Hänny | Blooms Schatten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 145 Seiten

Hänny Blooms Schatten

E-Book, Deutsch, 145 Seiten

ISBN: 978-3-88221-408-6
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



?Ulysses? in einem Satz? Der Schweizer Reto Hänny unternimmt dieses grandiose Wagnis. Wie sein Lehrmeister Joyce folgt er seinem Protagonisten Bloom, jenem weltberühmten erfolglosen Annoncenakquisiteur, durch einen beinahe ereignislosen Tag. Einzig dass Blooms Frau, eine üppige Opernsängerin mit spanischem Blut, am Nachmittag ihren Liebhaber empfängt, überschattet drohend diesen gewöhnlichen Tag. ?Blooms Schatten? ist in spielerischer Auseinandersetzung mit ?Ulysses? von James Joyce entstanden: ein rasantes, pralles und beglückendes Prosastück, anspielungsreich und trickreich irreführend, jedes Wort an der richtigen Stelle, auch in seiner rhythmischen und kompositorischen Präzision ein radikales Sprachkunstwerk.

Reto Hänny, geboren 1947 in Tschappina, einem kleinen Bergdorf in Graubünden. Nach ausgedehnten Reisen und verschiedenen Tätigkeiten u.a. als Ziegenhirte, Schullehrer und Bühnenarbeiter am Theater in Chur, debütierte er 1979 mit Ruch. Ein Bericht und erregte mit Zürich, Anfang September, einem Bericht über die Zürcher Jugendunruhen 1980, erstmals großes Aufsehen. Neben seiner intensiven Auseinandersetzung mit Neuer Musik und Bildender Kunst entsteht ein überschaubares, aber umso dichteres literarisches Werk. Hänny, der zahlreiche literarische Auszeichnungen erhielt, u.a. den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Zolliker Kunstpreis, lebt als freier Schriftsteller in Zollikon/Zürich und Graubünden. Im Februar 2022 wurde Reto Hänny mit dem Schweizer Grand Prix Literatur 2022 für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.
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Die Odyssee eines Annoncenakquisiteurs weder ohne Furcht noch ohne Tadel, der, teils wie unter Schock, von morgens um acht all die Stunden bis weit über Mitternacht hinaus, das nimmer Neue mit immer neuer Hoffnung zu betrachten, einen hektisch anstrengenden Tag lang (einen, wenn man es bedenkt, völlig gewöhnlichen Frühsommertag, einen ausgesprochen durstigen zwar, an welchem die Trockenheit nach Wochen eitel Sonne aber ihren Höhepunkt erreichen und abrupt zu Ende gehen sollte) durch das Labyrinth einer Stadt weit oben auf der nördlichen Halbkugel irrt, wo die vielen Kneipen den größten Teil der reichlich bemessenen freien Zeit und des leider der freien Zeit nicht ganz gemäßen Geldes beanspruchen und es zu dieser Jahreszeit kaum richtig dunkel werden will, also noch das Intimste vom Dämmer aufgehellt sich abspielt: Von zu Hause – wo er, zu dieser Morgenstunde ganz flau im Mund, der Gattin, welche, wie sie klagt, komplett ausgedörrt, von oben nach ihm ruft (und damit anzeigt, dass sie endlich aufgewacht), das Frühstück richtet; den Wasserkessel auf die Kohlen setzt; sich der mit zitternd hochgerecktem Schwanz um Waden, Tisch- und Stuhlbeine scharwenzelnden Katze widmet, die es, kläglich maunzend ihre milchweißen Zähne zeigend, kaum erwarten kann, etwas zu lappen zu bekommen, gestreichelt, als tappte sie auf heißem Blech, aufgeregt von einem Bein aufs andere tritt und mit dem Hintern steif an einem Stuhlbein ranggt, dass zu befürchten ist, sie wolle sich dran einen runterholen, es mit einem räßen Sprutz markieren (wobei sich die dunklen Pupillenschlitze in Form von spitzen Linsen, gleichsam zusätzlichen, scharf gewetzten Krallen, die ebenfalls imstande sind zu zerreißen, zu zerfetzen – weil der Reuel was bekommen will, begnügt er sich jedoch, mit elektrisierend wachsam feigem Blick zu äugen –, vor Gier verengen, dass die blitzenden Augen am Ende, bevor sie beschämt sich schließlich schließen, nur mehr grün funkelnde Klunker sind), bis er ihr, damit sie – ist ja gut, Miezilein – endlich Ruhe gibt (versteht haarscharf alles, was sie verstehen will, die Katz – und kriegt’s), aus dem blaugetupften Krug von der Anrichte wie jeden Morgen frische Milch in den Teller gießt; kurz außer Haus eilt, in der Schlachterei vorn an der Ecke zum Frühstück sich eine Niere zu besorgen, für einmal, wenn auch nicht ganz koscher, eine Schweinsniere, da donnerstags vom Hammel nichts zu haben ist, die letzte in der Auslage, wie er, aufs Geschäft zusteuernd, sieht, und hoffentlich schnappt die einem niemand weg, bevor man an der Reihe ist; eiligst wiederum heimwärts wetzt, damit er vielleicht noch ein Aug voll jenes wogenden Gangs des Dienstmädchens von nebenan erhaschen kann, das – nur anderthalb Pfund Würstchen für den Mittagstisch im Korb – mit schaukelnden Schinken den Laden wenig vor ihm verlassen hat, in ihrem ganzen Wesen derart herausfordernd, dass er zuvor, beim Anstehen, als er den Blick, zwar mit leicht entrüstetem Staunen über sich selbst (der gleichen ungläubigen Verwunderung, ja machtlosen Missbilligung, womit man, die Schwäche als solche selbstverständlich verurteilend, auch wenn’s letztlich eine Stärke ist, die einem, wenn man so will, zu überleben hilft, auf dem Rennplatz, an Wetten wenig interessiert die Reiter missachtend – gewinnen langweilt, genauso wie verlieren, und mir nichts, dir nichts das Geld einfach so rausschmeißen liegt bei ihm nicht drin –, von den straffen Fesseln bezirzt, wenn die Schönen aus der Kutsche stelzen oder in sie steigen, sich in der Betrachtung der am Arm ihrer begüterten Begatter