E-Book, Deutsch, 237 Seiten, eBook
Habscheid / Knobloch Einigkeitsdiskurse
2009
ISBN: 978-3-531-91425-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zur Inszenierung von Konsens in organisationaler und öffentlicher Kommunikation
E-Book, Deutsch, 237 Seiten, eBook
Reihe: Kommunikation in Organisationen
ISBN: 978-3-531-91425-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Prof. Dr. Stephan Habscheid lehrt Germanistik/Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Siegen.
Prof. Dr. Clemens Knobloch lehrt Sprachpsychologie, sprachliche Kommunikation und Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft an der Universität Siegen.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Zur Einführung in den Band;8
2.1;Literatur;17
3;I. Diskurs, Begriff, Interaktion: Theoretische und methodologische Ansätze;19
3.1;Zum Anteil des flexiblen Normalismus an der medialen Konsensproduktion;20
3.1.1;1. Normalität: Grundlagen;20
3.1.2;2. Protonormalismus und flexibler Normalismus;22
3.1.3;3. Interdiskursives Mainstreaming;23
3.1.4;4. Kopplungen;26
3.1.5;5. Dissidenzprobleme;26
3.1.6;6. Akzeptanz und Rückkopplung;27
3.1.7;7. Die „mittlere Geschichte“;29
3.1.8;8. Das „Fun-and-Thrill“-Band;30
3.1.9;9. Demographische Engführung;30
3.1.10;10. Programmatischer Konsens;31
3.1.11;Literatur;32
3.2;Staging Politics in Television: Fiction and/or Reality?;33
3.2.1;1. Introducing the problem;33
3.2.2;2. Staging politics;35
3.2.3;2. The Construction and Representation of Everyday Politics in the Media;40
3.2.4;4. Constructing the modern hero;44
3.2.5;5. Conclusions;53
3.2.6;Literature;54
3.3;Einigkeit und Einheit: Zur Semantik zweier deutscher Leitbegriffe;58
3.3.1;1. Vorab;58
3.3.2;2. Zwei Begriffe, viele Bedeutungen;59
3.3.3;3. Die schwierige Einheit;63
3.3.4;4. Einigkeit als nationale Tugend;64
3.3.5;5. Notwendige Vielheit;66
3.3.6;6. „Einigkeit und Recht und Freiheit“;67
3.3.7;Literatur;68
3.4;Globalisierung und Reform: Die Hegemonie des Globalisierungs- und Reformdiskurses am Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung;69
3.4.1;1. Einleitung;69
3.4.2;2. Der Globalisierungs- und Reformdiskurs in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung;84
3.4.3;3. Fazit und Ausblick;102
3.4.4;Literatur;112
3.5;Kulte, Kommunikation, Konsens-Inszenierungen;115
3.5.1;1. ‚Nicht-diskursive‘ Konsensbildung durch Kulte;115
3.5.2;2. Zu René Girards „mimetischer Theorie“;118
3.5.3;3. „Nachahmungsnachahmung“ als Kern einer Kommunikationstheorie;120
3.5.4;4. Konsequenzen;123
3.5.5;Literatur;124
3.6;Die Ordnung des Wettbewerbs: Zum interaktionalen Vollzug von Handel auf Kunst- und Antiquitätenauktionen;125
3.6.1;1. Einleitung;125
3.6.2;2. Einrichtung des Wettbewerbs: Die Etablierung der Protagonisten;128
3.6.3;3. Verdeutlichen der Authentizität von Geboten;134
3.6.4;4. Legitimierung des Verkaufs;140
3.6.5;5. Die Erschaffung von Märkten: Institutionelle Formen und interaktionale Praxis;144
3.6.6;Danksagung;148
3.6.7;Literatur;149
4;II. Öffentlichkeit, Organisation, Alltag: Empirische Fallstudien und Anwendungen;151
