E-Book, Deutsch, 456 Seiten
Gust Die Schwebfliege
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7554-1000-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine schmutzige Geschichte
E-Book, Deutsch, 456 Seiten
ISBN: 978-3-7554-1000-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Falsche Gefühle, gestohlenes Geld und ein schockierendes Geständnis. Hinnerk Thies' Leidenschaft gehört der Entomologie. Dass sein geruhsames Leben als Schwebfliegen-Nerd je aus den Fugen geraten könnte, ahnt er nicht - bis er eines Abends Opfer eines Trickbetrugs wird. Im Bemühen, die Fesseln dieses zwielichtigen Spiels abzuschütteln, gerät er immer tiefer in den Sumpf der Hamburger Halbwelt. Gleichermaßen abgestoßen wie angetan von deren schillernder Fassade, lernt er die Prostituierte Cindy kennen. Doch ist die ehemalige Biologiestudentin wirklich so ehrlich, wie sie sich gibt? Und welche Rolle spielt ihre Freundin Tatjana? Bald stellen Hinnerks Gefühle ihn vor die schwerste Entscheidung seines Lebens - für oder gegen sein Gewissen. »Die Schwebfliege« Ein spannender Blick auf eine Randgesellschaft, die das Tageslicht scheut.
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EINS
EINS Norderstedt, Frühjahr 2019 ES WAR AN einem dieser verregneten, lausig kalten Aprilabende, als Hinnerk zum ersten Mal diesem Typen begegnete. Plötzlich und unerwartet stand dieser am Schmuggelstieg vor ihm und sah ihn unmissverständlich an. Im ersten Augenblick dachte Hinnerk sich noch nichts dabei. Zudem beschäftigten ihn ganz andere Dinge, wie der Frust über die jüngste Mieterhöhung auf unverschämte Vierhundertfünfzig kalt – und das für seine kleine Zweizimmerwohnung im achten OG eines Hochhauses am Glashütter ZOB mit fensterloser Toilette und ständig klemmendem Fahrstuhl. Hinzu kamen die Querelen wegen seines neuen Postens als wissenschaftlicher Mitarbeiter (kurz ‚Wimi‘ genannt) in der Norderstedter Stadtverwaltung, Abteilung Ökologie und Umwelt. Nicht, dass es ihm dort missfiel. Im Gegenteil. Es kam seinem Interesse als diplomierter Biologe der Uni Kiel, Fachgebiet Entomologie, durchaus entgegen. Selbst eine Nervensäge wie Ole Radekühn nahm er als neuen Zimmerkollegen in Kauf. Das war ein dickbäuchiger, hornbebrillter Kaffeejunkie (im Kollegenkreis wegen seiner starken Brille auch ‚Grabowski‘ genannt), mit dem nur schwer auszukommen war, da er den ganzen Tag dummschwätzte und unter einer Schwiegermutter-Phobie litt. Vielmehr lag es an seinem neuen Chef, einem gewissen Karl-Richard Dowe. Er war ein hirnloser Choleriker, der schrecklich viel aß, die Sozis wie ein rotes Tuch hasste und ständig auf Krawall gebürstet war. Als ob Hinnerk etwas dafür konnte, dass er im Auswahlverfahren ausgerechnet dessen Neffen Patrick ausgestochen hatte. Nun ließ der neue Chef ihn das natürlich fühlen und das klang in etwa so: „Wie? – Thies? Hinnerk Thies? Und noch Junggeselle mit Mitte 40? Wieso das denn? Sie kommen wohl von irgendeiner Scholle aus dem Norden, wo die Kühe gleich Käse machen, hahaha. Gott sei Dank hier sind wir in Norderstedt, der viertgrößten Stadt im nördlichsten deutschen Bundesland, und nicht in Wittdün auf Amrum, wo man den Mond noch mit der Stange rausschiebt. Aber keine Sorge, Sie werden schon noch lernen, wo Fischers Fritz den Hering fischt‘.