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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Häusler / Kühn Bakteriophagen

Wenn Antibiotika nicht mehr helfen: mit Viren gegen multiresistente Keime. Wirkung und Therapie -
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-27886-1
Verlag: Südwest
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wenn Antibiotika nicht mehr helfen: mit Viren gegen multiresistente Keime. Wirkung und Therapie -

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-641-27886-1
Verlag: Südwest
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gesund durch Viren

Multiresistente Keime sind zu einem großen Problem im Gesundheitsbereich geworden, weil Antibiotika gegen manche dieser Erreger nicht mehr wirken. Jetzt entdeckt die Medizin ein altes Heilmittel wieder, das im Kampf gegen solche Keime helfen kann: Bakteriophagen. Das sind Viren, die für den Menschen ungefährlich sind, aber Bakterien effektiv bekämpfen können. Die Behandlung ist bei uns noch nicht zugelassen, aber es gibt trotzdem schon Möglichkeiten, sich damit behandeln zu lassen. Dieser Ratgeber bietet auf dem neuesten Forschungsstand ausführliche Informationen für alle, die von der Gefahr durch resistente Erreger betroffen sind, wie Menschen mit Mukoviszidose, Diabetes und Herzerkrankungen oder wiederkehrenden Blaseninfektionen. Ein wertvoller Leitfaden für Betroffene und ein spannendes Buch für alle medizinisch Interessierten.
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Lebensretter mit Verfallsdatum


Hygiene und Antibiotika gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der Medizin. Bevor das Penizillin Anfang der 1940er-Jahre das antibiotische Zeitalter einläutete, nahmen bakterielle Infektionen die vordersten Ränge in der Todesstatistik ein: 1900 starben über 16 Prozent der Menschen in Deutschland an Tuberkulose oder Lungenentzündung. Scharlach, Keuchhusten und Diphtherie (der »Würgeengel der Kinder«) verursachten fünf weitere Prozent der Todesfälle, allermeist waren Kinder betroffen. Bis um 1880 tötete , der Erreger der Tuberkulose, gar 30 bis 40 Prozent aller Erwachsenen.

Damit nicht genug, es gab weitere unsichtbare Killer. Ein Dornenstich beim Rosenschneiden konnte das Ende bedeuten, wenn sich zum Beispiel darin festsetzte. Eine Frau in Deutschland durfte 1880 hoffen, ganze 38 Jahre zu leben; ein Mann 36 Jahre.

Im Jahr 1913 begann Thomas Mann das Manuskript zum »Zauberberg«, angeregt durch den Aufenthalt seiner Frau in einer Davoser Tuberkuloseklinik. Als er den Roman elf Jahre später beendete, war die Sterblichkeit durch Tuberkulose bereits deutlich gesunken. Verantwortlich dafür waren sehr wahrscheinlich bessere Lebensbedingungen, also bessere Hygiene, wenn man den Begriff breit auslegt. Das erste Antibiotikum gegen Tuberkulose, Streptomycin, kam erst 1944 auf den Markt. Etwa zwei Jahre vorher war Penizillin erhältlich.

Medizin und Öffentlichkeit reagierten euphorisch auf die neuen Medikamente. Alexander Fleming, der Entdecker des Penizillins, wurde in kurzer Zeit zum Star, zum »größten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts«, gefeiert auf dem Titelbild des Magazins 1945 folgte der Nobelpreis. Die Hoffnung der Menschen war berechtigt: In den 1950ern kamen in rascher Folge weitere Antibiotika auf den Markt – rund die Hälfte aller Präparate, die heute verwendet werden.

Fleming bewies auch mit seiner Voraussicht, dass er ein exzellenter Wissenschaftler war. Bereits in seinem Vortrag zur Verleihung des Nobelpreises warnte er, Bakterien könnten gegen Antibiotika resistent werden, und prophezeite, dies werde Leben kosten. Wie kam Fleming auf diese düstere Prognose? Durch Experimente: Er konfrontierte Bakterien mit steigenden Konzentrationen von Penizillin und beobachtete, wie einzelne Mikroben überlebten und sich vermehrten. Sie taten in Flemings Kulturschalen, was sie in Millionen Jahren der Evolution gelernt hatten.

