Güth | Lübecker Blut | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Güth Lübecker Blut

Kriminalroman
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8437-0977-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0977-4
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gerade mal fünf Minuten ist die junge Kanadierin Jette Eiden in Lübeck, als sie Zeugin eines Verbrechens wird: Eine Buchhändlerin wird im Bahnhof erschossen. Die erste Begegnung mit ihrem deutschen Großvater verläuft deshalb anders als gedacht. Denn Kurt ist Polizist. Ein Haudegen, von dem sogar Schimanski noch etwas lernen könnte. Die neugierige Zeugin und der knorrige Ermittler werden zum Team wider Willen. Sehr zum Missfallen von Kurts jungem Vorgesetzten Goran, der Kurt am liebsten gleich in Rente schicken würde - wäre da nicht Jette ...

Christiane Güth, geboren 1967, schreibt neben Kriminalromanen auch Kinderbücher und ist Dozentin für Kreatives Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in Gütersloh.
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Autoren/Hrsg.


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1

»Hast du deine Tabletten wieder nicht genommen?«

Die Frage gab Kurt Eider den Rest.

Nicht, weil er seine Tabletten nicht genommen hatte. Es war allein die Respektlosigkeit seines ehemaligen Mitarbeiters und jetzigen Vorgesetzten Goran Pilz, die Kurt dazu verleitete, seine Kaffeetasse scheinbar versehentlich umzustoßen und ohne Kommentar den Besprechungsraum III des Lübecker Polizeipräsidiums zu verlassen. Wenn die Einbruchserie, die seit sechs Wochen Travemünde erschütterte, die Handschrift eines Altbekannten trug, hatte Goran Pilz gefälligst zuzuhören. Doch anstatt Kurts Hinweise ernst zu nehmen, fixierte er sich auf eine rumänische Diebesbande wie ein Kind auf den Osterhasen. Als Kurt ihm zu verstehen gegeben hatte, ignorant und machtgeil zu sein, war Goran mit seiner Retourkutsche eindeutig zu weit gegangen.

Hätte Kurt dem Drang nachgegeben, die Tabletten-Frage auf seine Art zu beantworten, wäre nicht nur die Tasse zu Bruch gegangen. Gorans Flüche über die heißen dunkelbraunen Flecken auf seiner neuen Cavalli-Jeans hörte Kurt nur noch aus weiter Entfernung.

»Du weißt doch, wie er ist«, unternahm Inge-Britt Sübener einen halbherzigen Beschwichtigungsversuch. Sie war gerade mit einem Stapel Briefe auf dem Flur unterwegs und hatte Kurt vor der Garderobe abgefangen. Natürlich wusste sie, dass sie mit dieser Floskel ihren Kollegen nicht beruhigen konnte. Die kleine Chefsekretärin von Polizeipräsident Junker ertrug es einfach nicht, wenn es Kurt schlechtging. Außerdem konnte sie ihm bei dieser Gelegenheit unverfänglich über die Schulter streichen.

»Das ist mir egal«, antwortete Kurt mit gepresster Stimme. »Ich will seine Visage einfach nicht mehr sehen.«

Kurt Eider schnappte sich seinen abgewetzten, senffarbenen Lederblouson vom Haken und warf Inge-Britt einen genervten Blick zu. Kurze Zeit später lief er quer über den Innenhof zu einer provisorischen Containerburg namens PP4, in der außer der Hausmeisterei, dem Putzmittelarsenal und dem Ruheraum nur ein einziges winziges Büro untergebracht war – seins.

Die Luft staute sich in den Kunststoffquadern, und selbst bei offenem Fenster kam kaum Sauerstoff herein. Immerhin trotzte eine Birke den Widrigkeiten des Bauplatzes. Wie ein schimmelgraues Relikt stand sie zwischen Betonmischern, Rüttlern und einem verbeulten Dixie-Klo, das die Maurer eifrig nutzten.

Goran Pilz konnte ihn mal. Bis vor drei Monaten hätte Kurt ihn für seine Bemerkung abgemahnt. Da war die Welt noch in Ordnung gewesen. Wie schnell das Blatt sich gewendet hatte. Goran war die Karriereleiter hinaufgeklettert, allerdings nicht, wie es sich gehörte, hinter seinem erfahrenen Chef her, sondern an ihm vorbei. Einfach überholt hatte er ihn und von seinem angestammten Platz vertrieben. Wie war es sonst zu erklären, dass ein verdienter Kriminalkommissar sich nach 34 Dienstjahren in einer Behelfsbaracke wiederfand und Akten sortierte?

