E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piet Donker
Haas Tod im Hohen Venn
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-804-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piet Donker
ISBN: 978-3-96041-804-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Rasant, düster, bedrohlich.
In einer ostbelgischen Kleinstadt wird eine Familie vermisst: Ihr ausgebranntes Auto wurde am Rande des Hohen Venn gefunden, von den Eltern und dem Sohn fehlt jede Spur. Sind sie Opfer einer Entführung geworden? Während Suchtrupps die weitläufige Moorlandschaft durchkämmen, forschen Ermittler Piet Donker und seine Kollegen nach den Hintergründen. Doch die Zeit läuft gegen sie, denn der Täter verfolgt einen grausamen Plan.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Es war schon Mittag, als ich mich auf den Weg zu der kleinen Schreinerei in Weybach machte. Die Scheibenwischer jagten von einer Seite zur anderen, ohne dem mit Wucht aufs Glas einprasselnden Regen beikommen zu können. Vor mir auf der Straße verschwamm alles, und wenn ich mal für den Bruchteil einer Sekunde durch den Regenvorhang spähen konnte, sah ich nur rote Rücklichter und beschlagene Innenscheiben anderer Fahrzeuge, die vor und neben mir dem Unwetter trotzten. Die Infos über den Verlauf meiner Strecke bezog ich aus dem Navi: Einen Unfall hatte ich bereits hinter mir gelassen, den zweiten würde ich gleich im Stau passieren. Sollte danach die Bahn frei sein, hätte ich für die normalerweise knapp einstündige Strecke Aachen–Weybach zwei Stunden gebraucht. Bald ist es geschafft! Sich selbst gut zuzureden, schien zu helfen. Bereits nach wenigen hundert Metern rollte der Verkehr wieder. Und wie auf eine geheime Absprache hin klarte der Himmel auf, als ich das Hohe Venn durchquerte. Der Anblick des wilden Hochmoors zwischen den Städten Eupen, Monschau, Malmedy und Spa erzeugte allerdings ein seltsam unwohles Gefühl in mir. Die unendliche Weite dieser jahrhundertealten Urlandschaft wirkte wie aus grauer Vorzeit. Für die Gegend charakteristisch war ein nährstoffarmer Boden, über den sich nur langsam und mit viel Mühe Pfeifengras gelegt hatte. Alle paar Meter stach ein kleiner Baum hervor, doch ehe die junge Pflanze richtig wachsen konnte, war sie bereits in ihrer Existenz bedroht. Den Überlebenskampf annehmen – darin bestand die erste Herausforderung der Lebewesen des Moors. Nur wenn sie stark genug waren, würde es nicht ihre letzte sein. Als ich das Ende der kargen Landschaft bereits von Weitem erkennen konnte, überquerte eine Handvoll Hühner die Straße. Angeführt von dem stolzen Hahn, wackelten die Hennen wild hinterher – und direkt auf mich zu. Da mir kein Auto entgegenkam, wich ich blitzartig auf die Gegenspur aus. Glück gehabt! Kurz danach erschien am Straßenrand das Ortseingangsschild von Weybach, und ich fuhr in den Fünftausend-Seelen-Ort hinein. Die Sonne strahlte. Lediglich ab und zu wurde sie noch von einer der kleinen weißen Wolken verdeckt. Auf den grünen Rasen- und Wiesenflächen, die links und rechts die Straße säumten, blühten Butterblumen und Löwenzahn. Und auf dem See, der in der Ferne zu sehen war, waren vereinzelte Segler unterwegs und nutzten den soliden Ostwind. Die Eindrücke des beschaulichen Städtchens in der belgischen Eifel beflügelten meine schon große Vorfreude auf das gemeinsame Wochenende mit meiner Tochter Liv, die meine