E-Book, Deutsch, 218 Seiten
Reihe: Edition Drachenfliege
Habert Tiefsommer
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95996-074-8
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 218 Seiten
Reihe: Edition Drachenfliege
ISBN: 978-3-95996-074-8
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Unter dem orangefarbenen Himmel Pagaus wachsen Luftschiffe auf Plantagen und winzige Lichterzwerge verwandeln Sonnenlicht in Strom. Plötzlich werden Luana und Roja, Zora und Lucio aus ihrer Welt gerissen, als die Drohnen der mächtigen Union von Uriwa Ausbeutung, Krieg und Zerstörung nach Pagau bringen. Schon bald werden aus Flüchtlingen Rebellen. Doch keiner von ihnen ahnt, womit sie es wirklich zu tun haben. 'Vernichtung ist leichter zu begreifen als Schöpfung: Was noch nicht ist, entzieht sich der Vorstellungskraft wie eine Seifenblase den eiligen Griffen einer Hand. Das Zerstörte jedoch prägt sich mit unwiderstehlicher Kraft im Innersten ein.'
Jesko Habert ist studierter Umweltsoziologe und Schriftsteller aus Berlin, sowie seit 2007 Bühnenpoet der deutschen Slam-Szene. Besonderen Einfluss auf seinen Stil und die Inhalte seiner Werke haben sein Studium in Lima und sein Forschungsaufenthalt in Kolumbien in den Jahren 2010 und 2011 genommen. Seit 2016 veröffentlichte er einen Gedichtband, ein Kinderbuch und trug zur Publikation mehrerer Sachbücher bei, wobei häufig die Verbindung aus Technik, Umwelt und Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. www.derjesko.de
Autoren/Hrsg.
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Meñiqu
Alles war Feuer. Die Stadt brannte loh, stürzte zusammen. Fackelndes Gebälk zerbarst auf warmer Haut. Zertrennte Gliedmaßen, von Flammen umzingelte Menschen. Das Massaker währte kurz. Nur ein Fingerstreich, und hunderte zerstörte Seelen quollen aus den verkohlten, verstümmelten Körpern, die sie ihr Eigen genannt hatten. Nur Knochen und Ziegel zeugten vom einstigen Leben. Fleisch verbrennt. Eine Stunde zuvor. Es roch nach Tarnfarbenolivgrün. Wie metallischer Wald, oregano-holzig mit Eisengeschmack. Leicht faulig. Kein üblicher Geruch für einen Sonntagvormittag auf dem Marktplatz. Roja erschauerte. Sie ging soeben zu ihrer Geschäftszentrale, dem »Drei-Farben-Eck«; die Arbeit türmte sich nach den Feiertagen des Jahresbeginns. Ihr kleines Kleidungsimperium verwaltete sich nicht von selbst, ob Sonntag oder nicht. Normalerweise witterte sie hier die alltägliche Mischung aus straßengräulichem Heu und Herbstlaub, würz-knusprigem Ziegelrot und der verregnet-minzigen bis jasmin-ledrigen Farbe des Himmels. Je nach Windrichtung auch einen kaum spürbaren Hauch vom rosa-rauchigen Anis ihres aktuellen Kollektionsstücks im Schauraum. Dieses oregano-holzige Tarnfarbenolivgrün indes war ungewöhnlich. Sie blieb stehen und lugte umher. Die schmalen Steinhäuschen Meñiqus warteten verschlafen, der träge Hochsommerwind des Januars wehte über die plattgetretene Erde und trug feinen Staub durch die Gassen. Vereinzelte Passanten. Keiner von ihnen schien etwas zu bemerken. Roja hatte vor Jahren festgestellt, dass die Fähigkeit, Farbtöne zu riechen, höchst ungewöhnlich war. Eine Begabung, die niemand kannte, geschweige denn nachvollziehen konnte. Kopfschüttelnd schritt sie weiter. Vermutlich irrte sie sich. Was hatte Olivgrün schon in ihrem Ort verloren? Meñiqu war ein hübsches Hochlandstädtchen hinter den Akhi-Bergen, in dem Roja den Großteil ihres Lebens verbracht hatte. Es gab nur einige Läden, mehrere Äcker im Umfeld, ihre Färberei, ein überdimensionales Schlagloch in der Sommergasse und zwei Bastler, die einen Teil der Stadt von ihrem Baumhaus aus