E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Häusler Fürchtet euch nicht
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-942166-58-4
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Vertreibung der deutschen Angst
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-942166-58-4
Verlag: Scorpio Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Reportagereise mit vielen prominenten Gesprächspartnern –
Ulrich Tukur, Dieter Wedel, Charlotte Knobloch, Esther Schweins, Wolfgang Niedecken, Christoph Daum, Ottmar Hitzfeld, Bernd Kundrun, Rüdiger Nehberg, Karl Lauterbach, Gabriele Baring, Bernd Siggelkow, Roland Koch, Franz Alt
Was macht uns Deutschen so viel Angst? Und wie schaffen wir es, unsere Ängste als ersten Schritt Richtung Mut zu begreifen? Martin Häusler reiste durch die Republik und suchte nach Auswegen aus dieser selbstzerstörerischen Angst. Mit mutigen Bekenntnissen und innovativen Strategien überraschten ihn prominente Zeitzeugen wie Dieter Wedel oder Ulrich Tukur und viele weitere Experten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Glaube, Sport, Psychologie und Medien. Eine berührende und lebendige Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Angst, die nicht bloß ergründet, sondern beflügelt – weil sie uns hoffen lässt.
Atomarer Super-GAU, Klimawandel, internationaler Terror, Euro-Crash: Das alles macht uns Deutschen so viel Angst wie noch nie. Das ist fatal, denn Angst macht unfrei. Aber wie kann man sich seinen Ängsten stellen, ohne von ihnen in die Flucht geschlagen zu werden? Martin Häusler reiste durch Deutschland, um unseren Ängsten auf den Grund zu gehen. Dabei traf er auf zutiefst Ängstliche und grandios Mutige. Viele prominente Persönlichkeiten wie Esther Schweins, Christoph Daum oder Ottmar Hitzfeld u. v. m. brachte er dazu, über Ängste und Angstbekämpfungskonzepte zu reden. Vor Ängsten bleibt niemand verschont, aber es gibt viele ermutigende Wege, sich ihnen zu stellen. Denn jeder kann sein eigener Phönix werden und aus der Asche seiner Ängste verwandelt hervorgehen – eine ermutigende Botschaft in unsicheren Zeiten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
VORWORT
Durchsuche ich mein Leben nach Ängsten, fällt mir zuerst die frühe Kindheit Mitte bis Ende der 1970er-Jahre ein. Da ließen mich regelmäßig höchst abstrakte Träume aufwachen. Sanft dahingleitende geometrische Formen wurden von chaotischen Strukturen gestört. Ein irreales Bild von der Unterbrechung einer Harmonie übte gewaltigen Horror aus, den ich mir bis heute nicht erklären kann. Das Mosaik kindlicher Angst wurde meist kurz vor dem Einschlafen ergänzt von Gedanken an den eigenen Tod. Es waren geistige Annäherungen an etwas noch Unbegreifliches. Ich war von einem totalen Verschwinden ausgegangen, was mich völlig panisch machte. Der Selbstmord einer Nachbarin schürte weitere Ängste. Ich fürchtete mich davor, dass die eigene Mutter genauso etwas Grausames tun könnte – obwohl überhaupt kein Anlass dafür bestand. Ich war immer noch Kind, als die Ängste durch das politische Geschehen genährt wurden. Ich erinnere mich an Fernsehabende, an denen ich mit meinen Eltern die Tagesschau sah. Darin wurde ausführlich über das atomare Wettrüsten zwischen NATO und Warschauer Pakt berichtet. Obwohl die Eltern zu beschwichtigen versuchten, lösten die Nachrichten von der Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen in Deutschland große Ängste vor einem dritten Weltkrieg aus, die mich in Tränen ausbrechen und nicht einschlafen ließen. Diese Tränen habe ich weit stärker im Gedächtnis als die Fußballweltmeisterschaften 1978 und 1982. Ich erinnere mich auch an Autofahrten in die City von Leverkusen, meiner Heimatstadt. Für neugierige Kinderaugen waren die qualmenden Schornsteine der Bayer-Werke am Horizont nicht zu übersehen. Ich fragte meinen Vater, was denn sei, wenn die Schornsteine nicht mehr qualmen würden. »Dann ist Leverkusen pleite!