E-Book, Deutsch, Band 103, 218 Seiten
Hafner / Enxing / Munzinger Gebetslogik
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-374-04600-3
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reflexionen aus interkonfessioneller Perspektive
E-Book, Deutsch, Band 103, 218 Seiten
Reihe: Beihefte zur Ökumenischen Rundschau (BÖR)
ISBN: 978-3-374-04600-3
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hilft Beten? Christen gehen davon aus, dass sie Gott nicht umsonst anrufen. Wirkt Gott in uns oder ist das Gebet als ein selbstreflexiver Vollzug des inneren Menschen anzusehen? Darf das Gebet von seiner Erhörung abhängig gemacht werden, muss es davon unabhängig gemacht werden? Diese Anfragen an das Gebet betreffen nicht nur die Glaubwürdigkeit einer der wesentlichsten christlichen Praktiken, sondern den Kern des Glaubens und des Gottesbegriffs. Soll die Logik des Gebets verstanden werden, ist somit die innere Systematik der Theologie zu befragen, liturgie- und frömmigkeitsgeschichtliche Zugänge sind zu bedenken und die äußere Begründbarkeit zu erörtern. Dieser Band zum Gebet umfasst Beiträge aus unterschiedlichen Konfessionen. Die große Mehrzahl ist im Rahmen der Jahrestagung des Interkonfessionellen Theologischen Arbeitskreises im Januar 2014 zu diesem Thema entstanden. Einige weitere wurden gezielt als Ergänzung aufgenommen. Der Schwerpunkt des Bandes ist systematisch-theologischer Art, da die Reflexionen auf die Denkmöglichkeiten des Betens zugeschnitten sind. Mit Beiträgen von Stefanos Athanasiou, Christoph Böttigheimer, Gregor Etzelmüller, Teresa Forcades i Vila, Ottmar Fuchs, Johann Ev. Hafner, Martin Hailer, Andreas Krebs, Ulrike Link-Wieczorek, Michael Nausner, Denis Schmelter, Volker Spangenberg. [Logic of Prayer Reflections From an Interdenominational Perspective] Do prayers help? Christians believe that they do not pray in vain. Does God work in us or is prayer rather to be understood as a self-reflective performance of the inner person? Why should one persevere in prayer if he or she doesn't experience God's answer? Theologians from seven different denominations present their view on forms and intentions of their specific tradition. Those enquiries do not only touch the credibility of one of the most essential Christian practices, but they also concern the heart of the Christian faith and understanding of the Divine. In order to understand the logic of prayer, one has to discuss the underlying systematic theology, differentiate between liturgical and historical approaches and justify its external reasonableness.
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Einbruch ins forum internum
Wie Phänomenologie, Empirie und Systemtheorie das Gebet erforschen Johann Ev. Hafner Abstract Das Gebet hat sich dem empirischen Zugriff lange entzogen, weil es als innerer Vollzug unsichtbar bleibt. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde es zum Gegenstand vergleichender Forschung. Die säkularen Wissenschaften wenden dabei nicht die Logik der Theologie an (z. B. Bewahrung heiliger Tradition, Achtung von Gottes Transzendenz), sondern versuchen, das Beten auf immanente Strukturen zurück zu führen. Drei solcher Zugangsweisen werden geschildert: erstens die vergleichende Phänomenologie, welche das Spektrum aller Religionen zu erfassen sucht; zweitens die medizinischen Studien, welche nach empirisch nachweisbaren Gebetswirkungen suchen; drittens die systemtheoretische Soziologie, welche die Funktion des Gebets innerhalb religiöser Gemeinschaften rekonstruiert. Die drei Wissenschaften kommen zu einem negativen Ergebnis: Unter den Augen der Phänomenologie wird das Gebet ein unerreichbares Mysterium, in der Untersuchung durch die Medizin zu einem unwirksamen Verhalten, in der Analyse der Soziologie zur frommen Metaphysik angesichts unartikulierbarer Voraussetzungen. Will man diese Ergebnisse nicht einfach ignorieren und will man dennoch am Gebet festhalten, bleibt der Theologie