Hahn | Ein Mann im Haus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 190 Seiten

Reihe: Romane

Hahn Ein Mann im Haus

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-13573-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 1, 190 Seiten

Reihe: Romane

ISBN: 978-3-641-13573-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Frau schmiedet ihrem Geliebten goldene Fesseln und kettet ihn an sich, an ihr Haus, an ihr Bett. Sie macht ihn sich in einem präzise erdachten, grausamen Unterwerfungsprozeß untertan: die Rache für die jahrelange Verfügbarkeit und Willfährigkeit, die von ihr erwartet wurde.

Ulla Hahn hat einen Roman geschrieben, der mit Grenzen spielt: keinen Liebesroman, aber mit grausamer Konsequenz von nichts als der Liebe erzählend; keine Pornographie, aber ohne Respekt vor Tabus; kein feministisches Lehrbuch, aber rückhaltlos und ausschließlich die weibliche Perspektive zeigend.
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II


Seit die Nachbarskatze an Rattengift eingegangen war, erwachte Maria jeden Morgen früh vom Geschnatter der Vögel. Heute mischte sich Hansegons Schnarchen mißtönend dazu. Sein Mund stand weit offen, und Speichel lief aus dem linken Mundwinkel auf die Kissen, färbte die dunkelrote Seide schwarz, spitz stach die Nase in die Morgendämmerung. Maria küßte sie leicht, ging ins Bad, duschte und pfiff das Lied vom Vogelfänger. Ach! Überwältigend süß war dieser Augenblick gewesen, als sie mit ihm gerungen hatte! Sie setzte Teewasser auf und machte sich daran, das Armband einer Kundin, dessen Silberfäden sich verfangen hatten, zu entwirren.

Ein Stöhnen kam aus dem Schlafraum. Maria lief in die Werkstatt, holte starkes Klebeband, preßte dem Erwachenden die Kinnlade unter den Oberkiefer, daß die Zähne aufeinanderschlugen, und klebte die Lippen, die sie wieder und wieder geküßt und belogen hatten, zusammen. Durch die Handfesseln führte sie ein lila-grün geknüpftes Lederband, das sie um den gedrechselten Bettpfosten wand, locker, er sollte sich bewegen, aber nicht fortbewegen können.

Da lag der Mann, da lag der Küster, Küstermann lag da. Maria setzte sich mit einer Tasse Tee zu ihm, zog die gerafften Vorhänge ein Stück in die Höhe, das Morgenlicht schnitt das Bett in zwei Hälften, präparierte die blaugeäderten, geschwollenen Knöchel und gelblich verhornten Fußsohlen aus der Dämmerung, daß sie sauer aufstoßen mußte und die Decke darüberschob.

Küstermann erwachte, als er sich vom Rücken auf die Seite wenden wollte, was Fesseln und Bänder vereitelten. Klägliche Laute, halb Schnarchen, halb Stöhnen, dann schleichendes Pfeifen, das sich überschlug; Rasseln, als gurgelten Tonleitern aus seinem Brustkorb, aufsteigend, versinkend. Sein Kopf rollte zwischen den Schultern, seine Lider begannen zu flattern, im Sog seiner Zunge zog sich die Haut seiner Wangen nach innen, die Kinnladen malmten, blau gabelte sich eine Ader auf seiner Stirn. Das Beinpaar anhebend, ruckte er hoch, es ruckte das Armpaar; Küstermann lag zuckend in der Seide, in seinen Augen kreiste das Entsetzen.

Ihre Hand zitterte, als sie die Tasse auf den Unterteller klirrte. Kleine Schweißtropfen brachen ihm aus der Stirn, sie tupfte sie trocken, drückte seine Fäuste, die in der Goldschmiedearbeit auf- und niederzuckten, sacht auf sein Geschlecht. Bei der Berührung mit den Fesseln traten ein paar Tropfen vor die Eichel, seit einiger Zeit fiel ihm das Wasserlassen schwer.

Die Flasche stand bereit. Beim Anblick des blitzenden Glases mischten sich in Küstermanns Miene Schauder, Scham und Erleichterung. Er wälzte sich auf die rechte Hüfte, sorgsam führte sie sein Glied bis zur halben Länge in die Öffnung, hielt es fest und spürte, wie nach einigem Zögern der Urin mit kräftigem Strahl unter den Fingern durch das Fleisch floß. Sie sah ihn nicht an, konzentrierte sich ganz auf den Vorgang des Urinierens, hätte am liebsten das Umfeld mit Tüchern bedeckt, wie bei einer Operation. Gewissenhaft achtete sie darauf, daß das Glied nicht in sein Wasser hing. Das Küstergesicht nahm dabei die Farbe eines auftauenden Tiefkühlhuhns an.