»Endlich sind wir den alten Muffel los«, hatte Kurt eine junge Kollegin in der Kaffeeküche tratschen hören. Nicht, dass er sie dafür hätte heimlich belauschen müssen. Sie hatte es laut und deutlich gesagt, nachdem sie ihm im Gang begegnet war.

Kurt warf seine Jacke über die Stuhllehne und ging zu einem kleinen Spind. Hastig fingerte er einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche und steckte ihn ins Schloss. Er stieß die verbeulte Metalltür auf und starrte hinein. Sein Vorrat an Krummesser Korn musste dringend aufgefüllt werden. In der Mittagspause würde er zu Fritzes Kiosk rüberfahren. Sein Freund hatte diese Woche die Literflasche im Angebot. Danach würde er Inge-Britt auf einen Kaffee einladen und sie wie jeden Dienstag fragen, ob sie am Abend zur Doppelkopfrunde ihre Sülzeschnitten mitbrachte. Eigentlich war das überflüssig. Auf Inge-Britt war Verlass, noch nie hatte sie ihre leckere Spezialität vergessen. Während er in Gedanken bei Inge-Britt war, die auf seine regelmäßige Frage immer mit dem gleichen, herzlichen kopfschüttelnden Lachen reagierte, hörte Kurt ein leises Pling. Dieses Pling, das jede neu eingegangene E-Mail meldete und bis vor wenigen Wochen seine Arbeitstage in einer Art Dauerschleife berieselt hatte, war mit dem Tag seiner Degradierung schlagartig erloschen. Umso mehr wunderte sich Kurt, als wenige Sekunden später ein zweites Pling folgte. Fluchend ließ er sich auf seinen verschlissenen Bürostuhl fallen, gab das Passwort ein und klickte den Posteingang an. Wahrscheinlich hatte Goran unverzüglich Beschwerde eingereicht oder Inge-Britt eines ihrer eigenwilligen Videos mit singenden Katzenbabys oder stolpernden Pinguinen verschickt. Als ob ihn die je aufgemuntert hätten. Andere Nachrichten trafen kaum noch ein. Als Kurt jedoch einen Blick auf den Absender der zwei neuen Mails warf, quittierte sein kräftiges Polizistenherz für einige Sekunden spontan den Dienst.

Ein großer Schluck aus der Kornflasche half Kurt, seinen Kreislauf zu stabilisieren. Erst jetzt konnte er überlegen, wie lange es her war, dass er an sie gedacht hatte. Dabei meinte er nicht die flüchtigen Gedanken, die er seit 19 Jahren, vier Monaten und acht Tagen jeden Morgen mit einem »Lass es!« von sich schob, sondern eindringliche Fragen – wie sie aussehen mochte, und ob er ihr jemals begegnen würde. Die ersten Jahre waren am schlimmsten gewesen. Für Lotte noch mehr als für ihn. Sie konnte sich nicht damit abfinden und hatte immer wieder Versöhnungsversuche unternommen, die allesamt erfolglos blieben. Nicht einmal ihr Tod hatte etwas verändert. Keine Karte, kein Anruf. Ab diesem Zeitpunkt hatte Kurt aufgehört, sich mit Sentimentalitäten herumzuquälen. Es war, wie es war, und er konnte nichts an der Situation ändern. Das Leben musste weitergehen. Was also dachte sie sich dabei, ihm ohne Vorwarnung gleich zwei Mails hintereinander zu schicken? Und dann auch noch mit dieser dreisten Ankündigung.

Kurt starrte auf den Bildschirm. Die Minuten verflogen. Das Klopfen an seiner Bürotür hörte er nicht. Er bekam auch nicht mit, dass Inge-Britt eintrat, ohne ein Herein abzuwarten.

»Kurti, komm, wir gehen schon mal in die Kantine!«, rief sie. »Goran ist es nicht wert, sich über ihn zu ärgern.«

Nachdem Kurt weiter stumm den Monitor fixierte, wurde sie lauter.

