E-Book, Deutsch, 207 Seiten
Grund Opfer, Geschenke, Almosen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-17-024200-5
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Die Gabe in Religion und Gesellschaft
E-Book, Deutsch, 207 Seiten
ISBN: 978-3-17-024200-5
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Dr. Alexandra Grund ist Professorin für Altes Testament an der Universität Marburg.
Autoren/Hrsg.
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Bindekraft und Polyvalenz der Gabe
Zur Einführung in diesen Band
Alexandra Grund
„Was wäre unsere Gesellschaft ohne die Bereitschaft vieler Menschen, etwas Kostbares zu opfern für andere Menschen? Sei es eine ansehnliche Summe Geldes oder knappe Zeit für eine gute Sache – jedes Mal wird etwas Eigenes freiwillig weitergegeben, weil die Sache eine gute ist, weil man weiß, dass Leben ohne solche gegenseitigen Geschenke nicht möglich ist. […] Ohne die Bereitschaft, etwas von seinen Lebensressourcen wegzugeben, ohne diese alltäglichen Opfer kann es kein gutes Leben geben.“1
Wo Menschen etwas Kostbares geben, spenden oder opfern, wie Niklaus Peter es hier beschreibt, stehen nicht selten existentielle und religiöse Beweggründe im Hintergrund. Welche Rolle spielen religiöse Motive und Traditionen bis heute, wo es um Gaben für andere geht? Welche Bedeutung haben Gaben – Opfer, Wohltätigkeit, Spenden – in Religionen, und welche gesellschaftliche und soziale Bedeutung kommt ihnen bis heute zu? Um diese Fragen geht es in den Beiträgen des vorliegenden Bandes.
Wer Fragen nach der sozialen und religiösen Bedeutung von Gaben aufwirft, kann auf einen Blick auf die gabetheoretische Diskussion der letzten Jahrzehnte nicht verzichten. Als ihr Ausgangspunkt gilt nach wie vor der „Essai sur le don“ (1925) des französischen Ethnologen Marcel Mauss,2 der in traditionalen und antiken Gesellschaften herausarbeitete, dass kulturübergreifend „Austausch und Verträge in Form von Geschenken statt[finden], die theoretisch freiwillig sind, in Wirklichkeit jedoch immer gegeben und erwidert werden müssen“3. Die Logik des Gabentauschs in traditionalen Kulturen ist der des Warentauschs oder des Kaufs aber nahezu entgegengesetzt: Bei ersterem symbolisiert die Gabe die gegenseitige Anerkennung des jeweils anderen und dient dazu, Fremdheit oder Feindschaft zu überwinden und soziale Netze zu knüpfen.
Doch Mauss ging es in seinen gabetheoretischen Schriften nicht allein um die bindende Kraft des Gabentauschs in traditionalen Gesellschaften, sondern um Grundlagen einer allgemeinen Sozialtheorie, um ein Modell für eine zeitgenössische Erneuerung des Sozialvertrags. Und so übt der nicht-wirtschaftliche Charakter der Gabe, der zur moderne Gesellschaften und ihre Mentalität prägenden Geldökonomie im Gegensatz steht, nicht nur in Ethnologie und Kulturanthropologie4, sondern auch in Sozialwissenschaften5 und Philosophie6 seit längerem eine große Faszination aus. In jüngerer Zeit spielen hier, angesichts zunehmender Ökonomisierung und Entsolidarisierung in modernen Gesellschaften, die mit dem Geben verbundenen anerkennungstheoretischen Implikationen eine besondere Rolle.7
Die sozialphilosophische Diskussion lässt zuweilen jedoch auch problematische Vereinheitlichungen des an sich facettenreichen Begriffs „der“ Gabe erkennen, die durch Äquivokation in Missverständnisse oder in einen fruchtlosen Kampf um die Deutungshoheit über einen im Vorhinein zu homogen gefassten Gabebegriff führen. So zielt etwa der von Mauss beschriebene zeremonielle Gabentausch auf ein jenseits der (Handels-)Ökonomie angesiedeltes soziales Geschehen, während die vor einer Erwiderung und damit vor der Infektion und Korruption durch Ökonomie nicht zu schützende Gabe bei Derrida8 hingegen von einer individuellen, oblativen Gabe ausgeht; diese rein wohltätige Gabe wird bei Derrida durch ihre Idealisierung zur Unmöglichkeit eliminiert. Der enorme kulturelle Abstand zwischen ritueller, intertribaler Gabepraxis traditioneller Gesellschaften und interpersonalen Gaben in modernen, individualisierten Gesellschaften gerät somit vielfach aus dem Blick, was durch Hénaffs strikte Unterscheidung zwischen wohltätigen, solidarischen und zeremoniellen Gaben eingeholt werden soll.9
Gerade wenn ein kulturgeschichtlich großes Spektrum von Gabeformen in den Blick genommen wird, wie es im vorliegenden Band geschieht, kann ihre Diversität kaum genug betont werden. Es empfiehlt sich also ein weiter Gabebegriff, bei dem auf Vorentscheidungen verzichtet wird – etwa ob eine Gabe nur als einseitiges (Derrida) oder als wechselseitiges Geschehen (Hénaff) in den Blick kommt oder ob auch ökonomische oder nur anökonomische Gabeformen10 als Gabe anerkannt werden. Es genügt nicht zu betonen, dass es „die“ Gabe als Abstraktum nicht gibt, es ist zugleich die Abhängigkeit von Gabesituationen vom jeweiligen kulturellen und religiösen Deutungsrahmen, vom sozialen Status, aber auch von individuellen Intentionen und Erwartungen der Beteiligten kenntlich zu machen.