Darauf verteilte sie sein Haar, das er nach Art der Cäsaren trug, vom Scheitelpunkt aus strahlenförmig in die hohe Stirn, strich ihm die Brauen glatt und küßte seine gefesselten Fingerspitzen.

»Und jetzt ein Gläschen Champagner«, befahl sie munter, »man soll morgens mit dem wieder anfangen, womit man abends aufgehört hat.«

Sie füllte ihr Glas, an dem noch die rote Farbe ihrer und der Butterrand seiner Lippen klebten, ihm drückte sie das Getränk in einem Steingutbecher mit Strohhalm zwischen die Fesseln. Ob er es aus Bosheit oder Ungeschicklichkeit durchgleiten ließ, wer möchte es sagen. Leise zischend traf der Champagner auf die Seide, der Becher nistete sich in der Leistenbeuge ein.

»Aber, aber«, sagte sie mißbilligend, faßte ihn beim Genick und kehrte sich sein Gesicht zu. Doch er kniff die Augen, in deren Winkeln sich weiße Batzen gebildet hatten, widerspenstig zusammen.

»Aber, aber«, sagte sie noch einmal und küßte ihn auf die Furchen zwischen Augen und Jochbeinen, den Kopf, der ausbrechen wollte, fest umklammernd. Der Gegensatz zwischen den harten Knochen ihrer Hände um seine Nackenwirbel und dem weichen Fleisch ihrer Lippen auf dieser winzigen Mulde seines Gesichts berauschte sie. Während ihr Griff sich verstärkte, schlüpfte sie mit der Zunge unter seine Lider, fuhr über seine Augäpfel, die sich anfühlten wie warme Murmeln, ihre Zungenspitze wischte ihm die verstopfte Nase aus, sein Rotz schmeckte seifig und salzig.

Als sie von ihm abließ, rutschte er langsam und schief nach unten, bis er die Champagnerpfütze ganz verdeckte. Da hatte sich ihm der Becher so fest zwischen die Beine geklemmt, daß sein Geschlecht dort herauszuquellen schien wie aus der Glücksgöttin überbordendem Horn. »Prost!« Maria nahm einen Schluck. Vorsichtig bohrte sie mit einem Bleistift ein Loch in den Plastikstreifen über seinem Mund und füllte den Becher noch einmal. Küstermann trank in tiefen Zügen, dann sank er wieder zurück.

Inzwischen war sie in Zeitnot gekommen. An einem Samstag vor Weihnachten durfte sie das Geschäft nicht vernachlässigen. Pünktlichkeit auf die Minute war in dieser Kleinstadt bares Geld. Sie flößte Küstermann noch ein wenig lauwarme Milch ein, schob ihm eine Wolldecke unter den Rücken, deckte ihn zu, schloß seine Fuß- und Handfesseln an den Bettpfosten fest.

Um neun Uhr dreißig stand Maria hinter der Theke. An ihrem rechten Handgelenk hing ein schwerer, goldener Reif mit einer Öffnung, so groß, daß man meinte, sie könnte ihn jederzeit verlieren. Sein Anblick gab ihr Freude und Kraft. Er band sie an den, der in ihrer Wohnung lag, solange sie wollte. Während sie unterm Ladentisch ihr Bio-Müsli löffelte, dachte sie an den Mann in ihrem Bett mit einer Zärtlichkeit, rein und gnadenlos wie nie zuvor.

Der Frau vom Schlachter, die in ihrem fleischfettigen Kittel, mit vollen Backen ein Wurstbrötchen kauend, herübergelaufen kam, verkaufte sie ein Kreuzchen für die Nichte zum Geburtstag, und es durfte ein goldenes sein, von wegen der Treue zum Glauben, sagte die Tante. Man brachte Ringe zum Weiten und Engermachen. Verschämt nahm ein junges Mädchen ein paar vertrocknete Feldblumen aus einer Schnupftabakdose – eine schöne dänische Arbeit aus dem 18. Jahrhundert –, sie wollte das silberne Herz mit einer Öse an die Kette um den Hals legen.

Gegen Mittag stieg Frau Egon in Reisekleidung aus einem Taxi.

»Ist er fertig?« rief sie in das Ding-Dong der Türklingel, und Maria tastete unter die Theke, tat, als suche sie, wollte Zeit gewinnen, die Küsterfrau beobachten, hielt den Reifen in den Händen, legte ihn wieder zurück.

