E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Grumbach Den Schwulen lass hier mal weg
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-86300-360-9
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aufsätze und Reden zur Literatur
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-86300-360-9
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Den Schwulen lass hier mal weg" – diesen Rat bekam der Autor, als er in einem Aufsatz den schwulen Edmund Gabriel in Martin Walsers Anselm-Kristlein-Trilogie erwähnt hat. Dabei ist diese wichtige Figur schon so oft weggelassen worden, dass sie in der Wahrnehmung beinahe verschwunden ist. Doch was geht dabei alles verloren? Detlef Grumbach nimmt die Frage zum Anlass, seine Biografie als schwuler Leser zu befragen. In Beiträgen aus fast vierzig Jahren beschäftigt er sich mit deutschsprachigen Autoren und Werken, die ihn besonderes berührt haben. Wichtig sind ihm dabei vor allem solche Bücher, deren Gegenstände eng mit der Biografie der Autoren und zeitgeschichtlichen Umbrüchen verbunden sind. Ein einleitender Beitrag fragt nach den Bedingungen einer sogenannten ‹Schwulen-Literatur› und skizziert ihren langsamen Weg heraus aus dem Ghetto.
Mit Beiträgen über Klaus Mann, Friedo Lampe, Wolfgang Koeppen, Martin Walser, Walter Vogt und andere, einer Laudatio auf Ralf König und einem Dankeschön für eine Auszeichnung des Männerschwarm-Verlags.
Autoren/Hrsg.
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‹Schwule Literatur› – oder Schwule in der Literatur
Ein Überblick Ich bin bereit, von schwuler oder homosexueller Literatur dann zu sprechen, wenn ich in der nächsten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Zeit lese, dass ein neues Werk der heterosexuellen Literatur erschienen ist. So formulierte Detlev Meyer seine Ablehnung des Begriffs ‹schwule Literatur› oder auch ‹Schwulen-Literatur› im Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 1995. Meyer, dessen zwischen 1985 und 1989 erschienene «Biographie der Bestürzung» das Feuilleton und die Leser:innen begeistert hat – Helmut Schödel nannte den Autor in Die Zeit einen «Glücksfall» für die Literatur (1986) und einen «Virtuosen des Leichtsinns» (1987) – gehörte zu den sehr wenigen schwulen Autoren, die über das schwule Leben schrieben und in den Feuilletons der Mainstream-Presse besprochen wurden. Sein Statement weiter: Dann will ich gerne sagen: Dies gibt es, aber es gibt auch das andere, und beide finden im Haus des Seins, der Sprache ihren Platz. Aber zurzeit ist das wirklich nur dieser Literatur zugeordnet, dieser Begriff schwul, um sie in die Ecke zu drängen, an den Rand zu drängen, sie exotisch zu machen. Eine solche Abwertung, mit der die Literatur von oben herab auf den (Binde-)Strich geführt und zu einem Produkt des Dienstleistungsgewerbes für Bewegungen erklärt wird, erfuhr nicht nur die ‹Schwulen-Literatur›. Dabei finden solche Zuschreibungen ihren Ursprung meist bei den Autor:innen und Leser:innen. Sie entstehen in Phasen, in denen die Literatur eng verbunden ist mit einer sozialen Bewegung, die aus der gesellschaftspolitischen Marginalisierung heraus um die Anerkennung ihrer bloßen Existenz oder politischen Ziele kämpft und dabei für sich selbst die Spielräume erweitern muss. Mit der Arbeiterbewegung entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Arbeiter-Literatur, mit der Frauenbewegung die Frauen-Literatur, mit der Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre die Friedens-Literatur. Damit verbunden war und ist, diese Literatur überhaupt erst einmal gegen die Macht und das Naserümpfen des Literaturbetriebs und seiner Protagonist:innenen (Verleger, Lektoren, Kritiker) durchzusetzen, die