Roman
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-641-10279-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Laura Gustafsson ist eine Autorin, die herausfordert. Ihr Debütroman - eine Mischung aus Literatur, Pornographie und Feminismus - stellt die Spielregeln der Literatur auf den Kopf. Wild und unberechenbar, provokant und dann wieder sehr, sehr ernst. In Die Hure geht es um Prostituierte, die Gewalt und Unterdrückung erleben und beschließen zurückzuschlagen.Viel Geld für wenig Arbeit. So denkt sich das Milla, als sie ihr Studium abbricht und ein Leben als Prostituierte beginnt. Täglich zweihundert Euro sind der Lohn. Auch Millas Nachbarin Kalla entscheidet sich, so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Kalla empfindet den bezahlten Sex jedoch als erniedrigend und heuert stattdessen als Putzfrau an, doch dies erweist sich als noch größere Unterdrückung. Sie dreht durch und rächt sich an all denen, die sie dominiert haben. Die Hure beschreibt die tägliche Gewalt, die Männer gegen Frauen ausüben. Die Autorin verbindet Alltagserfahrungen mit Elementen der griechischen Mythologie und sprengt damit die Grenzen der Literatur auf einzigartige Weise.
Laura Gustafsson, geboren 1983, ist Autorin und Drehbuchschreiberin und studiert Dramaturgie an der Theaterakademie in Helsinki. Daneben hat sie einen Abschluss in Literaturwissenschaft. Außer ihrem Debütroman Die Hure hat sie ein Hörspiel, zwei Theaterstücke und mehrere Kurzgeschichten verfasst.
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1. YOU GOTTA BE BAD, YOU GOTTA BE BOLD,
YOU GOTTA BE WISER. YOU GOTTA BE HARD,
YOU GOTTA BE TOUGH, YOU GOTTA BE STRONGER.
YOU GOTTA BE COOL, YOU GOTTA BE CALM,
YOU GOTTA STAY TOGETHER. ALLES IST SO PERFEKT. Aphrodite ist perfekt. Ares ist perfekt. Der Sex ist perfekt. Sie begegnen sich auf einer Party, erinnern sich an Vergangenes und vergessen es wieder und verlassen gemeinsam das Fest. Sie verbringen einen Monat zusammen. Aphrodites Mann ruft an und schickt SMS, aber Aphrodite wirft ihr Handy fröhlich lachend über den Rand der Wolke und sinkt in die sehnigen Hunks-Arme ihres Lovers. Nichts rostet so wenig wie alte Liebe. Ares ist einfach perfekt. Genau wie ein Mann sein soll. Muskulös, attraktiv, stattlich. Charismatisch. Aggressiv. Aber dennoch zärtlich. Ein Loblied auf die Männlichkeit. Eine Testosteron-, äh, was? Na … Tankstelle. Eine Testosteron-Tankstelle, die die ganze Nacht geöffnet hat! Wo das weiße Benzin fließt und der Kredit nie ausgeschöpft ist! Aphrodite krault die Brusthaare des Mannes. »Meine Bräune verblasst schon wieder. Gehen wir morgen an den Strand?«, fragt sie. »Morgen?«, antwortet Ares. Das heißt, er antwortet gar nicht. Er fragt. Aber auf eine Frage muss man antworten. »Ja, ja, morgen.« »Geht nicht.« »Warum nicht?« »Ich muss weg.« »Wohin?« »Nach Afghanistan.« »Scheiß drauf, da musst du nicht hin.« »Doch, ich muss.« Wieso muss! Er kann nicht müssen. Irgendwo dudelt das Handy immer noch Aphrodites Lieblingssong. Wieder und wieder von vorn. Jedes Mal bis zu der Stelle, wo es heißt: »All I know, all I know, love will save the da…« Dann bricht die Melodie ab, mitten im Wort. Scheißlied. Ares streichelt zerstreut die Tätowierung unten an Aphrodites Rücken. Sie hat das Gefühl, als wäre die Haut schon ganz dünn. »Willst du mich aufrubbeln?