E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Gutmann / Rogner / Zotter Eine neue Wirtschaft
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-99001-420-2
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zurück zum Sinn
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-99001-420-2
Verlag: edition a
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Irgendetwas scheint mit unserer Wirtschaft nicht zu stimmen. Sie macht wenige Reiche immer reicher, während sie den Rest der Menschheit unter wachsenden Druck setzt. Sie fördert Pandemien und zerstört den Planeten. Aber wo sind die Alternativen? Was brauchen wir und was mu¨ssen wir dafu¨r tun? Drei Unternehmer, die immer schon andere Wege gegangen sind, geben Antworten auf diese Fragen und zeigen, wie eine neue Wirtschaft in jedem Einzelnen von uns entstehen kann.
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WIE DIE WIRTSCHAFT IHREN SINN VERLOR
Die Wirtschaft ist entstanden, um den Menschen das Leben zu erleichtern. Um ihnen zu dienen und ihnen dabei zu helfen, sich selbst zu verwirklichen. Sie sollte ihnen Möglichkeiten und Freiheiten geben, indem sie ihnen die Last abnahm, selbst für ihr Überleben zu sorgen. Von dieser Idee sind wir im 21. Jahrhundert weiter entfernt als je zuvor. In vielen Bereichen hat die Wirtschaft ein Eigenleben entwickelt und das Verhältnis von Geben und Nehmen umgekehrt: Wir sind die Sklaven der Wirtschaft geworden. Wir füttern sie, damit sie immer fetter und fetter wird, während sie uns langsam verschlingt. Sie ist zu einer kapitalistischen Monsterwirtschaft geworden. Leise und unbemerkt hat sie uns zu Arbeitnehmern gemacht, die sich ihren Bedürfnissen unterwerfen, und zu Kunden, die vom Konsum leben. Niemand fragt mehr: Was möchte ich eigentlich wirklich machen? Was erfüllt mich? Brauche ich das überhaupt? Vielmehr flüstert uns die Wirtschaft ein: Befolge meine Regeln, dann wird alles gut. Ideen sind ein Luxus, den du dir nicht leisten kannst, wenn du Erfolg haben willst. Sie flüstert: Der ganze Spaß liegt doch genau darin, etwas zu kaufen, das du nicht brauchst. Ihre Stimme klingt mittlerweile so vertraut, dass wir sie für unsere eigene halten. Diese Stimme findet sich etwa im Slogan der österreichischen Wirtschaftskammer wieder: Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut. Der Satz insinuiert, dass es zuvorderst der Wirtschaft gutgehen müsse. Ihr Wohlergehen steht demnach über allem anderen. Strample dich als Arbeitnehmer und Konsument in einem Hamsterrad ab. Denk nicht, sondern lauf. Strample und konsumiere. Dann rettest du die Welt. Das ist es, was uns solche Slogans verkaufen wollen. Das Gefühl, dass an diesem Versprechen etwas nicht stimmt, schleicht sich immer mehr in unsere Gesellschaft ein. Ein Kulminationspunkt waren die Jahre nach der Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009. Die Aktienkurse waren nach oben geschossen und die Unternehmen immer wertvoller geworden. Kein Preis war zu hoch, kein Deal zu groß, Wachstum wurde zur neuen Normalität. Die Steuersäckel von Ländern wie Deutschland und Österreich liefen über. Der Wirtschaft ging es prächtig. Doch viele Menschen lasen von den Rekorden nur in der Zeitung. Sie fragten sich, von welcher Welt da eigentlich die Rede war. In ihrem Leben kamen die exorbitanten Gewinne nicht an. Sie spürten nur den Leistungsdruck, der ins Unendliche zu wachsen schien, und fürchteten um ihre Jobs, weil die Unternehmen auf Effizienz getrimmt, digitalisiert und automatisiert wurden. Sie fühlten sich als lästige Anhängsel einer Wirtschaft, in der sie nur Ballast waren und alles andere als systemrelevant. Das System zu hinterfragen wagten sich allerdings nur die wenigsten. Wer will dem Modus, in dem wir arbeiten, die Schuld zuweisen? Die Schuld, das war höchstens das eigene Unvermögen oder die steigende Zahl von Einwanderern, die ihnen populistische Parteien als Job- und Ressourcen-Räuber verkauften. Die Gesetze der kapitalistischen Monsterwirtschaft zu hinterfragen, kam vielen hingegen vor, wie das Gesetz der Schwerkraft anzuzweifeln. Das System lief ja. Sollte die Wirtschaft ein paar Quartale hintereinander einknicken oder gar kollabieren, wäre das auf der Jahrhundertachse nur ein kurzes Stolpern, niemals jedoch ein tiefer Sturz. Vielleicht gäbe es ein paar Jahre lang eine Rezession, aber früher oder später ginge es wieder von vorne los. Die kapitalistische Monsterwirtschaft schafft die Bürger allmählich ab und ersetzt sie durch Konsumenten
