Haffert | Stadt, Land, Frust | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 4603, 192 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Haffert Stadt, Land, Frust

Eine politische Vermessung

E-Book, Deutsch, Band 4603, 192 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-78250-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Gegensatz zwischen Stadt und Land ist eine der wirkmächtigsten politischen Konfliktlinien unserer Zeit. Mittlerweile erschüttert er auch die föderale Konsensdemokratie der Bundesrepublik: Während die Kluft zwischen urbanen Zentren und der Peripherie zunimmt, versuchen die Parteien immer stärker, die lokalen Identitäten der Bürger politisch zu mobilisieren. Lukas Haffert vermisst mit seinem Buch die Geografie der neuen Polarisierung in Deutschland.
Bei keiner Bundestagswahl war der Stadt-Land-Graben so tief wie bei der im September 2021. Zunehmend prägt dieser Konflikt also auch die politische Landschaft in Deutschland. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Lukas Haffert argumentiert in seinem Buch, dass Stadt-Land-Konflikte immer dann besonders scharf werden, wenn sich ökonomische Struktur und Lebensstile in großen Städten besonders stark von denen auf dem Land unterscheiden. Er erklärt, warum diese Unterschiede in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem seit einiger Zeit wieder zunehmen, und fragt, welche politischen Folgen das hat. Dabei zeigt Haffert den Zusammenhang wachsender Stadt-Land-Gegensätze mit dem Aufstieg der AfD, den Wahlerfolgen der Grünen und den wachsenden Repräsentationslücken im deutschen politischen System. In der zunehmenden Kritik an der vermeintlich abgehobenen Elite in Berlin erkennt er den Versuch, diesen Gegensätzen politische Sprengkraft zu verleihen.
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1 Stadt, Land, Frust?
Die Rache der Dörfer.[1] Die ländliche Revolte.[2] Der Aufstand der Orte, die nicht zählen.[3] Die Rebellion der Abgehängten und Zurückgelassenen, der Globalisierungsverlierer, die sich fremd im eigenen Land fühlen. So oder so ähnlich lauten die Formeln, mit denen versucht wird, den gemeinsamen Kern verschiedener politischer Schocks der letzten Jahre zu beschreiben: von der Wahl Donald Trumps über den Brexit bis zu den Gelbwesten-Protesten in Frankreich. Der Angriff auf die liberale Demokratie scheint vor allem in ländlichen Regionen geführt zu werden, in Orten fern der Metropolen, in denen früher kleine Fabriken[4], der Bergbau[5] oder die Forstwirtschaft[6] für bescheidenen Wohlstand und sichere Jobs gesorgt hatten und die nun, nach dem Niedergang dieser Industrien, im postindustriellen Ressentiment versinken. Eine wachsende Zahl sozialwissenschaftlicher Studien hat in den letzten Jahren begonnen, diese «Geografie der Unzufriedenheit»[7] zu vermessen. Der Gegensatz zwischen «urbanen Eliten» und abgehängten Dörfern ist inzwischen schon fast zum Klischee geworden, so oft wurde er in Reportagen beschrieben und in Leitartikeln analysiert. Wer sind diese wütenden Menschen auf dem Land, warum haben sie Trump, Le Pen oder Orbán gewählt – und was kann man tun, damit sie in Zukunft wieder damit aufhören? Verlangen diese Unzufriedenen vor allem wirtschaftliche Unterstützung, also schnelles Internet, eine bessere Infrastruktur und die Verlagerung von Arbeitsplätzen in die ländliche Peripherie? Oder geht es ihnen primär um symbolische Anerkennung, also um mehr Sendeminuten in den Abendnachrichten und häufigere Besuche des Ministerpräsidenten? In Deutschland schien diese Meistererzählung