E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Guin Keine Zeit verlieren
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-946503-51-4
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Über Alter, Kunst, Kultur und Katzen
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-946503-51-4
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Eine Grande Dame der modernen Literatur philosophiert in Gedankensplittern über das Alter, Kunst, Kultur und Katzen - Ursula K. Le Guins letzten Gedanken. Im Januar 2018 verstarb Ursula K. Le Guin (1929 - 2018), eine der renommiertesten Autorinnen der angloamerikanischen Science Fiction, Verfechterin der Phantastik und starke Feministin. Über Jahrzehnte hat sie ihre Leser in phantastische Welten entführt. In ihren Essays erkundet sie hingegen recht realistische Aspekte des Lebens, die sie vor allem in den letzten Jahren immer wieder beschäftigen: das Altwerden, die Wahrnehmung der Literatur und der Rolle der Phantastik darin, ihr einzigartiger Kater Pard. Ihre scharfzüngige, kluge und besonnene Art über Alltägliches und Außergewöhnliches zu schreiben, öffnet einem selbst neue Perspektiven. Ein wunderbarer Rückblick auf das, was Ursula K. Le Guin in den letzten Jahren ihres Lebens tief bewegt hat. Mit einem Vorwort von Karen Nölle.
Ursula K. Le Guin (1929-2018) gilt als die Grande Dame der angloamerikanischen Science Fiction. Sie wurde mit zahlreichen Literatur- und Genrepreisen ausgezeichnet, posthum 2018 mit dem »PEN/Diamonstein-Spielvogel Award for the Art of the Essay« für »No Time to Spare: Thinking About What Matters« (dt. »Keine Zeit verlieren: Über Alter, Kunst, Kultur und Katzen«).
Weitere Infos & Material
Karen Nölle: ALT UND WEISE, WEIBLICH UND BÖSE – EIN VORWORT Dieses Buch, das Sie in Händen halten, ist Ursula K. Le Guins letztes, noch gerade zu Lebzeiten herausgegeben. Es war erst kürzlich erschienen, als sie im Januar 2018 starb, 88 Jahre alt und noch stets bereit, Besuch zu empfangen und an Texten zu feilen, auch wenn sie schon seit Längerem sorgfältig mit ihren Kräften haushalten musste. Keine Zeit verlieren war für sie ein ungewöhnliches Projekt, denn was sie bis dahin geschrieben hatte, waren Romane, Erzählungen, Essays und Gedichte, ausgeklügelt, tief empfunden und vielfach preisgekrönt, ein großes, an die fünfzig Bände umfassendes Werk. Nach der Veröffentlichung von Lavinia, ihrem letzten, 2008 erschienen Roman, entschied sie, sich nur noch kürzeren Formen zu widmen, und erklärte in Interviews, für große Entwürfe würden ihre Kraft und Ausdauer nicht mehr reichen. Ihr Kampfgeist und ihr schräger Sinn für Humor blieben jedoch lebendig bis zuletzt. Und das Schreiben gehörte einfach immer zum Leben. Sie brachte weiterhin regelmäßig Gedichte, Essaysammlungen, Geschichten heraus, und 2010 enthielt ein wunderschönes Buch über eine besonders geliebte Landschaft, das sie zusammen mit dem Fotografen Roger Dorband herausbrachte, sogar Skizzen von ihr. Einer der großen Einflüsse in ihrem Leben war der Taoismus, dessen Lehren auch ihr Werk durchziehen. Das Tao Te King des legendären chinesischen Philosophen Laotse hat sie sich Wort für Wort erarbeitet, die vielen Übersetzungen ins Englische verglichen und 1997 in eigener Übersetzung herausgebracht. Über die Drachen in ihren Erdsee-Büchern hat sie einmal gesagt, sie seien selbstverständlich von den europäischen und den chinesischen Drachen mit ihren unterschiedlichen Eigenarten inspiriert, aber es seien amerikanische Drachen oder genauer Drachen der Westküste, geprägt von ihrer Zeit, ihren Erfahrungen und ihrem eigenen Wesen. Ähnlich verhält es sich mit dem Taoismus, sie hat ihn sich anverwandelt, und er nimmt in jedem Werk passend zu dem Stoff