Nach Jahrhunderten der Revolutionen, Demonstrationen und Aufstände, nach Kriegen und menschlichen Katastrophen, entstanden im 20. Jahrhundert endlich Demokratien, in denen Rede- und Meinungsfreiheit herrscht und Menschen als freie und gleichberechtigte Bürger zusammenleben. Diesen Status zu erreichen, entspricht auch ganz dem Sinn der Wirtschaft: Sie ermöglicht den Wohlstand und die Infrastruktur, die für eine funktionierende Demokratie notwendig sind. Doch die kapitalistische Monsterwirtschaft hat diesen Sinn verloren. Immer weiter lassen wir wirtschaftlichen Interessen den Raum, unser Privatleben zu bestimmen. Wir sind gern dazu bereit, unsere Privatsphäre aufzugeben und den Marktplatz in unser Wohnzimmer zu verlegen, wenn wir dafür mit wenigen Klicks bei Amazon bestellen und uns mit unseren Facebook- oder Instagram-Freunden unterhalten können. Der Preis dafür wird uns immer bewusster. Konzerne wie Google, Apple oder Facebook wissen mittlerweile alles über uns. Sie analysieren, was wir kaufen, welche politische Gesinnung wir haben, ob wir gesund leben oder mit wem wir eine Beziehung führen. Daten werden zur neuen Weltwährung. In ihrem Buch Himmlisch frei beschäftigt sich die Journalistin und Theologin Renata Schmidtkunz mit Kunstwerken vornehmlich osteuropäischer Künstler. Sie hatten zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer ihren Schock über die neuen Verhältnisse in ihren Bildern verarbeitet. Mit der »westlichen Welt« konnten sie wenig anfangen. »Ein Kunstwerk blieb mir besonders in Erinnerung«, schreibt Schmidtkunz. »Auf einer weißen Wand waren mit einer einfachen schwarzen Linie zwei menschliche Figuren gemalt. Eine stand aufrecht und hielt, offensichtlich demonstrierend, ein Schild hoch. Darunter stand geschrieben: Citoyen (Bürger). Aber das Wort war durchgestrichen. Daneben stand eine zweite Figur, gebeugt, mit hängenden Armen, links und rechts mit schweren Einkaufstaschen behängt. Darunter stand das Wort: Consumer (Konsument).« Der Begriff Citoyen war nach der französischen Revolution 1789 in Mode gekommen. Er beschrieb die neue Rolle des Menschen, der im Geiste der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Bürger bezahlten Steuern, im Gegenzug garantierte ihnen der Staat grundlegende Freiheits- und Mitbestimmungsrechte. Damals, am Ende des 18. Jahrhunderts, war das eine gewaltige Neuerung. Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel glaubte, dass der Mensch als freier Bürger die höchste Stufe seiner Existenz erreicht hatte. Dass Menschen gleichberechtigt und gerecht nebeneinander leben konnten, war demnach die höchste Errungenschaft, die erstmals durch den Citoyen geleistet wurde. Heute wurde der Citoyen allerdings durch den Konsumenten abgelöst. Der Wert, den jemand für die Gesellschaft hat, ergibt sich aus seiner Effizienz und seinem Reichtum. Oberflächliche und materielle Symbole sind wichtiger geworden als politische Meinungen. Die Märchengeschichte über den Kapitalismus
Der größte Trick des Teufels, besagt ein Sprichwort, war es, so zu tun, als gäbe es ihn nicht. Der größte Trick der Monsterwirtschaft ist es, so zu tun, als gäbe es keine Alternativen. Wenn Alternativen entstehen, wehrt sie sich mit allen Mitteln dagegen. Sie kommt mit ihren Verlockungen und verschlingt sie, oder sie treibt ihre Protagonisten in den Ruin. Im Westen hören wir oft, dass die friedlichen Proteste der osteuropäischen Länder gegen ihre kommunistischen Regierungen in den 1980er-Jahren einzig und allein das Ziel hatten, den westlichen Lebensstil zu kopieren. Das wird gemeinhin als Beleg dafür genommen, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gibt. Jedes andere Wirtschaftssystem bringt in dieser Sichtweise Armut hervor, wie man sie in den ehemaligen kommunistischen Staaten erlebt hat. Doch so einfach ist es nicht. Die Menschen protestierten nicht bloß gegen ein totalitäres Regime und für den kapitalistischen Westen, sondern auch für eine faire und gerechte Wirtschaft, die solidarisch ist. Tatsächlich hat die Demokratisierung von Ländern wie Polen oder Ungarn politische Freiheiten für ihre Bürger hervorgebracht, die unter kommunistischer Herrschaft undenkbar waren. Doch auch in diesen Ländern zeigte sich der Kapitalismus bald von seiner hässlichsten Seite. Viele Menschen haben noch heute mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Der Reichtum ist ungleich verteilt. Ungerechtigkeiten haben populistische Parteien an die Macht gespült, die die Demokratie für ein lästiges Übel halten. Politiker wie der ungarische Premierminister Viktor Orbán sprechen von einer »illiberalen Demokratie«, und meinen damit in Wahrheit: Kapitalismus ja, Demokratie lieber nicht. Die angebliche Alternativlosigkeit zum westlichen Kapitalismus hat in den vergangenen dreißig Jahren jeden Widerstand im Keim erstickt. In den Köpfen der meisten Menschen ist der Kapitalismus mit Frieden und Wohlstand verknüpft. Der Wirtschaft müssen wir alles unterordnen. Solange das Wachstum anhält, wird es uns gut gehen. Dabei gibt es diese Alternativlosigkeit noch gar nicht lange. In den 1970er- und 1980er-Jahren hatten viele Menschen noch ein Bewusstsein dafür, dass etwas auf dieser Welt falsch läuft. Menschen erkannten, dass unsere Art zu wirtschaften den Planeten ausbeutet und Lebenschancen zerstört. Sie erkannten, dass wir mit unserer Lebensweise zur Vernichtung von Natur und Umwelt beitragen. Diese Denkart lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Der Konsum zerstört den Planeten. Die Börsenmilliardäre und politischen Amtsträger, die ihren Erfolg dem Wirtschaftssystem verdankten, lachten über die Warnungen der »Öko-Freaks«. Deren Gerede vom Klimawandel, der Vernichtung der Regenwälder, der Vermüllung der Meere und der Vergiftung der Böden klang in ihren Ohren nach einer Schauergeschichte für Kinder. Seither haben die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die Zerstörung von...