E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: mairisch mono
Härtig Kaiseki
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-938539-72-9
Verlag: mairisch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Weisheit der japanischen Küche
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: mairisch mono
ISBN: 978-3-938539-72-9
Verlag: mairisch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Warum schmecken die hübschen japanischen Wagashi-Süßigkeiten nach staubigem Zucker, warum haben die Teeschalen Dellen, warum schmeckt die Suppe nach nichts? Malte Härtig, Koch und Philosoph, steht vor einem Rätsel, als er zum ersten Mal Japans berühmte Hochküche Kaiseki probiert. Weder mit seinem westlichen Philosophieansatz noch mit seiner europäischen Kochausbildung kann er Kaiseki entschlüsseln. Doch dann findet er über den Zen-Buddhismus und die berühmte Teezeremonie einen Zugang: Einfachheit, Achtsamkeit, Ruhe, Konzentration auf Details – all diese Elemente der japanischen Philosophie finden sich in der Teezeremonie und im Kaiseki wieder. Und mit ihnen begegnet er grundlegenden Weisheiten und einer erfrischenden Haltung, nicht nur zum Essen, sondern auch zum Leben.
Malte Härtig nimmt uns mit auf seine Reise und führt uns einmal durch ein komplettes Kaiseki-Menü und die Erfahrungen, die er damit gemacht hat. Das beginnt mit dem Tee selbst, führt über die Vorbereitungen des Gastgebers, das Wissen des Gastes und die Herstellung der Teeschale hin zu den verschiedenen Gerichten. Zu allen Elementen erfährt man Wissenswertes und Geschichten, die sich in der jahrtausendealten Tradition angesammelt haben: Warum ein Fisch namens Hamo etwa eine so große Rolle spielt, welche Besonderheiten der Anbau der Bambussprosse hat und was der Reis mit der japanischen Identität zu tun hat. Und man versteht, wieso Japan, die Mentalität seiner Bewohner und die Kaiseki-Küche in den letzten Jahren auch in Europa einen immer größeren Einfluss haben auf die Art, wie wir hier kochen und leben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zweimal einfach – Der Tee und das Kaiseki
Die Ursprünge des Kaiseki liegen in einer Schale Tee. Als der japanische Philosoph mir sagte, ich müsse den Tee studieren, um Kaiseki zu verstehen, meinte er damit die traditionelle japanische Teezeremonie. Bei dieser sitzt man auf Reisstrohmatten in kleinen Hütten oder Räumen mit blassen Lehmwänden und sieht einem Teemeister dabei zu, wie er, etwa in einem nachtblauen Kimono, auf den Knien sitzend, mit stilvollen und fremd anmutenden Bewegungen grünes Teepulver in eine irdene Schale gibt, Wasser aus einem Kessel daraufgießt und mit einen kleinen Bambusbesen ein schaumiges Getränk herstellt, das er seinem Gast zusammen mit einer kleinen Süßigkeit serviert. Dieser Tee heißt Matcha. Wir kennen ihn aufgrund seiner gesundheitlichen Wirkung bei uns eher als Superfood und mixen ihn in Smoothies wegen der grünen Farbe. In Japan findet man ihn auch in Süßigkeiten wie weißer Schokolade, Törtchen oder Eiscreme. Aber eigentlich ist er dort bis heute der Tee der Teezeremonie. Einen Matcha trinken – das ist etwas Besonderes und Zeremonielles. Tatsächlich wird auch am Ende eines Kaiseki-Menüs fast immer ein Matcha serviert, ganz wie in der Teezeremonie, mit einer kleinen Süßigkeit vorweg. Die Teezeremonie und das Kaiseki-Menü scheinen also einen gemeinsamen Ursprung zu haben. Folgt man dieser Spur, tritt man eine Reise tief in die Vergangenheit Japans an – und man versteht, warum heute die Kaiseki-Restaurants Matcha-Tee servieren. Wenn man diesen Fragen nachgeht, kommt man zum Zen-Buddhismus, der vor etwa tausend Jahren aus China nach Japan kam. Schon damals war der Matcha eine Art Superfood. Die Mönche Eisai und Kukai brachten den Tee, Camellia sinensis, von ihren Studienreisen aus den buddhistischen Klöstern Chinas mit. Der Matcha war damals mutmaßlich ein brauner, zu