nur, eine anspruchsvollere Bestimmung zu finden: Beten hat seinen Sinn als Vermeidung der Überwältigung durch Gott. Wie wird Religion erforscht? Die Wissenschaften haben sich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlichen religiösen Gegenständen zugewandt. Im Humanismus und in der Aufklärung untersuchte die kritische Philologie die Texte des Christentums und Judentums. Im 19. Jahrhundert wurden die Ämter und Rollen des Christentums von der Soziologie aufgeklärt, gefolgt von der Psychoanalyse und Ethnologie, welche die religiösen Riten neu deuteten, meist in der Absicht, sie auf anthropologische Faktoren und soziale Funktionen zurück zu führen. Das Gebet hat sich dem empirischen Zugriff länger entzogen.1 Das liegt zum einen daran, dass beim Gebet die Funktion so offensichtlich ist (Der Mensch erbittet etwas von Gott, weil er es benötigt), dass sie nicht aufgeklärt zu werden braucht. Deswegen ist die theologische Kritik am Gebet so alt wie das Gebet selbst: Propheten kritisierten den »Gotteszwang« des Opferns; kirchliche Verlautbarungen zogen unablässig die Grenze zur Magie.2 Zum anderen liegt es daran, weil das Gebet vor allem seit der spätmittelalterlichen Herzensfrömmigkeit und der protestantischen Entdeckung des allen Dingen überlegenen, inneren Menschen internalisiert wurde. Je weiter das Gebet im forum internum angesiedelt wurde, womit eher der Bereich des Psychischen als der des Pneumatischen gemeint ist, desto weniger ließ es sich erforschen. Gebet in Form von Rosenkränzen kann man gut beschreiben und sortieren, Gebet in der Form transzendental-existentialer Offenheit kaum. Und weil das Gebet intimer ist als andere religiöse Praktiken, empfinden es Gläubige als übergriffig, wenn säkulare Wissenschaften sich darüber hermachen, um darin eine Logik zu entdecken. Es ist dennoch passiert und drei solcher Erforschungen sollen im Folgenden geschildert werden. Sie sollen zeigen, wie empfindlich der Gegenstand ›Gebet‹ gegenüber Fremdbeobachtung ist und wie er sich auf jeweils andere Weise verflüchtigt. 1 Die Entdeckung des Wesens von Gebet – Heilers Phänomenologie Friedrich Heilers Studie »Das Gebet«3 markiert den Übergang von der theologisch-normativen4 zur vergleichenden Betrachtung von Gebet. Um das Phänomen zu verstehen, müsse man im »weiten Felde der außerchristlichen und christlichen Religionsgeschichte die charakteristischen Typen des Gebets überall dort studieren, wo sie uns in typischer Schärfe entgegentreten.«5 1.1 Methodische Verortung Heiler verlangt von jedem Forscher und jeder Forscherin, dass er/?sie die Gebetslogik einer Religion mitvollziehe, indem er/?sie »in ihr lebt und mit ihr fühlt«, also den Gegenstand begreift, aber zugleich von ihm ergriffen wird. Ein ungläubiger, rationaler Beobachter könne nie in diesen Gegenstand eindringen, er/?sie würde allenfalls menschliche Psychologie vorfinden, nicht aber die »Eigenart der Religion«6 erfassen. Heiler setzt voraus, dass Religion einen Gegenstand sui generis bildet und das Gebet ein menschlicher Vollzug ist, der sich dem objektivierenden wissenschaftlichen Zugriff entzieht. Dennoch hält er seine eigene Forschung für objektiv, weil er alle Gebete der Welt mit einbeziehe und sich nicht durch kirchlichkonfessionelle Vorgaben einschränken lasse. »Indem der Verfasser diesem Ziele nachstrebte, glaubte er in gleicher Weise einer lebendigen Religion wie einer die objektive Erkenntnis der Wirklichkeit suchenden Wissenschaft zu dienen.«7 Heiler nimmt somit eine Vermittlungsposition ein: Als Theologe will er das Geheimnis des Betens ergründen, als Religionswissenschaftler das Spektrum aller Religionen erfassen. Er erwähnt mögliche Zugänge durch Religionspsychologie, Empirie, Philosophie, beschränkt sich aber auf die Klassifizierung der kulturellen Zeugnisse, bleibt also im historischen Bereich. Er meidet sowohl die metaphysische Behandlung des Themas, weil das »immer mehr oder weniger subjektiven Charakter«8 habe, als auch eine kausalpsychologische Erforschung, weil dann der »lebendige Eindruck von der irrationalen Eigenart des Gebets […] verwischt würde.