Habila / Wussow | Öl auf Wasser | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur

Habila / Wussow Öl auf Wasser


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-88423-452-5
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur

ISBN: 978-3-88423-452-5
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Port Harcourt, Nigeria, im Delta des Niger. Eine Frau verschwindet. Dies wäre keine Nachricht in den Medien wert, würde es sich nicht um eine Britin, die Ehefrau eines hochrangigen Mitarbeiters einer ausländischen Ölgesellschaft, die im Delta und vor der Küste Öl bohren, handeln. Die Entführung ist offensichtlich das Werk einer Rebellengruppe, die gegen die Ölgesellschaften kämpft, die das Land ausbeuten und zerstören. Als eine Lösegeldforderung eingeht, wittert der junge Journalist Rufus die Chance zu einer großen Story und macht sich mit dem gealterten Starreporter Zaq auf die Suche nach der Entführten.

Helon Habila, 1967 in Nigeria, geboren, studierte Literatur und lehrte an der Universität bevor er nach Lagos ging, um dort als Journalist zu arbeiten. Fu?r sein erstes literarisches Werk Waiting for an Angel, welches in zahlreiche Sprachen u?bersetzt wurde, erhielt er den internationalen Caine Prize for African Writing und 2003 den Commonwealth Writers' Prize fu?r die Beste Erstveröffentlichung. Measuring Time (2007), Habilas zweiter Roman, erhielt 2008 den Virginia Library Foundation Fiction Award und stand auf der Kandidatenliste fu?r den Hurston/Wright Legacy Award 2008. Die Kurzgeschichte The Hotel Malogo gewann den Emily Belch Prize und wurde fu?r die Anthologie The Best American Nonrequired Reading ausgewählt und veröffentlicht. Habilas dritter Roman Oil on Water (2010) ist der erste, der auf Deutsch erscheint. Habila lehrt kreatives Schreiben an der George Mason University und lebt in den USA und Nigeria. Von Juli 2013 bis Juli 2014 war Helon Habila als Stipendiat des DAAD im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms in Berlin. Weitere Informationen finden Sie hier.

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Port Harcourt, Nigeria, im Delta des Niger. Eine Frau verschwindet. Dies wäre keine Nachricht in den Medien wert, würde es sich nicht um eine Britin, die Ehefrau eines hochrangigen Mitarbeiters einer ausländischen Ölgesellschaft, die im Delta und vor der Küste Öl bohren, handeln. Die Entführung ist offensichtlich das Werk einer Rebellengruppe, die gegen die Ölgesellschaften kämpft, die das Land ausbeuten und zerstören. Als eine Lösegeldforderung eingeht, wittert der junge Journalist Rufus die Chance zu einer großen Story und macht sich mit dem gealterten Starreporter Zaq auf die Suche nach der Entführten.


