E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Gruber Worte im Sommerwind
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96714-146-7
Verlag: Zeilenfluss
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Ostsee-Roman
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-96714-146-7
Verlag: Zeilenfluss
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Timo hat ein Ziel: die traumhafte Ostsee-Villa seiner Großmutter zu besitzen.
Timo hat einen Plan: mogeln und schummeln, um an sein Erbe zu kommen.
Timo hat ein Problem: eine Assistentin, die ihm ganz genau auf die Finger schaut.
Timo genießt sein Jet-Set-Leben. Als ihm seine Großmutter jedoch die Villa an der Ostsee vererbt, ist dies an eine Bedingung geknüpft: Er muss einen Roman schreiben. Blöd nur, dass er darauf gar keine Lust hat. Zum Glück hat er eine geniale Idee, um zu bekommen, was er will – auch ohne die nervige Arbeit.
Allerdings wird ihm die hinreißende Dana als Assistentin aufs Auge gedrückt, und das Letzte, was Timo gebrauchen kann, ist jemand, der ihm auf die Schliche kommen könnte. Also sorgt er dafür, dass sein strenger Babysitter rund um die Uhr beschäftigt ist - auch wenn er seine Zeit lieber damit verbringen würde, ihre Kurven und diesen schlagfertigen Mund zu bewundern.
Doch während es Sommer wird am Meer, verstrickt sich Timo immer tiefer in seine Gefühle zu Dana und in seinen Plan, der plötzlich gar nicht mehr so genial zu sein scheint …
Ein humorvoller und unterhaltsamer Sommerroman, der euch an die atemberaubende Meeresküste der Ostsee entführt!
Autoren/Hrsg.
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1
»Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst du zurück. Der Herr aber wird dich auferwecken«, sagte der Pfarrer und warf etwas von ebendieser braunschwarzen Substanz auf den glänzenden dunkelbraunen Holzsarg hinab, den in dem tiefen Loch nur die Umstehenden in vorderster Reihe sehen konnten. Dann wandte der Geistliche sich zu Timo um, übergab ihm, als nächstem Angehörigen, die kleine Schaufel und drückte ihm dabei mit der anderen Hand stärkend den Arm. Timo nickte kaum merklich und trat einen Schritt nach vorn. Er spürte, dass aller Augen nun auf ihn gerichtet waren. Es mochten dreißig, fünfzig, vielleicht hundert Leute erschienen sein, um seiner Großmutter die letzte Ehre zu erweisen. Er wusste nicht, wie viele es waren, die von der allseits beliebten Frau Abschied nehmen wollten. Zu sehr war er mit sich und seinen Gedanken beschäftigt. Die Trauerrede des Pfarrers hatte er zum Großteil nicht mitbekommen. Um ehrlich zu sein, war er froh, wenn das hier alles vorüber war. Er streckte den Arm aus, tauchte die Metallschaufel in den Eimer mit Erde und holte sie gefüllt wieder hervor. Sein Anzug fühlte sich bereits klamm an. Das Wetter hätte nicht besser zu einem solchen Anlass passen können. Der Himmel war mit einem tristen blaugrauen Schleier überzogen, und zusätzlich zu der trüben Nebelsuppe setzte jetzt auch noch leichter Nieselregen ein. Er hörte, wie einige der Trauergäste hinter ihm ihre Schirme aufspannten. Es hätte ebenso gut Spätherbst sein können, statt Frühsommer, wie es im Kalender stand. Aber das war an der Ostseeküste nichts Außergewöhnliches und Timo letztlich auch egal. Morgen schon würde er wieder weg sein. Er war nur wegen der Beerdigung hergekommen. Damit zumindest ein Familienmitglied anwesend war. Viele gab es ja nicht mehr. Nur ihn und seinen Vater. Aber sein alter Herr war wie immer viel zu beschäftigt. Nicht einmal der Tod seiner eigenen Mutter konnte ihn dazu bringen, die Geschäfte ruhen zu lassen. Der Termin passte nicht in sein Zeitmanagement. Wegen der einen Stunde, die das Begräbnis