»Dicke Bööhnchen mit Specksauce!«

Keine Regung. Inge-Britt erinnerte die Szene an das Standbild einer gestoppten DVD. Einen Augenblick lang glaubte sie, Kurt säße tot auf seinem Schreibtischstuhl. Herzinfarkt. Und Goran war schuld. Dann sah sie, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, und lächelte erleichtert.

»Seit wann schläfst du mit offenen Augen?«, versuchte sie es scherzhaft, doch Kurt rührte sich immer noch nicht.

Irritiert betrachtete sie ihren Kollegen. Dann folgte ihr Blick dem seinen, und sie las die erste E-Mail:

Hi Gramps,

da staunst du, was? Ehrlich gesagt, zittern mir beim Schreiben die Knie, weil ich so lange auf den richtigen Moment gewartet habe. Aber jetzt ist er gekommen, und es gibt kein Zurück mehr. Wenn du das liest, sitze ich bereits im Flieger nach Deutschland. Nach Hamburg, wenn du es genau wissen willst. Ich habe meine E-Mail nämlich so programmiert, dass sie während deiner Arbeitszeit eintrifft. Ich erwarte nicht, dass du mich am Flughafen abholst. Ich werde den Zug nehmen. Ist ja keine Entfernung im Vergleich zu dem, was wir in Kanada haben. Es reicht völlig aus, dass du mich irgendwo am Lübecker Bahnhof aufgabelst. Hauptsache, wir lernen uns endlich kennen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, von hier wegzukommen. Und noch mehr freue ich mich auf dich!

Ach ja, die Zugankunft ist für 17.43 geplant. Ich glaube, auf Gleis 7, aber ich werde dich schon erkennen. Habe im Internet ein Foto von dir gefunden. Wie ich aussehe, verrate ich dir nicht. Lass dich überraschen.

Deine Jette.

PS: Wie soll ich dich eigentlich nennen? Opi, Grandfather? Oder einfach Kurt? Erinnert mich aber an Kurt Cobain, und der liegt ja schon ein Weilchen unter der Erde. Gramps find ich schön.

»Ist die E-Mail ein Witz?«, fragte Inge-Britt.

»Sieht es so aus?«, gab Kurt zurück.

Inge-Britt kannte Kurt seit mehr als 30 Jahren und hatte immer geglaubt, über die wesentlichen Dinge seines Lebens Bescheid zu wissen. Dass sein Sohn Thorsten vor etlichen Jahren mit seiner spinnerten Freundin nach Kanada ausgewandert und kurz danach auf tragische Weise tödlich verunglückt war, wusste sie. Auch den Tod von Kurts Frau Lotte vor zwölf Jahren hatte sie erlebt. Außerdem kannte sie ihn als leidenschaftlichen Polizisten und Doppelkopfspieler. Sollten die anderen Kurts Temperamentsausbrüche ruhig verurteilen. Inge-Britt ließ sich nicht davon abhalten, ihn für seine Aufrichtigkeit zu bewundern. Ohnehin ließ sie nichts auf ihn kommen. Sie hatte oft darüber nachgedacht, wie sie selbst auf eine entwürdigende Degradierung reagiert hätte. Wahrscheinlich hätte sie Goran mehr als einmal die Luft aus den Reifen seines Sportwagens gelassen oder ihm einen Virus auf den Rechner gespielt.

»Jette ist Thorstens Tochter«, murmelte Kurt.

»Davon wusste ich nichts«, flüsterte Inge-Britt. Ihr Blick wanderte vom Bildschirm zu Kurt.

Der saß noch immer wie erstarrt auf seinem Stuhl.

»Warum hast du mir nie von ihr erzählt?«, fragte Inge-Britt.

Kurt zuckte mit den Schultern, und Inge-Britt ahnte, dass diese E-Mail den alten Revierhaudegen stärker aus der Bahn geworfen...


Güth, Christiane
Christiane Güth, geboren 1967, schreibt neben Kriminalromanen auch Kinderbücher und ist Dozentin für Kreatives Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in Gütersloh.

Christiane Güth, 1967 geboren, arbeitete über 15 Jahre als Redakteurin in einem Sachbuchverlag
und ist selbständige Werbetexterin. Sie lebt mit ihrer Familie in Gütersloh.



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