englisch, doch jedes Mal, wenn Wallace auf den Krieg zu sprechen kam, tat er so, als würde er ihn nicht verstehen. Dann sagte er bloß »O’c n’a san’oa san’i«, was, wie Wallace herausfand, grob übersetzt »Ich kenne keine Soldaten« bedeutete.

Wallace kannte die Gepflogenheiten der Kom gut genug, um zu wissen, dass die Miliz ohne den Segen und vermutlich auch ohne die Unterstützung des Verwaltungsbeamten in der Region nicht operieren konnte. Man bekam für Geld zwar eine Unterkunft und Sicherheit, aber Wallace war klar, dass er Vosuruks Vertrauen nur nach und nach gewinnen würde. Also verbrachte er seine Tage damit, Vosuruks Familie kennenzulernen und sie und andere Stadtbewohner zu fotografieren. Vosuruk hatte insgesamt fünf Söhne und vier Töchter. Sein ältester Sohn, Guktec, war ein schroffer Mann von Ende dreißig, der zwei Frauen und fünf Kinder hatte. Mit seinen vierzehn Jahren war Kurik Vosuruks jüngster Sohn, und seine Mutter Zara, eine introvertierte Frau, die Vosuruk als Letzte geheiratet hatte, war höchstens dreißig Jahre alt. Kurik hatte von ihr die großen Augen und ihre sanfte Art geerbt.

An seinem dritten Tag in der Stadt war Wallace mit Kurik und einigen seiner jüngeren Freunde im Schlepptau auf Erkundungstour gegangen und hatte mitten in dem Zedernwald, der die Berge ringsum bedeckte, eine Felsnase entdeckt. Sein erster Besuch dort war noch vom Lachen und Kichern der Jungen getrübt gewesen, aber als die Kinder das Interesse an ihm verloren, kehrte er in der folgenden Woche dorthin zurück, um einen abgeschiedenen Ort zu finden, an dem er mit seiner Trauer alleine sein konnte. Vosuruk bezeichnete die Felsnase scherzhaft als V’ot Tr’ok Si’ol, und Wallace fand heraus, dass V’ot »Fels« bedeutete. Da es ihm jedoch nicht gelang, seinen Kom-Namen zu übersetzen, wusste er nur, dass er in den Augen der Bewohner diesen Ort in seinen Besitz genommen hatte. Offensichtlich amüsierte es sie, dass er solche Strapazen auf sich nahm, nur um alleine zu sein.

Der Felsen befand sich fünfzehn Minuten zu Fuß vom Stadtrand entfernt und war nur über einen unwegsamen Pfad zu erreichen, den man aus einem unerfindlichen Grund in den dichten Wald geschlagen hatte. Als Wallace sich jetzt mit Kurik seinen Weg durch das Gestrüpp bahnte, sah er am Berghang die funkelnden Lichter, bis sich die scharf umrissene Silhouette der Stadt langsam in sein Blickfeld...


Hamdy, Adam
Adam Hamdy war Strategieberater für internationale Firmen und Unternehmen, bevor er sich dem Schreiben von Drehbüchern und Romanen widmete. Aktuell entwickelt er die Serie Oracle für die BBC.



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