Buch, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 216 mm, Gewicht: 502 g
Reihe: Afrika Wunderhorn
Buch, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 139 mm x 216 mm, Gewicht: 502 g
Reihe: Afrika Wunderhorn
ISBN: 978-3-88423-636-9
Verlag: Wunderhorn
Der Protagonist, ein nigerianisch-amerikanischer Akademiker, zieht mit seiner amerikanischen Frau nach Berlin, als diese dort ein renommiertes Kunststipendium erhält. In Berlin lernt er viele afrikanische Immigranten und Geflüchtete kennen und erfährt so von ihren Fluchterlebnissen. Diese Begegnungen führen bei ihm, der als schwarzer Intellektueller ein privilegiertes und sicheres Leben führt, zu einer tiefen Selbstreflexion. Er stellt sein bisheriges Leben in Frage und merkt, dass er unlösbar mit den Schicksalen der Migranten verbunden ist und sein Leben nicht länger getrennt von deren alltäglicher Not führen kann. Als er eine junge Frau aus Sambia in die Schweiz begleitet, wo sie die Todesumstände ihres Bruders klären will, steigt er auf der Rückreise nach Berlin ohne Papiere in den falschen Zug und landet in einem Flüchtlingslager am italienischen Mittelmeer …
Habila lässt in seinem Roman ein Mosaik aus den unterschiedlichsten Erfahrungen von Migranten entstehen. Er zeigt damit, dass die Themen Vertreibung und Migration »ewige« Themen bleiben werden, sollten nicht Menschlichkeit und Respekt vor anderen Kulturen unsere Gesellschaften bestimmen.
Weitere Infos & Material
„Du musst mitkommen, Schatz“, sagte Gina vor einem Jahr
in unserer Wohnung in Arlington. „Ich kann nicht ohne
dich.“ Sie hatte das renommierte Zimmer-Kunststipendium
erhalten. Ein Jahr Berlin. Vielleicht war das genau das
Richtige, um aus unserem eingefahrenen Leben, unserem
Alltag auszubrechen. Jedes Jahr wählte die Zimmer-Jury
zehn Künstler aus aller Welt aus – Schriftsteller und Maler,
Filmregisseure und Komponisten – und in diesem Jahr
gehörte Gina zu den beiden Stipendiatinnen aus den USA.
Sie war Juniorprofessorin an einer Universität in Arlington,
ich brachte in einem Hinterzimmer der Stadtbibliothek
koreanischen Einwanderern Englisch bei. Außerdem arbeitete
ich an meiner Hochschule als wissenschaftlicher Assistent,
damit waren die Studiengebühren abgedeckt. Beim
Unterrichten ging ich äußerst besonnen vor; jedes Mal,
wenn ich vor den erwartungsvollen jungen Gesichtern
stand, kam ich mir wie ein Hochstapler vor. Würden sie
alles, was ich ihnen erzählte, für bare Münze nehmen, und
welches Recht hatte ich, welches Wissen, welche Erfahrung,
dass ich mir herausnahm, mich als Autorität zu gerieren?
Ich war erst fünfunddreissig, vielleicht wenn ich fünfzig
wäre, mehr gereist wäre, mehr gelebt hätte ...
„Es ist nur ein Job, Schatz“, sagte Gina, pragmatisch wie
stets. „Du siehst das zu kritisch.“
Oder vielleicht war es auch meine Angst, mich festzulegen
– so Ginas Mutmaßung, die sich nicht nur auf meine
halbfertige Dissertation bezog, sondern auch darauf, dass
wir nach der Promotion heiraten wollten. Sie hatte promoviert,
ich nicht. Drei Jahre lang hatten wir in ihrer winzigen
Studentenbude mit Blick auf einen Parkplatz zusammengelebt.
Aber nein, sagte ich, das liege nur an meiner Einwandererdisposition,
die mich auf ein Heim, auf Beständigkeit
in dieser neuen Welt hoffen, mich aber auch vor
langfristigen Bindungen zurückscheuen und ständig Fluchtpläne
schmieden lasse.
Wir heirateten dann doch noch und die Ehe war gut, stabil,
wir hatten unseren geregelten Tagesablauf wie die meisten
Ehepaare, wir wachten gemeinsam auf, gingen zur Arbeit,
abends saßen wir auf unserem schmalen Balkon mit Blick
auf den Parkplatz, tranken eine Flasche Wein, manchmal
gingen wir ins Kino oder essen und vielleicht zögerte ich
aus diesem Grund, Berlin zuzusagen: Was, wenn wir hingingen
und die Dinge zwischen uns anders wurden? Was,
wenn uns Berlin mehr veränderte als angenommen?