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E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Piet Donker

Haas Belgische Schatten

Kriminalroman
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98707-021-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Piet Donker

ISBN: 978-3-98707-021-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Abgründig, klug und voller überraschender Wendungen. Die Leiche einer Lokalpolitikerin wird in einem Wald bei Eupen gefunden. Für Ermittler Piet Donker deutet zunächst alles darauf hin, dass ein Konkurrent Vergeltung für den radikalen Kurs der Politikerin übte. Doch als ein zweites Mordopfer auftaucht, führt die Spur zu einer Jugendclique, der die beiden Toten vor vielen Jahren angehört haben. Eine junge Frau, die ebenfalls Mitglied war, ist damals spurlos verschwunden. Donker muss ergründen, was mit ihr geschehen ist, ehe sich der Täter das nächste Opfer sucht.

Stephan Haas, 1984 im belgischen Eupen geboren, hat in Aachen Neuere Deutsche Literatur, Deutsche Philologie und Geschichte studiert. Danach begann er eine Lehrtätigkeit und schloss parallel ein weiteres Studium in Betriebswissenschaften in Lüttich ab. Heute ist er in einem großen Industrieunternehmen im Personalmanagement tätig. Stephan Haas lebt mit Frau und Kindern im deutschsprachigen Teil Belgiens.
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1

Wie ich es hasste, wenn der erste Blick nach dem Aufwachen dem Handy galt. Nicht vorrangig aus dem Grund, dass meine trockenen Augen nach der Dauerbeanspruchung vom Vorabend nun mit einer gefühlten Extraschicht in den Tag starteten. Was mir viel mehr zu schaffen machte, war die Abhängigkeit, die damit den Kampf gegen meinen Willen gewonnen hatte, bevor dieser überhaupt realisiert hatte, dass ihm jemand was Böses wollte. Streng genommen war es die erste Niederlage des Tages.

Und die zweite folgte auf dem Fuß. Hatten meine Bundesligawetten mir gestern Nachmittag noch vierhundert Euro eingebracht, so reichte ein NBA-Spiel aus, um alles wieder zu verzocken. Die Quote von eins Komma neun für einen Sieg der LA Clippers gegen Miami Heat war einfach zu verlockend gewesen. Gerade dann, wenn man glaubt, sich auf der Siegerstraße zu befinden … Vor knapp fünf Stunden, um sechs Uhr vierunddreißig mitteleuropäischer Zeit, hatte LeBron James das Spiel mit dem letzten Korb zugunsten seiner Mannschaft aus Miami entschieden. Als mir kurz nach Spielbeginn die Augen zugefallen waren, hatte es noch gut für LA ausgesehen. Jetzt aber war mir klar, dass es mal wieder das berühmte Spiel zu viel gewesen war.

Shit!

Das Sofa quietschte, als ich mich erhob. Die auf dem Couchtischchen angesammelten Starkbierflaschen und Chipstüten versprühten ein Aroma, das Ekel in mir hervorrief. Als ich mehr oder weniger aufrecht stand, spürte ich meinen brummenden Schädel und mein verkrampftes Bein und hörte dazu meinen Rücken knacken. Ich schleppte mich in die Küche, warf ein Aspirin ein und jagte einen Schluck Wasser vom Hahn hinterher. Dann machte ich zwei Schritte zum Fenster und zog den Rollladen hoch. Die einfallenden Sonnenstrahlen erwischten mich unvorbereitet. Ich hob den Ellenbogen vors Gesicht und stellte mit abgewandtem Blick das Fenster auf Kipp.

Wieder zurück in der Küche, öffnete ich nacheinander die drei Brottüten, die auf dem Kühlschrank lagen. Eine war leer, in einer lag ein steinhartes Stück Baguette, und in der dritten wies das Brot bereits weiße Flecken auf. Den Blick in den Kühlschrank ersparte ich mir. Für mein Frühstück standen demnach Chips oder zwei halb verfaulte Bananen zur Auswahl. Ich entschied mich dafür, das Frühstück ausfallen zu lassen und mir nachher etwas Warmes im Imbiss zu holen. Bevor ich mich aber aufmachte, wollte ich, in der Hoffnung auf einen Wachkick, unter die Dusche springen.