»Ach wie dumm«, sagte sie, »er muß noch in der Werkstatt liegen. Warten Sie, ich schaue nach.«

»Nein, nein«, sagte Frau Egon, »ich bin in Eile. Ich muß dringend zum Zug.«

»So ganz allein? Und wo soll’s denn hingehen?« Marias Fragen vertieften den Purpur der Wangen ins Violette, riefen Flecken ähnlicher Farbe auf dem mächtigen Kinn der Küsterfrau hervor.

»Jaja, allein, oder ja, oder doch nicht so ganz allein, wissen Sie, ich glaube, Hansi ist schon vorgefahren, ja, so wird’s sein, er ist schon vorgefahren«, so machte sie sich die Wirklichkeit zurecht, dann, das Kinn in den Nerzkragen pressend, resümierte sie das gewissermaßen ins unreine Gesprochene mit fester Stimme: »Hansi ist gestern abgereist. Ich fahre nun einen Tag später.«

»Jaja«, Maria drehte ihren Armreif, bis er fast abrutschte. »Ein paar Tage Wintersport tun sicher gut. Haben Sie nicht neulich von Garmisch erzählt?«

»Genau, dahin sollte es gehen, ich meine« – schon wieder nahm die Wirklichkeit überhand – »geht es auch. Aber jetzt –«

Draußen hupte ein Auto, die Frau schrak zusammen, raffte ihre Krokodilledertasche von der Theke und ließ ein unbestimmtes Gemisch aus Kölnisch Wasser, Kampfer und zu lange getragener Kleidung zurück.

»Gute Reise!« rief Maria ihr hinterher, sah noch, wie der Taxifahrer den Rauch einer Zigarette aus dem Wagen blies und das Fenster wieder hochkurbelte. »Gute Reise, gute Reise«, murmelte sie kopfschüttelnd, eine alte Hexe, deren Zauberstückchen plötzlich eine unvorhergesehene Wendung genommen hat. Wohin war die Küsterfrau so eilig aufgebrochen? Maria ließ ihren Armreifen um den Zeigefinger kreisen, rechtsherum, linksherum, warf ihn hoch, fing ihn auf, jonglierte mit Gold und Brillanten, einer war aus der Fassung geraten, sie hatte ihn festgesetzt.

Küstermann lag, wie sie ihn gebettet hatte. Der Schlaftrunk schien ihm Träume zu bescheren, die ihm Fältchen um die Augen machten, als lächle der Mund unter dem Pflaster, seine Hände bewegten sich, das Gold klang dumpf. Sie küßte ihn auf die Stirn. Durch die hochgestellten Jalousien fiel ein Sonnenstrahl auf den Kopf, die Schädeldecke schimmerte blaßrosa durch das schüttere Haar, Maria krönte ihn mit dem Armreif der Gattin.

Ein Glas Champagner machte ihre Bratkartoffeln mit Spiegelei zu einer vollwertigen Mahlzeit. Es grunzte aus dem Schlafzimmer, das mochte am Zwiebelduft liegen, der die schönsten Träume übertraf. In der Apotheke hatte Maria eine Doppelpackung Aufbaunahrung für Sportler und Rekonvaleszenten gekauft. »Das ist vernünftig«, hatte der Apotheker gesagt, der sich seit Jahren besorgt um ihr Gewicht zeigte und immer wieder »Essen, essen« mahnte.

Küstermann sog die schleimige Flüssigkeit begierig ein, nickte, als sie ihn fragte »Mehr?«.

Nun saß sie da mit Küstermann, Kraftkost und Urinflasche, und es...


Hahn, Ulla
Ulla Hahn, aufgewachsen im Rheinland, arbeitete nach ihrer Germanistik-Promotion als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten, anschließend als Literaturredakteurin bei Radio Bremen. Schon ihr erster Lyrikband, »Herz über Kopf« (1981), war ein großer Leser- und Kritikererfolg. Ihr lyrisches Werk wurde u. a. mit dem Leonce-und-Lena-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Für ihren Roman »Das verborgene Wort« (2001) erhielt sie den ersten Deutschen Bücherpreis. 2009 folgte der Bestseller »Aufbruch«, der zweite Teil des Epos, und auch Teil drei, »Spiel der Zeit« (2014), begeisterte Kritiker wie Leser. »Wir werden erwartet« (2017) bildet den Abschluss ihres autobiografischen Romanzyklus um das Arbeiterkind Hilla Palm. Zuletzt erschienen 2021 ihr Gedichtband »stille trommeln« mit Gedichten aus 20 Jahren und 2022 der Roman »Tage in Vitopia«.



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