Spuren einer außergewöhnlichen Beziehung. Band 1: Werke. E-BOOK
E-Book, Deutsch, 698 Seiten, Format (B × H): 165 mm x 240 mm
ISBN: 978-3-86234-023-1
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Geschichte der Musik Geschichte der Musik: Klassische Musik des 20./21. Jahrhunderts
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Geschichte der Musik Geschichte der Musik: Romantik (ca. 1830-1900)
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Musikwissenschaft Allgemein Einzelne Komponisten und Musiker
Weitere Infos & Material
1;Grates;11
2;Inhalt;13
3;Begriffsklärung;23
4;Bemerkung;35
5;I. Einleitung;37
6;II. Werke;51
7;Auf dem Weg zum Meister(tum) – Die Frühe Periode ( 1874– 1897);53
7.1;Die Instrumentalmusik – erste Versuche eines (Jung-)Wagnerianers?;53
7.2;Vokalmusik (Lieder) – dramatische Störungen im lyrischen Genre;112
7.3;Zusammenfassung;179
8;Von der Parzelle zur Replik – Die Tonale Periode ( 1898–1907);211
8.1;Die Lieder op. 1 als musikdramatische Parzellen (1898) – zwischen » Meister « und Lehrmeister;211
8.2;Das Streichsextett »Verklärte Nacht« (1899) – Programmusik als musikdramatische Miniatur;247
8.3;Die »Gurrelieder« als Musikdrama (1900–11);349
8.4;Das »Lied der Walküre« von Heinrich van Eyken (1901) – eine wagnerisierende Instrumentation?;450
8.5;Zusammenfassung;456
9;Auf der Suche nach dem Kunstwerk der Zukunft – Die Atonale Periode ( 1908– 1920);465
9.1;Die »Glückliche Hand« (1908–13) – Künstler- Drama und Gesamtkunstwerk;465
9.2;Die »Jakobsleiter« (1917–22) – Erlösung als Entgrenzung;550
10;Zwischen Wagner und Hitler Kunstreligion und Religionskunst – Die Dodekaphone Periode ( 1921– 1933);557
10.1;»Von Heute auf Morgen« (1928/29) – ein expliziter Bruch mit Wagners Weltanschauung?;557
10.2;»Moses und Aron« (1930–32) – ein (Anti-)»Ring« des 20. Jahrhunderts? ( Schönbergs Oper im zeitgenössischen Kontext);563
11;Exodus: Ein Abschied vom Meister aus Deutschland? – Die Amerikanische Periode ( 1934– 1951);691
11.1;Das »(Genesis-)Prelude« op. 44 (1945) – aus der »Neuen Welt«;691
"Zwischen Wagner und Hitler Kunstreligion und Religionskunst – Die Dodekaphone Periode (1921–1933)
»Von Heute auf Morgen« (1928/29) – ein expliziter Bruch mit Wagners Weltanschauung?
Schönbergs erste, von 1928 (Oktober) bis 1929 (Januar) entstandene1 Zwölftonoper steht auf ein Libretto seiner damaligen Frau Gertrud (Pseudonym: Max Blonda = »große Blonde«?), dem im Stil der damals mehr oder minder erfolgreichen Zeitopern Ernst Kreneks, Kurt Weills und Paul Hindemiths2 ein zeitkritisch-aktuelles Sujet zugrunde liegt. Auf einen öffentlichen Erfolg scheint es Schönberg mit seinem Werk denn auch abgesehen zu haben3, obgleich ihm dieser aufgrund seiner kompromißlosen musikalischen Diktion wohl schon zwangsläufig versagt bleiben mußte4.
Inhaltlich geht es um die Frage nach der ehelichen Treue, deren Zeitlosigkeit, ja überzeitliche Wertigkeit uns die Oper wohl vor Augen führen soll5. Dem sich aus »Mann« und »Frau« konstituierenden Ehepaar stehen ein wohl nach dem Muster umschwärmter Opern-und-Operetten-Tenöre (wie zum Beispiel Richard Taubers, welchen Schönberg sich auch als Idealbesetzung für diese Rolle dachte6) konzipierte berühmte »Sänger« und seine gegenwärtige »Freundin« im Sinne eines gegensätzlichen Entwurfs wie in einer Art Experiment gegenüber:
Der bewußt »moderne« Lebensstil, welchen diese pflegen, und der offenbar die Idee freier Liebe, den freien Partnerwechsel mit einschließt, wird für das Ehepaar zu einer Versuchung, der sie erfolgreich zu widerstehen vermögen. Ist es zunächst die »moderne« Lebensführung von Sänger und Freundin, welche im Sinne einer neuen, scheinbar selbstverständlichen Alternative die konservative (treue) Haltung des Ehepaars unter Legitimationszwang setzt, so erfährt letztere doch im Verlauf des Werks ihre Bewährung und gewinnt eine Bestätigung (Affirmation), aus der heraus zum Schluß der sich »von heute auf morgen« ändernde »moderne« Lebensstil als »heute schon nicht einmal mehr ganz modern« ironisch in seinen vermeintlichen Vorzügen selbst entlarvt und in Frage gestellt wird. Modernität erscheint als ein in sich selbst fragwürdig gewordenes Kriterium, das nicht mehr zum gültigen Maßstab der Lebensführung taugt.
Allem Anschein nach vollzieht Schönberg also mit Von Heute auf Morgen eine konservative Wendung, die sich nicht nur gegen damals aktuelle gesellschaftliche Tendenzen richtet, sondern zugleich als Revision der eigenen Weltanschauung begriffen werden muß: Während Schönberg im Zuge seiner Tonalen Periode mit Vorliebe Textvorlagen von freidenkerisch-naturalistisch eingestellten Poeten (Dehmel, Jacobsen, Maeterlinck) vertonte, welche die Gedanken politischer Anarchie und freier Liebe mehr oder minder deutlich erkennen ließen, nämlich in ihren Helden propagierten (vgl. insbesondere Verklärte Nacht, Gurrelieder und Pelleas und Melisande), und sich damit wesentlichen Koordinaten der liberalistisch-revolutionären Weltanschauung Richard Wagners einerseits und den Sozialisten, deren Arbeiterchöre er dirigierte9, andererseits anschloß, deutete sich in dem eindeutig negativ besetzten (bewerteten) Verhalten des untreuen »Weibes« der Glücklichen Hand bereits eine Umkehrung der weltanschaulichen Koordinaten an, die Schönberg nun mit seiner Oper Von Heute auf Morgen offen erkennen läßt."