eine eigene Prägung an. 2010, mit 81, ging sie unter die Blogger. José Saramagos Blogs machten ihr Lust auf die Freiheit der spontanen Form und nahmen ihr die Vorstellung, dass sie, wenn sie sich im Internet äußerte, ständig mit ihren Leserinnen und Lesern in Dialog treten müsste. Dazu sei sie zu zurückhaltend, schrieb sie in der Notiz, die sie dem Blog vorausschickte und die nun am Beginn dieses Buches steht. Es versammelt ein knappes Drittel ihrer Einträge. Die übrigen, oft mehr durch politisches und anderes aktuelles Geschehen veranlasst, sind auf der Website der Autorin zu finden. Sie behandeln ganz unterschiedliche Themen, oft geht es um ihre eigenen Texte und die Werke anderer, oft auch um die Zustände in den USA und den Ländern des Nahen Ostens. Die politische Situation machte ihr Kummer. 2017 wurden die Einträge spärlicher. Am 25. September des Jahres stellte sie ein Gedicht von 1991 ein, mit dem Titel »When the Soviet Union Was Disintegrating«. Es ist ihr letzter Eintrag, ein sehr persönliches Gedicht aus zwei Teilen. Im ersten geht es um den Versuch, sich etwas zu erschreiben, das Seele heißen könnte. Ihre Themen sind Mut, Güte, das Meer bei Abendlicht, das Lob der Schönheit und eine Ahnung davon, was von ihr bleiben könnte, wenn sie nicht mehr ist. Im zweiten Teil wendet sie sich der Tagespolitik zu, und Bitterkeit darüber, was sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Russland vollzieht, lässt sie deutlich werden, »… alt und weise, weiblich und böse«: Die Männer, die im Namen einer Sache siebzig Jahre lang Männer, Frauen und Kinder umgebracht, gefoltert, Lager errichtet, gelogen und Gewinne kassiert haben, nehmen sich neue Ziele vor, und wieder mit denselben Methoden. Siebzig Jahre umsonst. Weggeworfen der Traum von Gerechtigkeit, der dem Verrat vorausging. Das Einzige, was zählt, ist, wer das Sagen hat. Die letzte Strophe bringt beide Teile zusammen. Sie, die einst »Freiheit, Freiheit« gesungen habe, schön wie eine Nachtigall, habe Realpolitik gelernt: In dieser Welt der Sagenhaber, wo es keine Freiheit gibt und die Sagenhaber nur von Stille umgeben sind, darf man nicht müde werden, in diese Stille hineinzuhorchen. »Und so werde ich Frauen, unseren Kindern und machtlosen Männern lauschen, meinen Leuten. Und ehren nur die Meinen, die Leute ohne Macht.« Was 1991 auf die Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gemünzt war, passt 2017 auf die Vorgänge in den USA. Und die Art, wie in dem Gedicht das Persönliche und Politische mit essenziellen Gedanken über das Menschsein verknüpft werden, zeigt noch ein letztes Mal, wofür Le Guin mit ihrem Schreiben steht. Alt und Weiblich. Seit einigen Jahrzehnten sind die Themen Alter und Weiblichkeit ein fester Bestandteil von Ursula K. Le Guins Werken. Das gilt auch für das vorliegende Buch. Dass sie so wichtig wurden, ist in ihrer Art zu denken begründet. Wurde Ursula K. Le Guin gefragt, wann ihr klar geworden sei, dass sie Schriftstellerin werden wollte, antwortete sie stets, darüber habe sie nie nachgedacht, sie habe schlicht immer geschrieben. Die Berufsbezeichnung, der Status bedeuteten ihr nichts, es gehe ihr um die Sache. Als sie mit Anfang zwanzig begann, ans Veröffentlichen zu denken, gelang es ihr nur gelegentlich, kleinere Texte unterzubringen. Ihre Romane wurden abgelehnt. Zu eigen, hieß es, zu abseitig. Über den ersten bemerkte der Verleger Alfred Knopf in seinem Ablehnungsbrief, es sei ein seltsames Buch, aber was sie da mache, sei interessant. Vor zehn Jahren hätte er das verrückte Ding verlegt, aber jetzt (1953) könne er es nicht wagen. Le Guin fühlte sich dadurch ermuntert und produzierte mit Geduld und Leidenschaft – für die Schublade. Anfang der 1960er-Jahre