«, kreischt sie. Danach sind beide schweigsam und in sich gekehrt. Ares geht in sein beschissenes Afghanistan, und Aphrodite kehrt in ihr beschissenes Zuhause zurück. Ihre verflixte Menstruation hat Verspätung. »Ich bin schwanger, stör mich nicht«, fährt sie ihren Mann an. Der begreift offenbar nichts, denn er fragt, wie das möglich sei, wo doch zwischen ihnen nie etwas laufe. Aphrodite gibt ihm keine Antwort, aber nicht, weil sie ihn nicht kränken will. Sondern im Gegenteil. Natürlich kennt er die Antwort. Auch deshalb ist es ätzend, dass er trotzdem fragt. Bei Göttinnen dauern Schwangerschaften nicht lange, und die Geburten sind schnell und leicht. Das ist einer der Vorteile der Göttlichkeit. Aphrodite zieht sich in ihre Kammer zurück und gebärt Zwillinge, die allerdings alles andere als perfekt sind. Eigentlich sind sie nur zwei blutige Fleischklumpen, mit kleinen Stummeln anstelle der Gliedmaßen, einer riesigen Mundhöhle mitten im Kopf und ohne Augen. Das kommt bestimmt vom Rauschgiftkonsum während der Schwangerschaft, vermutet Aphrodite. Sie nennt die leise quäkenden Kinder Phobos und Deimos, das sind Ares’ Lieblingsnamen. Dann ruft sie Cupido. »Bring die beiden nach Afghanistan.« Sie gibt ihm einen Zettel mit, auf dem steht: »ich zieh deine brut nicht groß du arsch. sie sind furchtbar hässlich. ganz der vater. ruf mich nicht an, ich verreise. Gruß, Love.« Cupido packt die Neugeborenen am Nacken und fliegt davon, dass seine goldenen Kinderlöckchen flattern. Er fliegt über das Meer in die Wüste, bis er eine in schwarzen Polyester gekleidete Frau entdeckt, die eine Bazooka zur Panzerabwehr über der Schulter trägt. Cupido kneift die Frau in den Hintern und wirft ihr die Zwillinge zu. »Hier sind niedliche kleine Geschwister für dich«, kichert er. »Ich hab keine Zeit, mich um Kinder zu kümmern!«, ruft das Mädchen, aber für praktische Dinge hat Cupido sich noch nie interessiert. Das Mädchen heißt Adrasteia, doch so nennt sie keiner. Da sie alles Ekelhafte und Seltsame fasziniert, behält sie die Kleinen. Vielleicht wachsen ihnen eines Tages Arme und sie können leichte Reihenfeuerpistolen bedienen, wie es die Kinder in diesem Land tun. In Wahrheit verreist Aphrodite nicht. Obwohl sie die Neugeborenen so rasch vergisst wie einen schlechten Traum, ist sie derart deprimiert, dass sie nicht die Kraft hat, das Haus zu verlassen. Das macht ihren Gatten überglücklich. Ihr Ehemann kann aus Eisen und Edelmetallen die fantastischsten Sachen schmieden. Am Montag schmiedet er eine Tiara für Aphrodite. Dann schmiedet er am Dienstag wieder eine Krone für Aphrodite. Und auch am Mittwoch schmiedet er eine Tiara für Aphrodite. Am Samstag schleudert Aphrodite ihm die neueste Tiara mit den Zacken voran ins Gesicht. Sie glaubt, sein Aussehen könne dadurch nicht noch beschissener werden. Doch da irrt sie sich. »Lass es endlich sein!« Der Mann zieht sich in seine Schmiede zurück und weint. Er hat wenig Glück bei Frauen. Als er geboren wurde, war er so hässlich, dass seine Mutter ihn den Berg hinunterwarf. Es war ein langer Fall, fast drei Kilometer. Dabei ist er zum Krüppel geworden: Er humpelt und zieht ein Bein nach. Andererseits hat Aphrodite ihn gerade wegen seines hässlichen Äußeren bekommen. Zeus hielt das für gerecht: Er gab die allerschönste Frau dem allerhässlichsten Mann, um unlauteren Wettbewerb zu vermeiden. Aus seiner Sicht nicht schlecht. »Hör auf, darüber zu reden!