E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Hamatschek Tödliches Gas
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7693-3111-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Weinkrimi
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-7693-3111-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der junge Chemiker Daniel ist traumatisiert vom Selbstmord seiner Frau. Er zieht für eine Übergangszeit in das väterliche Weingut in Neustadt und trifft dort zwei Personen, die sein weiteres Leben verändern: den kleinwüchsigen Küfer Perkeo, der ihn in die Feinheiten der Weinherstellung einweiht und die IT-affine, flippige Mediendesignerin Essie. Und immer wieder hört er von Selbstmorden in dem Germanistinnen-Milieu, in dem auch seine Frau gelebt hat. Er und Essie kommen schließlich hinter ein schreckliches Geheimnis, das sie in tödliche Gefahr bringt.
Jochen Hamatschek, Jahrgang 1954, geboren in Heilbronn, ist promovierter Lebensmitteltechnologe. Er arbeitete einige Jahre als Professor für Kellerwirtschaft an der Hochschule Geisenheim und verfasst Fachbücher über Wein bzw. Lebensmitteltechnologie. Zur Entspannung schreibt er Weinkrimis, der vorliegende ist der vierte.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Papa startete sofort nach meinem Umzug ins Weingut mit der Manipulation. „Morgen kommt eine Spedition und holt 5000 Liter Wein ab. Kannst Du das beaufsichtigen und den Fahrer einweisen? Den Tank zeig ich Dir gleich. Ich muss aufs Amt. Und Rolf ist mal wieder beim Arzt.“ Rolf ist sein uralter Kellermeister, der seit gefühlt hundert Jahren zum Inventar des Betriebes gehört. Irgendwo zwischen Mumifizierung und Fossilierung, körperlich nur noch wenig belastbar, immer wieder krank, aber ein fleischgewordenes Lexikon, das zu jedem Wein, zu jedem Kunden oder Lieferanten eine Geschichte hatte. Er wusste schlicht alles über den Betrieb, kannte jede Fassdaube und jeden Sandsteinblock an der Hauswand, alle Jahrgänge mit ihren Problemen und konnte nach 20 Jahren noch genau beschreiben, wie er sie alle gemeistert hatte. Schenk ihm Wein ins Glas und er breitet seinen Fundus an Geschichten mit Humor, voller Emotionen, aber in nur schwer verständlichem Pfälzer Dialekt aus. Mit jedem Glas wurde er für mich unverständlicher. Papa brauchte ihn noch, zumal er als Mensch ehrlich, aufrichtig und herzlich war, den niemand verletzen wollte. Leider begriff ich schnell, dass Rolf rhetorisch besser war als praktisch. Mit der Arbeit aufhören war für ihn aber keine Option, nachdem seine Frau früh gestorben war lebte er ziemlich einsam und hauptsächlich für und durch seine Arbeit. Rolf selber sprach über Papas Schloss von seinem Gnadenhof. „Wieso verkaufst Du Wein im Fass? Das bringt doch nichts! Du verschenkst nur Geld.“ In Württemberg hatte ich diese Art von Weinverkauf nicht kennengelernt. „Ist auch nicht das, was ich will. Aber solange ich noch keinen Kundenstamm aufgebaut habe, müssen die Weinüberschüsse eben auf die Art zu Geld gemacht werden. Geht an eine Großkellerei, die packen meine Charge mit vielen anderen in einen Riesentank, schütteln ihn kräftig durch und in vier Wochen kannst Du die Mischpoke bei Aldi oder Lidl für sehr kleines Geld kaufen. Aber ich bekomme ja auch nicht viel. Kommissionsgeschäft heißt das. Den Kommissionär lernst Du am Samstag kennen, er ist bei der Party dabei. Er kann Dir mehr über sein Geschäft erzählen, in der Pfalz ist so etwas weit verbreitet.