E-Book, Deutsch, 148 Seiten
Gruber / Zeuner Erwachsenenbildung und Zeit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7526-2105-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 148 Seiten
ISBN: 978-3-7526-2105-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zeit, so schwer sie abseits der messbaren Uhrzeit auch zu fassen sein mag, ist eine zentrale Kategorie der Erwachsenenbildung. Gerade zu Zeiten der Corona-Pandemie erleben wir dies auf radikal paradoxe Weise, wenn etwa Weiterbildungsinstitute zunächst zusperren, um dann schleunigst online zu gehen. Zeit äußert sich in der Erwachsenenbildung auf verschiedenen Ebenen: etwa in der Frage nach Lern- und Bildungszeit der Teilnehmenden oder als reflexiver Lerngegenstand mit Blick auf das eigene Leben und dessen Endlichkeit. Wir ringen mit dem "Zeitmanagement" in der Frage der Selbststeuerung. Wir erleben Zeit als Phänomen von Beschleunigung, Entgrenzung und Vergleichzeitigung gesellschaftlicher Praxen. Ausgabe 41 des Magazin erwachsenenbildung.at diskutiert in 15 Beiträgen, was "die Zeit" sowohl in ihrer subjektiv-biographischen als auch ihrer gesellschaftlichen Dimension für die Erwachsenenbildung bedeutet. Die AutorInnen fragen nach den Veränderungen in Formaten oder Didaktik genauso wie nach der Zeitverantwortung von Erwachsenenbildung. Sie gehen der Sehnsuchtsfrage nach, wie Entschleunigung zur Gelegenheit für Bildung wird. Die Zusammenstellung umfasst historische und gegenwartsdiagnostische Texte ebenso wie Ergebnisse von Studien und ein Interview mit dem bekannten Zeitforscher Karlheinz A. Geißler. Magazin erwachsenenbildung.at (Meb) ist das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs der österreichischen Erwachsenenbildung. Es wird vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Erwachsenenbildung dreimal jährlich herausgegeben. Für die Redaktion verantwortlich ist CONEDU - Verein für Bildungsforschung und -medien. Die eingereichten Artikel werden dem Review eines sechsköpfigen Fachbeirates unterzogen, der mit ExpertInnen aus Wissenschaft, Praxis und Medien besetzt ist. Alle Artikel und Ausgaben des Magazin erwachsenenbildung.at sind im PDF-Format unter erwachsenenbildung.at/magazin kostenlos verfügbar. Das Online-Magazin erscheint parallel auch in Druck (Print-on-Demand) sowie als E-Book.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zeit als biografische Strukturkategorie Zeit ist Veränderung, Leben ist Veränderung, Lernen ist Veränderung
Regina Mikula Zitation Mikula, Regina (2020): Zeit als biografische Strukturkategorie. Zeit ist Veränderung, Leben ist Veränderung, Lernen ist Veränderung. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 41, 2020. Wien. Online im Internet: https://erwachsenenbildung.at/magazin/20-41/meb20-41.pdf. Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt. Schlagworte: Lebenszeit, subjektives Zeitempfinden, biografische Zeitverhältnisse, Zeitstrukturen, Corona-Zeit Kurzzusammenfassung Was ist das Wesen der Zeit? Um dieser Frage nachzugehen, reflektiert die Autorin verschiedene Dimensionen und Aspekte von Zeit als eine das menschliche Leben strukturierende Kategorie. Dabei versteht sie Zeit einerseits als eine Konstante, einen objektiv immer gleich schnell fließenden Fluss. Andererseits ist Zeit aber auch Kontingenz, weil sie Veränderung bedeutet und das Zeiterleben individuell verschieden sein kann. Um also das Wesen der Zeit greifbar zu machen, braucht es nach Ansicht der Autorin den biografisch-lebensgeschichtlichen Weg eines Subjekts, der beeinflusst ist von natürlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Zeitkonzepten und -zyklen. Erst in diesem Weg erhält Zeit greifbare Bedeutung und erst im konkreten Menschen wird sie spürbar. Zeit kann daher aus der Perspektive der Biografieforschung verstanden werden als Veränderung über die Lebensdauer eines Menschen. Auch Lern- und Bildungsprozesse sind Veränderungsprozesse, die Zeit brauchen. Aus erziehungs- und bildungswissenschaftlicher Perspektive ist Zeit daher die zentrale Ordnungskategorie dieser Prozesse. Gerade die Kategorie Zeit, so schließt die Autorin, bringt letztlich die biografischen Eigenentwicklungen als Lern- und Bildungsvollzüge in ein dynamisch sich veränderndes Verhältnis zueinander. 02 Thema Zeit als biografische Strukturkategorie Zeit ist Veränderung, Leben ist Veränderung, Lernen ist Veränderung
Regina Mikula Zeit begegnet Menschen in der Kontinuität und Diskontinuität des gelebten Lebens. Zeit fordert den Menschen heraus; sie lässt uns auch leiden (z.B. Zeitdruck) und handeln (zeitgemäß und zeitnah), verzweifeln (z.B. Termindruck) und triumphieren (z.B. Freizeit), wir verschwenden sie und schenken sie: So wird die Biografie immerwährend in der Bewältigung und Gestaltung des eigenen Lebens zu einem Zeitprojekt (vgl. Mikula/Lechner 2016, S. 178). Obwohl in all den Lebensphasen, die wir durchleben (Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter), Zeit objektiv immer gleichmäßig vergeht, nehmen Menschen etwa die Zeitdiagnosen der Gesellschaft – das Zeitalter der Globalisierung –, die eigenen Gehgeschwindigkeiten im Leben, das eigene Lebenstempo, den Rhythmus von Tag und Nacht je unterschiedlich wahr. Auch Zeithorizonte verändern sich: Im Jugendalter wollen wir rasch älter und reifer sein, während wir uns im fortgeschrittenen Erwachsenenalter in die Jugendzeit zurücksehnen. Im vorliegenden Beitrag wird dieses vielfältige Zeitbewusstsein in der Biografie herausgearbeitet; sichtbar wird dabei das Eingebettet-Sein der Person in individuelle, gesellschaftliche, kulturelle und zeitliche Lebenslaufstrukturen. Zeit – ein facettenreicher Begriff Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe. Marlene Dietrich „Es gibt ein großes und doch ganz allmähliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit“ (Ende 2005, S. 57). Michael Endes Roman „Momo“ ist wohl eine der bekanntesten Geschichten über die Verfügbarkeit der Zeit, über gestohlene und verlorene Zeit und versucht, dem Geheimnis der Zeit auf die Spur zu kommen. Momo ist ein besonderes Mädchen, sie hat immer Zeit, verfügt über eine blühende Fantasie, denkt sich mit Ruhe und in Muße kreative, lustige Spiele aus und Langeweile, als eine Erfahrung von Zeit, kennt sie nicht. Aber, da leben auch noch die grauen Herren, die bei der Zeit-Sparkassa arbeiten und die den Auftrag haben, den Menschen sozusagen die Zeit zu stehlen. Ihr Plan ist es, die Menschen, wo immer es geht, dazu zu bringen, dass sie Zeit sparen. Je mehr Zeit die Menschen allerdings glauben zu sparen, desto weniger Zeit haben sie für das Jetzt zur Verfügung. Zeit kann man eben nicht sparen! Das Sprichwort „Zeit ist Geld“ weist auf einen speziellen Problemzusammenhang hin, der in Zeiten der Technisierung und Kommunikation per Handy und Internet zu einem beschleunigten Lebensstil und Lebenstempo führt. Aber nicht nur heute ist davon die Rede, dass der Technikersatz Zeit spart, auch Karl Valentin (2019 [1941]) hat in einem Dialog mit dem Titel „Haben Sie Zeit, gehen S` mit“ auf das temporäre Ausgeliefertsein im Alltag und auf das negative Zeiterleben als ein Leiden