“ Natürlich ließ ihn Letzteres kalt, zumal es sich einzig und allein um das billige Rachegeplänkel eines gekränkten Esels handelte. Was jedoch sein Single-Dasein betraf, ging das entschieden zu weit. Weder war Hinnerk schwul, noch lag es an seiner Optik. Vielmehr hatte er bisher nicht die Richtige gefunden. Und das sollte ja hin und wieder vorkommen. Dabei wurde ihm von mehreren Seiten wiederholt ein gewisser Charme attestiert, vor allem, wenn ihm sein Lächeln Grübchen in die Wangen schnitt. Dann wirkte er einfach ‚zum Fressen gern‘, wie es mal eine kokette Auszubildende auf den Punkt gebracht hatte. In erster Linie aber zeichnete ihn ein gesundes Selbstvertrauen aus, das ihn zusammen mit einer gewissen Eloquenz zu einem durchaus interessanten Gesprächspartner machte, der sehr wohl wusste, wo ‚Fischers Fritz den Hering fischt‘. So hatte er erst jüngst ein über eine Dating Plattform arrangiertes Rendezvous mit einer jungen Dame gleich im Keim erstickt. Aber was hätte er denn sonst tun sollen? Nachdem zunächst alles sehr romantisch bei einem Glas Wein und Kerzenschein begonnen hatte, hatte er zu fortgeschrittener Stunde von seiner Leidenschaft für Schwebfliegen zu schwärmen angefangen. Zu seiner Überraschung hatte sie so etwas ‚Ungeziefer‘ genannt. Auf der Stelle war die Sache damit für ihn erledigt und er hatte vorgeschlagen, die Rechnung besser zu teilen. Warum ihm dieses Fiasko just in dem Moment wieder einfiel, wusste er nicht. Womöglich lag es an diesem mysteriösen Typen, der jetzt erneut vor ihm aufkreuzte. Diesmal stand dieser in einem Hauseingang unweit des Kreisels am Ochsenzoll und gaffte ihn genauso unverhohlen an, wie vorhin. Was sollte das? Wollte der Typ ihm etwa eine Hinz&Kunzt1 andrehen? Oder ihn auf irgendeine andere Art und Weise anschnorren? Das konnte dieser Mister Unbekannt gleich vergessen. Nichts verachtete Hinnerk mehr, als jede Form von Müßiggang – was nicht heißen sollte, dass er ein Spießer war. Aber er hatte so seine Prinzipien. Ohne den Typen eines Blickes zu würdigen, ging er an ihm vorbei. Kurz darauf meinte er, hastige Schritte hinter sich zu vernehmen. Was sollte das? Vorsichtshalber griff er nach seinem Schlüsselbund, um im Falle eines Angriffs seinem Boxhieb größere Wucht verleihen zu können. Doch als Hinnerk sich nochmals umwandte, war der andere schon wieder verschwunden. Aus Sicherheitsgründen änderte er trotzdem seinen Weg und bog nach links in eine kleine Seitenstraße ein, wohin ihm dieser Bursche bestimmt nicht folgen würde. Um auf andere Gedanken zu kommen, lief Hinnerk wie ein Kind mit einem Bein auf der Bordsteinkante, mit dem anderen auf der Straße. Und siehe – bald war es ihm gelungen. Er war jedoch noch nicht weit gekommen, als der Unbekannte ein weiteres Mal vor ihm auftauchte. Nun allerdings mit in die Seiten gestemmten Fäusten und in erwartender Haltung. Hinnerk dachte nicht eine Sekunde daran, einzuknicken. Geradewegs hielt er auf ihn zu. Ob nun einem blinden Reflex folgend oder aus einer Laune heraus – plötzlich entwich Hinnerk mit einem kurzen Seitwärtssprung in einen links befindlichen Toreingang. Als Hinnerk Sekunden später verstohlen um die Ecke linste, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass dieser Typ ihm eiligen Schrittes folgte. Natürlich konnte er unmöglich wieder heraustreten, ohne sich lächerlich zu machen, von einem Weglaufen ganz zu schweigen. Glücklicherweise war die Tür hinter ihm unverschlossen, sodass er in den dortigen