Penizillin wird vom Schimmelpilz hergestellt. Er schädigt damit konkurrierende Mikroben und hält sich so ein Plätzchen zum Wachsen frei. Penizillin wirkt, indem es viele Bakterienarten daran hindert, ihre Zellwand aufzubauen. Doch viele Konkurrenten des Schimmelpilzes zahlen es ihm mit ähnlicher Münze zurück und produzieren ebenfalls antibiotische Substanzen. Kurz: Antibiotika sind in der Welt der Mikroorganismen weitverbreitet.

Ein Gedankenexperiment: Ein außerirdischer Biologe bekommt die Aufgabe, sich ein Wesen auszudenken, das sich in dieser Welt der »Chemical Warfare« behaupten kann. Ziemlich sicher würde sein Entwurf so aussehen, wie die auf der Erde real existierenden Bakterien tatsächlich aufgebaut sind: kleine Automaten, die sich in kurzer Folge teilen und vermehren. Vor einer Teilung vervielfältigen sie ihren Bauplan, damit beide Tochterautomaten eine Version bekommen. Beim Kopieren passieren aber ab und zu Fehler. Damit ist er praktisch schon beschrieben, der Automat, der sich an nahezu alle Veränderungen in der Umwelt anpassen kann. Fehler bei der Reproduktion – das klingt zwar nachteilig, aber nur diese Fehler führen dazu, dass der Automat sich verändern kann, dass neue Varianten entstehen. Einige dieser neuen Varianten sterben sogleich, weil die Kopierfehler in einem Teil des Bauplans aufgetreten sind, der die Anweisungen für ein lebenswichtiges Organ enthält: Es kann nicht mehr korrekt hergestellt werden, Exitus. Aber weil es sehr viele Automaten gibt, spielt der Tod einzelner Individuen für das Überleben der Gruppe keine Rolle.

Viele der Fehler, der Veränderungen im Bauplan, haben aber erst einmal keine großen Auswirkungen. Sie nützen nichts und schaden nichts, sie werden einfach bei jeder Teilung an die Nachkommen weitergegeben. Doch plötzlich tauchen in der Welt der Automaten gefährliche Gegner auf mit einer schlagkräftigen Waffe, die für die Automaten neu ist. Und so kommen fast alle um – nur ein einziger Automat überlebt, weil sein Bauplan per Zufall eine Veränderung aufweist, die ihm nun hilft, die neuartige Waffe abzuwehren. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zufalls ist hoch, da sich die Automaten schnell vermehren und es viele von ihnen gibt. Dies erhöht die Chance, dass mindestens einige von ihnen gewappnet sind, wenn in der Umwelt plötzlich eine Veränderung auftritt.

Wir haben eben in aller Kürze die Prinzipien von Mutation und Selektion, also die Evolution, beschrieben. »Survival of the fittest«, wie es der Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin, nannte. Ein Beispiel aus der realen Welt: Automat = . Gegner = Mensch. Neue Waffe = Penizillin. Staphylokokken können eine Vielzahl verschiedener Infekte auslösen, von Hautinfektionen über Blutvergiftungen bis zu Knochenentzündungen. Wie schnell die Bakterien reagieren können, zeigt die Medizingeschichte: Schon 1942, fast unmittelbar nach Einführung des Penizillins, tauchten in einigen Spitälern die ersten resistenten Staphylokokken auf. Die Waffe, die sie gegen das Penizillin einsetzten, war ein Enzym, die sogenannte Penizillinase. Sie kann das Penizillin chemisch verändern und damit unwirksam machen. Seither wurden über 2600 verschiedene Penizillinase-Enzyme in den unterschiedlichsten Bakterienarten identifiziert.

Bereits zwei Jahre zuvor, 1940, hatten die Forscher Ernst Chain und Edward Abraham im Labor -Bakterien identifiziert, die Penizillinase produzierten. Dass damals schon zwei verschiedene Spezies – und – dieses Resistenz-Enzym in ihrem Arsenal hatten, macht deutlich, wie flink Bakterien Teile ihrer Baupläne untereinander austauschen können. Vor allem, wenn es sich um Teile handelt, die einen Überlebensvorteil verleihen, wozu Gene, die Antibiotikaresistenz vermitteln, zweifellos gehören.

