Haffner | Abschied | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Haffner Abschied

Roman
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-446-28511-8
Verlag: Hanser, Carl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-446-28511-8
Verlag: Hanser, Carl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Entdeckung aus dem Nachlass von Sebastian Haffner. »Ein federleichter Roman über das kostbare Glück der Freiheit - und wie schnell es mit ihr vorbei sein kann.« Iris Berben
Raimund ist verliebt. Ungeheuer verliebt. Nur für ein paar Tage ist er aus dem dumpfen Deutschland der frühen Dreißigerjahre nach Paris gereist. Jetzt naht bereits sein Abschied von der herrlichen Teddy, die mit all ihrem Esprit dorthin ausgewandert ist. Umschwärmt wird sie von etlichen in Paris gestrandeten Gentlemen, gegen die Raimund sich behaupten muss. Als wolle er alles für immer festhalten, versucht er, die französische Freiheit mit Teddy zu genießen. Wenn er die Zukunft doch aufhalten könnte!
Jede Zeit hat ihre großen Romane. Dieser hier wurde nie veröffentlicht. 1932 auf der Schwelle zur NS-Herrschaft verfasst, besteht Sebastian Haffners »Abschied« einmalig gewitzt und rasant auf Weltläufigkeit, Liebe und Überschwang. Für unsere Gegenwart ist er ein Ereignis.

Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, studierte Rechtswissenschaften. Doch den Beruf des Juristen im Nationalsozialismus konnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Er arbeitete als Journalist und emigrierte 1938 nach England, wo er unter anderem seine erst postum veröffentlichte »Geschichte eines Deutschen« verfasste. 1954 kehrte er zurück und wurde mit Werken wie »Anmerkungen zu Hitler« ein zentraler Publizist der Bonner Republik. Er starb 1999.
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DER SONNABEND war ein unseliger Tag. Ich war mit Teddy böse, und damit nicht genug, Teddy war mit mir böse. Übrigens waren, glaube ich, auch alle anderen mit mir böse, Fräulein Gault, Horrwitz, der Bayer natürlich, sogar Franz, dem ich eigentlich nichts getan hatte. Franz kam nachmittags zwischen vier und fünf zu mir, als ich in der Dämmerung recht kaputt und hinfällig auf meinem Zimmer saß und vor mich hindöste. Es klopfte und ich sagte: »Herein«, und dachte: Teddy, und: Alles wird noch gut — es war aber Franz.

»Ach!«, sagte ich. »Tag. Wie gehts?«

»Na«, sagte er, »bissel krank gespielt; tut aber weiter nix. Und Sie, was machen Sie inzwischen?«

»Ach, danke«, sagte ich. »Morgen reise ich ja nun wieder. — Zigarette?«

Er nahm, ich auch, wir rauchten. Es waren Gitanes rouges, zu sechs Franken das Kistchen, mundstücklose, scharfe kleine Dinger; mein ganzes Zimmer roch nach ihnen, und gleich mit unseren ersten Zügen lebte der scharfe, pfeffrige Geruch in allen Ecken wieder auf.

»Hatte immer gedacht, Sie würden sich mal sehen lassen«, sagte Franz und hüstelte; mochte ihn nun der Rauch genieren oder sein Leiden oder meine Herzenskälte. »Aber — weiß schon; Mangel an Interesselosigkeit, nicht wahr.«

»Es tut mir schrecklich leid«, sagte ich.

»Aber nicht doch, nicht doch«, sagte er.

Ich muss wohl ein paar Worte über Franz Frischauer sagen. Franz Frischauer war groß, blond und sehr schön; er sah aus wie der Erzengel Michael. Er war sehr befreundet mit Teddy, und ich war sehr eifersüchtig auf ihn. Aber er hatte so viel Charme, und namentlich seine süddeutsch-treuherzige Zunge entwaffnete; er stammte aus der Gegend um Heidelberg. Von Beruf war er ein verlorener Sohn. Er war gebildet, hochmütig, abgerissen, sehr eitel, träumerisch-ehrgeizig, er hatte kein Geld und führte ein komisches Leben.