einen universellen Anspruch und die Entscheidungsgewalt darüber, was diesem Anspruch Genüge tut, für sich beanspruchen. Sie wollen entscheiden, welche Stoffe und Figurenkonstellationen literaturfähig sind und welche nicht. Detlev Meyer zur Übernahme des Begriffs ‹Schwulen-Literatur› durch die Bewegung: Ich akzeptiere es im Rückblick. Es hat also in der Sozial- und der Geistesgeschichte seine Funktion gehabt, es hatte seinen emanzipatorischen Pfiff. Man hat das Wort übernommen, mit dem man beleidigt wurde. Man hat sich also diesen Handschuh einfach übergezogen und die Faust gestreckt und gesagt, also okay, also wenn wir schwul genannt werden, dann wollen wir das auch laut sagen. Aber das war in der Phase der schwulen Emanzipation wichtig, mittlerweile müssten wir darüber hinaus sein. Und es gibt auch Frauen, die sagen: Ich bin Frau. Punkt. Ich bin Autorin. Punkt. Ich bin keine Frauenautorin. Wie der berühmte Satz von Yves Navarre: «Ich bin schwul, ich bin Schriftsteller, ich bin kein schwuler Schriftsteller.» Für die Frauen-Literatur mag das zum Zeitpunkt von Meyers Statement gegolten haben. Viele Veränderungen auf dem Weg zur Gleichstellung stehen zwar noch heute aus, doch der Horizont des gesellschaftlichen Diskurses und damit der Literatur insgesamt hat sich deutlich erweitert. Was als ‹Frauen-Literatur› dabei trotz der Abwertung ‹von oben› seinen Dienst geleistet hat, hat längst Eingang in die ‹eine› Literatur gefunden, ist anerkannt und hat deren Spektrum erweitert und dafür gesorgt, dass ihre Themen, Stoffe und entsprechende Protagonistinnen nicht mehr nur in Büchern von Autorinnen präsent sind. Schwule Nachbarn Ob Meyers Intervention, die Bezeichnung ‹schwule Literatur› nur im Rückblich akzeptieren zu wollen, 1995 schon zutreffend war, darf angezweifelt werden. Zwölf Jahre nach dem Gespräch, dass ich für eine Sendung des NDR-Bildungsfunks mit ihm geführt habe, sind die Verleger des Männerschwarm Verlags noch immer zu einem anderen Befund gekommen. Wir hatten zwar unseren Beitrag zur Entwicklung einer deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geleistet, aus dem sozialen Umfeld der Schwulenbewegung hatten wir unsere Autoren noch immer nicht herausgeführt. Wer sich aus der Perspektive schwuler Figuren mit Liebe, Beziehungen, Arbeitsleben oder Tod beschäftigt, wird diese – ob ausgesprochen oder nicht – stets mit heteronormativen Verhältnissen konfrontieren müssen, die nicht für sie eingerichtet sind, an denen sie sich reiben. Das macht einen besonderen Reiz aus und ist gleichsam eine Versicherung dagegen, die Figuren nicht in den Käfig eines apologetischen Verhältnisses zur Realität zu sperren, führte aber immer noch dazu, im Literaturmarkt marginalisiert zu werden. Heterosexuelle Leser:innen, so durften wir zu Recht noch verallgemeinern, interessierte das nicht. Dem entsprach es, das der Seitenblick auf schwule Lebensrealitäten aus der Perspektive der heterosexuellen Autor:innen und ihrer Figuren noch immer ausblieb. Schwule als Figuren und die Auseinandersetzung mit ihren Lebensformen kamen in der aktuellen Gegenwartsliteratur nicht vor, sofern diese Literatur nicht von Schwulen selbst geschrieben wurde. Zumindest nur selten. Ausnahmen bestätigen die Regel. «Schwule Nachbarn» lautete zunächst nur der Arbeitstitel einer Anthologie, mit der wir deshalb aus Anlass des fünfzehnten Verlags-Geburtstags Abhilfe schaffen wollten. Der Männerschwarm Verlag bat also Autorinnen und Autoren, die wir für heterosexuell hielten, um Geschichten, in denen sie ihre heterosexuellen Figuren mit schwulen Lebensrealitäten konfrontieren. «Keine Idee. Ich kann nicht»1, so begründet einer der angeschriebenen Autoren, der in der Textsammlung, die dann unter dem Titel «Schwule Nachbarn. 