Es gibt also in der Mikrobenwelt nicht nur Konkurrenz, sondern auch Kooperation. Die Analyse eines Forscherteams aus den USA zeigte, wie umfassend diese ist. Die Wissenschaftler durchforsteten eine Datenbank von bakteriellen Genen und fanden Hinweise auf über 10000 Gene in mehr als 2000 Bakterienarten, die vor Kurzem von einer Art zur nächsten transferiert worden waren. Besonders tauschfreudig sind jene Bakterienarten, die uns Menschen als Lebensraum betrachten. Ein beliebtes Tauschgut: Antibiotikaresistenz-Gene.

Wie erfolgreich Bakterien miteinander teilen, demonstrierte auch weiterhin, nachdem 1942 die ersten Resistenzen aufgetaucht waren. Der Anteil der Staphylokokken-Infektionen, gegen die Penizillin wirkungslos blieb, stieg rasch an und erreichte Ende der 1960er-Jahre einen Anteil von 80 Prozent. Nach und nach erwarben weitere Spezies diese Fähigkeit. Hilfe für die Patienten brachte in solchen Fällen ein chemisch verändertes Penizillin, Methicillin, das 1959 auf den Markt kam. Aber bereits zwei Jahre später tauchten die ersten Staphylokokken auf, die auch dagegen resistent waren.

Schreckensszenarien


Dieses verhängnisvolle Spiel hat sich seither viele Male wiederholt: Wann immer Forscherinnen ein neues Antibiotikum entwickeln, finden die Bakterien Mittel und Wege, um sich dagegen zu wehren. Manche Wissenschaftler sprechen von der »stillen Pandemie der Antibiotikaresistenz«, so auch der Mikrobiologe Christoph Dehio vom Biozentrum der Universität Basel in der Zeitung : Im Gegensatz zur Coronapandemie, die wie ein Tsunami über die Menschheit hereingebrochen sei, verlaufe die Resistenz-Pandemie schleichend, ähnlich dem Meeresspiegel, der wegen der Klimaerwärmung langsam ansteige: »Wir stehen jetzt knietief im Wasser, es geht langsam, aber wir können bereits abschätzen, wann es uns bis zum Hals stehen wird.«

Ein Bericht der britischen Expertenkommission »Review on Antimicrobial Resistance« schätzt, dass bis 2050 weltweit zehn Millionen Menschen pro Jahr an resistenten Bakterien sterben könnten, wenn nichts dagegen unternommen werde – so viele, wie heute Krebs zum Opfer fallen. Es stehen 100 Jahre medizinischer Fortschritt auf dem Spiel, warnt der Bericht. In einem Übersichtsartikel formuliert der Antibiotikaforscher Kim Lewis dies aus: »Es ist wichtig zu wissen, dass Antibiotika nicht nur Leben retten, sondern die moderne Medizin ermöglichen. Ohne sie werden chirurgische Eingriffe, Chemotherapie gegen Krebs oder Organtransplantationen hochproblematisch.« Der kleine Waël musste dies erfahren, und einer von uns (CK) erlebt es fast täglich auf seiner Krankenstation, auf der Patienten ein neues Herz oder künstliche Gefäße erhalten.

Bereits heute sterben Jahr für Jahr etwa 1,3 Millionen Menschen auf der Welt wegen einer Infektion, gegen die Antibiotika nicht mehr halfen. In der EU sind es schätzungsweise 33000, wobei die Länder sehr unterschiedlich betroffen sind: In südlichen Staaten wie Italien und Griechenland ist die Resistenzlage besorgniserregend, in Skandinavien und den Niederlanden ist sie am besten, Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen dazwischen.

Beispiel : 2020 waren 47,3 Prozent aller Bakterienproben von Patienten in Rumänien gegen das Antibiotikum Methicillin...


Kühn, Christian
Prof. Dr. med. Christian Kühn ist Facharzt für Herzchirurgie und leitender Oberarzt in der Abteilung für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Zusätzlich leitet er dort das Nationale Zentrum für Phagen-Therapie und setzt Bakteriophagen bei der Therapie von Herzpatientinnen und -patienten ein.

Häusler, Thomas
Dr. Thomas Häusler ist Projektleiter Klima und Energie beim WWF Schweiz, davor war er viele Jahre Leiter der Fachredaktion Wissenschaft Audio beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Als promovierter Biochemiker beschäftigt er sich schon lange mit dem Thema Bakteriophagen und hat bereits ein Sachbuch über die Geschichte der Bakteriophagentherapie geschrieben.



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