«, antwortete er, ein Beamter im Dienst der eigenen Kommune. Fortan ging mein ängstlicher Blick Richtung Skyline, und ich war ein ums andere Mal glücklich, wenn ich dicht dampfende Schlote ausmachte. Komischerweise hören dann die Erinnerungen an meine Ängste auf. Natürlich spürte ich – wie wohl jeder Mensch – in alltäglichen unangenehmen Situationen Unwohlsein verschiedenster Abstufungen. Seit Mitte der 1980er aber kann von großen und dauerhaften Sorgen keine Rede mehr sein. Was mit den Jahren jedoch zunahm, war das Bewusstsein für die Ängste der Menschen um mich herum. Furcht und Verzweiflung in den 1990ern, wohin ich blickte: Angst vor Aids, Angst vor Krebs, Angst vor Atomkraft, Angst vor dem Ozonloch, Angst vor Neonazis. Mir war die Relevanz dieser Themen völlig klar, ich selbst spürte aber keine Angst. Auch nicht, als 1986 der Tschernobyl-Reaktor in die Luft flog, auch nicht, als nach den Anschlägen von 2001 das World Trade Center einstürzte und einige Kolleginnen in meiner damaligen Redaktion zusammenbrachen, weil sie den Anfang vom Ende befürchteten. Mit Anbruch des dritten Jahrtausends bemerkte ich dann ein Ausmaß an gesellschaftlicher Angst, das exponentiell anstieg. Zu den bisherigen Ängsten gesellte sich die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang, vor dem Arbeitsplatzverlust, vor dem Euro-Crash, vor dem Klimawandel, vor periodisch einfallenden Krankheiten wie Rinderwahn, Vogelgrippe oder Schweinegrippe, vor der Armut, dem internationalen Terrorismus oder dem nuklearen Super-GAU. Plötzlich lebte ich in einer Welt aus Angst, Zweifel, Misstrauen und Skeptizismus. Wie fürchterlich. Auch mir selbst passierten erstmals ziemlich unschöne Dinge, die meine eigenen Ängste – vor allem die Existenzängste – mit voller Wucht hätten aktivieren können. Einschneidende Erlebnisse waren das, persönliche Umbrüche, erste Frontalkollisionen mit den unangenehmen Seiten des Lebens. Nachdem der erste Schock überwunden war, blieb ich auch nach diesen Fällen im Rückblick seltsam ruhig. Vielleicht, weil im entscheidenden Moment ein »rettender Engel« vorbeigeflogen kam – in Form eines Menschen, einer Inspiration, einer glücklichen Fügung. Et hätt noch immer joot jejange – die gelassene und bei aller Volkstümelei hochspirituelle Lebensweisheit meiner kölschen Heimat erwies sich im Praxistest als äußerst stimmig. Der Einfall, der Angst ein Buch entgegenzusetzen, kam mir erstmals während der 2008 beginnenden Weltwirtschaftskrise. Ich fühlte nicht nur diese galoppierende gesellschaftliche Angst, ich nahm bereits Anfänge einer Massenpanik wahr, die bislang selbstbewusste und kluge Menschen zu Nervenbündeln machte. Freunde wurden depressiv, weil sich ihr Erspartes, mit dem die Banken gezockt hatten, in Nichts auflöste. Bekannte erzählten von gleich mehreren ihnen nahestehenden Verzweifelten, die sich im wirtschaftlichen Niedergang die Kugel gaben. Andere kauften Goldbarren und deponierten sie unterm Bett. Wieder andere wurden vom Burn-out heimgesucht, weil sie den Druck in ihrer Redaktion nicht mehr aushielten. Und es gab die Fraktion, die sich aus Furcht davor, anzuecken und im aktuellen Abschwung auf Jobsuche gehen zu müssen, alle Weisungen, Kürzungen und Gemeinheiten ihrer Arbeitgeber widerspruchslos gefallen ließ. Ich selbst rannte erstmals freiwillig zum Bankberater, um zu wissen, wo mein Geld zurzeit am sichersten sei (»Und Silber? Was ist mit Silber?