22 Erlebnisse» (2007) erschienen ist, nicht vertreten ist, kurz und knapp seine Absage. Ein anderer nimmt den Arbeitstitel über die Maße wörtlich: Er könne «nicht mitmachen, weil mir kein schwuler Nachbar erinnerlich ist». – «Ich fühle mich nicht zuständig», so schreibt ein weiterer Autor und repräsentiert mit dieser Aussage keine Minderheit. Aber sind die Blicke über den eigenen Tellerrand, auf die «schwulen Nachbarn» im weitesten Sinne (ein turtelndes schwules Paar in der U-Bahn, der Bürgermeister, Talkmaster oder Komödiant, der Lehrer, Mitschüler oder Bademeister, der Buchhändler, Friseur oder Sparkassenfilialleiter), sind Konfrontationen mit schwulen Figuren, die im wirklichen Leben zumindest im städtischen Raum zum Alltag gehören, in der Literatur eine Frage der Zuständigkeit? Ist der Begriff der ‹Zuständigkeit› überhaupt tauglich, wenn es um eine literarische Fragestellung geht? Ein Reiz der Literatur liegt doch im Konjunktiv, in der Möglichkeit, die anders ist als die erlebte Realität, die etwas ausprobiert. Wer sich mit literarischen Mitteln auf die Wirklichkeit einlässt und von vornherein die Möglichkeit ausschließt, einen Blick auf den schwulen Nachbarn zu riskieren, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht das betreibt, was als ‹Bindestrich-Literatur› tituliert wird – in diesem Fall ‹Heterosexuellen-Literatur›. «Ein Roman über New Orleans ohne Schwule», so beantwortete die amerikanische Autorin Tony Fennelly bei einer Lesung die Frage, warum in ihren Romanen schwule Figuren immer eine wichtige Rolle spielen, «das wäre wie ein Buch über Alaska ohne Schnee.» Doch seine «Berührungen mit der schwulen Welt sind nahe null», erklärt ein weiterer der zur «Schwule Nachbarn»-Anthologie eingeladenen Autoren, ein anderer meint, er sei sich «einfach sicher, dass bei dem, woran ich im nächsten halben Jahr arbeiten will, homosexuelles Leben in keiner Weise vorkommen wird. Tut mir leid». Gerade hatte er, Thomas Hettche, den Roman «Woraus wir gemacht sind» (2006) abgeschlossen, in dem sein Held an zwei verschiedenen Orten schwulen Paaren begegnet: «Verwundert betrachtet er das schwule Paar Ende Vierzig» (78), heißt es, als sein Protagonist ein Hotelrestaurant betritt. Gegen Ende des Romans erzählt er von einem Moment «am Ocean Boulevard in Santa Monica». An der Steilküste «stehen dann schon das Pärchen in Flip-Flops, […] und das schwule Paar» (259). Woran sein Held die Schwulen erkennt, was ihn verwundert und warum er sie gesondert erwähnt, bleibt genauso offen wie alles, was diese konkrete Wahrnehmung in der konkreten Situation bedeutet. Ich hätte mir gewünscht, der Autor hätte uns für unsere Anthologie einen Augenblick in seine Figur hineinhorchen lassen. Allein die Tatsache aber, dass wir etliche Autorinnen und Autoren gerade deshalb zu dieser Anthologie eingeladen haben, weil wir wussten, dass sie das Thema interessieren würde, dass einige uns bereits veröffentlichte Texte zum Abdruck in diesem Kontext überlassen haben, zeigt jedoch: Seitdem die Vorkämpfer der sexuellen Emanzipation Begriffe wie den des ‹Urnings›, des ‹Homosexuellen› oder ihre Theorien vom ‹dritten Geschlecht› in die Öffentlichkeit brachten, seit Strafrecht und Psychiatrie die Diskurse über ‹Sodomie›, ‹Geschlechtswahnsinn› und die ‹Psychopathia sexualis› bestimmten, ist einiges geschehen. Das erkennt man auch an literarischen Ausnahmeerscheinungen wie Hubert Fichte, der in aller Selbstverständlichkeit als schwuler Autor von vornherein zu der einen Literatur gehört hat, während sein Kollege Felix Rexhausen, der schon ‹Schwulen-Literatur› geschrieben hat, als vom Aufbruch der neuen Schwulenbewegung Anfang...