E-Book, Deutsch, Band 2, 330 Seiten
Reihe: Ein Fall für Julia Sommer
Hahnenberg Wolfstanz
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-838-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Ein Fall für Julia Sommer 2 + Kurzgeschichte "Wolfskind"
E-Book, Deutsch, Band 2, 330 Seiten
Reihe: Ein Fall für Julia Sommer
ISBN: 978-3-98952-838-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ursula Hahnenberg ist in Münchens Speckgürtel aufgewachsen und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. Als studierte Forstwissenschaftlerin lebte sie ihr kreatives Potential in diversen Branchen aus, bevor sie zu ihrer Berufung fand. Heute ist sie als freie Autorin und Schreibtrainerin tätig und erzählt am liebsten von starken Frauen. Die Website der Autorin: www.ursula-hahnenberg.de Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/ursula.di Die Autorin bei Instagram: @ursula_hahnenberg Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Krimi-Reihe um Försterin Julia Sommer mit den Einzeltiteln »Teufelstritt« und »Wolfstanz«, in dem auch die Kurzgeschichte »Wolfskind« enthalten ist.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2
Die Kirchturmuhr schlug acht, als Julia mit ihrer Großmutter in der kleinen Küche des Forsthauses beim Frühstück saß.
Das Haus gehörte zu ihrer Arbeitsstelle im Grafenrieder Forst. Schon als ihr Vater hier der Förster gewesen war, hatte ihre Familie hier gewohnt. Doch als sie erst vier Jahre alt gewesen war, waren ihre Eltern bei einem Autounfall gestorben, und sie war zu ihrer Großmutter nach Mühldorf gezogen. Julias Vorgänger hatte es im Gegensatz zu ihr vorgezogen, in einer großen modernen Wohnung im Nachbarort zu wohnen, und das hübsche Häuschen mit den grün lackierten Fensterläden hatte lange Zeit leer gestanden. Seit Julia mit ihrem sechsjährigen Sohn Florian und ihrer Großmutter Martha vor gut einem Jahr eingezogen war, hatte sie damit begonnen, das Forsthaus zu renovieren, doch die Fenster warteten immer noch auf einen neuen Anstrich, und auch der Boiler sorgte nicht immer für warmes Wasser im Badezimmer.
Die Küche war Julias und Omas Refugium. Der Boden war mit hellen Dielen ausgelegt, die sie regelmäßig schrubbten, und die Küchenschränke aus hellem Holz waren einfach, aber praktikabel wie die übrige Ausstattung. Den größten Raum nahm eine gemütliche Eckbank mit einem großen Holztisch und ein paar Stühlen ein. Die Sitzgruppe gehörte zum Haus und war schon da gewesen, als Julia noch klein gewesen war. Sie hatte die Möbelstücke gleich wiedererkannt, als sie ihren zukünftigen Arbeitsplatz besichtigt hatte.
Draußen vertrieben Sonnenstrahlen den Nebel und fielen fröhlich und warm zum Küchenfenster herein, als wollten sie die Schwärze der Nacht aus Julias Gedanken fortjagen. Doch das seltsame Erlebnis auf der Straße im Wald hatte sich in ihrem Kopf eingebrannt und bereitete Julia stechende Kopfschmerzen. Dass die Heizung im Bad heute Morgen mal wieder streikte und sie nur kalt hatte duschen können, trug erst recht zu ihrer schlechten Laune bei. Sie goss erst Martha und dann sich selbst Kaffee ein und nahm sich eine Scheibe Brot aus dem Körbchen. Koffein und etwas zu essen, das war jetzt genau das richtige Heilmittel. Wenn es ihr nach dem Frühstück nicht besser ging, konnte sie immer noch eine Kopfschmerztablette nehmen.
Über dem Kühlschrank tickte laut die Küchenuhr, doch Julia war zu müde, um gegen die Stille Konversation zu machen. Außerdem war Oma in der Früh auch meist froh, ihre Ruhe zu haben. Besonders wenn sie wie heute den Morgen ohne den quirligen Florian genießen konnten, der den Feiertag bei seinem Vater, Julias Exmann Markus, verbrachte.