Freundin Sina und mich in unserer gemeinsamen Wohnung in Aachen besuchen würde. Zu der Schreinerei fuhr ich, um dort eine Malstaffelei für Liv abzuholen. Während der Genesung nach ihrem Beinbruch hatte sie Gefallen am Malen gefunden. Nun wollte ich ihr mit der Staffelei eine Überraschung bereiten. Kurz versuchte ich nachzurechnen, wie oft ich sie in den vergangenen Wochen versetzt hatte. Ich kam nicht mehr auf die genaue Zahl, aber ich war mir sicher, dass es mindestens einmal zu viel gewesen war. Die letzten fünf Wochen hatte ich damit zugebracht, zusammen mit den Kollegen aus den Niederlanden und Deutschland die Einführung einer neuen länderübergreifenden IT-Anwendung zu organisieren. Als neuer Leiter der Lütticher Kripo fiel diese Aufgabe in meinen Zuständigkeitsbereich. Zweifellos würden wir mit Hilfe der Software effizienter arbeiten können. Jedoch tauchten während der Einführungsphase mehrere Stolperfallen auf. So zeigten sich beim Zusammenwirken mit anderen Anwendungen unerwartete Fehler, und nun musste eingehend die Kompatibilität überprüft werden. Außerdem wurden Richtlinien hinsichtlich des Datenschutzes von den beteiligten Ländern unterschiedlich ausgelegt. Beides führte zu unzähligen nicht enden wollenden Diskussionen und schließlich zu der Entscheidung, den Einsatz der Software erst mal um sechs Monate zu verschieben. Alles in allem waren es also fünf frustrierende Wochen gewesen, in denen die wirkliche Kripoarbeit liegen geblieben war. Nach endlosen förmlichen Gesprächen, die aufgrund der Sprachbarrieren auf Englisch geführt werden mussten, freute ich mich umso mehr, nach Hause zu kommen. Dort, wo ich der sein durfte, der ich war. Umgeben von den Menschen, die ich liebte. Seit knapp einem halben Jahr lebte ich in Aachen. Die Stadt Karls des Großen war ein Kompromiss zwischen meiner Freundin Sina und mir. Sina wollte wegen ihres seit den Geschehnissen in Raaffburg erfolgreich laufenden Blogs die Nähe zu Ostbelgien wahren, während mir ein Ort in der Nähe Lüttichs gefallen hätte. Eine Stadt, in der Französisch gesprochen wurde, kam für Sina aber nicht in Frage, wohingegen ich mich nicht für das kleinbürgerliche Leben in der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens begeistern konnte. So fiel die Entscheidung auf das im deutschen Westen gelegene Aachen, das nur wenige Autominuten von Belgien entfernt lag. In den vergangenen Wochen war ich jedoch selten, oder wenn, dann sehr spät, nach Hause gekommen. Das IT-Projekt hatte leider oftmals den Vorrang erhalten. Ich hatte Sina gesagt, dass es in den kommenden Wochen wieder ruhiger werden würde und wir Zeit hätten, gemeinsam etwas Schönes zu unternehmen. Sie hatte nur geschmunzelt und gesagt: »Pass auf, was du sagst, Piet Donker. Mit Frauen Anfang dreißig spielt man nicht.« Heute Nachmittag würde ich ihr zwar nicht meine ganze Aufmerksamkeit schenken können, da Liv zu Besuch war. Aber da Sina meine Tochter inzwischen fest ins Herz geschlossen hatte, freute sie sich auch schon seit Tagen auf das gemeinsame Wochenende. Außerdem würde Liv um spätestens halb acht ins Bett gehen. Dann hätten Sina und ich also noch ein paar Stunden für uns. Um fünfzehn Uhr wollte Sina mit den Vorbereitungen für das Pizzabacken beginnen. Ich hatte angeboten, ihr zu helfen. Tomaten und Champignons zu schneiden, würde ich schon noch hinbekommen. Und wenn ich nicht zu viel Zeit mit