So ist bei einem Gabegeschehen mit einer ganzen Reihe nahezu unvermeidlicher Ambiguitäten zu rechnen: Wer sich einem Gabegeschehen zu entziehen sucht, muss nicht nur auf Partizipation verzichten. Verweigerte Gabe, Annahme oder Gegengabe kann vielmehr als Ablehnung des anderen aufgefasst werden und in ernsthafte Konflikte führen.11 Doch auch wer in ein Gabegeschehen eintritt, muss mit Ambiguitäten rechnen. So wohnen einer ersten Gabe eine Reihe von Ambivalenzen inne, die M. Godelier so beschrieben hat: „Das Geben stellt anscheinend zu gleicher Zeit eine doppelte Beziehung zwischen dem, der gibt, und dem, der annimmt, her. Eine Beziehung der Solidarität, da derjenige, welcher gibt, das, was er hat, ja sogar das, was er ist, mit demjenigen teilt, welchem er gibt, und eine Beziehung der Superiorität, da derjenige, welcher die Gabe empfängt und sie annimmt, sich gegenüber demjenigen, der ihm etwas gegeben hat, in eine Schuld begibt.“12 So kann auch eine der Intention nach wohltätige, ‚reine‘ Gabe vom Empfänger – noch ohne dass er sie erwidert – als verpflichtend, als Herausforderung oder als Erniedrigung verstanden werden.13 Das Wissen um den situativen Kontext, die Absichten der Akteure und den Zustand der Beziehung, in denen sich ein Gabegeschehen abspielt, ist für dessen gelungene Deutung meist notwendig. Doch auch wenn Gebende wie Erwidernde ihre Absichten gut kennen und sich im Geben als frei erleben, kann ihr Tausch auf der verobjektivierenden Deutungsebene als durch internalisierte Normen (erlernte Dankbarkeit o. ä.) zustandekommender Automatismus verstanden werden.14 Auch bei einem Gabegeschehen gibt es den Streit der Interpretationen, wer mit seiner Deutung im Recht ist – die Tauschpartner oder die Gabetheoretiker, die den unvermeidbaren Gewinn des Gebers an sozialem Kapital und die Verpflichtung zur Erwiderung beim Empfänger offenlegen.
Es liegt auf der Hand, dass das Geben auch in Religionen eine herausragende Rolle spielt: Sei es, dass Leben, Heil und Segen als Gaben Gottes oder der Götter verstanden werden, sei es, dass ihnen etwas – Opfer, Dank, ein rechtschaffenes Leben – dargebracht wird, sei es, dass Menschen einander aus religiösen Beweggründen etwas darbringen. Zentrale Themen der Religionswissenschaft und Theologie können von Perspektiven und Einsichten der gabetheoretischen Diskussion aus neu bedacht und weiter erhellt werden, und so wurde die Gabediskussion in jüngerer Zeit auch auf diesem Gebiet entdeckt.
So widmete sich der von der römisch-katholischen Theologin V. Hoffmann herausgegebene Sammelband „Die Gabe. Ein ‚Urwort‘ der Theologie“15 aus dem Jahr 2009, der sich bewusst dem ökumenischen Gespräch öffnet, systematisch-theologischen Implikationen der Gabediskussion. Im Jahr 2013 ist die systematisch-theologische Habilitationsschrift von V. Hoffmann „Skizzen zu einer Theologie der Gabe“16 erschienen, die die gabetheoretische Diskussion umfassend rezipiert, auf theologische Anschlussstellen befragt und von hier aus zentrale Themen der Theologie (Rechtfertigung, Opfer, Eucharistie, Gottes- und Nächstenliebe) neu durchdenkt. Neben dem ebenfalls 2013 publizierten, von M. Satlow herausgegebenen Band „The Gift in Antiquity“17, der religiöse wie profane Gabeformen in der griechisch-römischen Antike untersucht, wurde im gleichen Jahr auch Band 27 des Jahrbuchs für Biblische Theologie „Geben und Nehmen“ von B. Hamm und B. Janowski herausgegeben, der nach einem sozial- und literaturwissenschaftlichem Eingangsportal die Gabethematik durch alle Disziplinen der Theologie verfolgt.18 Schließlich hat sich im vergangenen Jahr auch das Heft 2 des Journals für Religionsphilosophie mit soziologischen, philosophischen und theologischen Beiträgen dem Themenschwerpunkt „Gabe – Alterität – Anerkennung“ gewidmet.19
Der vorliegende Band nun nimmt insbesondere die Bedeutung von Gaben in den Blick, die in monotheistischen und in fernöstlichen Religionen in religiösen Kontexten gegeben werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um Opfer und um Wohltätigkeit, in traditionellen oder in modernen Formen wie der Sozialgesetzgebung. Auch wenn die...




