E-Book, Deutsch, Band 1, 280 Seiten
Reihe: Ein Fall für Julia Sommer
Hahnenberg Teufelstritt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-779-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Ein Fall für Julia Sommer 1
E-Book, Deutsch, Band 1, 280 Seiten
Reihe: Ein Fall für Julia Sommer
ISBN: 978-3-98952-779-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ursula Hahnenberg ist in Münchens Speckgürtel aufgewachsen und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. Als studierte Forstwissenschaftlerin lebte sie ihr kreatives Potential in diversen Branchen aus, bevor sie zu ihrer Berufung fand. Heute ist sie als freie Autorin und Schreibtrainerin tätig und erzählt am liebsten von starken Frauen. Die Website der Autorin: www.ursula-hahnenberg.de Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/ursula.di Die Autorin bei Instagram: @ursula_hahnenberg Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Krimi-Reihe um Försterin Julia Sommer mit den Einzeltiteln »Teufelstritt« und »Wolfstanz«, in dem auch die Kurzgeschichte »Wolfskind« enthalten ist.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel Eins
Frieden fand man nur im Wald.
Julia presste ihr rechtes Auge an das Zielfernrohr, ihre Wange fest am Holz des Schaftes. Schon seit einer Stunde harrte sie fast bewegungslos in der Morgendämmerung auf ihrem Ansitz im Ebersberger Forst aus. Jetzt endlich bekam sie den Lohn für ihre Geduld. Nur etwa sechzig Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung stand der alte Rehbock, auf den sie gewartet hatte. Das rhythmische Rauschen ihres Herzschlags verdrängte das Vogelgezwitscher aus ihren Ohren. Der Bock zupfte ein paar Grashalme, richtete sich auf, schien sie anzustarren. Dann bog das Tier den schlanken Hals, um wieder ein paar Triebe zu naschen. Komm schon, beschwor Julia den Bock in ihren Gedanken, dreh dich. Zeig mir deine schöne Seite!
Endlich schien der Jagdgott ein Einsehen zu haben, und das Tier stakte durchs hohe Gras ein paar Schritte nach links. Jetzt hatte Julia den freien Blick auf seine Flanke. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung lenkte sie das Fadenkreuz in die richtige Position. Ihr Zeigefinger suchte den Abzug, fand ihn.
Der Schuss zerriss den Frieden. Der Bock machte einen kleinen Luftsprung und fiel zappelnd ins hohe Gras. Dann war für einen Moment alles totenstill. Selbst die Vögel schwiegen. Nur der Schuss klang in Julias Ohren nach.
Sie sicherte und entlud das Gewehr und reckte die steifen Glieder. Ihre Fingerspitzen kribbelten, während sich das Adrenalin in ihrem Körper abbaute. Sie hob das Fernglas an die Augen und sah nach dem Rehbock. Er rührte sich nicht. Ein guter Schuss. Waidgerecht. Einer der wenigen Punkte, in denen sie mit ihrem Chef übereinstimmte: Kein Tier sollte leiden müssen.
Julia blickte nach oben: Durch das Blätterdach der Buche blitzte der blaue Sommerhimmel. Das matte Grün und Blau war eine Wohltat für ihre brennenden Augen. Nach ein paar Minuten kletterte sie die Ansitzleiter hinunter und machte sich auf den Weg. Das Reh lag ganz am anderen Ende der Lichtung, sie reckte den Hals, konnte jedoch keine Bewegung ausmachen. Das hohe Gras befeuchtete ihre Hosenbeine mit Morgentau. Schließlich erspähte sie den braunen Körper zwischen den Halmen. Ein paar Meter entfernt blieb sie stehen und hielt den Atem an. Wenn das Tier noch lebte, konnte der Anblick eines Menschen es in Panik versetzen – so sehr, dass es unter Aufbietung der letzten Lebensgeister aufspringen und im Dickicht verschwinden würde. Angeschossen, verletzt, wie es war, würde es elend leiden und nur langsam zu Grund gehen. Das durfte nicht passieren.
Lautlos nahm Julia ihre Waffe wieder von der Schulter und tastete in der Jackentasche nach Munition. Bewegte sich der Brustkorb des Tieres? Automatisch beschleunigte sich ihr Herzschlag, und ihre Muskeln spannten sich an.