4.1;Gemeinschaft ohne Solidarität: Zur paradoxen Grundstruktur der „Du bist Deutschland“- Kampagne;152
4.1.1;1. „Du bist Deutschland“: die Kampagne als Prototyp einer Einigkeitsinszenierung;152
4.1.2;2. Der Text des „Manifests“ der Kampagne und seine filmische Umsetzung: ein intermedialer Komplex von transkriptiven Bezugnahmen;156
4.1.3;3. „Volkskörperrhetorik“ statt Ohnmacht;162
4.1.4;4. „Soft-Nationalismus“ statt Ungleichheit;164
4.1.5;5. „Leistungsmythos“ statt Unsicherheit;167
4.1.6;6. Fazit und Schlussbemerkung;170
4.1.7;Literatur;172
4.2;Die sprachliche Inszenierung von Konsens in Organisationen: Qualitative Befunde zu Mitarbeiterzeitungen;174
4.2.1;1. Einleitung: Zwei Bilder von Führung;174
4.2.2;2. Führung, Konflikt und Konsens als Grundtopoi der Organisationstheorie;176
4.2.3;3. Von der fordistischen zur postfordistischen Konstellation;179
4.2.4;4. Gegenstand der Analyse und Anmerkungen zur Methodik;181
4.2.5;5. Konsensinszenierung in den MAZ – qualitative Befunde;185
4.2.6;Literatur;199
4.3;The Influence of Collective Orientation Patterns on Internal Business Communication;204
4.3.1;1. Introduction;204
4.3.2;2. The data;205
4.3.3;3. The reintroduction of uncertainty and flexibility;205
4.3.4;4. Bureaucratization and failure;210
4.3.5;5. Identity management and chaos;214
4.3.6;6. Summary and discussion;218
4.3.7;Literature;220
4.4;Organizational Change: Creation of Consensus and Prevention of Conflict through Guided Communication and Participation;222
4.4.1;1. Change, Conflicts of Interest, Cultures of Interaction;222
4.4.2;2. A Tool for Designing Consensus-Supporting Communication Processes;223
4.4.3;3. Stages of the Communicative Procedure;225
4.4.4;4. Moderation, Mediation, Creation of Consensus: The Stage of Operational Communication as the Main Component of the Participative Process;226
4.4.5;5. Conclusion;235
4.4.6;Appendix;236
4.4.7;Literature;236
5;Über die Autorinnen und Autoren;238
Zur Einführung in den Band.- Zur Einführung in den Band.- Diskurs, Begriff, Interaktion: Theoretische und methodologische Ansätze.- Zum Anteil des flexiblen Normalismus an der medialen Konsensproduktion.- Staging Politics in Television: Fiction and/or Reality?.- Einigkeit und Einheit: Zur Semantik zweier deutscher Leitbegriffe.- Globalisierung und Reform: Die Hegemonie des Globalisierungs- und Reformdiskurses am Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.- Kulte, Kommunikation, Konsens-Inszenierungen.- Die Ordnung des Wettbewerbs: Zum interaktionalen Vollzug von Handel auf Kunst- und Antiquitätenauktionen.- Öffentlichkeit, Organisation, Alltag: Empirische Fallstudien und Anwendungen.- Gemeinschaft ohne Solidarität: Zur paradoxen Grundstruktur der „Du bist Deutschland“ - Kampagne.- Die sprachliche Inszenierung von Konsens in Organisationen: Qualitative Befunde zu Mitarbeiterzeitungen.- The Influence of Collective Orientation Patterns on Internal Business Communication.- Organizational Change: Creation of Consensus and Prevention of Conflict through Guided Communication and Participation.