auf hohem Fuß ideal proportioniert die neuesten Couturier-Kreationen zur Schau stellenden jungen Zuchtstuten verliert), in der Kühle des Ladens, diskret abseits, vernehmbar atmend, damit die Magd verstehe, dass von ihr Interessanteres zu erfassen sei als nur der Zipfel des leichten Kleids, derweil der Metzger, der die Kundschaft kennt, ganz auf die Arbeit konzentriert, mit fettiggeröteten Wurstfingern jeweils zwei Blatt Einwickelpapier vom Stoß grapschend, ohne viel Worte zu verlieren die Bestellungen derer vor ihm richtete, im Spiegel hinter der Theke genüsslich über ihre weichen Linien gleiten ließ (in einem jener Spiegel, wie sie auch bei Friseuren hängen, leicht nach vorn geneigt alles darin sich Spiegelnde schief präsentierend, je mehr von der Seite betrachtet, desto ärger aus dem Lot, angefangen bei der Reihe Flaschen, die auf dem Regal unmittelbar darunter stehen, dann der Hinterkopf und die Schultern des an der Bank hantierenden Metzgers, dann der Fußboden, der in einem Winkel von rund zwanzig Grad anzusteigen scheint, im Schatten grau und gelb in dem Sonnenparallelogramm, das sich von der Schwelle der offenen Tür schräg ins Innere erstreckt, an den Möbelkanten bricht und mit dem Widerschein die Decke hellt, die beiden Türpfosten geneigt, als ob sie mitsamt der Wand vornüberkippten, die Schwelle, eine Steinplatte, in der Mitte abgetreten, davor oder, anders gesehen, dahinter das Trottoir, dann die langen Granitquader, die dieses säumen, und schließlich ein Streifen der Straßenpflasterung; das Sonnenrechteck auf dem Fußboden, wenn jemand auf die Tür zukommt und den Laden betritt, oder ihn verlässt, kurz verschwindend, besser verlöschend, um sogleich wieder zu erscheinen, und bald darauf erneut verschwindend, aber nicht ganz, und diesmal war im Türrahmen nur noch der ausschwingende Rocksaum der jungen Frau auf dem Gehsteig zu sehen, ihre kräftigen Waden und die in Pantinen steckenden Füße, scheps der Bildausschnitt, als müsste sie jeden Moment hintüber fallen, die Szenerie von ihrer spitzen, jetzt von draußen hereindringenden Stimme untermalt, mit der sie, wohl über die Schulter hinweg, im Gehen innehaltend einen Schritt zurückgetreten den Kopf wendend, in einem Ton, den sie zwar zu drosseln versuchte, der aber immer noch viel zu schrill war, auf die Bemerkung reagierte, die ihr der Metzger hinterhergerufen und die man selbst, ganz Auge, schlicht überhört hatte – wäre der Spiegel steil genug gewesen, den ganzen Türausschnitt zu erfassen, hätte man sie darin jetzt im Profil oder Halbprofil sehen können, gleich Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrgehänge, das er, inspirierend bei gewissen Briefen, auf einer Postkarte zuhause zusammen mit einer Lupe griffbereit im Schreibsekretär aufbewahrt, seit er sich auf der Hochzeitsreise im Mauritshuis, in het Koninklijk Kabinet van Schilderijen, erstmals erwischen ließ, jedes Mal von neuem überrascht, dass man, in der Meinung, das Mädchen zu überraschen, wenn einem, schon dicht schräg hinter ihr, aus großen bernsteinfarbenen Augen, die unter dunklen Wimpern fast schwarz wirken, der gedankenverlorene, entwaffnend offene Blick mit unschuldiger Kühnheit begegnet, letztlich selber der Ertappte ist), ihr pralles Fleisch, welches, gesteigert durch das gleißende, flach durch die Tür einfallende Morgenlicht, etwas Unerbittliches, fast Brutales und doch immer noch Kindliches verströmt, vom Blut durchpulst, das man unter ihrer fast durchsichtig rosig hellen Haut, die, bei Rotblonden ist das nicht selten, ein Hauch blauer Äderchen überschattet, in der Schlüsselbeingrube pochen sah, zusammen mit dem Dunst von Kampfer und Kölnisch Wasser, der aus ihrem Kleid stieg, wobei die Brüste, als die Magd sich, den Korb resolut am Henkel greifend, von der Theke abwandte, unter dem dünnen Stoff der Bluse leicht erzitterten, förmlich zu riechen meinte; zurückgekehrt, dem Metzger gram, der beim Einpacken, platt, dass die Göre sich erdreistet hatte, sein loses Mundwerk zu stopfen, derart plemperte und nachdem er ihm die drei Münzen für die Drüse auf den glitschigen Marmor hingezählt, mit Absicht neben die Stacheln der blassroten Gummiunterlage, von der sie leichter zu behändigen gewesen wären, munter fortfuhr, am Papier zu fälteln und zu zupfen, dass, endlich draußen, auf dem Trottoir natürlich nichts mehr zu sehen war und die junge Erscheinung, auch als er ums Eck ins Sträßchen einbog, wie vom Erdboden verschluckt blieb, die zuhause während seiner Abwesenheit durch den Türschlitz geflatterte Post vom Flurboden aufliest, eine Karte, paar Briefe, an ihn adressiert, obenauf gleich ins Auge springend – das fahrige Gekritzel will und will nicht ordentlicher werden –, einen von der Tochter, die sich, seit etlichen Wochen in der Provinz bei einem Photographen in der Lehre – anfangs war’s für ihn nicht leicht, nach all den Jahren mit der neuen Situation fertigzuwerden –, vermutlich fürs Geschenk bedanken wird, die Schottenmütze, die er ihr zum Fünfzehnten, dem ersten Geburtstag in der Fremde, und darum durfte es was Besonderes sein, gestern durch einen Boten an den Arbeitsort geschickt; den Rest des Wenigen sortiert; den gewichtigeren Teil (darunter, die kühne Hand verrät es – ihm stockt der Atem angesichts der Schrift –, einmal mehr Post ihres Liebhabers, dieses Liederjans und schurkischen Maulhelden, der, nebst allen andern auch noch mit kaufmännischen Fähigkeiten gesegnet, für sie als...