der Staffelei vertrödelte, würde ich es sogar rechtzeitig schaffen. Ich parkte direkt vor der Schreinerei. Sie war in einer alten Lagerhalle untergebracht, deren Außenwände mit grauen Metallblechen verkleidet waren. Auf der Vorderseite war ein grün-gelber, mit Schmutz überlagerter Schriftzug angebracht: »TK – Schreinerarbeiten«. Schaufenster gab es keine. Die grüne Eingangstür befand sich seitlich am Gebäude. Ich drückte auf die schwarze Kunststoffklingel, hörte in der Folge aber kein Geräusch. So abgenutzt, wie die Klingel aussah, konnte es gut sein, dass sie nicht mehr funktionierte. Ich griff nach der Klinke, um zu prüfen, ob abgeschlossen war. Es tat sich aber nichts. Ich umklammerte den Griff und stemmte mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür. Dann versuchte ich es noch einmal. Türen in Werkstätten klemmten oftmals. Diese aber nicht. Sie war eindeutig verschlossen. Was jetzt? Der Besitzer der Werkstatt hatte die Staffelei auf einer Kleinanzeigenseite im Internet zum Verkauf angeboten. Ich durchforstete das Verkäuferprofil des Mannes auf der Suche nach einer Telefonnummer. Währenddessen lief ich das Gebäude ab und hoffte, noch einen zweiten Eingang zu finden. Nach einer Weile fand ich tatsächlich eine Telefonnummer auf der Website. Ich wählte sie direkt an. Doch noch vor dem ersten Tuten erklang der lang gezogene Piepton, der die Mailbox ankündigte. Mist! Ich vergewisserte mich, dass ich die Angaben richtig abgespeichert hatte, und las mir noch einmal den letzten Chat mit dem Verkäufer durch. »Samstag, 13 Uhr bei Ihnen. Wie ist Ihre Adresse? P. Donker« »Okay. Adresse ist Lagerstraße 14. Gruß, Tom K.« Lagerstraße 14. Das war hier. Alles war korrekt. Wo steckt der Kerl bloß? Inzwischen war ich an der Rückseite der Halle angekommen. Zwei kleine Fenster in der Mitte der etwa fünfzehn Meter langen Wand gaben den Blick in die Werkstatt frei – vermutete ich zumindest. Denn die Sicht war stark eingeschränkt. Holzstaub hatte sich auf das Glas gelegt. Mehr als ein paar auf Hochregalen liegende Bretter konnte ich nicht erkennen. »Da ist keiner.« Ich fuhr zusammen, als ich plötzlich die weibliche Stimme hinter mir hörte. Sie gehörte einem etwa fünfzehnjährigen Mädchen, das die wasserstoffblonden Haare zu einem Zopf gebunden hatte. Sie trug ein langes weißes T-Shirt, auf dem ein blauer, Banane essender Affe prangte. »Weißt du, wo der Inhaber ist? Ich bin mit ihm verabredet.« »Nein«, sagte sie, bevor sich ihr Gesicht auf einmal gequält verzerrte und eine Träne aus dem rechten Auge lief. Ich machte einen Schritt auf sie zu und wollte ihr meine Hand auf die Schulter legen, überlegte es mir aber im letzten Moment anders. Warum sollte sie wollen, dass ein fremder Mann sie anfasst? »Hey, warum weinst du denn? Ist etwas passiert?« Mit dem Handrücken wischte sie sich die Träne samt zerlaufener Schminke weg. »Es ist wegen Paul. Er meldet sich nicht mehr bei mir.« »Paul?«, fragte ich. Sie schluchzte, ihre Unterlippe zuckte. »Paul ist Toms Sohn.« »Und seit wann meldet er sich nicht mehr bei dir?« »Seit heute Nacht.« Oje, das hört sich nach einem typischen Teeniestreit an. Sie senkte den Blick und begann an den Fingernägeln zu knabbern. »Wo habt ihr euch denn das letzte Mal gesehen?« »Auf der Party am See. Wir hatten einiges getrunken, hatten unseren Spaß. Auf einmal ist er aber einfach abgehauen.« »Einfach so? Oder ist etwas...