riet ihr eine Freundin, sich in der Science Fiction umzuschauen. Dort fand sie Gedankenexperimente, denen sie sich verwandt fühlte, und sie beschloss, sich an dem Genre zu versuchen. Nun gelang der Durchbruch, und es folgte eine intensive Schaffensperiode. Von 1966 bis 1976 erschienen zehn Romane, zwei Erzählbände und zwei Gedichtbände, Ursula K. Le Guin erhielt für ihre Bücher dreizehn große Auszeichnungen und war plötzlich überall gefragt. Weltweit berühmt wurden vor allem die beiden Science-Fiction-Romane, Die linke Hand der Dunkelheit und Freie Geister, und die drei ersten Bücher ihrer Fantasyserie für junge Leser, Ein Magier von Erdsee, Die Gräber von Atuan und Das fernste Ufer. Wer diese Werke liest, wird schwerlich darauf kommen, dass ihrem Gefühl für das, was Menschen ausmacht – denn darum geht es im Kern in allen ihren Werken – noch etwas fehlt. Sie umspielen die ganze Bandbreite menschlicher Möglichkeiten: Herz, Mut, Freude, Trauer, Achtung vor den Welten, in denen die Figuren leben, mit allen Tieren, Pflanzen, Meeren, Landschaften – die vielen Möglichkeiten des Missbrauchs von Macht und Herrschaft, das Zusammenspiel von Innenleben und Außenwelt. Die Abenteuer, in die man gerät, indem man ihren Figuren folgt, vereinen Verstand und Gefühl. Und ihre Helden müssen einiges aushalten. Bewaffnete Konflikte jedoch gibt es kaum. Die interessieren sie als Problemlösung nicht. In Freie Geister schickt sie einen von Gleichheit und Gerechtigkeit überzeugten Anarchisten mutterseelenallein in eine kapitalistisch regierte Welt und erkundet den Reiz von Besitzlosigkeit. In Die linke Hand der Dunkelheit bereist ein Emissär einen Planeten, auf dem die Bewohner ihr Geschlecht wechseln können und bei der Fortpflanzung mal die männliche, mal die weibliche Rolle übernehmen. In Erdsee muss im ersten Band ein junger Zauberer seinem Schatten begegnen und ihn als Teil von sich annehmen, ehe er sich fortentwickeln kann. Im zweiten befreit sich eine junge Priesterin mit Hilfe eines Zauberers vom Diktat ihres Kults. Und im dritten machen sich ein alter Zauberer und ein junger Prinz auf, die Ursache dafür zu finden, warum in Erdsee die alten Lieder und Handwerkskünste vergessen werden und die Kultur verfällt: Ein dunkler Magier hat den Leuten ewiges Leben versprochen und die Grenze zum Tod verwischt. Fällt Ihnen etwas auf? Wenn nicht, geht es Ihnen wie Ursula K. Le Guin, bevor sie in den frühen 1970ern die zweite Frauenbewegung für sich entdeckte. Erst als sie zum vierten Erdseeband ansetzte, in dem wie im zweiten eine weibliche Hauptfigur im Mittelpunkt stehen sollte, wurde ihr klar, dass die Handlungsträger in ihren Büchern stets männlich gewesen waren, Helden, wie es die Tradition vorsah. Das trifft auch auf Die Gräber von Atuan zu: Ohne Anstoß durch den Magier hätte die junge Priesterin keinen Weg aus ihrer Situation gefunden. In Die Linke Hand der Dunkelheit hatte sie wie selbstverständlich das generische Maskulinum für alle verwendet, obwohl ihre Figuren geschlechtlich nicht festgelegt waren. Was immer sie an Subversion betrieben hatte, es war nicht weit genug gegangen. Das Schreiben des vierten Bandes wollte nicht gelingen, bis sie wusste, was eine Heldin ausmachen könnte. In ihrem »Rückblick auf Erdsee« bemerkt sie dazu: »Ich konnte meine Heldengeschichte nicht fortsetzen, ehe ich als Frau und Künstlerin mit den Engeln weiblichen Bewusstseins gerungen hatte. Es dauerte lange, bis ich ihren Segen erhielt. Ich wusste schon 1972, dass es einen vierten Band [von Erdsee] geben sollte, aber es hat sechzehn Jahre gedauert, bis ich ihn schreiben konnte.« Tehanu erschien 1990. Hinter die Entwicklung dieser sechzehn Jahre ist sie nie wieder zurückgegangen. Sie hat ihr...