“ „Erwartest Du, dass ich zu Deiner Party dazukomme? Bin ich als VUP nicht fehl am Platze? Die Lust auf Feiern ist noch nicht wieder ganz zurück.“ Ich ahnte den nächsten Schritt der Vereinnahmung, Papa wusste, wie man Schrauben sanft aber beständig anzieht. Aber ewig trauernder Witwer zu spielen war keine Perspektive. „Red‘ kein dummes Zeug. Mein Sohn ist nie eine ‚Very unimportant person‘, die sind alle neugierig, Dich kennenzulernen. Jedenfalls triffst Du einige interessante Leute. Kannst Du gleich im Labor noch die Werte für Alkohol, Säure und vor allem flüchtige Säure bestimmen und mit denen des Labors der Weinbauschule vergleichen? Für einen ausgewachsenen Chemie-Doktor müsste das doch mit Lustgewinn verbunden sein, so an die handwerkliche Basis zurückzukehren. Oder fängt Chemie bei Dir erst beim Massenspektrometer und Gaschromatographen an, oder wie die teuren Maschinen heißen?“ Papa war immer noch der alte Ironiker, Zyniker und Rabulist, immer gewöhnungsbedürftig und für sensible Typen nur schwer verdaulich. Ich musste 28 Jahre alt werden und seine Hilfe bei dem Drama in Kristinas Weingut erfahren, um ihn endlich zu verstehen und vor allem zu respektieren. Er hat sich in der Pfalz nicht geändert, ich fürchte sogar, dass die kernige Mentalität der Eingeborenen perfekt zu ihm passt. Ihr spezieller Humor, ihre Deutlichkeit bei der Wortwahl ohne bürgerliche Goldwaage, da lebt er auf. Sogar ihren Dialekt hat dieses Sprachengenie inzwischen verinnerlicht. Etwas, was ich wohl nie schaffen werde. „Papa, was Du als Dein Weinlabor bezeichnest, ist Labortechnik aus der Altsteinzeit. Damit könntest Du allenfalls den ollen Justus Liebig begeistern. Das war im Studium ein halbes Semester lang unser Warming up, so zum Eingewöhnen mit Pipetten und Erlenmeyerkolben, danach haben wir richtige Chemie gemacht. Wenn Du autark werden willst von externen Laboren, dann gib mir einen Eimer Geld und ich mache etwas Vernünftiges draus. Oder rede mit Deiner Frau, Apothekerinnen können so etwas auch ganz gut.“ Die nächste Umdrehung der Schraube. Aber seine Frau würde frühestens in drei oder vier Jahren und dann als Rentnerin nach Neustadt kommen. Der Vorbesitzer des „Schlosses“ hat 30 Jahre nichts investiert und alles verkommen lassen, seine Kinder wollten sich gänzlich anders verwirklichen und schauten emotionslos zu, wie der Betrieb ohne Zukunftsperspektive in den Abgrund driftete. Nach dem Tod des Vaters sofort der Verkauf, fort mit Schaden. Alles lief über einen Makler, Papa hat die Erben nur beim Notar kurz gesehen. Entsprechend hatte er leichtes Spiel und musste nur wenig Geld für ein altes Gemäuer und einige renommierte Weinberglagen in die Hand nehmen. Dafür umso mehr für die Renovierung und den Neuaufbau des gesamten Weinguts. Das war nach und nach in die Todeszone gerutscht, entsprechend sind die Kunden davongelaufen und immer mehr Flächen mussten mangels Absatzes verpachtet werden. Natürlich die besten zuerst. Papa hatte praktisch ein völlig neues Weingut aus dem Boden zu stampfen, mit wenig Ahnung von Wein aber mit viel Erfahrung als Manager. Und der Rest ließe sich delegieren, meinte er. Einheimische Spötter sahen es anders: Er würde mit dem Weingut sicher ein kleines Vermögen machen. Nachdem er mit einem großen gestartet sei. Verstehen konnte ich Papa gut: Wenn ein reicher Quereinsteiger wie er mit einer blühenden Fantasie und überbordendem Temperament sich zu einem solchen Schritt entscheidet, geht es um Selbstverwirklichung