dauerte, setzte er sich nicht ins Flugzeug und nahm die Reise von Amerika nach Deutschland auf sich. Timo hatte das nicht überrascht. Im Gegenteil, er wäre erstaunt gewesen, hätte es sich umgekehrt verhalten. Andererseits sollte man bekanntlich nicht mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus saß. Und in gewisser Weise tat Timo das. Er hatte seine Großmutter seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Zuletzt, als er Mitte zwanzig gewesen war. Das war über ein Jahrzehnt her. Seither war er in der Welt umhergejettet, hatte aber nie die Zeit gefunden, einen Besuch bei seiner Oma an der Ostsee einzuschieben. Nun blickte er auf den Sarg hinab und fragte sich, wie es ihr in ihren letzten Tagen ergangen sein mochte. War sie krank gewesen? Hatte sie gelitten? Oder war der Tod gnädig zu ihr gewesen und hatte sie im Schlaf ereilt? Das rundliche Gesicht einer fröhlichen Frau tauchte vor seinem inneren Auge auf. ›Du machst das schon, mein Junge‹, hörte er sie förmlich sagen, als stünde sie neben ihm, und er fuhr erschrocken zusammen. Schwarze Erdkrümel spritzten von der Schaufel und hinterließen ein leises, dumpfes Geräusch beim Aufprall auf dem Holz in der Tiefe. Eilig steckte er die kleine Schippe zurück in den Eimer und ging beiseite. Eine hagere ältere Frau trat an seine Stelle. Mit wässrigen Augen schmiss sie eine langstielige Rose in das offene Grab, bevor sie sich abwandte und lauthals in ihr Taschentuch schniefte. Der Pfarrer nahm sich ihrer an und spendete ihr tröstende Worte. Timo beobachtete sie und überlegte, ob die Leute auch von ihm einen Gefühlsausbruch erwarteten. Was für ein Quatsch!, sagte er sich im selben Moment. Er war ein Mann. Und Männer weinten nun einmal nicht. Aber das beklommene Gefühl blieb. Dabei handelte es sich jedoch weniger um Trauer als vielmehr um Schuld. Er drehte sich um und wollte gehen, da kam die alte Dame auf ihn zu und schüttelte ihm unter Tränen die Hand. »Sie sind der Timo, nicht wahr? Ich war eine gute Freundin Ihrer Großmutter. Vielleicht erinnern Sie sich an mich. Betty. Betty Schwarz.« Verwirrt schaute er die Frau an. Ihre schrullige Hand lag noch immer in seiner. Ihr Gesicht war faltig und von Gram verzerrt. Trotzdem erkannte er die Freundlichkeit, die darin lag. Etwas tief in ihm drin regte sich. »Aber ja.« Er erkannte sie wieder. Als er ein Junge gewesen war, war Betty häufig bei seiner Großmutter vorbeigekommen, zum wöchentlichen Kaffeeklatsch und als Nachbarin auch sonst des Öfteren. »Es tut mir ja so leid für dich«, sagte sie mit gebrochener Stimme und tätschelte seinen Handrücken. Timo versteifte sich. So wie Betty von Kummer geschüttelt wurde, hatte er das Gefühl, diese Mitleidsbekundung gar nicht zu verdienen. »Mir auch. Mein Beileid«, antwortete er mechanisch. »Ach mein Junge«, schniefte sie und umarmte ihn unvermittelt. Der Regen wurde stärker, und eine Frau mittleren Alters, vielleicht ihre Tochter, eilte herbei und schob ihren Schirm über Betty Schwarz. Eine Ecke des Metallgestänges traf ihn an der Stirn. Timo fühlte sich im wahrsten Sinn des Wortes vor den Kopf gestoßen. Diese unerwartete Herzlichkeit und das schlechte Gewissen nahmen ihm fast die Luft zum Atmen. Als die alte Dame endlich von ihm abließ, war er völlig aus dem Konzept gekommen. Die jüngere Frau schüttelte ihm ebenfalls die Hand und sprach ihr Mitgefühl aus. Dann schob sie Betty weiter, und Timo sah, dass sich bereits eine Schlange hinter den beiden gebildet hatte. Offenbar wollten alle kondolieren. Konsterniert stand er da und ließ es sich gefallen. Die Zahl der Trauernden schien endlos. Doch irgendwann hatte er auch dem Letzten die Hand geschüttelt. Mit leerem Blick starrte er auf das Friedhofsportal, durch das in dieser Minute die restlichen Gäste verschwanden. »Im Gasthof Küstennebel findet noch ein kleiner Umtrunk statt. Frau Schwarz und einige andere Gemeindemitglieder haben das organisiert. Ihre Großmutter war sehr beliebt bei uns im Ort. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen gern den Weg.« Die sonore Stimme des Pfarrers riss ihn aus seinen Gedanken. Unwillkürlich zuckte Timo zusammen. Er hatte geglaubt, endlich allein zu sein. »Danke. Nein.« Er schüttelte den Kopf und bemerkte erst jetzt, dass er inzwischen vollkommen durchweicht war. Der Anzugstoff hing ihm schwer am Körper. »Ich werde mich umziehen gehen«, meinte er und war dankbar für die passable Ausrede. »Verständlich.« Der Gottesdiener nickte unter seinem Schirm, dann trat er etwas näher, um ihn mit Timo zu teilen. »Vielen Dank. Aber das ist die Mühe nicht wert. Sie werden nur auch noch nass«, wehrte Timo ab und lief eilenden Schritts zum Ausgang. »Aber Sie kommen nach?«, rief ihm der Pfaffe hinterher, doch Timo tat, als hörte er ihn nicht. *** Die kurze Strecke im Auto genügte, damit die Scheiben beschlugen, durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die von Timo ausging. Seine Klamotten dampften, alles klebte ihm am Körper. Aber er kannte den Weg gut genug. Die Lüftung brummte laut, und es war regelrecht erlösend, als er vor dem alten Gebäude hielt und ausstieg. Sofort umfing ihn eine himmlische Ruhe, die nur von Geräuschen des nahen Meeres untermalt wurde. Einen Moment verharrte er vor dem Haus und nahm dessen Bild in sich auf. Es lag etwas zurückversetzt und wurde im Hintergrund von Buchen und höheren Kiefern eingerahmt. Ein Fußweg führte von der Straße mittig durch den Rasen zum Eingang hin. Timo sah auf den ersten Blick, dass die Hecken, die links und rechts das Grundstück abgrenzten, geschnitten werden mussten. Das Backsteingebäude selbst war zwar groß, wirkte aber eher verspielt durch seine verschachtelte Bauweise. Neben dem Haupthaus gab es einen Anbau, in dem sich, sofern sich nichts geändert hatte, ein Esszimmer befand. Vor der Villa, direkt neben der Eingangstür, war ebenfalls ein kleiner, etwa zwei Meter breiter Gebäudevorsprung angefügt worden, um die einstmals schmale Küche zu vergrößern. Die daraus entstehende Ecke im Außenbereich hatte man als Terrasse gepflastert. Doch soweit er erkennen konnte, standen dort nur ein verwitterter Tisch und eine alte Holzbank. Timo schnappte sich seine Tasche aus dem Kofferraum und lief den Weg zum Eingang entlang. Er erinnerte sich gut an das elende Geschleppe der Einkäufe. Mit zunehmendem Alter hatte er seine Großmutter oft gefragt, warum sie nicht eine Einfahrt anlegen ließ. Man hätte bequem bis vor die Haustür fahren können. Platz genug war vorhanden, um beispielsweise ein Carport anzubauen. Und es wäre immer noch genügend Grünfläche übrig, die das Auge erfreuen konnte. Aber seine Oma hatte jedes Mal den Kopf geschüttelt. ›Timo, das würde das Flair des Anwesens zerstören. So wie es ist, war es schon immer. Das bisschen, was ich zum Leben brauche, kann man doch tragen. Und es hält fit‹, hatte sie immer lächelnd erwidert. Fast ein Jahrhundert hatte seine Großmutter hier gelebt. Sein Vater war hier groß geworden. Und auch er, Timo, hatte so einige Sommertage in diesem Haus verbracht. Er zog den Schlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss der alten hellgrauen Haustür. Das rhombusartige tellergroße Glasornament auf Augenhöhe schimmerte bläulich wie eh und je. Unter einem leichten Ächzen öffnete sich die Tür. Drinnen empfing ihn sofort der gewohnte Geruch, den er seit Kindertagen mit dem Gebäude verband. Fast rechnete er damit, dass seine Großmutter...