Gemeinschaft ohne Solidarität: Zur paradoxen Grundstruktur der „Du bist Deutschland"- Kampagne (S. 154-155)
Werner Holly (Chemnitz)
1. „Du bist Deutschland": die Kampagne als Prototyp einer Einigkeitsinszenierung
Kampagnen können als moderne Form gelten, durch den kommunikativen Einsatz von Massenmedien öffentliche Unterstützung strategisch zu organisieren (Baringhorst 1998): für politische Einstellungen, Programme und Akteure (Wahlkampagnen), für den Absatz von Waren und Dienstleistungen (Werbekampagnen), für wohltätige Zwecke (Benefizkampagnen) oder etwa für ethisch und rational erwünschte Verhaltensweisen (Aufklärungskampagnen). Zusätzlich zur nahezu ubiquitären Berieselung, der man als Konsument und Bürger in Gestalt politischer und kommerzieller Werbung in expliziter oder impliziter Form ausgesetzt ist, werden hier kräftigere Duschen verabreicht, und zwar durch eine Verstärkung und Bündelung von kommunikativen Maßnahmen. Kampagnen sind gängige Strategien, wenn ein Thema oder ein Produkt neu lanciert werden soll oder wenn die Bürger und Konsumenten vom Dauerkampf um Aufmerksamkeit (Franck 1998) ermüdet sind, wenn ihr Engagement oder ihre Kauflust erlahmen, so dass Trägheit überwunden werden muss – oder aber, weil erwartete Akzeptanz hartnäckig ausbleibt.
Als ab 26. September 2005 die ersten Plakate und Werbespots der „Du bist Deutschland"-Kampagne zu sehen und hören waren, wussten die meisten Rezipienten zunächst nicht recht, worauf eigentlich gezielt wurde, wer dahinter stand und was genau man eigentlich tun oder denken sollte. Während gewöhnlich politische, kommerzielle oder karitative Werbung und sogar allgemeine PRAktionen auf relativ leicht durchschaubare perlokutionäre Effekte aus sind – man soll jemanden wählen oder gut finden, etwas kaufen, glauben oder spenden oder sonst etwas tun oder lassen –, blieben hier die Akteure, die Ziele, ja sogar die Bezugswelten oder kommunikativen Domänen, in denen man sich befand, einigermaßen im Vagen, jedenfalls bei werbungstypischer unkonzentrierter Rezeption: Ging es um Politik, Kommerz, Soziales, um Alltag oder die großen Linien der Lebensführung?
Bei näherem Hinsehen erwies sich die Kampagne aber durchaus als politisch, denn es wurde doch rasch deutlich, dass Akzeptanz für Grundideen der umstrittenen „Agenda 2010"-Politik geschaffen werden sollte. Allerdings – und das ist das eigentlich Verblüffende – handelte es sich nicht um ein Stück Regierungspropaganda, sondern um das Werk einer so genannten Initiative „Partner für Innovation", die unter der Ägide der Bertelsmann AG und deren damaligem Vorstandschef, Gunter Thielen, 24 große Medienunternehmen (auch die öffentlich- rechtlichen ARD und ZDF) zusammenführte.
Der Zusammenhang mit der „Agenda 2010"-Politik war jedoch nicht explizit, man suchte im Gegenteil Abstand von allzu direkten parteipolitischen Bezügen und verschob deshalb sogar den Start der Kampagne auf die Zeit nach der (vorgezogenen) Bundestagswahl (18. September 2005). Zwar sind politische Kampagnen in den Medien nichts Ungewöhnliches, aber normalerweise sind sie entweder versteckt als Tendenz im redaktionellen Teil zu vermuten (Kampagnenjournalismus) oder erscheinen offen im Anzeigenteil als bezahlte Werbung außermedialer Auftraggeber. Dass nun Medienunternehmen selbst als politische Akteure einer PR-Kampagne auftraten, hatte insofern eine neue Qualität und war nur legitimierbar im Gewand einer „parteiübergreifenden", quasi „unpolitischen" Zielsetzung.
In der Selbstbeschreibung (aus dem Pressematerial der Kampagne, s. www.dubistdeutschland.de) ist entsprechend die Rede von sehr allgemeinen, gewissermaßen soziokulturell zu nennenden Aspekten des Verhaltens- und Meinungsspektrums, die aber im Kontext doch unmittelbare politische Relevanz haben: Auf dem Hintergrund einer jahrelang öffentlich diagnostizierten Stimmung von Mutlosigkeit und Depression sollte nun die „Initialzündung einer Bewegung für mehr Zuversicht und Eigeninitiative" erfolgen, eine „Aufbruchsstimmung" sollte geschaffen werden (ebd.).