Ich hatte mich bereits bis auf die Unterhose ausgezogen, als die Klingel losschrillte. Es handelte sich um ein sehr altes Exemplar, wahrscheinlich noch ein Original aus dem Siebziger-Baujahr des Gebäudes. Ich fuhr jedes Mal zusammen, wenn das Ding losging. Und jedes Mal schwor ich mir, dass ich das Teil bei nächster Gelegenheit austauschen würde. Aber dazu war es bis heute nicht gekommen.

Ich zog mir ein T-Shirt über und schlüpfte in die Jogginghose.

»Piet, komm schon. Ich weiß, dass du da bist!«, hörte ich die Stimme eines Mannes vor der Tür.

Ich warf noch einen Blick in den Spiegel. Wusch mir über dem Becken kurz das Gesicht mit kaltem Wasser und richtete meine zerzausten Haare ein wenig.

»Mein Gott, Piet. Nun mach schon auf!«, ertönte wieder die Stimme des Mannes. Diesmal klopfte er zweimal kräftig an die Tür.

Schmunzelnd sprühte ich mir etwas Deo aufs T-Shirt. Und während der Mann noch einmal die Klingel betätigte, öffnete ich die Tür.

»Geduld war noch nie deine Stärke, was?«, sagte ich.

Francis Alberts Blick war wie immer: todnüchtern. Francis war ein international anerkannter Profiler. Auch wenn er eigentlich für die Tatortspuren zuständig war und nicht für die Psyche von Verdächtigen, brauchte er nicht viel, um eine Person zu durchleuchten. Ein paar Minuten reichten, danach wusste er so ziemlich alles über jemanden. Keine Ahnung, wie er das anstellte, aber es gelang ihm immer wieder. Und jetzt stand er vor mir und musterte mich, ohne ein Wort zu sagen. Das bereitete mir gewisse Bauchschmerzen.

Auch typisch für Francis war die elegante Kleidung. Der kräftige, hundertsiebzig Zentimeter große Kerl trug ein nahezu faltenfreies weißes Hemd zu einer grauen Stoffhose, in deren Taschen er seine Hände gesteckt hatte. Francis war seit gut zwei Monaten mein Chef. Er hatte infolge meiner Auszeit meinen Posten als Leiter der Lütticher Kripo übernommen.

»Hast du fünf Minuten?«, fragte er.

Ich bat ihn in die Wohnung. Er trat ein und sah sich wie ein Interessent für die Neunzig-Quadratmeter-Fläche um. Im Wohnzimmer angekommen, blieb ich stehen, in der Hoffnung, wir würden das Gespräch so fortführen. Doch Francis visierte das Sofa an und setzte sich ungefragt darauf. Wortlos schielte er zu den leeren Bierflaschen.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte ich, während ich mich ihm gegenüber in dem Sessel niederließ.

Francis kam direkt zum Punkt. »Als du vor vier Monaten nach einer Auszeit gefragt hast, hast du als Grund dafür angeführt, dass du deinem Familienleben mehr Zeit widmen wolltest.«

»Ja, das ist richtig. Nach der Trennung von Sina brauchte ich etwas Zeit für mich. Musste mich noch mal erden, wie man so schön sagt.«

Bilder von Sina schossen mir durch den Kopf. Nach der Trennung vor einem halben Jahr hatten wir uns noch einmal in einem Café in der Stadt getroffen. Wie zwei schüchterne Sechzehnjährige hatten wir dagesessen, kaum miteinander geredet. Es war ein ernüchterndes Wiedersehen gewesen, aber es wurde noch schlimmer, als Sina plötzlich begann zu weinen. Sie wurde selbst überrascht von diesem Gefühlsausbruch. Sie gestand, dass sie nach wie vor starke Gefühle für mich hege, aber dass es sie innerlich zerreiße, wenn sie mich länger mit meiner Arbeit teilen müsse. Ich sei dann wie besessen, mehrere Tage ohne ein Wort fort und in ständiger Lebensgefahr. Ich konnte ihren Standpunkt gut verstehen und hatte bereits selbst gemerkt, wie selbstzerfleischend mein Job war. Ich sagte ihr, dass ich gewillt sei, etwas zu ändern. Bevor ich jedoch weiter ausholen konnte, war Sina dazwischengegrätscht: »Ich habe jemanden kennengelernt.«

»Erden«, wiederholte Francis und holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Er ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Sein Gesicht verzog sich. »Ich weiß nicht so recht, Piet. Meinst du, das ist dir gelungen?«

»Was?«, hakte ich nach.