Ziegeln gepresster Tee, der, fein zermahlen und mit Gewürzen versetzt, aufgebrüht wurde. Er hatte damals wahrscheinlich noch nichts von dem leuchtenden Grün und der reinen, fein-herben Süße und Fülle, die die heutige Spitzenqualität auszeichnet. Dieser Tee war lange Zeit dem Adel und den Klöstern vorbehalten. Die Mönche tranken ihn in einer Art Kommunion in Gedenken an einen wichtigen Patriarchen des Zen-Buddhismus, den Bodhidharma, aßen dazu ein paar Kleinigkeiten, es heißt, es seien süße Früchte, aber auch salzige Snacks gewesen, und nutzten seine belebende Wirkung, um während der Meditation die Konzentration aufrecht zu halten. Matcha galt in den Klöstern als Medizin. Diese Ansicht hat sich, gerade beim Matcha, bei dem man das ganze Blatt fein vermahlen in sich aufnimmt, bis heute gehalten. Um das 16. Jahrhundert begann die Zeit der großen Teemeister, die in unendlich vielen Varianten für jeden erdenklichen Anlass, für jede Tages- und Jahreszeit eine Teezeremonie schufen, mal sehr schlicht und fokussiert, mal sehr aufwendig mit Essen, Sake und Spaziergängen durch stilvolle Gärten mit taufunkelnden Moosflächen unter rot gefärbten Ahornbäumen rund ums Teehaus. Der Grundgedanke der Teezeremonien aber blieb derselbe wie im Kloster: in einer Art spirituellen Gemeinschaft wird ein Tee getrunken und vorweg eine Kleinigkeit gegessen. Es war damals eine Zeit der Kriegswirren und Umbrüche. Die Teemeister ließen sich vom Zen-Buddhismus inspirieren und machten die Einfachheit und die Reduktion auf das Wesentliche zu ihrem Programm. Eine Hütte aus Bambus, kurzerhand zusammengebaut, im Wald, fernab der Stadt, aus dem, was vorhanden ist, um sich darin zu treffen und gemeinsam einen Tee zu trinken, das war ihr Ideal. Es ging ihnen um die Gemeinschaft beim Tee, um einen Moment der Zusammenkunft, der einmalig ist und so nie mehr wiederkehrt. Der japanische Ausdruck dafür ist Ichi-go ichi-e. In Gedanken an den Rat des japanischen Philosophen habe ich das selbst ausprobiert, die Teezeremonie, und habe für ein Jahr den Kurs für Nicht-Japaner der berühmten Teeschule Urasenke in Kyoto besucht. Es gibt, trotz der vielfältigen Formen, einen solchen zeremoniellen Tee zuzubereiten, doch sehr klare, enge Grenzen, innerhalb derer man die Bewegungen ausführen sollte. Es fiel mir als Europäer nicht immer leicht, diese Regeln anzunehmen, denn Freizeitaktivitäten haben bei uns etwas mit Spaß, Freiheit, Erholung und Kreativität zu tun. In Japan haben Teezeremonie, Bogenschießen und ähnliche sogenannte Weg-Künste dagegen durchaus etwas Ernstes. Und sie geben klar vor, wie die Dinge zu sein haben. Man schult sich, indem man übt, indem man dieselben Handgriffe immer wieder wiederholt und so Schritt für Schritt perfektioniert. Beim Tee geht es etwa darum, das Tuch, welches zum Reinigen der Teeschale verwendet wird, akkurat zu falten und zu entfalten, über ihren Rand zu legen und in dreieinhalb flüssigen wie natürlich leichten, ästhetischen und irgendwie auch sehr pragmatischen Bewegungen, schwups, schwups, schwups, die Schale elegant hindurchzuziehen und gleichzeitig zu reinigen. Oder den Bambusbesen zweimal über der Schale anzuheben und wieder sinken zu lassen, ihn dabei einmal um seine Achse zu drehen, um sehr aufmerksam zu prüfen, ob auch alle feinen Stäbchen vorhanden sind. Natürlich war das schon Teil der Vorbereitung, aber nun wird die Prüfung vor dem Gast tatsächlich und symbolisch noch einmal wiederholt. Das ist eine Achtsamkeitsübung. Die Bewegungen sind klar vorgegeben und wirken für uns zunächst einmal eher ungewöhnlich, sodass sie bei einem Anfänger alles andere als flüssig und schön aussehen. Aber das kommt dann mit der Zeit, d. h. über die Jahre. Es ging für mich also zunächst darum, mich darauf einzulassen. Gerade weil die Vorgaben so streng sind, zeigen sich in der Ausführung die Stile der Gastgeber und Teemeister schon in den kleinsten