mit Strom versorgten. Im Frühjahr kamen ein paar Touristen und Wandervögel, im kurzen Winter wenige Gäste aus den höhergelegenen Ortschaften der Akhi. Es gab kein militärisch relevantes Ziel in Meñiqu. Trotzdem. Vielleicht sollte sie ihre Arbeit heute im Keller des Drei-Farben-Ecks erledigen. Traue niemals einem tarnfarbenolivgrünen Tag. * Das Feuer kam aus dem Himmel über die Stadt. Aus Orange wurde Rot, und das Sirren der Sonnenplatten verstummte hinter dem Donnern von Drohnen. Sie saßen im Schaltraum der Stromzentrale, die sie vor Jahren in der mächtigen Eiche außerhalb der Stadt errichtet hatten. Eine alte Hochspannungsleitung verband die fünf großen Paneele auf dem Wipfel des Baumes mit dem Städtchen. Sie würden die Verbindung kappen müssen. »Zora, ich habe Angst.« »Ich weiß, Lucio. Geh und hol die Lichterzwerge rein.« Er erklomm die Leiter zu den Plattformen und klopfte wortlos auf eine der Metallplatten. Die kleinen Wesen hörten ihn, wie immer, und strömten in einem Funkenwirbel auf seine Schultern. Die Kontrollleuchten am Ende der Platte erloschen, und das allgegenwärtige Sirren erstarb, als die Lichterzwerge sich schreckensstumm an Lucios Kleidung klammerten. Zu klein, um zu sehen, was geschah, spürten sie doch Lucios Beunruhigung. Er war ihr Fels; doch sein Stein bröckelte. Mit goldschimmerndem Torso stieg er hinunter in den Schaltraum zu Zora, die aus dem Fenster gelehnt nun die Verbindung zur Hochleitung durchschnitt. »Sie kommen näher«, merkte sie mit düsterer Stimme an und zeigte auf die noch fern erscheinenden Drohnen. Die Flieger malten Kondensstreifen von rotglühendem Feuer in den kupferfarbenen Himmel. Es könnte beinah ein verfrühter Sonnenuntergang sein, ein Farbenspektakel über die Hochebene werfend. Die gedrungenen Häuser Meñiqus blutrot färbend, auf dem braun-gelben Land, das sich bis zu den westlichen Felsen erstreckte. »Meinst du, es liegt an uns?«, fragte Lucio. Der Gedanke war nicht völlig abwegig, angesichts der Serie von Sabotageakten, die der große Stromversorger gegen sie unternommen hatte. Ihre Elektrizität war nie über die Stadtgrenzen gelangt; doch ihr Kleinrebellentum war den Konzernbesitzern offenbar ein kratzendes Steinchen auf der Netzhaut. Sie hatten sich nicht aufkaufen lassen, und plötzlich fielen Strommasten um und Kabel bekamen Löcher. Einmal erreichten sie morgens gerade noch rechtzeitig ihr Quartier, um einen Brand am Fuße des Baumhauses zu löschen. Zum Glück stand Meñiqu zu ihnen und ließ sich nicht davon abbringen, Strom aus dem Baumhaus zu beziehen. Anfangs hatte man sie noch schräg angesehen ob ihrer kruden Ideen, doch der günstige Preis hatte einige Überzeugungsarbeit geleistet. Sie hatten das Netz über die Jahre ausgebaut und verbessert, verdienten genug, um Essen und eine Wohnung zu kaufen, mehr brauchten sie nicht. Und trotz aller Professionalisierung saßen sie noch immer zwischen Holz und Nägeln, und galten weiterhin als schräge Vögel. Aber sie gehörten zum Städtchen wie die Akhi-Berge an den Horizont, und spräche man von einer kleinen Revolution, täte man ihnen nicht unbedingt unrecht. Dennoch: Drohnen? »Nein, um uns geht es hier nicht«, sagte Zora und zog mit den Fingern die Flugrichtung der Maschinen am Himmel nach. »Sie werden über die Stadt fliegen, jedoch nicht bis zu uns, und dann in die Berge. Meñiqu wird ein Trümmerhaufen sein.« Lucio sah sie entsetzt an. »Können wir sie retten?