»Das Erden, Piet.«

»Ja«, sagte ich zögerlich. »Ich denke schon.«

Francis hob leicht den Kopf an und kratzte sich am Hals. »Sei mir nicht böse, aber ich denke, eher nicht.«

Na klasse. Das Gespräch habe ich heute auch noch gebraucht.

Ich kam gut mit Francis aus. Ich war sein Chef gewesen, und jetzt war er meiner – wir hatten seit dem Tag unseres Kennenlernens ein sehr freundschaftliches Verhältnis zueinander. Es war sogar so eng gewesen, dass ich mit ihm über meine Scheidung von Elise, mein Verhältnis zu meiner Tochter Liv und meine Beziehung zu Sina hatte reden können. Er hatte mir von der Erkrankung seiner Frau und den Sporterfolgen seiner Söhne erzählt. Er wusste alles über mich, und ich wusste alles über ihn. Doch seit vier Monaten war alles anders.

»Ich kann dir auch sagen, warum ich das denke«, fuhr er fort.

Ich spürte kalten Schweiß auf meiner Stirn und sagte nichts.

»Deine Wohnung gefällt mir nicht.«

Ich musste schmunzeln. »Zum Glück ist es nur die Wohnung.«

Er schüttelte den Kopf. »In der Küche gammelt die dreckige Wäsche vor sich hin, auf dem Boden wehen überall Staubwolken umher, und in der gesamten Wohnung liegt dieser furchtbar beißende Starkbiergeruch in der Luft.«

»Gut«, sagte ich angezählt. »Ich räume das nächste Mal auf, bevor du kommst. Versprochen.«

»Piet«, sagte Francis mit ernster Stimme und eindringlichem Blick. »Du musst wieder in die Spur finden.«

Wieder in die Spur finden. Was sollte das heißen? Bevor ich mich vor vier Monaten dazu durchgerungen hatte, eine Auszeit zu nehmen, hatte mich das Gefühl beherrscht, immer wieder dieselben Fehler zu begehen. Es stellte sich kein Lerneffekt ein. Mir war klar geworden, dass der gute Wille, ein glücklich machendes Privatleben zu führen, allein nicht ausreichte. Ich war zweimal bei Dr. Sander, meiner Therapeutin, gewesen. Sie stellte kaum Fragen, redete mir aber eine Stunde lang gut zu. Sie sprach von einem Gleichgewicht der Bedürfnisse, das irgendwann erreicht werden wollte. Dazu brauche es Geduld. Ehrlich gesagt, sie hatte mir nicht gutgetan. Und zwar aus dem Grund, dass ich zu hohe Erwartungen an sie als Therapeutin gestellt hatte. Dabei lag es in Wirklichkeit nur an mir. Ich war es, der die Entscheidungen treffen musste. Und ich war mir sicher, dass ich es irgendwann schaffen würde, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Was mir aber bis hierhin – das musste ich mir eingestehen – nicht gelungen war.

»Wie du weißt, habe ich mir die Auszeit auch genommen, um wieder mehr Zeit mit meiner Tochter zu verbringen.«

»Ja, das hast du mir gesagt. Und wie oft habt ihr euch in den letzten Wochen gesehen?«

Ich zögerte. »Ein Mal.«

Francis zog die Augenbrauen hoch. »Was habt ihr gemacht?«

»Wir waren im Kino und später noch Pizza essen. Danach wurde sie abgeholt.«

»Von ihrem Stiefdaddy?«

Ich nickte.

»Und sie wollte nicht länger bleiben als die paar Stündchen?«, fragte er wie ein Schuljunge, der Gefallen am Hänseln fand.

»Sie wollte zu Hause schlafen, weil sie am nächsten Morgen für einen Ausflug mit den Pfadfindern früh rausmusste«, sagte ich genervt.

»Sie entwickelt eigene Interessen«,...


Stephan Haas, 1984 im belgischen Eupen geboren, hat in Aachen Neuere Deutsche Literatur, Deutsche Philologie und Geschichte studiert. Danach begann er eine Lehrtätigkeit und schloss parallel ein weiteres Studium in Betriebswissenschaften in Lüttich ab. Heute ist er in einem großen Industrieunternehmen im Personalmanagement tätig. Stephan Haas lebt mit Frau und Kindern im deutschsprachigen Teil Belgiens.



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