Ein Schuss krachte. Dann noch einer.
Julia stockte der Atem.
Der Wilderer? Sollte sie den Mistkerl endlich zu fassen bekommen? Sie warf einen entschuldigenden Blick auf den Bock, der sich nicht bewegt hatte, dann wandte sie sich um und rannte entschlossen in die Richtung, aus der die beiden Schüsse zu hören gewesen waren. Sie würde diesen Kerl finden!
Auf dem Forstweg, nur wenige Meter vor dem Ebersberger Aussichtsturm – einem Betonkoloss, von dem aus man beste Sicht über das Voralpenland bis weit in die Berge hatte –, bemerkte sie Ludwig Voss’ silberfarbene Mercedes G-Klasse am Wegrand und zögerte. Ihr Chef also. Doch kein Wilderer, wie sie befürchtet hatte. Julia blieb stehen. Sollte sie wirklich zu ihm gehen? Nach dem gestrigen Streit mit Ludwig hatte sie keine große Lust. Allein der Gedanke daran ließ in ihrem Magen Wut grummeln.
Unter den aktuellen Umständen war sie sich nicht sicher, ob sie die Fassade aufrechterhalten und ihrer Pflicht als guter Angestellter, ihm höflich einen guten Morgen zu wünschen, wirklich nachkommen konnte. Andererseits musste sie sich irgendwann ansehen, was er mit den zwei Schüssen erlegt hatte, schon allein, weil sie es später ohnehin in den Abschussplan eintragen musste. Das gehörte zu ihrem Job, das war oberste Pflicht. Danach konnte sie sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Widerstrebend ging sie weiter.
Hinter dem Auto lag ein Körper, nur wenige Meter neben dem Weg zwischen den kniehohen Farnbüscheln.
Bäuchlings.
Regungslos.
Instinktiv rannte Julia auf ihn zu. Es war ein Mann, er trug Jagdkleidung, eine tannengrüne Lodenjacke und eine beige Cargohose. Die Füße steckten in ledernen Bergschuhen, die Arme waren links und rechts weit vom Körper weggestreckt. Im Rücken hatte die Jacke mitten zwischen den Schultern zwei kleine ausgefranste Löcher.
Julia ließ sich in den weichen Waldboden neben dem Körper auf die Knie fallen und beugte sich hinunter. Mit beiden Händen bewegte sie vorsichtig den Kopf des Mannes ein wenig, so dass sie sein Gesicht sehen konnte. Sie schnappte nach Luft, denn die dunkelbraunen Augen, die nur leicht ergrauten Schläfen und das glattrasierte Gesicht kannte sie nur allzu gut.
Ludwig. Kein Zweifel.
Julia wollte ihn rütteln, ihn aufwecken, besann sich dann aber. Lieber vorsichtig.
Lebte er noch? Sie hielt das Ohr nah an sein Gesicht und hoffte, betete, das leise Geräusch seines Atems wahrzunehmen.
Nichts. Nervös tastete sie mit zwei Fingern vorsichtig an seinem Hals entlang und versuchte das Pulsieren der Schlagader zu finden.
Vergeblich. War er tot?
Ja. Sie spürte weder Atem noch Puls. Hier lag Ludwig Voss, in voller Jagdmontur, und er lebte nicht mehr. Sein Gesicht, trotz seiner fünfundsechzig Jahre noch jugendlich, war ein bisschen blass, das übliche überhebliche Grinsen durch einen erstaunten, nein, erschrockenen Ausdruck ersetzt.
Julia kämpfte die aufsteigende Übelkeit zurück und ertrug den sauren Geschmack im Mund.
Irgendwie fiel ihre Hand auf Ludwigs Rücken, als wolle sie sich entschuldigen, ihm die Schulter tätscheln. Als sie sich dessen bewusst wurde, zog sie hastig die Hand zurück und starrte die Handfläche an. Da war Blut, Ludwigs Körper war noch warm. Vor wenigen Minuten hatte dieses Herz noch geschlagen. Ihr wurde wieder übel.
Sie rappelte sich auf und stolperte zurück auf den Weg. Sie musste Hilfe holen. Sofort. Für den Mann, dem sie gestern noch den Tod gewünscht hatte.