Noch in der Nacht hatte Julia das Reh aus dem Auto in die Wildkammer im Keller geschleppt, zu mehr war sie nicht mehr fähig gewesen. Nun wartete das tote Tier in dem weiß gekachelten Raum darauf, näher von ihr untersucht zu werden, und das wollte sie so schnell wie möglich tun. Denn sie kannte Obermeier. Er würde aus der Begegnung in der Nacht eine Märchenstory spinnen, garniert mit einer gehörigen Portion Jägerlatein. Für ein bisschen Aufmerksamkeit seiner Jagdkumpane gab er stets alles. Am besten wäre es wohl, wenn sich die Sache als Wildunfall herausstellte und sie das Reh in den Abschussplan eintragen konnte. Auch wenn Obermeier behauptete, er habe das Tier nicht angefahren. Doch bevor er die Leute mit Schauergeschichten erschreckte, musste sie herausfinden, was wirklich geschehen war. Gleich nach dem Frühstück, wenn Martha in die Kirche gegangen und sie allein im Haus war, würde sie das Reh untersuchen.
Julia nahm einen großen Schluck Kaffee und verbrühte sich daran die Zunge. Mit einem leisen Fluch und einem viel zu lauten Klirren stellte sie die Tasse zurück auf den Unterteller. Sie fing einen strafenden Blick von Martha auf und nahm sich vor, sich ab sofort besser zu benehmen. Lächelnd murmelte sie eine Entschuldigung und bestrich ihr Brot mit selbst gemachter Johannisbeermarmelade.
Das Klingeln des Telefons im Büro nebenan beendete die Stille abrupt.
Julia warf erneut einen Blick auf die Uhr und stand auf. Kurz nach acht. Florian war bestimmt schon wach. Markus hatte darauf bestanden, dass Flo den Vatertag bei ihm in Freising verbrachte, obwohl am nächsten Tag Schule war. Wahrscheinlich war ihrem Kleinen langweilig, weil Markus an freien Tagen gern ausschlief. Sie eilte ins Büro und suchte das Mobilteil auf dem Schreibtisch. Nach ein paar Sekunden fand sie es zwischen zwei Papierstapeln und drückte die grüne Taste.
»Hallo, mein Schatz!«, rief sie fröhlich.
»Frau Sommer?«, schallte ihr eine unbekannte Stimme entgegen. »Hier spricht Dirk Berger.«
»Äh, Entschuldigung. Ich hatte jemand anderen erwartet. Was kann ich für Sie tun, Herr, äh, Berger?«, stammelte Julia verlegen.
»Ich arbeite für den Ebersberger Anzeiger und habe einige Fragen an Sie. Sie sind doch Försterin im Ebersberger Forst, oder?«
Julia wurde hellhörig, und ihr Kopfschmerz verstärkte sich. Sie kannte den Lokalreporter. Er berichtete immer, wenn es einen Unfall im Forst gegeben hatte. Ein unangenehmer kleiner Mann. Was wollte er von ihr? Diese Zeitungstypen verdrehten einem doch nur zu leicht das Wort im Mund, und ihr fielen die passenden Antworten oft erst ein, wenn Gespräche längst beendet waren.
Dirk Berger gab ihr keine Gelegenheit zu antworten. »Haben Sie den Wolf schon gesehen?«
Welchen Wolf? Für einen Moment war Julia sprachlos. War er nach Obermeier der nächste Jägerlateinerzähler? Mit sicherem Zeitungsleserpublikum? Nicht mit ihr. »Ich wüsste nicht, was Sie das anginge.« Sie rieb sich über die Stirn. Dieser Tag hätte wirklich nicht schlimmer anfangen können. Das lag bestimmt am Föhnwind. Neben Sonnenschein brachte er auch Kopfschmerzen und schlechte Laune. Und offenbar auch Reporter auf komische Ideen.
»Ach, kommen Sie, Sie haben bestimmt die Gerüchte gehört.«
»Welche Gerüchte denn?«, fragte Julia langsam. Meist war sie im Dorf die Letzte, die etwas erfuhr. Wenn Oma nicht wäre, bekäme sie wahrscheinlich gar nichts davon mit, was im Dorf getratscht wurde.
»Es soll ein Wolf gesehen worden sein«, erklärte Berger mit ruhiger Stimme.