Hausflur flüchten konnte. Damit war das Problem allerdings nur verlagert, da dieser Bursche kurz darauf ebenfalls den Flur betrat. Um den ohnehin schon schrägen Eindruck nicht noch weiter zu verstärken, musste Hinnerk bei seiner Linie bleiben. Von daher betätigte er die Flurbeleuchtung und tat so, als wäre er hier zu Hause. Im Schein des Lichtes konnte er erstmals das Gesicht des Fremden erkennen: Es war unrasiert und faltig und spielte in ein ungesundes Gelb hinüber. Auch wollte dessen sportliche Gestalt nicht zum verlebten Rest passen. Summa summarum: Dieser Mann war doch nicht so alt, wie zunächst angenommen, sondern höchstens Anfang dreißig, keinesfalls älter, und wirkte mehr als unheimlich. Bloß nichts anmerken lassen, dachte Hinnerk und kramte wie selbstverständlich seinen Wohnungsschlüssel hervor. Dann tappte er schwerfällig die Treppe hinauf, in der Hoffnung, den anderen endlich loszuwerden. Als hätte der Typ seine Absicht längst durchschaut, setzte dieser auf der Stelle nach. So blieb Hinnerk nichts anderes übrig, als vorauszugehen, wobei er seinen Verfolger aufgrund der knarrenden Dielen stets eine halbe Treppe tiefer hörte. Zudem beugte sich die Klette immer dann übers Geländer, wenn Hinnerk es ebenfalls tat. Auffälliger ging es nicht. Freilich hätte Hinnerk umkehren und den Verirrten spielen können. Selbst das Erkundigen nach einem Nachbarn oder der Uhrzeit wäre immer noch plausibel gewesen. Aber irgendwie war er dafür zu stolz. Lieber ließ er sich auf diese Weise bis zur letzten Etage hinauftreiben, wo er schließlich vor der mittleren Wohnungstür ratlos stehenblieb. Diese besaß als einzige kein Namensschild und wies im Schlossbereich mehrfache Beschädigungen auf. Offenbar ein Andenken unerwünschten Besuches. Ihm wurde heiß und kalt. Wie sollte er jetzt bloß reagieren, zumal er gar nicht wusste, was er hier wollte? Da er aber noch immer mit dem Schlüssel in der Hand hantierte und seinen Verfolger bereits sicher hinter sich wähnte, musste er irgendetwas tun. So kam es, dass er den Schlüssel in Richtung Schloss führte, freilich ohne ernsthaft öffnen zu wollen. Das geschah rein intuitiv, um Zeit zu schinden. Dabei schlug ihm das Herz bis zum Hals. Ein Gefühl zwischen Trotz und Peinlichkeit zwang ihn, für mehrere Sekunden zu verharren. Er konnte unmöglich den Schlüssel einführen, schließlich wartete der andere nur darauf. Zu guter Letzt platzte Hinnerk der Kragen. Barsch fuhr er diesen aufdringlichen Burschen an: „Sagen Sie mal, was wollen Sie eigentlich von mir?“ Der Mann hob verblüfft die Brauen, lächelte urplötzlich, was in dieser Situation aberwitzig wirkte, und erwiderte erstaunt: „Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas von Ihnen will?“ Doch Hinnerk ließ sich nicht beirren. „Und warum stellen Sie mir andauernd nach?“ „Wie kommen Sie darauf, dass ich Ihnen nachstelle?“, entgegnete der andere frech. „Verraten Sie mir mal lieber, was Sie hier machen!“ Dieser anmaßende Ton missfiel Hinnerk. „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, giftete er mit einem brennenden Blick zurück. „Oh, eine ganze Menge. Als Hausbewohner geht mich das sehr wohl etwas an, zumal ich Sie hier noch nie gesehen habe. Erst schleichen Sie draußen herum und dann verschwinden Sie hier. Was soll man davon halten, wenn nicht das, wonach es aussieht? Und jetzt erwarte ich von Ihnen eine verdammt gute...