Wo war das Handy? Ein lauter Fluch entfuhr ihr, als sie sich erinnerte, dass sie es in ihrem Wagen gelassen hatte. Wie immer, schließlich störte es bei der Jagd mehr, als es nutzte.
Irgendwo knackte ein Ast, Blätter raschelten und Julia fuhr herum, suchte mit den Augen die Umgebung ab. War der Mörder noch in der Nähe? Ihre Sinne waren plötzlich hellwach, ihr Puls raste. Doch ihre Ohren vernahmen nichts als den erwachenden Sommerwald mit seinem Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. Ihre Augen sahen nichts außer Bäumen, Sträuchern und dem Forstweg. Und Ludwigs Auto. Der Kofferraum stand offen. Vielleicht hatte ja auch Ludwig sein Telefon im Auto liegen lassen.
Oder es war in seiner Jacke. Sie drehte sich um, betrachtete die Leiche zweifelnd und schüttelte leicht den Kopf. Nichts in der Welt würde sie dazu bringen, die Hände in Ludwigs Jackentasche zu stecken.
Stattdessen warf Julia einen Blick in den Kofferraum, in dem sich nur eine große weiße Plastikwanne für eventuelle Jagdbeute, eine Tasche für ein Jagdgewehr und Ludwigs Etui mit den Jagdmessern befanden. Automatisch griff sie nach der Tür des Kofferraums und ließ sie ins Schloss fallen. Dann ging sie zur Fahrertür vor und öffnete sie. Obwohl Ludwig den Mercedes nun schon ein paar Monate hatte, stieg ihr immer noch der Duft von neuem Leder und poliertem Holz in die Nase. Julia stieg in den blitzsauberen Wagen und öffnete die Klappe der Mittelarmlehne, dann beugte sie sich vor, um das Handschuhfach zu erreichen. Sie fand Papiere, Kleingeld und eine gefüllte Brotdose. Aber kein Telefon.
Sie stieg wieder aus dem Auto. Alles nur Zeitverschwendung. Sie hätte gleich zu ihrem eigenen Wagen laufen sollen. Julia warf einen letzten Blick auf Ludwigs Körper, dann drehte sie sich um und rannte los.
Als sie endlich atemlos an ihrem beigen Landrover ankam, schnappte sie sich ihr Handy vom Beifahrersitz. Mit immer noch pochendem Herzen lehnte sie sich ans Auto und wählte die Notrufnummer. Während sie mit dem Telefon am Ohr wartete, wippte ihr Fuß nervös auf und ab. Doch es tutete nicht, sie bekam keine Verbindung. Sie starrte das schwarze Display an: Der verdammte Akku war mal wieder leer. Julia steckte das nutzlose Ding fluchend in die Hosentasche. Wie viel Pech konnte man haben? Früher, als die Dinger nur telefonieren konnten, hielt der Akku eine gefühlte Ewigkeit. Jetzt war er ständig leer, auch, weil sie natürlich immer anderes im Kopf hatte, als dieses lästige Teil jeden Tag dreimal aufzuladen. Sie bettete ihr Gewehr sorgsam in das Etui im Kofferraum, stieg in den Wagen, ließ den Motor an und trat wütend das Gaspedal durch.
Noch bevor der Landy vor dem Forsthaus in Grafenried ganz zum Stehen gekommen war, riss Julia die Wagentür auf und sprang aus dem Auto.
Die Haustür öffnete sich, und Martha, ihre Großmutter, stand im Türrahmen. Julia rannte zu ihr und schloss die kleine Frau in ihre Arme. Sie konnte nichts dagegen tun, dass ihr ein paar Tränen über die Wange liefen. Wie froh war sie, zu Hause zu sein, weg von all dem. In Sicherheit.
»Kind, was ist denn passiert? Du bist ja ganz außer dir.« Martha fasste sie an den Schultern und schob sie ein Stückchen von sich. Mit ihrer faltigen Hand strich sie Julia zärtlich eine Träne aus dem Gesicht.
Julia schluckte. Dann straffte sie sich und drückte Martha sanft zur Seite. »Ich muss schnell telefonieren, Oma!«
Sie eilte in die gemütliche...