«). Ich hatte mich durch eine beunruhigende und sehr konkret formulierte Meldung im Internet infizieren lassen. Angeblich sollte Angela Merkel auf einer Pressekonferenz den Abschied vom Euro und die Rückkehr zur D-Mark ankündigen. Die neue alte Währung sei bereits gedruckt und geprägt. Nur wurde die Dame zum genannten Zeitpunkt vor keinem einzigen Mikro gesichtet. Zum Glück hatte ich keine Transaktionen veranlasst, und die Sorge verflog so schnell, wie sie gekommen war. Nur die Wut auf die Panikmacher war gewachsen. Viele andere kühlten nicht so schnell ab. Das allgemeine Unbehagen schlich sich weiter ein in fast jeden Teil des täglichen Lebens. Die in meinem Umfeld und in den Medien wahrgenommene Angst wurde immer häufiger gestützt durch Studien, Erhebungen, Umfragen. Die Deutschen, so eine der Aussagen, haben tatsächlich so viel Angst wie nie zuvor. Ein ohnehin als ängstlich bekanntes Volk fürchtet sich in Grund und Boden. In dieser allgemeinen Ausnahmesituation erinnerte ich mich an ein Gespräch mit einer Verkäuferin in einem buddhistischen Laden im Hamburger Stadtteil St. Georg. Sie erzählte mir von dem tibetischen Mönch Palden Gyatso, der von den Chinesen verhaftet und für über 30 Jahre in diverse Arbeitslager gesteckt wurde. Er wurde erniedrigt, gequält, gefoltert, musste unmenschlichste Umstände ertragen, in seinem Kot schlafen, faules Wasser trinken – und war doch nie totzukriegen. Gyatso habe, nachdem er entlassen wurde, auf vielen Vorträgen und vor der UN-Menschenrechtskommission von seinem Überlebensrezept berichtet: einem unbeirrbaren Glauben, einer ungefährdeten Zuversicht, einer Zuversicht, die die chinesischen Peiniger wahnsinnig gemacht hat. Ich besorgte mir die Memoiren Gyatsos. Darin schreibt er: »Der menschliche Körper kann sich von unermesslichen Schmerzen erholen. Wunden können heilen. Aber sobald die Willenskraft gebrochen ist, gibt es keine Rettung mehr. Deshalb erlaubten wir uns nicht, den Mut zu verlieren. Wir bezogen Kraft aus unseren Überzeugungen – und vor allem aus unserem Glauben, dass wir für die Gerechtigkeit und die Freiheit unseres Landes kämpften.«1 Nachdem ich Gyatsos Aufzeichnungen komplett gelesen hatte, fragte ich mich: Wenn dieser Mann in der Lage gewesen ist, eine solche Tortur zu überstehen, wovor haben wir hier eigentlich Angst? Was könnten wir uns bei ihm abschauen? Wie können wir uns in unserem materiell orientierten westlichen Lebensstil von dieser unglaublichen Verlustangst befreien? Ich versuchte, Palden Gyatso ausfindig zu machen. Es gelang zwar, aber der fast achtzigjährige Nachbar des Dalai-Lama war nicht mehr in der Stimmung zu reisen, und mir war es nicht möglich, in der Zeit, die ich hatte, nach Dharamsala zu fliegen. Dieses Buch sollte trotzdem gelingen. Ich breche auf zu einer Reise durch Deutschland. Ich will diese deutsche Angst zu Gesicht bekommen, erspüren und begreifen und gleichzeitig herausdestillieren, wo die Wege liegen, die aus diesem gigantischen Angstkomplex herausführen. Dabei wähle ich eine andere Strategie als Deutschlands Chefzyniker Henryk M. Broder, der mit seinem ägyptischen Kompagnon Hamed Abdel-Samad für 3sat in einem telegen besprayten Vehikel eine »Deutschlandsafari« unternahm und neben skurrilen Gestalten ebenso der deutschen Angst begegnete. Mir geht es weniger um die Pointe als vielmehr um Lösungen. »Man muss nicht 30 000 Kilometer durch Deutschland fahren, um festzustellen, dass die Deutschen gern Angst haben«, sagt Broder in einem Interview mit der Zeit im März 2011 über seine Visiten. »Sie haben Angst vor Oberleitungen und unterirdischen Bahnhöfen, vor Dioxin im Frühstücksei und vor der Klimaerwärmung. Letztere ist bekanntlich ein globales Phänomen, aber niemand fürchtet sie so sehr wie die Deutschen. Angst ist das deutsche Lebenselixier.« Wie er sich das erklären würde, fragt ihn daraufhin die Redakteurin Stefanie Flamm. Broder meint: »Ich glaube, die Deutschen warten seit 1945 auf ihre Bestrafung. Wenn die Alliierten damals wenigstens ein bisschen streng gewesen wären, anstatt die Marsriegel vom Himmel segeln zu lassen, wären die Deutschen heute in einer besseren Verfassung. So denken sie ständig: Irgendwas kommt da noch, und wir hätten’s auch verdient.«2 Da ist sie wieder, die brodersche Pointe. Seine darin liegende Behauptung halte ich für Nonsens. Vor meiner Reise und – ich nehme es vorweg – nach meiner Reise sowieso. Jeder Mensch, den ich treffen werde, jedes in...