an der Zeit hingewiesen: „Herr B.: So, heut hättn S` Zeit? Also gehen S`mit. Valentin: Wohin? Herr B.: Irgendwohin! Valentin: Ja, da war i scho amal. Herr B.: So? Valentin: Ja! […] Herr B.: San S` olso hinganga? Valentin: Ja - -, bin aber net lang dort bliebn! Herr B.: Dös is lang gnua! Valentin: Dös sag i a - - was hab i denn davon? - - Is schad um d` Zeit! Herr B.: Des stimmt! - - - Zeit is Geld! Valentin: Na, - - des stimmt net - - Zeit hab i gnua, aber kein Geld! - - Wenn i so viel Geld hätt wie Zeit, dann hätt i mehr Geld wie Zeit! Herr B.: Dann hättn Sie keine Zeit mehr, dass mit mir wohin gehen! Valentin: Dann nicht, aber heut hätt ich noch Zeit!“ (Valentin 2019 [1941], S. 193). Zeit, überall Zeit – ob Freuden mit oder Unbilden an der Zeit, die Frage ist doch, vorweg zu klären: Was ist Zeit? Die Fragen nach dem Wesen der Zeit, nach Dimensionen, begrifflichen Bestimmungen, Charakteristiken, Ausprägungen, Anfang und Ende, Zeitzonen, Zeitmessungen, Zeitaufzeichnungen, subjektiven Zeiten u.v.a.m. haben schon die großen Denker der Antike (z.B. Platon, Aristoteles, Seneca) beschäftigt. „Die Wurzeln unseres Zeitverhältnisses und Zeitverständnisses liegen in der Bewegung der Himmelskörper, der Umlaufbahnen der Gestirne, die uns ein erstes Maß vorgeben und keineswegs mit einem Handstreich als archaisch mythische Zeitvorstellung disqualifiziert werden können. Zeit ist noch keine abstrahierte Größe, vielmehr ist sie in den Lebenskontext und in Handlungsformen eingebettet. Die Himmelsbewegungen sind Ausdruck der Ewigkeit und kosmischer Gestalt der Vollkommenheit. In der Bewegung von Erde und Mond entstehen Rhythmen – die Jahreszeiten, der Wechsel von Tag und Nacht. Natürliche Zyklen wie Ebbe und Flut, Regen und Trockenzeiten treten hinzu und sind im sich wiederholenden Ablauf Richtschnur für soziale und kulturelle Prozesse; sie sind quasi schicksalhaft mit der Zeitordnung der Natur verbunden“ (Dörpinghaus/Uphoff 2012, S. 46). So ist im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften als auch in wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. Kunst, Kultur, Musik, Physik, Biologie, Medizin) der Zeitbegriff in einer Interpretationsbreite und -dichte gefasst worden, die schließlich im 20. Jahrhundert große Aufmerksamkeit erlangte. Da sind zum einen Veränderungen des physikalischen Zeitbegriffes, ausgelöst durch die Relativitätstheorie und die Quantenphysik, zum anderen interdisziplinäre Zeitbetrachtungen in den verschiedenen Fachdisziplinen (vgl. Zimmerli/Sandbothe 2007, S. 1ff.). Aus naturwissenschaftlicher Perspektive etwa ist Zeit eine physikalische, objektive und selbstverständlich berechenbare Größe. Aus erziehungs- und bildungswissenschaftlicher Perspektive zeigt sich das Phänomen Zeit als eine inhärente Ordnungskategorie von Lern- und Bildungsprozessen; betrachten wir das Individuum, dann ist Zeit schließlich eine sehr flexible und dehnbare Größe und unterliegt individuellen Wahrnehmungen, lebensgeschichtlichen Entwicklungsprozessen, bedeutsamen Erfahrungen und eigenen Vorlieben. Jede Person verfügt also über eine individuelle Zeitsignatur und jedes Lebensalter hat sein subjektives Zeitempfinden. Das verweist implizit einerseits auf die Unterscheidung zwischen vergangen, gegenwärtig und zukünftig, andererseits auf die fundamentale Differenz zwischen früher und später. Der hier vorliegende Beitrag erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema Zeit, das Menschen seit Jahrtausenden beschäftigt, gerade in der – sagen wir salopp – Corona-Zeit neu und völlig anders an...