allerdings lange nicht recht zu passen. Der Graben, der die Bundesrepublik politisch spaltet, scheint nicht zwischen Stadt und Land, sondern zwischen Ost und West zu verlaufen. Wer den Aufstieg der AfD erklären will, muss demzufolge vor allem die Kränkungen der Ostdeutschen verstehen. Dabei spielen Stadt-Land-Konflikte zwar eine Rolle, stehen aber keineswegs an erster Stelle. Das gilt erst recht für den Westen, wo die AfD im Ruhrgebiet und in mittelgroßen Städten Süddeutschlands oft sehr viel besser abschneidet als in den ländlichen Räumen Niedersachsens oder Schleswig-Holsteins.[8] Wer wollte prosperierende ländliche Räume wie das Emsland, Niederbayern oder die schwäbische Alb als abgehängte Regionen bezeichnen, wenn gleichzeitig Westdeutschlands größter Ballungsraum auch sein größtes ökonomisches Sorgenkind ist? Natürlich gibt es in (West-)Deutschland boomende Metropolen, und auch im Westen gibt es kriselnde ländliche Räume – die Eifel, das Wendland, die Oberpfalz. Aber die deutsche Wirtschaftsstruktur ist viel dezentraler, viel heterogener als die französische oder britische. Und dennoch: Auch in Deutschland häufen sich die Anzeichen für die Intensivierung eines Stadt-Land-Konflikts. So gehört es in Teilen des politischen Spektrums mittlerweile zum guten Ton, über die «urbanen Eliten» zu schimpfen, die in der «Berliner Blase» längst vom Latte Macchiato zum Flat White übergegangen sind, den sie dann auch noch auf Englisch bestellen. Über abgehobene großstädtische Kosmopoliten, deren Luxusprobleme für «die Menschen da draußen» wenig bis keine Relevanz haben. «Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg», erklärte Friedrich Merz seinem Publikum im thüringischen Apolda, «das ist mitten in Deutschland» – und klang damit tatsächlich ein wenig wie der deutsche Donald Trump, als der er gerne karikiert wurde.[9] Das Schreckensszenario, mit dem Jens Spahn 2021 in den Wahlkampfendspurt zog, lautete, eine SPD-geführte Regierung werde aus Deutschland «ein großes Berlin-Mitte machen»[10]. Natürlich, politische Rhetorik muss zuspitzen und vereinfachen. Doch es gibt auch handfestere Indizien für die wachsende Bedeutung des Stadt-Land-Konflikts als bloße Bierzeltparolen. So stehen hinter der kuriosen Wahlkampfdebatte über das Lastenfahrrad ja durchaus relevante Interessengegensätze in der Verkehrspolitik.[11] Auch in der Energiewende kollidieren die Interessen von Stadt und Land, beispielsweise beim Ausbau der Windenergie.[12] Sogar in der Pandemie wurden Stadt-Land-Unterschiede sichtbar. So ist die Impfskepsis in Deutschland, wie in vielen europäischen Ländern, auf dem Land deutlich höher.[13] Am deutlichsten zeigt sich die wachsende politische Kluft aber in den Wahlergebnissen: Bei der Bundestagswahl 2021 war die Stadt-Land-Polarisierung so groß wie bei keiner Wahl zuvor. So verlor die AfD in Hamburg, München oder Köln mehr als ein Drittel ihrer Stimmen, während ihr Ergebnis in ländlichen Regionen relativ stabil blieb. Die Union, schon immer primär eine Partei der ländlichen Räume, kämpft in vielen Städten um ihre Existenz als Volkspartei. Vor allem aber ist der Aufstieg der Grünen primär ein großstädtisches und dort ein innenstädtisches Phänomen. So kamen sie bei der Bundestagswahl im ländlichen Erzgebirgskreis auf ganze 3,3 % der Zweitstimmen, während sie in großstädtischen Wahlkreisen oft um die 30 % der Stimmen erzielten. Wenn politische Polarisierung in Deutschland heute nicht mehr primär eine Polarisierung zwischen «Roten» und «Schwarzen» ist, sondern eine sehr viel schärfere