Nuancen. Die Form ist also die Basis für einen unweigerlich hervortretenden eigenen Ausdruck. Und noch etwas passiert: Ich konnte im Laufe der Zeit merken, wie sich meine Wahrnehmung für die kleinen Dinge, die Zwischenräume und Unterschiede, schärfte, etwa wie ein leiser Wind durch die schattenspendenden Matten vor den offenen Türen des Teeraums den Herbst ankündigte oder wie im Spätwinter aus einem Zweig eine erste Knospe durchbricht. Das erlebt man in einer eher stillen Gemeinschaft. Das Wasser im Teekessel blubbert, feiner Rauch steigt aus ihm auf und dann trinkt man einen Tee, der in mehrfacher Hinsicht wach macht. Doch dazu später mehr. In manchen Teehäusern des 16. Jahrhunderts waren die Türen so klein konstruiert, dass man nur umständlich hineinkam. Das hatte u. a. den Sinn, dass man sein Schwert davor ablegen musste. Die Teehütten und -häuser waren nicht nur der Treffpunkt für eine spirituell-asketische Kontemplation, sondern auch ein Ort des Friedens in kriegerischen Zeiten. Wenn ich nach einem Samstagnachmittag im Teeraum aus der manchmal etwas muffigen Dämmrigkeit wieder ans Tageslicht trat, dann fühlte ich mich klar und rein, wie nach einer gelungenen Meditation oder einem Waldspaziergang. Die prägende Figur unter den japanischen Teemeistern war Sen no Rikyu (1522–1591). Er stand in den Diensten der damaligen Herrscher Oda Nobunaga und später Toyotomi Hideyoshi und hielt für sie prunkvolle, dem Status der Auftraggeber angemessene Zeremonien ab, bei denen kostbares, bunt glasiertes chinesisches Porzellan verwendet wurde. »Ist es vorhanden: gut, gibt es keins: dann nicht; handeln wir gerade so, wie es ist, dann ist es die wahre Tee-Kunst«, sagte Rikyu dazu. Denn eigentlich ging es ihm, so die Lehrmeinung, vor allem um die natürliche Schönheit in den Dingen, die man erst sieht, wenn alles Unwesentliche weggenommen ist und man eine Teeschale, einen Bambusbesen oder eine Person in aller Einfachheit scheinbar so sieht, wie sie ist. Klingt eigentlich ganz einfach, ist aber eine lebenslange Aufgabe. Rikyu und die anderen Teemeister dieser Zeit entwickelten Teezeremonien, die diesem Blick Rechnung trugen. Aus dem Üben und Durchführen dieser Zeremonien entstand ein Weg – der Weg des Tees. Ein Schüler soll Rikyu gefragt haben, was das Geheimnis dieses Weges sei. Wasser holen, ein Feuer machen, Wasser erhitzen, Tee aufschäumen, Tee trinken – das sei alles, soll Rikyu geantwortet haben. Chanoyu heißt das auf Japanisch, übersetzt als Tee und heißes Wasser. Das könne er schon alles, sagte der Schüler daraufhin. Dann wolle er sein Schüler werden, soll Rikyu in bester Zen-Manier geantwortet haben. Bei einem solchen Satz beginnt es beim Philosophen in mir zu sirren. Zen arbeitet gern mit Widersprüchen, während wir in der westlichen Denktradition die Eindeutigkeit anstreben. Bei uns gibt es keine Kultivierung von widersprüchlichen Aussagen oder Erkenntnissen. Wir haben in Europa lange Zeit versucht, die Welt zu kategorisieren und zu ordnen. Das erstickt irgendwann das Denken oder koppelt es von der Welt ab. Das Denken von Widersprüchen dagegen lässt eine Bewegung entstehen, die nicht endet, sondern hin und her geht. Das macht das Denken selbst lebendig. Augenscheinlich ist für Rikyu nichts einfacher, als Tee zu bereiten und zu trinken. Und gleichzeitig soll das, weil diese Handlung nicht nur irgendwie ausgeführt werden soll, eine Übung und Schulung sein, die nie aufhört – und auch nicht aufhören soll. Denn es geht um eine eigentlich ganz einfache Erkenntnis: Es ist, wie es ist, und die Dinge sind so, wie sie sind. Was jedoch nicht heißt, dass sie nicht gestaltbar wären. Um diese zentralste und einfachste Weisheit des Lebens wirklich zu verstehen, was gewissermaßen einer Erleuchtung gleichkommt, bedarf es schon mal eines kleinen Umwegs – etwa der sehr komplizierten und komplexen Form des Teetrinkens wie in der japanischen...