Hänny, Reto
Reto Hänny, geboren 1947 in Tschappina, einem kleinen Bergdorf in Graubünden. Nach ausgedehnten Reisen und verschiedenen Tätigkeiten u.a. als Ziegenhirte, Schullehrer und Bühnenarbeiter am Theater in Chur, debütierte er 1979 mit Ruch. Ein Bericht und erregte mit Zürich, Anfang September, einem Bericht über die Zürcher Jugendunruhen 1980, erstmals großes Aufsehen. Neben seiner intensiven Auseinandersetzung mit Neuer Musik und Bildender Kunst entsteht ein überschaubares, aber umso dichteres literarisches Werk. Hänny, der zahlreiche literarische Auszeichnungen erhielt, u.a. den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Zolliker Kunstpreis, lebt als freier Schriftsteller in Zollikon/Zürich und Graubünden. Im Februar 2022 wurde Reto Hänny mit dem Schweizer Grand Prix Literatur 2022 für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.

Reto Hänny, geboren 1947 in Tschappina, einem kleinen Bergdorf in Graubünden. Nach ausgedehnten Reisen und verschiedenen Tätigkeiten u.a. als Ziegenhirte, Schullehrer und Bühnenarbeiter am Theater in Chur, debütierte er 1979 mit
Ruch. Ein Bericht
und erregte mit 
Zürich, Anfang September
, einem Bericht über die Zürcher Jugendunruhen 1980, erstmals großes Aufsehen. Neben seiner intensiven Auseinandersetzung mit Neuer Musik und Bildender Kunst entsteht ein überschaubares, aber umso dichteres literarisches Werk. Hänny, der zahlreiche literarische Auszeichnungen erhielt, u.a. den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Zolliker Kunstpreis, lebt als freier Schriftsteller in Zollikon/Zürich und Graubünden. Im Februar 2022 wurde Reto Hänny mit dem Schweizer Grand Prix Literatur 2022 für sein Gesamtwerk ausgezeichnet.


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