1.
Ich gehe einen vertrauten Weg. Die Ereignisse links und rechts sind säuberlich gelistet und datiert, doch auf halber Strecke lässt die Erinnerung meine Hand fahren und Nebel steigt auf und verhüllt Orte und Gesichter, und mir bleibt nur, mich verloren durch die Dunkelheit zu tasten und die verschwommenen Augenblicke im Weitergehen neu zusammenzufügen, die Gesichter und Orte, sogar die Gefühle. Manchmal muss ich, wenn ich nicht vom Weg abkommen will, an deutlich erkennbare Markierungen zurückkehren und kann erst dann, mit diesem Sicherheitsnetz unter mir, auf weniger gesichertes Gelände springen. Ja, es stimmt, es gab einen Unfall, ein Feuer. Eine Explosion im Lager mit den Ölfässern. Der Wind trug das Feuer von Haus zu Haus, und innerhalb weniger Minuten stand die halbe Stadt in Flammen. Viele starben. Auch Johns Vater. Man erzählt sich, dass er starb, als er versuchte, meine Schwester Boma zu retten, und sie umgekommen wäre, wenn er nicht gewesen wäre. Mein Vater kam ins Gefängnis. Seit damals raucht er nicht mehr. Meine Mutter ist in das Dorf ihrer Eltern zurückgegangen. Sie lebt immer noch dort. Und während meine Schwester brannte und meine Familie auseinanderbrach, war ich in Lagos, hörte mir einen Vortrag an, aß in einem chinesischen Restaurant zu Abend, versuchte, das Rätsel vom verrückten Vergewaltiger zu lösen, und erfuhr erst von der Tragödie, als ich mit meinem Abschlusszeugnis als Journalist wieder nach Hause kam. Nein, es war kein Unfall an der Pipeline, wie ich es dem Weißen erzählt und in meinem Artikel geschrieben habe. Aber es hätte unschwer einer sein können, wie in zahllosen anderen Dörfern auch. Mein Vater ist immer noch im Gefängnis. Boma und ich gehen ihn noch immer besuchen, und jedes Mal, wenn er ihr Gesicht sieht, wendet er sich ab und seine Hände zittern, und sie geht seit kurzem nicht mehr hin. Mutter kommt einmal im Monat aus dem Dorf herüber und besucht ihn. Ab und zu begleite ich sie und beobachte, wie sie miteinander umgehen: Manchmal haben sie eine Menge zu besprechen, und manchmal starren sie sich nur schweigend an. Zuletzt bin ich vor gut einem Monat mit ihr mitgegangen. Ich saß etwas abseits, aber ich konnte hören, was sie beredeten: Sie erzählte ihm vom Leben im Dorf, auf dem Hof, wie gut dieses Jahr die Ernte war. Er hörte ihr zu, nickte und starrte sie die ganze Zeit an, versuchte, ihren Blick einzufangen, doch sie mied seine Augen, solange sie erzählte. Und sie rief mir zu: Rufus, komm her. Warum stehst du so weit weg, dort, am Fenster? Der Wärter tat so, als läse er Zeitung, aber er beobachtete uns die ganze Zeit. Ich erinnere mich, dass der Raum nach den gerösteten Erdnüssen roch, die Mutter Vater mitgebracht hatte. Ich erinnere mich, dass der Wärter einen Kahlschädel hatte. Mutter sah dünner aus, dunkler. Der Nebel lichtete sich so plötzlich, wie er aufgekommen war, und die Sonne strahlte, und ich bewegte mich wieder auf sicherem Grund, auch wenn ich wusste, dass der Nebel wiederkommen, sich vor das Auge meiner Erinnerung schieben und es einen Augenblick lang blenden konnte. Nach einiger Zeit sahen Himmel und Wasser und das dichte Blattwerk an den Ufern völlig gleich aus: blau und grün und blaugrün umschleiert. Die ganze Landschaft kam mir vor wie ein bloßer Taschenspielertrick des Lichts, dampfend und die Gestalt ändernd, hinter dem Nebel aufscheinend und vergehend. Es war noch früh am Morgen, doch wir hockten bereits seit über zwei Stunden in diesem Boot, hatten das offene Meer hinter uns gelassen und fuhren einen Nebenfluss hinauf in Richtung Westen. Seit langer Zeit schon war Irikefe Island, die ihrer einzigartigen, sichelförmigen Küste wegen auch Halbmondinsel genannt wurde, hinter uns versunken, verschluckt von der Entfernung und einer Finsternis, die dieser Dunst, der wie Rauch von den Flussufern aufstieg, über uns warf. In der Flussmitte war das Wasser klar, näher an den Ufern aber stand es brackig, eingeschlossen von den Mangroven, in deren Zweigen der Dunst in Klumpen hing wie Baumwollbällchen. Vor uns wölbte er sich wie eine Brücke über das Wasser. Manchmal, wenn wir in einen besonders schmalen Seitenarm einbogen, wurde unser leichtes Holzkanu derart von diesem dichten, grauen Etwas umfangen, dass wir einander nicht mehr sehen konnten, während wir stumm durch das Wasser glitten. Ich war nass, mir war kalt und ich hatte Hunger, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob es eine gute Idee gewesen war, mit Zaq auf die Suche nach der entführten Engländerin zu gehen. Heute folgten wir bereits den neunten Tag ihrer Spur. Die anderen Journalisten waren längst nach Port Harcourt zurückgekehrt, und ich war überzeugt, dass dieses Abenteuer – oder vielmehr: dieses andauernde Missgeschick – für sie jetzt nur noch eine Episode war, Anekdotenwährung, mit der man sich an einem faulen Tag im Presseclub einen Drink erkaufen konnte. Zaq tat sie mit einer Handbewegung ab. »Das ist der Unterschied zwischen großen Reportern und der Masse.