»Sie sehen übrigens immer noch ein bisschen angegriffen aus«, sagte ich.

»Bin auch noch ein bissel«, sagte er. »Hatte heut früh 38,2. Aber wissen Sie, es wird zu öd, das Immer-im-Bett-Liegen — wo sich niemand sehen lässt —.«

»Aber lieber Herr Frischauer!«, sagte ich. »Es tut mir wirklich furchtbar leid. Ich wusste doch nicht, dass Sie krank waren, und dann — wissen Sie, ich hab auch meine Sorgen. Übrigens verdienen Sie Prügel, dass Sie mit 38 Fieber in der Weltgeschichte rumlaufen.«

»Sagen Sie so«, sagte er.

Es dämmerte übrigens, und ich sah nach Fräulein Gaults Uhr, die ich am Handgelenk trug, und stellte fest, dass ich in fünf Minuten mit Teddy verabredet war.

»Sie sollten sich jetzt wieder hinlegen«, sagte ich. »Ich werde Sie auch heute Abend besuchen.«

»Nein«, sagte er, »jetzt niederlegen — das ist gefehlt. Da würd ich melancholisch. Haben Sie schon Ihren Kaffee genommen? Kommen Sie doch ein wenig mit — in die Capoulade!«

»Leider«, sagte ich, »leider ist es ganz unmöglich. Es ist nämlich so — ich bin um fünf mit Teddy verabredet. Noch Gänge.«

Er war gleich wieder gekränkt, »aber natürlich, ich bitte schön«, sagte er, und ich musste ihm sehr zureden, dass er sich abends wieder sehen ließe. Nur zwei Zigaretten nahm er mit, die ich ihm mit schlechtem Gewissen aufdrängte.

Nun nahm ich mit Teddy ein Taxi und erlebte zwei oder drei gespenstische Stunden. Wir waren böse. Wir fuhren erst schweigend die lange schnurgerade Rue Saint-Jacques hinauf, die ich sehr liebte, und zu irgendeinem Institut, und wir ließen den Wagen draußen warten. Ich weiß jetzt wieder, es war das amerikanische Studentinneninstitut, und es handelte sich um die Mitgliedskarte. Wer da Mitglied wurde, hatte nicht nur einen Lesesaal und Clubbetrieb und so weiter, sondern auch eine Art Krankenversicherung, Arzt im Notfall und sowas, und es war nicht einmal teuer, fünfzig Francs, acht Mark ungefähr. Ich hatte Teddy schon lange mit erpresserischen Bitten und Drohungen und väterlicher Strenge das Versprechen abgezwungen, sich die Karte von mir schenken zu lassen (ich hatte viel Sorgen um Teddy), aber es war nie etwas daraus geworden, und heute war nun der letzte Tag, und heute waren wir böse. Ich bestand aber darauf, und Teddy wollte gar nicht, aber sie war zu böse, um sich mit mir zu streiten, und sie zuckte bloß ein bisschen mit dem Rücken, und dann fuhren wir also die Rue Saint-Jacques hinauf, und sie saß in der linken Ecke und ich in der rechten, und wir schwiegen. Dann waren wir da und kletterten aus dem Wagen, und ich sagte: »Du musst nun verhandeln« (denn mein Französisch und Englisch war unzulänglich), und sie sagte nichts, und wir gingen hinein, und dann war schon zu; der Portier, oder wer es sonst war, sagte: »Da müssen Sie Montag wiederkommen« — ich verstand »lundi«. Lundi — da war ich schon viele Hundert Kilometer weit.

Ich hatte nun also meinen Fünfzigfrankenschein in der Hand — dieses französische Papiergeld ist von einer merkwürdig harten und knisternden Beschaffenheit — und ich sagte: »Ja. Also nun hilft es nichts. Sei also nun bitte so gut — ich kann es nicht ändern — du musst es dir nun schon am Montag selbst besorgen.«

Aber sie sagte so dringend »Nein«, und »auf keinen Fall«, und sie drehte die Augen weg und die Schultern und die Hände, ihr ganzer Körper lehnte so schaudernd ab, dass ich schon im Reden fühlte, es war alles unmöglich und verpfuscht. »Wieso«, sagte ich, »verdirb es mir doch nicht, also nun sei anständig und vernünftig, nimm schon, du siehst doch, dass es nicht anders geht«, und dann steckte ich das Geld wieder ein.