« Aphrodite wirft schon wieder irgendwelches Zeug nach ihm. Er hat aus Versehen laut gedacht, und nicht zum ersten Mal. Er entschuldigt sich. Doch Aphrodite ist unerbittlich, im Hass wie in der Liebe. »Die Situation ist unentschuldbar.« Und eigentlich stimmt das ja. Es besteht gar kein Grund, den hässlichen, verkrüppelten Hephaistos zu bemitleiden. Diplomatische Rücksichtnahme war nicht der einzige Grund, weshalb die schönste Blume des Götterhains sein Privateigentum wurde. Durch Erpressung hat er Aphrodite bekommen. Er hat die Frau des Zeus in einen Käfig gesteckt und den Käfig zugeschmiedet. Dann hat er erklärt, er werde die Dame erst freilassen, wenn die Göttin der Liebe durch heilige Ehebande an ihn gefesselt worden sei. Da half nichts. Aphrodite wurde ihm auf dem Standesamt in Gegenwart von zwei Zeugen angetraut. »Ich bin so glücklich«, sagte Hephaistos. »Das wirst du noch bereuen, Arschloch«, sagte Aphrodite. Und der Standesbeamte erklärte sie zu Mann und Frau. Aphrodite hätte wissen müssen, was für ein Schwein der Kriegsgott ist. Sie redet sich ein, das schnelle Ende dieser Episode sei einzig und allein positiv zu sehen. Sie legt eine Liste der schlechten Eigenschaften von Ares an: barbarische Maskulinität, Blumenkohlohren, unfähig, über seine Gefühle oder andere Themen zu sprechen, furzt im Bett. Und obendrein ist er untreu. Doch das will Aphrodite nicht auf ihre Liste setzen. Es gibt keinen Grund, Ares nachzuweinen. Aphrodite kann auch allein an den Strand gehen. Das Rauschen der Mittelmeerwellen erinnert sie immer daran, welch große Gottheit sie ist. Die allergrößte! Sie schaut auf das Meer. Die wundervollen, glatten und immer lächelnden Delfine winken ihr mit den Flossen. Plötzlich hindert ein Schatten die Sonnenstrahlen, ihre Haut zu liebkosen. Aphrodite dreht sich um. Hinter ihr steht jemand, dem sie, soweit sie sich erinnert, noch nie begegnet ist. Sie lächelt den Mann an, kann seine Miene aber nicht erkennen, die Sonne blendet sie. APHRODITE: Kennen wir uns? DER UNBEKANNTE: … Der Mann steht drohend und stumm da wie eine lange schwarze Wolke. APHRODITE: Was ist, willst du ein Autogramm? DER UNBEKANNTE: … Aphrodite bemerkt, dass der Mann nach Schweiß und Alkohol riecht. APHRODITE: Du darfst auch ein Foto von mir machen, wenn du willst. Vielleicht im Wasser? DER UNBEKANNTE: … Der Mann dreht sich um und geht. Erst als er ein Stück entfernt ist, fällt Aphrodite auf, dass er keine Faser am Leib trägt. APHRODITE: Komischer Spinner. Sie will nicht weiter über die Sache nachdenken, dergleichen kommt eben vor. Für manche ist Aphrodites Schönheit einfach zu viel. Es gibt Männer, die angesichts einer solchen Pracht nicht anders können, als zu stieren und sich unsozial zu benehmen. Sie geht in die Ewige Disco, die direkt am Ufer steht und deren Tanzfläche auf einem großen Steg auf das Meer hinausragt. Dort flirtet sie mit dem DJ und bittet ihn, Gloria Gaynor aufzulegen. Es ist früher Abend, und in der Disco sind noch nicht viele Gäste. Aphrodite hat die ganze Tanzfläche für sich, was absolut optimal ist. Menschen und Götter betrachten ihren perfekten Körper und ihre geschmeidigen und ach so verführerischen Bewegungen, die zwar mit echtem Tanzen nichts zu tun haben, aber trotzdem unglaublich sexy sind. Aphrodite tanzt mit geschlossenen Augen und summt die Melodie mit. Hände legen sich sacht um ihre Taille. Erst als der Song zu Ende ist, sieht sie den Fremden mit den sanften Händen...