Polarisierung zwischen AfD und Grünen, geht es also immer auch um Stadt und Land. Warum kehrt dieser Konflikt gerade jetzt mit solcher Macht auf die politische Bühne zurück? Ökonomische und kulturelle Unterschiede zwischen Stadt und Land gab es schließlich immer – und Großstädter und Dorfbewohner haben auch schon immer unterschiedlich gewählt. Aber erst seit wenigen Jahren spitzt sich dieser Gegensatz auf eine Polarisierung zwischen Rechtspopulisten und Grünen zu, bei der es mindestens so sehr um Lebensstilfragen zu gehen scheint wie um handfeste materielle Interessen. Und erst heute wird dieser Konflikt symbolisch so stark zugespitzt wie in den zitierten Attacken auf Berlin. Woher kommt diese symbolische Aufladung, und warum macht sie sich so sehr an Berlin fest? Dieses Buch versucht, eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Dabei stützt es sich auf eine rasch wachsende Zahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, die sich mit den ökonomischen und kulturellen Ursachen und den politischen Folgen der Stadt-Land-Spaltung beschäftigen. In den meisten dieser Analysen ist die Betrachtung von Stadt-Land-Konflikten allerdings nur ein Mittel zum Zweck. Ihr eigentliches Ziel besteht darin, den Aufstieg des Rechtspopulismus zu verstehen. Und das Interesse ist ja auch berechtigt: Ohne die Wähler in ländlichen Regionen wäre Trump nie Präsident geworden und Großbritannien noch Mitglied der EU. Dieser Fokus auf den Rechtspopulismus sorgt aber dafür, dass Analysen eines sich vertiefenden Grabens zwischen Stadt und Land eine ganz bestimmte Perspektive einnehmen. Sie konzentrieren sich ganz überwiegend auf die ländliche Seite dieses Grabens, die, so der Ethnologe Wolfgang Kaschuba, ihr Veto gegen städtische Modernitätsvorstellungen einlege, indem sie Rechtspopulisten wähle.[14] Dagegen erscheinen die Städte als eine Art Standard- oder Normalfall, der keiner vertieften Analyse bedarf, was damit zu tun haben mag, dass die meisten Beobachter dieser Konflikte, ob Journalisten oder Wissenschaftler, selbst in Städten zuhause sind. Vor diesem Hintergrund lädt gerade der deutsche Fall dazu ein, die Frage nach Stadt und Land noch einmal anders zu stellen und beide Seiten gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist nur eines von mehreren Phänomenen, die gewinnbringend aus der Stadt-Land-Perspektive analysiert werden können. Die Wette, die dieses Buch eingeht, lautet deshalb, dass die Orte, die vorauseilen, ebenso zum Verständnis heutiger Polarisierung beitragen wie die Orte, die zurückbleiben. Tatsächlich sind die Theorien, mit denen die politische Wiederkehr des Stadt-Land-Gegensatzes erklärt wird, ja ganz wesentlich Theorien über städtische Prozesse. Das gilt für die These von der Transformation zur «Wissensökonomie», in der der Austausch von Ideen zur zentralen Wachstumsquelle werde, wie für die Diagnose der Entstehung einer neuen akademischen Mittelschicht, die einem kosmopolitischen Lebensstil zur gesellschaftlichen Dominanz verhelfe. In den Analysen des Rechtspopulismus erscheinen dessen Erfolge auf dem Land deshalb als «Backlash», der sich aus dem Frust über diese Prozesse speise. Das ist sicher nicht...


Lukas Haffert, Ökonom und Politikwissenschaftler, lehrt und forscht an der Universität Zürich. Er verbrachte Forschungsaufenthalte an der Georgetown University und der Harvard University. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Die schwarze Null. Über die Schattenseiten ausgeglichener Haushalte" (2016).


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