und Anerkennung, darum, es sich noch einmal zu beweisen, und nicht zuerst um wirtschaftlichen Erfolg. Der kann ruhig später kommen, er ist nicht darauf angewiesen. Wer hat nicht den Wunsch, sich irgendwann neu zu erfinden und seinem Leben einen neuen Sinn zu geben, koste es, was es wolle? Dazu gehörte, dass er nach inzwischen zwei Jahren noch tiefrot wirtschaftete. Der Umbau der Schlossanlage wurde wesentlich teurer als geplant, der Weinverkauf lief weit hinter den Plänen her. Investorenschicksal bei altem Gemäuer. Zum Glück musste der Vorbesitzer wenigstens zu Lebzeiten noch das marode Dach selber sanieren. „Dächer und Frauen können den stärksten Betrieb umbringen,“ hörte ich Papa halb belustigt reden. Offensichtlich hatte er dabei ein u.a. nach einer teuren Scheidung insolvent gegangenes Schlossgut im Rheingau im Auge. Jedenfalls musste er den Fünfjahresplan nach dem ersten Hammerschlag der Handwerker beerdigen und einen ersten Gewinn aus dem Betrieb auf mindestens sieben Jahre verschieben. Und konnte damit noch fünf Jahre ein teures Hobby pflegen. Der Weinkeller war kein Vergleich mit dem modernen von Kristinas elterlichem Betrieb. Ein über 300 Jahre altes Kellergewölbe unterhalb des Hauptgebäudes mit großen Sandsteinen und tief in die Haardt hineingegraben. Eine beeindruckend breite Steintreppe rechts neben dem Haupteingang ins Schloss führte zehn Meter in die Tiefe. Im Keller fand sich eine Art Museum mit unterschiedlichsten Behältern. Altehrwürdige Holzfässer in allen Größen neben unsäglichen Kunststofftanks, eine dünne Wasserleitung an der Decke, mehrere Funseln, die mehr Schatten warfen als dass sie Licht spendeten, an zwei Stellen Bodenschächte, die bei jedem Tankreinigen überliefen. Gleich am Eingang stand als Bestätigung des musealen Charakters eine mit der Hand zu bedienende Weinpumpe aus der vorelektrischen Zeit, ein Traum für den Kraftraum jeder Muckibude. Der Boden aus Sandsteinplatten war uneben, eckig und kantig. Von den Wänden grüßte dick der grau-schwarze Kellerschimmel und verbreitete einen modrigen Geruch, den man zum Glück schon nach ein paar Minuten nicht mehr wahrnahm. Ein Geruch, der trotzdem auf der Festplatte im Gehirn gespeichert wird und den man in jedem Wein aus dem Betrieb wiederzufinden meint. Ein Betriebston abhängig von Art und Menge des Schimmels. Insgesamt eine arbeitswirtschaftliche und hygienische Katastrophe. Unter solchen Bedingungen technisch saubere, vielleicht sogar gute Weine herzustellen, konnte ich mir kaum vorstellen. Papa sah das Elend genauso, er hatte den Schwerpunkt der Sanierung aber anders gesetzt. Der Keller musste noch warten, ich könne ihn ja mitgestalten. Es ging ihm zuerst um das schlossähnliche Gebäudeensemble und dessen Restaurierung und nicht darum, sich mit einem Weingut auf den Markt und in den Kampf zu stürzen. „Solange die meisten Rebflächen noch verpachtet sind und ich nur wenig Wein produziere, gehen Repräsentation und privates Umfeld vor. Du freust Dich hoffentlich, dass Du in eine hübsch hergerichtete Wohnung einziehen kannst. Ich wusste von Anfang an, dass ich mindestens das Zehnfache des Kaufpreises für die Renovierung brauche. Und das Verhinderungs-, neudeutsch, Denkmalamt sucht weiter nach Haaren in der Suppe.“ Immerhin hatte er im Bereich vor der Kellertreppe bereits einige gebrauchte Edelstahltanks aufgestellt und mehrere undichte Holzfässer zerlegen lassen. Die restlichen sollen bis auf einige Schaufässer auch...