« Er war zweifelsohne einer der besten, die das Land je hervorgebracht hatte, und deshalb respektierte ich seine Meinung, doch in diesem Augenblick wären mir Essen, trockene Sachen und ein Dach über dem Kopf entschieden lieber gewesen als Größe oder Hochachtung. Nur so als Beispiel. »Rufus, mein Freund, sag mir, was suchen wir eigentlich?« Es war keine Frage, aber ich antwortete trotzdem. »Die Frau. Und den Professor.« »Ich sagte ›was‹ und nicht ›wen‹. Vergiss mal einen Augenblick lang die Frau und ihre Entführer. Wir suchen eigentlich nicht nach ihnen, sondern nach einer höheren Bedeutung. Denk dran, die Geschichte ist nicht das Endziel.« »Sondern?« »Der Gehalt der Geschichte, und nur ein paar wenige Glückspilze finden das jemals heraus. Ich glaube, dass du das instinktiv begriffen hast, sonst wärst du nämlich nicht hier. Wird alles gut ausgehen, wirst schon sehen.« Sein Hemd war unter den Armen und auf dem Rücken durchnässt. Er kämpfte immer noch mit dem Fieber, das ihn plötzlich befallen hatte, nachdem wir Port Harcourt verlassen hatten, und je stärker sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, desto mehr geriet er über alles Mögliche ins Philosophieren: eine Fledermaus, die über unsere Köpfe flog, einen toten Fisch im ölverseuchten Wasser, eine Ballung Regenwolken am klaren Himmel. Ich war trotzdem froh, dass sein Verstand noch zum Philosophieren in der Lage war. Je weiter wir in den Wald vordrangen, desto öfter ertappte ich mich dabei, dass ich ihm Fragen stellte. Ich hatte keine Ahnung, was er mit der Geschichte und ihrem Gehalt meinte, aber vielleicht fand ich das noch heraus, bevor dieser Trip zu Ende war. Im Augenblick hoffte ich nur, dass er durchhielt, bis wir wieder in Port Harcourt waren und festes Land unter den Füßen hatten. Letzten Endes war die ganze Sache nicht so gut gelaufen, wie ich gehofft und er es versprochen hatte, schon gar nicht für ihn, doch redete er vielleicht gar nicht über sich, sondern von mir. Vielleicht fühlte er, dass er im Fluss seines Lebens an einem Punkt angelangt war, hinter dem eine Umkehr unmöglich wurde. Im Boot lagen ein Beutel Trockenfrüchte und eine Plastikflasche voll Wasser, die uns, wie der alte Mann sagte, Naman, der Priester, mitgegeben hatte. Zaq holte seine letzte Flasche Whisky hervor, seufzte schwer, als er sie öffnete, und nahm einen Schluck. »Ist es nicht ein bisschen zu früh dafür?« »Ist nie zu früh. Nimm auch einen Schluck, Rufus. Wird dich warmhalten.« Ich stieß die Flasche weg, schlug sie ihm fast aus der schwachen Hand. »Kannst du nicht warten, bis wir ein wenig sicherer sein können, wo wir sind? Wir könnten uns schließlich verfahren haben …« »Wird alles gut gehen. Der Alte hier wird sich um uns kümmern.« Der alte Mann lächelte sein breites, ermutigendes Lächeln und nickte eifrig mit dem zwergenhaften Kopf. Neben ihm hockte sein Sohn, eingehüllt in den dichten Rauch, der aus dem Außenbordmotor des Boots quoll; seine Gestalt tauchte im Spiel des Winds aus dem Dunst auf und verschwand wieder darin. Der Junge sah aus, als wäre er höchstens zehn Jahre alt, war aber vielleicht älter, weil sein Wachstum durch Unterernährung gebremst worden war. Sein Haar war rötlich und dünn, die Arme waren so knochig wie die seines Vaters. Beide waren in die gleichen formlosen und verblichenen, schlichten Hemden und Hosen gekleidet, ihre Hände sahen vom Meerwasser rau und schwielig aus, sie rochen nach Fisch und schienen so urwüchsig wie Tang. Das Wasser, das von den Bootsflanken aufspritzte, hatte sie durchnässt. Der Junge bemerkte, dass ich ihn ansah und erwiderte meinen Blick ohne Selbstbewusstsein, mit unschuldsvollen und neugierigen Augen, sodass ich wegsah. Wir tuckerten weiter den enger werdenden Fluss hinauf, nur gefolgt vom Brüllen des dröhnenden Motors. »Wissen Sie, wo die...


Helon Habila, 1967 in Nigeria, geboren, studierte Literatur und lehrte an der Universität bevor er nach Lagos ging, um dort als Journalist zu arbeiten. Fu¨r sein erstes literarisches Werk Waiting for an Angel, welches in zahlreiche Sprachen u¨bersetzt wurde, erhielt er den internationalen Caine Prize for African Writing und 2003 den Commonwealth Writers' Prize fu¨r die Beste Erstveröffentlichung. Measuring Time (2007), Habilas zweiter Roman, erhielt 2008 den Virginia Library Foundation Fiction Award und stand auf der Kandidatenliste fu¨r den Hurston/Wright Legacy Award 2008. Die Kurzgeschichte The Hotel Malogo gewann den Emily Belch Prize und wurde fu¨r die Anthologie The Best American Nonrequired Reading ausgewählt und veröffentlicht. Habilas dritter Roman Oil on Water (2010) ist der erste, der auf Deutsch erscheint. Habila lehrt kreatives Schreiben an der George Mason University und lebt in den USA und Nigeria. Von Juli 2013 bis Juli 2014 war Helon Habila als Stipendiat des DAAD im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms in Berlin. Weitere Informationen finden Sie hier.



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