«9 Alles empirische, historische und psychologische Forschen mündet laut Heiler in einer philosophischen Theorie des religiösen Bewusstseins und letztlich in der Frage, ob Beten eine Selbsttäuschung sei oder ob ihm ein Übernatürliches entspreche, das dann über eine »Sonderkausalität« auf die Beter einwirkt.10 1.2 Ursprüngliches Beten und Verfallsformen Obwohl Heiler explizit keine Metaphysik des Gebets betreiben will11 und obwohl er für sich in Anspruch nimmt, konfessionsunabhängig zu arbeiten, folgt er einem normativen Schema: Das Ursprüngliche ist das Bessere! Das »naive Beten des primitiven Menschen« – so der Titel des ersten Hauptkapitels – sei der »Widerhall echten Betens«.12 »Das spontane, freie Bittgebet des naiven Menschen stellt den Prototyp alles Betens dar: es ist ein Nachhall jenes Urgebets, das einst – wir wissen nicht, wo und wann – von den Lippen des vorgeschichtlichen Menschen sich losriß und den Gebetsverkehr zwischen dem Menschen und der Gottheit eröffnete; es ist aber zugleich eine Antizipation jener grandiosen Gebetsschöpfungen, die sich auf den Gipfelpunkten des Erlebens der religiösen Genien vollzogen.«13 Weil Gebet im Innersten aus der freien Ergebung des einzelnen Menschen an die Gottheit bestehe und weil Schriftkulturen diese Freiheit durch vorformulierte Gebete einschränkten, muss man Heiler zufolge vor allem die sogenannten primitiven Kulturen14 sichten. Darin steckt ein gehöriges Maß an europäischem Suprematismus, ist doch das Ideal des freien Hingabegebets ein Ausdruck protestantischer Frömmigkeit. Die Myriaden von Gebetsbeispielen sortiert Heiler zu einem breiten Spektrum an Formen: Klage, Frage, Bitte, Fürbitte, Opferspruch, Gruß, Überredung, Bedrohung und Beschimpfung der Gottheit. Trotz dieser Fülle hält er daran fest, dass die eigentliche Gebetslogik in der absichtslosen Hinwendung zu einer Gottheit bestehe, die Seelenruhe nach sich ziehe: »Alles naive Beten und Sichaussprechen erhöht damit die Lebenszuversicht dadurch, daß sich in ihm eine seelische Umwandlung, ein Übergang von der bangen Furcht und quälenden Sorge zur frohen, ruhigen Hoffnung vollzieht.«15 Am Anfang stehe nicht das philosophische Grübeln und Staunen, sondern der einfache Hingabe-Ruf.16 Die primitiven Religionen bildeten ihrerseits nur einen Nachhall der »Urreligion«, einer reinen Urform. Heiler vermutet, dass die Menschen früher sehr wohl zur höchsten Gottheit gebetet hätten, dass dies aber von diversen Ahnenkulten überwuchert worden sei. Damit stellt er sich in die Tradition der Urmonotheismus-Hypothese. Ursprünglich – so seine Geschichtsvermutung – habe es ein kindliches Vertrauen zu einem persönlichen Gott gegeben. Und nur, weil die Hochgötter durch die Bittreligiosität immer weiter zurück gedrängt worden sei, seien Formen der Fürbitte durch Zwischengötter notwendig geworden. Spätestens hier zeigen sich protestantische Ideale: Das sich seiner existentiellen Abhängigkeit bewusste Individuum richtet sich ergeben, aber auch getröstet an Gott. Ursprünglich sei frei und direkt gebetet worden, und erst im Laufe der Zeit sei es zur Erstarrung gekommen: Gebetformeln, starre Liturgien, seelenlose Rituale entstehen und münden schließlich in Zaubersprüchen und magischen Formeln.17 Während Ethnologen seiner Zeit die Magie als ein Kennzeichen primitiver Kulturen sahen, wird sie bei Heiler als spätere Verfallsform eines heilen Anfangs interpretiert: »Wie das Opfer zur Zauberhandlung wurde, so sank der Hymnus aus einem Gebet zum Zauberspruch herab, der auch außerhalb des Kults zu allerlei magischen Praktiken benützt wurde.«18 1.3 Die Unzugänglichkeit des Phänomens Heilers monumentale Studie steht ganz auf der Schwelle zwischen der Fremdbeschreibung des Gebets und der teilnehmenden Beobachtung. Daher changiert sie zwischen dem Wissenschaftsideal, die Vielfalt von...