»Gibt es dafür Beweise? Fotos?«
»Bisher wohl nicht. Ich bin auf der Suche danach, Frau Sommer. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass ein Wolf praktisch vor unser aller Haustüren im Wald herumstreift?«
»Herr Berger, ich weiß wirklich nicht, warum Sie gerade mich anrufen. Der Ebersberger Forst ist ein riesiges Waldgebiet mit vier großen Forstrevieren. Hier gibt es Tiere in Hülle und Fülle. Natürlich könnte es sein ...« Weiter kam Julia nicht, denn Dirk Berger fiel ihr erneut ins Wort.
»Sie bestätigen also die Sichtung?« Die Stimme des Reporters hatte einen lauernden Unterton angenommen.
»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Julia.
Berger ging nicht auf ihren Einwand ein. »Ich habe hier einen Augenzeugen, der behauptet, er hätte einen Wolf im Wald gesehen.«
»Dann fragen Sie doch Ihren Augenzeugen!« Julia hatte so langsam genug.
»Der ist kein Experte, Frau Sommer«, beharrte der Reporter. »Ich frage Sie mal andersherum: Können Sie ausschließen, dass sich ein Wolf im Forst herumtreibt?«
»Können Sie ausschließen, dass sich in Ihrer Küche Mäuse herumtreiben?«, entgegnete Julia.
»Also nein.«
Julia fühlte, wie ihre Wangen vor Wut rot wurden. Sie öffnete den Mund, um den Zeitungsfritzen zurechtzuweisen. Da klickte es in der Leitung. Berger hatte aufgelegt. Verärgert starrte sie den Telefonhörer an.
Nach dem Anruf holte Julia sich noch eine Tasse Kaffee aus der Küche und ließ sich dann auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Einen Moment lang lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.
Die Kopfschmerzen waren immer noch da. Rechts oberhalb ihrer Stirn. Sie kreiste die verspannten Schultern, aber die Bewegung brachte keine Erleichterung. Ein Wetterwechsel würde vielleicht helfen oder eine heiße Dusche. Sie nahm einen Schluck Kaffee. Mittlerweile war er nur noch lauwarm, aber immerhin belebte er sie etwas und milderte den Kopfschmerz ein wenig. Vielleicht sollte sie sich eine Thermoskanne Tee aufbrühen und endlich eine Tablette nehmen? Nein. Für eine gemütliche Teestunde war keine Zeit. Es gab heute viel zu tun, und der Kopf schwirrte ihr noch von dem seltsamen Telefonat. Missmutig kritzelte sie als To-do »Heizung reparieren!« auf ein gelbes Post-it und klebte den Zettel an den Monitor. Dann schob sie ein paar Seiten Papier von der Tastatur, suchte nach der Maus und startete den Computer.
Wie immer dauerte es quälend lange, bis der Rechner hochgefahren war. Es würden einige Minuten vergehen, bevor sie die Seite des Landesamts für Umwelt aufrufen konnte. Da würde sie die Informationen finden, die sie suchte. Unschlüssig blickte Julia sich in ihrem Arbeitszimmer um. Es war klein und vollgestopft und eigentlich nicht besonders gemütlich. Rechts des überfüllten Schreibtisches befand sich eine Regalwand mit Julias Fachbüchern und den lästigen Aktenordnern, die auf Fütterung warteten. Links an der Wand hing die große Karte vom Forst, und daneben, hinter der Tür versteckt, stand der schmale Stahlschrank, in dem Julia ihre Waffen aufbewahrte. Sie drehte sich auf ihrem Stuhl zum Regal und fuhr mit dem Finger über die Rücken der dort stehenden Bücher, bis sie das orangefarbene Zoologiebuch »Forstschutz gegen Tiere« fand. Sie blätterte gerade darin, als Martha hereinkam.
Ihre Großmutter trat neben sie und senkte neugierig den Kopf, um einen Blick in das Buch zu erhaschen. »Wer war das denn am Telefon?«
Julia zuckte mit den Schultern. Ihre Bereitschaft zu reden war durch das Telefonat mit Berger nicht gerade größer geworden, aber sie hatte sich doch gerade vorgenommen, Oma nicht unter ihrer mäßigen Laune...