Darauf setzten wir uns wieder in das Taxi und fuhren, und zwar jetzt in eine ganz andere Gegend, über die Seine, und an der Opéra vorbei, die großen Boulevards entlang, und dann durch ganz fremde Straßen, und immer saß Teddy in der linken Ecke und ich in der rechten, und wir schwiegen. Einmal unterwegs stieg sie aus und besorgte irgendwas in einem Geschäft, und dann kam sie wieder, und wir fuhren wieder schweigend weiter. Von rechts und links fielen große Lichtergarben durch die Scheiben, und das sonnabendliche Getöse war groß, der Chauffeur gab fortgesetzt Signal, manchmal kamen wir nicht vorwärts, und manchmal, in dunkleren Nebenstraßen, schlugen wir ein tolles Tempo an. Es war aber alles verpfuscht, und Teddy saß in der linken Ecke und ich in der rechten, und wir schwiegen, und morgen Abend fuhr ich fort, und dann war alles vorbei.

Wir fuhren zu den Galeries Lafayette, und draußen ließen wir den Wagen warten, und drinnen war furchtbarer Lärm und heiße Luft, die sich gleich auf den Kopf legte wie ordinärer Schnaps. Teddy kaufte einen Schleier für Fräulein Gault, und ich weiß nicht mehr was noch, und ganz zum Schluss jedenfalls einen merkwürdigen französischen Zuckerstreuer, den ich ihrer Mutter in Berlin mitbringen sollte. Hierbei war es eigentlich schon nach Feierabend, es herrschte Aufbruchsgetöse, die Verkäufer liefen herum und packten ein, wir fanden keine Bedienung mehr und wandten uns an einen Aufseher oder Abteilungschef oder was weiß ich, und er machte eine segnende und gebietende Geste über uns hin (eine sehr französische Geste) und schrie immer etwas. »Was schreit er?«, fragte ich. »Vendeur«, sagte Teddy. Nun verstand ich es auch. Wir schwiegen wieder. Nach einiger Zeit kam noch ein Verkäufer, und Teddy kaufte den Zuckerstreuer, und wir gingen wieder hinunter und setzten uns wieder in unser Auto und fuhren wieder los.

Und Teddy saß wieder in der linken Ecke und ich in der rechten, und wir schwiegen. Mir war sehr elend zu Mute, und Teddy sah übrigens sehr schlecht aus. Ich sah sie manchmal verstohlen an, und ich sah, dass sie müde und traurige Augen hatte und eine Farbe wie Rizinus, und einen schlappen und traurigen Mund, auf dem ganz fremd die rote Schminke stand, die sie leider draufgelegt hatte. Ich war furchtbar verliebt in sie und furchtbar böse auf sie und sehr verbockt und innerlich kaputt, und eigentlich war es zum Heulen, aber noch mehr war alles gleichgültig, und morgen Abend war ja sowieso alles vorbei. Und wir fuhren und fuhren, und jetzt hatten wir schon wieder den Glanz und Trubel der Boulevards um uns, und als wir um eine Ecke bogen, sah ich plötzlich, ganz unwahrscheinlich nahe und herrlich stolz, die Vendômesäule ragen. Dann fuhren wir wieder durch unbekannte Straßen, schweigend, sehr schnell und sehr unwirklich flog rechts und links alles vorbei,...


Haffner, Sebastian
Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, studierte Rechtswissenschaften. Doch den Beruf des Juristen im Nationalsozialismus konnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Er arbeitete als Journalist und emigrierte 1938 nach England, wo er unter anderem seine erst postum veröffentlichte »Geschichte eines Deutschen« verfasste. 1954 kehrte er zurück und wurde mit Werken wie »Anmerkungen zu Hitler« ein zentraler Publizist der Bonner Republik. Er starb 1999.



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