« Die Erkenntnis schlug ihm sichtbar auf den Magen. Seine Muskeln spannten sich an im Drang, sofort zu seiner Familie zu stürmen, die ahnungslos zuhause saß. ›Kurioses Abendlicht‹, würden sie staunen. Er musste sie rauszerren. Fortrennen. Zora schüttelte den Kopf. Ihre Lippen formten »Keine Zeit«, doch die Schallwellen verschwanden im Klang der Detonationen, die dem roten Licht über der Stadt nachjagten und ihre Heimat unter dem explodierenden Himmel Pagaus begruben. Es ging zu schnell, um es zu begreifen. Ihre Augen folgten hilflos dem Horror und erblickten alles und erkannten nichts. Sahen von Ferne die brennenden Häuser, sahen den Tod und zweifelten doch an den Bildern. Der Lärm kam, der Lärm ging. Regungslos stand Zora am Fenster, die Seele taub. Es ging viel zu schnell, um es zu begreifen. * »Lucio. Steh auf.« Es surrte in seinen Ohren. Mühsam öffnete er die Augen und sah durch den goldenen Schimmer der Lichterzwerge hindurch in das violette Augenpaar Zoras, die sich über ihn beugte. War er in Ohnmacht gefallen? »Zora«, murmelte er, und das Wissen um ihre Anwesenheit schickte eine Welle goldener Ruhe durch seine Brust, beinah so golden wie sein Blickfeld, in dem die Lichterzwerge aufgeregt umherliefen. Er brauchte einen Moment, um durch die Taubheit in seinem Kopf hindurch aufzutauchen. Wie, wenn man eben wieder aufwacht aus einem wirren Traum, und noch nicht ganz klar ist, welcher Teil zur Wirklichkeit gehört. Bloß, dass da kein Traum war. Zoras Blick schrie die Verzweiflung in die Welt, auch wenn sie den Mund zusammenkniff, und er wusste, ab heute würde alles anders werden. * »Wir müssen schauen, ob jemand überlebt hat«, sagte Zora bemüht beherrscht, und zog Lucio auf die Beine. Sie schienen ihn nicht tragen zu wollen. Unsicheren Schrittes folgte er ihr über die gezimmerten Dielen ihres Baumhauses. Draußen regierte die Stille. Stille und tödliche Röte. Sie kletterten hinab und gingen stumm in Richtung Meñiqus zerstörten Zentrums, und nur der goldene Schweif der Lichterzwerge, der Lucio voranlief, zog Farbe durch den mit jedem Tritt schwärzer werdenden Grund. Trümmer tauchten auf, wo sich früher Häuser am Stadtrand erhoben hatten. Es roch verkohlt und schwefelig, der Boden war übersät mit glühendem Schutt, über den sie gen Marktplatz stiegen. »Sag ihnen, dass sie nach Überlebenden suchen sollen«, wandte sich Zora an Lucio und stieß mit dem Fuß einen Balken aus dem Weg. Lucio sprach lautlos mit den Lichterzwergen, wie er schon als Kind getan hatte. Zoras Worte hingegen verklangen bei den winzigen Wesen meist ungehört. Sie hatte nie jenen Draht verstanden, der Lucio mit ihnen verband. Lucio kniete sich auf die Trümmer und streckte den Finger in die Richtung der Lichterzwerge aus. Sie brummten – das hatten sie lange nicht mehr getan. Aber schließlich war dies keine normale Aufgabe, und wäre es nicht Lucio, der sie darum bat, säßen sie vermutlich trotzig auf dem Boden und grummelten vor sich hin. Zora schnaubte, wie stets, wenn sie sich über das Verhältnis zwischen Lucio und den Zwergen wunderte. Sie musste zum Haus ihrer Eltern. Die oberflächliche Kühle, die sie Lucio zuliebe vorschob, verbarg nur bedingt das Chaos in ihrem Innern, das ihre Organe zu zerfetzen drohte beim Gedanken, sie hätten sich nicht in die Keller retten können. * Scharf-beißendes Rot. Bitter-schwefeliges Schwarz. Nie hatte sie solch deutliche Farben gerochen. Sie hatten alle anderen Farbdüfte mit einem Schlag verdrängt, als sie das Krachen der Bomben und der in sich zusammenbrechenden Häuser hörte. Schutt stürzte die Kellertreppe herunter und versperrte den Ausgang. Die Lichter waren schon kurz zuvor ausgegangen, nun war es dunkel und kühl im Keller. Sie fröstelte. Ihr rosa Federkleidchen sollte nicht wärmen, sondern gut aussehen. Die geographische Lage von Meñiqu erlaubte solchen Luxus über lange Monate hinweg, und Roja...